Die Millennium Wölfe - Buchumschlag

Die Millennium Wölfe

Sapir Englard

Das Rennen

SiennaHey, Selene
SiennaBist du wach?
SeleneÄh, nicht wirklich.
SeleneGeht es um Leben und Tod?
SeleneEs ist mitten in der Nacht.
SeleneWas ist los?
SiennaWann wusstest du es?
SeleneWusste ich was??
SiennaDas du in Jeremy verliebt warst.
SeleneWie bitte?
SeleneSienna …
SeleneKann das nicht bis morgen warten?
SiennaAiden hat gefragt, ob ich heute Nacht mit ihm rennen gehe.
SeleneWAS!
SeleneO MEIN GOTT!
SeleneWarum hast du nicht gleich gesagt??
SeleneIch krieg hier Schnappatmung.
SeleneWarte, ich geh ins Wohnzimmer.
SeleneJeremy schnarcht.
Selene🙄
SiennaÄh, du kannst cool bleiben.
SiennaIch gehe ja rennen.
SeleneDU GEHST ALSO??
SiennaJa, und ich brauche deinen Rat.
SiennaUnd zwar jetzt.
SeleneOk, was willst du wissen?
SiennaDein erstes Rennen mit Jeremy.
SiennaWie war es? Was hattest du an? War es leidenschaftlich oder vertraut?
SeleneNa ja, es war magisch.
SeleneUnd was du anziehst, ist ziemlich egal.
SeleneNachdem ihr euch ausziehen werdet.
SeleneEs ist beides, leidenschaftlich und vertraut.
SeleneEs ist eher eine spirituelle Erfahrung.
SeleneDen Wolf übernehmen zu lassen und den tiefsten Instinkten nachzugeben.
SiennaWas, wenn unsere Wolfsformen nicht zueinander passen?
SiennaWenn wir noch nicht so weit sind, könnte es alles ruinieren.
SeleneDas kann ich dir nicht beantworten.
SeleneAber wenn du schon ja gesagt hast, ist das deine Antwort.
Selene💖
SiennaDanke, Schwesterherz.
SiennaIch muss los.
SiennaAiden ist grad nach Hause gekommen.

Ich betrachte den Mann, mit dem ich nun rennen gehen würde – die intimste Erfahrung, die zwei Werwölfe miteinander teilen können – und plötzlich wurde mir flau im Magen.

Den Gerüchten zufolge hatte ein Rennen Aidens und Jocelyns Beziehung beendet. In ihren Wolfsformen hatten sie nicht zueinander gepasst.

Was, wenn uns das auch so ging?

„Bereit?“, frage Aiden.

Das war eine ganz schön geladene Frage. Als Aiden mich gefragt hatte, da war mir mein Wolf zuvorgekommen und ich hatte einfach „Ja“ gesagt, bevor mir die Bedeutung überhaupt ganz klar geworden war.

Er schien so erfreut über meine schnelle Zusage, dass ich es nicht übers Herz gebracht hatte, sie zurückzunehmen.

Nun schrie es in meinem Kopf, dass ich so weit wie möglich weglaufen sollte, aber mein Wolf heulte auf, verdrängte meine Furcht und sagte mir, dass ich meinen Arsch bewegen und mit ihm rennen sollte.

Ich nickte und stand auf. Er nahm meine Hand und führte mich hinaus bis an den Waldrand. Gemeinsam nahmen wir die ersten Schritte über eine Schwelle in eine unvorstellbare Erfahrung, die alles verändern würde.

„Warte“, rief ich abrupt. „Können wir erst einfach ein bisschen gehen?“

Aiden erkannte meine Nervosität und lächelte. „Na klar.“

Schweigend folgten wir dem Fluss tiefer in den Wald. Meine Unsicherheit verflog. Das Rauschen des Wassers beruhigte mich.

Ich blickte zu Aiden. Vielleicht war das der erste Moment, in dem ich das Gefühl hatte, frei meine eigenen Entscheidungen treffen zu können – kein Druck, keine Manipulation. Aiden erlaubte mir, das hier in meiner eigenen Geschwindigkeit, auf meine Art, zu machen.

