Riley I.
Den Samstag verbrachte ich im Bett, mit Kopfschmerzen kämpfend, einem gebrochenen Herzen und einem Magen, der sich vor Kummer zusammenzog. Ich hatte eine Schicht im Ashton’s, einem niedlichen Restaurant, in dem ich nebenher als Kellnerin arbeitete, aber ich meldete mich krank.
Technisch gesehen war es keine Lüge. Ich fühlte mich wirklich nicht gut.
Ich bereute alles von letzter Nacht.
Wie konnte ich das nur tun? Wie konnte ich St. Claire erlauben, all das mit mir zu tun? Was stimmte nicht mit mir?
Ich war in jemand anderen verliebt. Trotz allem, was Jacob gesagt hatte, unter anderem, dass wir nicht mehr kompatibel seien, lag mir immer noch etwas an ihm. Wie hatte ich mich jemandem hingeben können, den ich nicht liebte? Verdammt, ich mochte Graham nicht einmal als Mensch. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen, was mir extrem unangenehm war, aber ich mochte ihn nicht.
St. Claire war einen Abend nett zu mir, und schon benahm ich mich wie eine Idiotin.
Ich fühlte mich dumm. Ich fühlte mich wie eine Verräterin.
Ganz zu schweigen davon, dass Graham St. Claire Jacob seit dem ersten Jahr schikanierte. Ich hatte es selbst miterlebt. Ich hatte gesehen, wie verletzt und frustriert Jacob nach jedem Vorfall gewesen war, obwohl er nie etwas unternommen hatte, um sich zu wehren. Jacob war ohne Ende geduldig und nicht gerade nachtragend.
Trotzdem war ich dumm und verzweifelt genug, um eine Nacht meine Wachsamkeit und überhaupt alles beiseitezuschieben und war letztendlich mit dem Feind im Bett gelandet. Ich hatte St. Claire erlaubt, mich zu bezaubern.
Warum konnte er mich nicht in Ruhe lassen? Warum musste er so hartnäckig sein? Warum musste er nett und lustig sein?
Ich wollte am liebsten alles vergessen und diese Nacht aus meinem Gedächtnis löschen.
Mein einziger Trost war, dass St. Claire die vergangene Nacht nichts bedeuten würde. Ich war nur einer von unzähligen One-Night-Stands. Eines der vielen Mädchen, mit denen er sich eingelassen hatte. Er würde mich nach letzter Nacht nicht vermissen. Ich hatte sicher keinen bleibenden Eindruck hinterlassen, was bedeutete, dass St. Claire niemandem etwas von letzter Nacht erzählen würde.
Es würde Gerüchte geben, dass St. Claire die Nacht mit jemandem verbracht hatte, aber man würde nicht wissen, dass ich es war. Es würde kaum Gerede geben; wir haben nur im Wohnzimmer geplaudert. Nichts Aufregendes.
Jacob würde vielleicht gar nichts von meinem dummen Moment der Schwäche erfahren. Und wenn doch, betete ich, dass er den Gerüchten keinen Glauben schenken würde.
Alles von letzter Nacht war so untypisch für mich.
Ich betete, dass nichts davon Jacob verletzte. Das Letzte, was ich wollte, war, ihm noch mehr Schmerz zuzufügen.
Ich versuchte, mich zu entspannen und ein Buch zu lesen, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich dachte ständig an Grahams Hände und Mund. Mein Körper verkrampfte sich vor Unbehagen und Hitze.
Ich schaltete zu Netflix. Sicherlich konnte mich Mr. Darcy von allem ablenken. Ich meine, er war Mr. Darcy – es gab niemanden Unwiderstehlicheres auf dieser Welt.
Funktionierte nicht.
Ich achtete gar nicht auf den Film, als plötzlich mein Handy mit einer Benachrichtigung vibrierte. Instagram. Als ich die App öffnete, runzelte ich die Stirn.
Graham St. Claire hatte eine Freundschaftsanfrage gesendet.
Ich geriet in Panik. Was hatte das zu bedeuten? Folgte er jedem Mädchen, mit dem er sich eingelassen hatte?
Für einen kurzen Moment war ich wie gelähmt, bevor ich seine Anfrage ablehnte. Ich stand nicht mehr unter seinem Bann.
Ich würde nicht noch einmal eine Dummheit mit ihm begehen.
***
Am Sonntag wachte ich auf und ging in die Küche hinunter.
Meine Mutter kochte gerade und runzelte die Stirn, als sie bemerkte, dass ich noch im Schlafanzug war.
„Gehst du nicht ins Gemeindezentrum?“, fragte sie.
Seit dem ersten Jahr sammelte ich jeden Sonntag freiwillig Nachschub und Kleidung für Obdachlose, Waisen und Kinder im System. Ich hatte noch nie einen Tag verpasst, bis auf heute.
Wie ein Feigling vermied ich Jacob. Ich wusste, dass er dort sein würde. Ein Erdbeben könnte gerade stattfinden, und er würde den gemeinnützigen Dienst nicht verpassen. Tatsächlich würde er sogar Überstunden machen und helfen das Chaos nach der Katastrophe zu beseitigen. Nach Freitagabend konnte ich ihm nicht ins Gesicht sehen. Meine Scham war fühlbar und in meinem Gesicht erkennbar.
