Midika Crane
MARA
Ich sitze gefühlte Stunden auf der Bettkante und kann nicht schlafen.
Das liegt wohl an der Hitze in meinem Zimmer und an meinen Nerven.
Dass ich Kace auf diese Weise das Jawort gegeben habe, wird sich für immer als schreckliche Erinnerung in mein Gedächtnis einbrennen.
Die Fotos meiner Familie in diesem Zimmer bringen mich ganz schön durcheinander. Das ist wohl Kadens Art, die entführten Mädchen zu provozieren.
Ich stehe auf und laufe ein wenig herum.
Ich bin von Natur aus neugierig und habe das starke Bedürfnis, dieses Zimmer zu verlassen – nur um etwas rumzuschauen, nicht unbedingt, um zu fliehen, denn ich weiß, dass ich dabei sowieso scheitern würde.
Obwohl, wenn sich eine Gelegenheit ergeben sollte...
Ich nehme etwas Mut zusammen und versuche die Tür zu öffnen. Zu meiner Überraschung öffnet sie sich.
Komisch, dass sich niemand die Mühe gemacht hat, sie abzuschließen.
Ich spähe hinaus und schaue den Flur entlang. Ich erwarte, Coen dort zu sehen, aber es ist alles leer. Ich spüre, wie sich ein böses Lächeln auf meine Lippen legt.
Es wird Zeit, einen Schritt zu wagen.
Ich schleiche mich den Flur entlang, wobei ich so leise wie möglich bin. Es wäre wirklich enttäuschend, wenn man mich entdeckt, bevor ich etwas herausgefunden habe.
Was mich jedoch am meisten überrascht, ist, dass es hier so still ist und es nirgendwo ein Lebenszeichen gibt.
Das macht mich nervös, denn ich habe das Gefühl, in eine Art Falle zu laufen.
Ich laufe einige Stufen hinunter und schaue nach links und rechts. Die Luft ist rein, und ich entscheide mich nach rechts zu gehen.
Mein Weg führt mich in die Dunkelheit und das Licht wird immer schwächer, je weiter ich gehe. Es ist ziemlich unheimlich.
Gleichzeitig ist es aufregend, dass ich jeden Moment erwischt werden könnte.
Ich bin in meinem Leben noch nie aus der Reihe getanzt, und es ist das erste Risiko, das ich jemals eingehe.
Ich gehe zwei weitere Stockwerke hinunter.
Die erste Treppe ist frisch poliert, und bei jedem Schritt laufe ich Gefahr, auszurutschen.
Die nächste Treppe wird von einer einzigen Lampe erhellt, und die Stufen sind aus Stein.
Ich weiß, dass ich nicht weitergehen sollte, sondern zurück in mein Zimmer und schlafen gehen, aber die Neugier zieht mich weiter wie ein Hund an der Leine.
Je länger ich unterwegs bin, desto mehr will ich weitergehen.
Ich halte inne. Ein seltsames Geräusch kommt von unten und lässt mich vor Schreck zusammenzucken.
Das Geräusch lässt sich nur als lautes Klopfen beschreiben, und klingt wie das Aufeinanderschlagen von Metall auf Metall.
Das Geräusch macht mir Gänsehaut und lässt mein Blut gefrieren.
Ich muss dem nachgehen, sonst verbringe ich die ganze Nacht in meinem Zimmer damit, mich zu fragen, was das war.
Vorsichtig gehe ich die Treppe jetzt langsamer hinunter und nähere mich dem Geräusch.
Je weiter ich nach unten gehe, desto lauter wird es.
Als ich am Fuße der Treppe ankomme, droht das Geräusch mein Trommelfell zum Platzen zu bringen.
Hier unten ist es viel heißer, und ich spüre den Schweiß auf meiner Stirn.
Ich streiche mir die Haare aus dem Gesicht und gehe weiter.
Ich habe immer noch keine Ahnung, was ich hier unten finden werde.
Ein normaler Mensch würde an dieser Stelle umkehren, aber ich habe nichts zu verlieren, also gehe ich weiter.
Ich gehe an mehreren Türen vorbei, überprüfe jeden Raum und stelle fest, dass das Geräusch vom Ende des Flurs kommt, in dem ich mich befinde.
Ich stehe vor einer leicht geöffneten Tür und höre, wie jemand darin herumläuft und auf irgendwas einhämmert.
Ich weiß nicht, was mich da drinnen erwartet, und ich weiß, dass ich mein Leben riskieren könnte, wenn ich hineingehe.
Wenn das der Fall ist, sage ich zu mir selbst, ~dann werde ich wenigstens von dem Unglück befreit, hier gefangen zu sein.~
Ich beiße mir auf die Lippe und schleiche auf Zehenspitzen näher. Ich bete, dass ich nicht erwischt werde, und spähe über den Rand der Tür und erschrecke über das, was ich sehe.