Wir kamen an einen Teich, der im Mondlicht lag. Seine Ufer waren weich und bemoost und das spiegelnde Wasser ließ die Oberfläche leuchten wie ein Echo des Sternenhimmels.

Beide wussten wir, das war der richtige Ort. Es war perfekt. Mein Herz begann wie verrückt zu schlagen.

Es gab kein Zurück mehr.

Es war Zeit.

Aiden begann, sein Shirt auszuziehen, und entblößte seinen makellosen Oberkörper. Er lehnte sich an einen Baum und grinste mich an, als ich mein Shirt fester an mich presste.

„Dreh dich um“, sagte ich und wurde rot. „Ich will nicht, dass du mich siehst.“

„Warum?“ Er lachte. „Ich werde dich ohnehin nackt sehen. Das ist völlig normal.“

Er hatte recht. Es galt als ein weiterer, ungeschriebener Pakt unter Wölfen. Nacktheit war vor und nach der Verwandlung unvermeidlich, also machten Werwölfe keine große Sache daraus.

Genauso wie seine Jungfräulichkeit zu verlieren, wenn einen die erste Hitze traf. Aber für mich hatten sich nach Emily die Regeln geändert.

„Wir haben doch schon festgestellt, dass ich nicht wie all die anderen Wölfinnen bin“, gab ich zickig zurück und fummelte an meiner Hose herum.

„Glaub mir, das weiß ich“, sagte Aiden und sah mich ruhig an. Das war der Blick eines wahren Alpha, nicht einschüchternd, sondern beruhigend.

Als Alpha ging es nicht nur um Kontrolle. Manchmal ging es darum, das Rudel bei kühlem Kopf zu bewahren. „Mach dir keine Sorgen, du bist wunderschön.“

Ich drehte mich um, ließ aber langsam meine Hose auf meine Knöchel gleiten und zog mein Top aus. Als ich in meiner Unterwäsche dastand, atmete ich einmal tief durch. Dann öffnete ich meinen BH, zog meinen Slip aus und drehte mich zu Aiden um.

Er war schon vollkommen nackt, stolz und ohne einen Funken Scham. Er hatte nichts zu verbergen. Schließlich war er der Alpha. Aber als wir uns vollkommen nackt gegenüberstanden und unsere Körper in Augenschein nahmen, fühlte es sich nicht so an, wie ich erwartet hatte.

Nicht eine Aura der Lust entflammte zwischen uns, sondern ein Gefühl der Verbundenheit. Wir waren wie eins.

Selene hatte Recht gehabt, es war eine spirituelle Erfahrung. Ich fing an zu verstehen.

„Du zuerst“, forderte Aiden mich auf.

Ich trat einen Schritt vor und stand direkt im Mondlicht. Ich überließ mich meinem Wolf und verwandelte mich. Elegant fiel ich auf vier Pfoten. Ich betrachtete mein Spiegelbild im Wasser und sah, dass mein rotbraunes Fell wie Feuer leuchtete. So hatte ich es noch nie strahlen sehen.

Als nächstes verwandelte sich Aiden und seine Wolfsform war so riesig, wie ich sie in Erinnerung hatte. Mit seinem seidigen, pechschwarzen Fell und seinen stechenden hellbraunen Augen sah er unter dem Nachthimmel atemberaubend aus.

Unsere Blicke hingen einen Augenblick aneinander und alle meine Sorgen, unsere Wolfsformen könnten nicht zusammenpassen, verschwanden.

Er nickte würdevoll in Richtung Wald. Das war mein Stichwort. Ich grub meine Pfoten in den Boden und stürmte ins Unterholz. Jetzt musste ich nur sicherstellen, dass er mich nicht erwischte.

Es war ein sinnliches Spiel, aber auch eine Herausforderung. Ich musste ihm beweisen, wie dominant ich war, damit er sah, dass ich es mit dem Alpha aufnehmen konnte.

Neben mir verschwammen die Bäume, als ich durch den Wald rannte, und der Wind in meinem Pelz fühlte sich belebend an. Wenn Aiden mich fing, würde ich es ihm zumindest nicht leicht machen. Ich wusste, als erstes musste ich meinen Geruch tarnen.