„Mir geht es nicht gut“, antwortete ich.
Das Stirnrunzeln meiner Mutter vertiefte sich, während sie mich musterte. „Bist du krank?“
Ich mochte es nicht, meine Eltern anzulügen. Ich war nicht wirklich krank, aber ich fühlte mich überhaupt nicht gut.
Ich nickte. „Ich habe Kopfschmerzen.“
Ich fühlte mich auch schmutzig und hatte bereits dreimal geduscht, versucht, meine Haut abzuschrubben, aber nichts, was ich tat, konnte die Freitagnacht auslöschen. St. Claires Hände und Küsse waren wie Tätowierungen auf meiner Haut eingraviert.
Mama kam zu mir und legte ihre Hand auf meine Stirn. „Du hast kein Fieber“, sagte sie. Ich muss erbärmlich ausgesehen haben, denn ihre Gesichtszüge wurden weicher. „Möchtest du, dass ich dir etwas zu Essen mache?“
„Bitte“, sagte ich. „Kann ich in meinem Zimmer essen?“
„Natürlich, Hazel.“ Ich musste wirklich schrecklich ausgesehen haben, wenn sie das erlaubte.
Ich lächelte schwach und als sie fertig war, eilte sie mit meinem Frühstück in mein Zimmer. Während sie mich mit den Pfannkuchen ansteuerte, runzelte sie die Stirn.
„Ist noch etwas anderes los?“ Sie schlenderte zu meinem Bett und stellte den Teller darauf ab.
Tränen begannen über meine Wangen zu laufen, während ich mir auf die Lippe biss. Nichts war in Ordnung.
Ich blickte hinunter und schniefte. „Jacob hat mit mir Schluss gemacht.“
„Oh nein, Liebling. Wann?“
„Freitag.“ Ich wischte mir die Tränen von den Wangen.
Mama setzte sich neben mich und umarmte mich. „Was ist passiert?“
Ich zitterte in ihren Armen. „Ich weiß es nicht“, gestand ich. „Er hat mir keinen Grund genannt. Er sagte, es sei Zeit, die Sache zu beenden und dass wir uns verändert hätten. Ich verstehe es nicht, weil ich dachte, alles sei in Ordnung. Ich verstehe nicht, inwiefern wir uns verändert haben.“
Nachdem ich drei Jahre lang mein Vertrauen, mein Herz und meine Energie in eine Beziehung gesteckt hatte, war ich völlig überrascht, als sie plötzlich endete. Ich war verwirrt und fühlte mich schuldig. Ich dachte, ich kenne Jacob, aber ich hatte seinen Wunsch, mit mir Schluss zu machen, nicht erkannt. Ich fühlte mich betrogen, weil er nicht wenigstens versuchen wollte, es zu reparieren. Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich für unsere Beziehung kämpfen.
Alles war so ermüdend und verwirrend.
„Es tut mir leid, das zu hören. Dieser Typ hat dich so sehr geliebt.“
Ihre Worte ließen mich zusammenbrechen, und ich weinte bitterlich in ihren Armen. Wenn er mich so sehr liebte, warum hat er dann ohne Kampf mit mir Schluss gemacht? Ich war so verwirrt.
„Ich bin sicher, ihr könnt noch mal miteinander reden und euch versöhnen“, beruhigte mich Mama, aber ich glaubte ihr nicht.
Den Rest des Tages verbrachte ich in meinem Zimmer. Melissa kam vorbei, und wir schauten weiter Filme und aßen weiße Schokolade. Wir hatten noch nicht über Freitagabend gesprochen. Als ich sie an jenem Abend fand und darauf bestand, dass wir gehen, hatte sie keine Fragen gestellt.
Ich fühlte mich wie eine miese Freundin, weil ich sie nicht nach ihrer unglaublichen Nacht mit dem Typen gefragt hatte, aber nach meinem schrecklichen Fehler war ich in Panik. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Und im Moment wollte ich das Thema nicht auf den Tisch bringen.
„Wo warst du auf der Party? Irgendwann habe ich nach dir gesucht und dich nicht gefunden“, sagte sie schließlich neben mir.
Alle meine Hoffnungen, das Thema zu vermeiden, waren dahin.
Ich verzog das Gesicht. „Nirgendwo, ehrlich gesagt. Aber was ist mit dir? Zwischen euch beiden läuft nichts? Ha! Danach sah es am Freitag nicht aus.“
Sie errötete und biss sich auf die Lippe. Alle Fragen, die sie zu meinem Verbleib am Freitag gehabt hatte, waren vergessen. Es war eine Atempause.
Melissa erzählte mir ausführlich von dem Abend. Ich freute mich für sie. Ich hatte den Typen noch nicht kennengelernt, aber er schien nett zu sein.
Nachdem Melissa gegangen war, wälzte ich mich im Bett und fürchtete mich vor Montag.
Ich betete, dass ich recht hatte und nichts schiefging. Graham würde mich wie zuvor ignorieren und irgendwelche Gerüchte würden Jacobs Ohren gar nicht erst erreichen.
Es musste so sein.
Ich wüsste sonst nicht, was ich tun sollte.