Einen Mann. Nackt. Na ja, fast nackt.
Mein Blick geht von seinen Füßen über seine schwarze Hose bis hin zu seinem nackten Rücken.
Verschlungene Linien aus Tinte zieren seine gebräunten Muskeln, die von einem leichten Schweißschimmer bedeckt sind.
Mein Blick wandert an seinen muskulösen Armen hinauf, die eine Art großen Stahlhammer halten.
Ich betrachte das schwarze und zerzauste Haar auf seinem Kopf.
Der Fremde lässt den Hammer mit einem Krachen auf etwas Metallisches fallen, was mich aufschrecken lässt.
Ich will sehen, was er da macht, und da er mir den Rücken zuwendet, schleiche ich in den Raum. Ich weiß, es ist dumm, aber ich kann mich nicht zurückhalten.
Jetzt sehe ich, dass an den Wänden überall Waffen hängen.
Es gibt Schwerter, Dolche und alle möglichen anderen Klingen, die alle glänzend und tödlich aussehen.
Ich sollte definitiv nicht hier sein. Dieser Mann ist wahrscheinlich ein Psychopath, der mich töten wird, wenn er mich sieht.
Für einen Moment denke ich daran, mir eine der Waffen zu schnappen, um mich zu verteidigen, aber auch hier weiß ich, dass ich nicht den Mut habe, es zu tun. Und es verstößt gegen meine Religion.
Ich wünschte mir, meine Eltern hätten mir wenigstens etwas Selbstverteidigung beigebracht.
Ich drehe mich zurück zur Tür, aber mein Fuß bleibt an etwas hängen – und ich falle hin.
Ich rapple mich auf, aber ich bin zu langsam, um schnell zu entkommen.
"Bleib stehen!", schreit der Mann.
Ich zucke erschrocken zusammen. Die Stimme kommt mir sofort bekannt vor, und lässt mich erstarren.
Ich bleibe stehen, die Tür und die Flucht sind nur noch Zentimeter entfernt.
Langsam drehe ich mich um, und halte die Hände hoch, als ob er eine Waffe auf mich richten würde.
Mein Blick fällt auf ein Paar dunkle Augen.
Sie sind so dunkel, dass ich mein entsetztes Spiegelbild in der Iris sehen kann.
Dunkle Haarsträhnen fallen ihm ins Gesicht.
Der Mann starrt mich an und mustert mich.
Sein Gesicht ist etwas, das ich nicht in Worte fassen kann. Ich möchte es berühren, und jede Kontur der geschmeidigen Haut spüren, aber ich behalte meine zitternden Finger bei mir.
Mein Blick wandert nach unten und nimmt jedes Detail seines definierten Oberkörpers beeindruckt auf.
Doch was meine Aufmerksamkeit wirklich erregt, ist die Spitze des Schwertes, das er so nah an mein Gesicht hält.
"Mara", flüstert er, mit heiserer Stimme.
Jetzt bin ich mir ganz sicher... Ich kann kaum atmen vor lauter Schock. Ich weiß genau, wer dieser unverschämt attraktive Mann ist.
"Kaden."
Sein Kiefer spannt sich an – ein wohlgeformter Kiefer, wie ich finde –, als er das Schwert mit einem Klirren auf seine Werkbank wirft.
Ich bewege mich nicht, und kann meinen Blick nicht von ihm abwenden.
Es wäre untertrieben zu sagen, dass sein Aussehen nicht das ist, was ich erwartet habe.
Ich dachte, er würde sein Gesicht aus Scham vor mir verbergen.
Ich hatte erwartet, er sei hässlich, vielleicht sogar entstellt.
Ich hätte nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein können.
"Du solltest nicht hier unten sein", murmelt er.
Ich habe Mühe, meinen Blick von ihm loszureißen und schaffe es schließlich, meinen Blick auf den Boden zu lenken.
Ich bin mir bewusst, dass ich für ihn wahrscheinlich lächerlich aussehe, wenn ich nur in einem leichten Nachthemd im Keller des Vengeance Rudel s herumlaufe.
Er seufzt und schnappt sich ein Tuch von der Bank, um sich die Stirn abzuwischen.
Ich lecke mir über die Lippen und finde endlich meine Stimme, als ich hochschaue.
"Was machst du hier drin?"
Sein Blick folgt dem meinen zu der Wand mit den Waffen.
"Das ist ein Hobby von mir. Etwas so Schreckliches wie eine Waffe in ein Kunstwerk zu verwandeln", erklärt er mir.
Er klingt skeptisch, aber ich spüre auch Stolz in seiner Stimme.
Das ist es, was ihm wirklich wichtig ist. Ich versuche, mein Bestes zu geben, nicht zu verletzlich zu wirken.