Ich hüpfte in eine schlammige Pfütze und wälzte mich, bevor ich schnell wieder aufsprang und in eine andere Richtung weiterlief. Meine beste Chance bestand darin, ihn zu verwirren und meine Spuren zu verwischen.

Als ich weiter kreuz und quer lief, hörte ich plötzlich ein Heulen. Aiden ließ mich wissen, dass er mir näherkam. Er spielte mit mir, aber er gab mir auch den Vorteil, dass ich nun wusste, von wo er kommen würde.

Ich sprang in den Fluss und schwamm ans andere Ufer. Hoffentlich war er auch in Badelaune. Auf der anderen Seite schüttelte ich mein Fell trocken und lief tiefer in den Wald hinein.

Stunden waren vergangen, seitdem wir unsere Jagd begonnen hatten. Ich konnte mir gut vorstellen, wie frustriert Aiden sein musste. Manche behaupteten, man sollte seinem Partner etwas entgegenkommen, aber scheiß drauf, bei diesem Wettbewerb ging es um Dominanz!

Ich sah einen steinigen Hügel und vermied es, Spuren zu hinterlassen. Dann kletterte ich nach oben und versuchte, mich zu orientieren. Nach all dem Zickzack wusste selbst ich nicht mehr genau, wo ich war.

Meine Ohren schossen in die Höhe, als ohne Vorwarnung ein heftiges Dröhnen von Osten kam. Und es kam schnell auf mich zu. Aiden stürzte mit blanken Krallen und weit gebleckten Zähnen aus dem Unterholz.

Ich hatte nur eine Sekunde Zeit, um mich auf die Seite zu werfen, als er seine Zähne schon in meinem Lauf hatte. Er sah wild und ungezähmt aus, Erde und Schmutz bedeckten sein ehemals seidiges Fell. Ich fragte mich, wie ich wohl aussah.

Wir begannen eine Art Tanz, umkreisten uns, warteten ab, wer den ersten Schritt machen würde. Spielerisch knurrten wir einander an.

Endlich waren wir am Ziel.

Ein Zweig brach und ich ließ mich nur für einen kurzen Moment ablenken. Aber das war alles, was Aiden brauchte. Er ging auf mich los und erwischte mich mitten in den Rippen.

Beide rollten wir den Hügel hinab, über Steine und Geröll und landeten am Fuß des Hügels in einem Laubhaufen.

Er fasste sich zuerst und hielt mich sofort am Boden. Ich jaulte und schlug um mich, versuchte zu entkommen, aber er hatte mich genau dort, wo er mich haben wollte. Als er mir seine Fangzähne zeigte, wackelte er vor Freude mit der Rute.

Er stieß ein triumphierendes Heulen aus und biss mir in die Schulter, genau in dieselbe Stelle, wo ich in Menschengestalt das Mal trug.

Das war der letzte Akt zwischen potenziellen Gefährten. Nun war ich sowohl in Menschengestalt als auch in Wolfsform markiert worden.

Ich gehörte nun ganz und gar ihm. Seine Geliebte und mögliche Gefährtin. Kein anderer Mann würde es nun wagen, sich mir während der Hitze zu nähern.

Wir verwandelten uns zurück. Aiden lag immer noch auf mir und vergrub die Zähne in meinem Mal. Wir starrten einander an, ohne uns zu bewegen, ohne etwas zu sagen, ohne überhaupt irgendwas zu tun.

Es war der leidenschaftlichste und vertrauteste Moment meines Lebens – genau wie Selene gesagt hatte – und niemals, nicht in einer Million Jahre, hätte ich erwartete, diesen Moment mit Aiden Norwood zu teilen.

Er half mir auf die Beine und führte mich zum Wasser. Meine Nacktheit nahm ich nicht einmal mehr wahr. Ich fühlte nur meine Verbundenheit zu Aiden.

Wir standen bis zur Hüfte im Fluss und er wusch mir zärtlich das Blut von der Schulter. Es tat weh, aber das Mal bedeutete eher eine geistige Verbindung als körperlichen Schmerz. Was ich in diesem Augenblick fühlte, Aiden fühlte es auch.

Und was ich fühlte, war, wie mein Herz mit einem Verlangen nach jemandem erfüllt wurde, wie ich es noch nie verspürt hatte.

Ich hatte mich in den Alpha verliebt.

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