"Ein tödliches Kunstwerk", murmle ich leise vor mich hin.
Kaden nimmt seine Lederhandschuhe und streift sie sich über die Hände, ohne den Blick von mir zu nehmen.
Ich kann den Drang nicht ertragen, ihn anzuschauen. Ich wende meinen Blick zu den Wänden mit den Waffen.
Wie viele davon hat er wohl schon benutzt? Hat er eine Lieblingswaffe?
Angst überkommt mich, als mir klar wird, dass ich ausgebrochen bin, versucht habe zu fliehen, und jetzt ist mein Peiniger hier und hat einen Raum voller grausamer Klingen in Reichweite.
Er hat jede Ausrede, um sie an mir auszuprobieren.
"Du solltest nicht hier unten sein, und ich sollte dich für dein Verhalten sofort über mein Bett beugen lassen", knurrt er und ringt die Hände.
Mein Herz setzt bei seinen Worten einen Schlag aus.
Dann streckt er mir seine Hand entgegen. "Zu schade, dass das der Job von meinem Bruder ist."
Während mich seine Worte anwidern, bin ich gleichzeitig erleichtert, dass er mir nicht gedroht hat, mich umzubringen.
Ich habe mein Leben schon genug riskiert in diesem Raum voller Waffen.
Ich nehme seine Hand und hoffe, er merkt nicht, wie ich zittere.
Das Gefühl des Leders zwischen meinen Fingern ist beängstigend.
"Warum berührst du mich nie?", platze ich heraus, als wir den Raum verlassen.
Kaum habe ich die Frage gestellt, bereue ich sie auch schon und beiße mir auf die Lippe.
Er wirft mir einen verstohlenen Blick zu. "Wir berühren uns doch", sagt er und drückt meine Hand.
Ich rolle plötzlich frech mit den Augen. "Ich habe gemeint, was hat es mit den Handschuhen auf sich? Warum willst du meine Haut nicht berühren?"
Er schmunzelt. "Warum? Sehnst du dich nach meiner Berührung?"
Ich schüttele den Kopf, und er lacht kurz auf, als wir die Treppe hinaufgehen.
"Ich bin nur neugierig", sage ich ihm ehrlich, und es ist wahr. Plötzlich bereue ich meine Neugierde nicht mehr, denn schließlich hat sie mich hierher gebracht.
Das bringt mich kurz zum Nachdenken – hätte Kaden mir jemals sein Gesicht gezeigt, wenn ich nicht so neugierig gewesen wäre?
"Neugierde wird bestraft", knurrt er geheimnisvoll.
Ich spüre, wie sich meine Augen weiten. "Bestraft?", frage ich stotternd. Er kann doch etwa nicht ernsthaft vorhaben, mich dafür zu bestrafen?
Dann erinnere ich mich wieder daran, dass er der Alpha des Vengeance Rudel s ist…
Ich wiederhole mehrmals meine Bitte, ihn berühren zu dürfen, aber er antwortet mir erst, als wir im obersten Stockwerk sind und uns meinem Zimmer nähern.
Er scheint überhaupt nicht zu beachten, was ich sage, bis wir vor meiner Zimmertür stehen.
"Aber im Ernst, warum kannst du mich nicht anfassen?", frage ich genervt.
Ich verstehe nicht, warum Coen freiwillig seine Handschuhe auszieht und meine Hand schüttelt, Kaden aber nicht.
"Glaub mir, wenn ich dich berühre, wirst du dich zu mir hingezogen fühlen", sagt er leise.
Meint er das ernst?
"Das hast du über dein Gesicht auch gesagt, aber ich habe es jetzt gesehen und nichts gespürt", sage ich ihm.
Ich kann nicht sagen, ob ich lüge oder nicht. Ich weiß nur, dass ich ihn sehr lange anstarren könnte, ohne dass es mir langweilig wird.
Plötzlich springt er nach vorne, packt mich am Arm und drückt mich gegen die Wand, wobei eine Hand meine Handgelenke über meinem Kopf hält, und die andere meine Hüften gegen die Wand drückt, so dass kein Zentimeter seiner Haut meine berührt.
"Spiel nicht mit mir, Mara! Nicht, wenn ich ernsthaft in Erwägung ziehe, dir entweder die Kehle aufzuschlitzen oder deine Kleider vom Leib zu reißen", knurrt er.
Seine Lippen sind so nah an meinen, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüre.
Ich sage kein Wort, aber ich denke, dass mein schweres Atmen ihm die nötige Antwort gibt, die er braucht.
Er lässt mich los und schiebt mich in mein Zimmer. Ich stolpere rückwärts und versuche, mich wieder zu konzentrieren.
"Die Bestrafung beginnt morgen", murmelt er, bevor er die Tür vor meinem fassungslosen Gesicht schließt.