
Haunted 2 (Deutsch)
Eilmeldung: Drei Tote, der König des Terrors auf freiem Fuß!
Der verurteilte Mörder Willy Woods, 43, entkam gestern während des Transports vom Colorado State Penitentiary zum Colorado Mental Health Hospital (CMHH), nachdem er angeblich drei Polizeibeamte getötet hatte. Eine Sprecherin des Sheriffbüros erklärte, dass Woods einen Monat nach seiner Begnadigung von der Todeszelle zum CMHH verlegt werden sollte. Es wird vermutet, dass Woods bewaffnet und äußerst gefährlich ist. Falls gesichtet, nicht nähern; kontaktieren Sie Ihre örtliche Strafverfolgungsbehörde.
Neue Anfänge
RAVEN
„Mensch, ich wusste gar nicht, dass du so viel Kram hast“, stöhnte ich, als ich die Kiste abstellte. „Was ist denn da drin? Die wiegt ja 'ne Tonne.“
Cade kam sofort angerannt und nahm mir die Kiste ab.
„Lauter Sachen zum Leute umlegen“, sagte er mit einem schiefen Grinsen, während er die Kiste in seinen Wagen hievte.
„Cade Woods!“, rief ich und musste lachen. „Du machst wohl Witze, oder?“
Er zuckte mit den Schultern. „Ab und zu schon.“
Es tat gut, ihn so zu sehen. Uns so zu sehen.
Ein Monat war vergangen, seit wir herausgefunden hatten, dass meine beste Freundin Emily Sanders der Prinz des Schreckens war.
Das Mädchen, das in Elk Springs so nett zu mir war und mich normal fühlen ließ, war nicht echt gewesen. Alles war nur Theater.
Wieder einmal war Elk Springs in aller Munde. Die Leute hatten Angst und waren sauer. Sie wollten Cade an den Kragen.
Doch als die Wahrheit ans Licht kam und die Presse abzog, kehrte in Elk Springs wieder Ruhe ein.
Nicht viel passierte.
Und das fing an, mir zu gefallen.
Cade und ich gingen ins Kino. Wir schleckten Eis. Er klingelte sogar an der Haustür, wenn er mich besuchte.
Morgen war der erste Schultag.
Ich freute mich schon darauf.
Joey kam mit einer weiteren Kiste aus der Garage. „Das war's“, keuchte er, als er sie auf den Rücksitz wuchtete.
Erschöpft lehnte er sich ans Auto.
„Musst du das Ding echt immer auf deinem Auto haben?“, fragte Joey und zeigte auf das knallorange Jerry's Pizza-Schild auf Cades Autodach.
„Ja“, antwortete Cade und knallte den Kofferraum zu. „Steht im Vertrag, dass ich es drauflassen muss.“
„Ich werde jede Menge Pizza bestellen“, neckte ich ihn. „Ich will dich in deiner Arbeitsuniform sehen.“
Cade legte seinen Arm um mich, zog mich an sich und gab mir einen Kuss auf den Scheitel.
„Ich sag's dir gleich“, meinte er augenzwinkernd. „Ein Hingucker ist das nicht gerade.“
CADE
„Sind wir fertig?“, fragte Joey.
Ich warf einen letzten Blick auf das Haus, das für mich in den vergangenen acht Jahren wie ein Gefängnis gewesen war.
Acht Jahre, in denen ich auf Zehenspitzen um meine Tante herumgeschlichen war, in der Hoffnung, sie würde nicht sauer auf mich werden. In der Hoffnung, sie würde nicht die Hand gegen mich erheben.
Die Schläge taten nicht so weh wie das, was danach kam. Der schreckliche Ort, an den mich ihre Berührung sofort versetzte. Das Badezimmer. Ihr Tod.
Acht Jahre lang flüsterte mir eine Stimme ins Ohr – die einzige Verbindung, die mir zu meiner Mutter geblieben war –, dass ich genauso sei wie mein Vater. Dass ich schlecht sei. Und ich hatte es geglaubt.
Als Joeys Eltern anboten, dass ich mein letztes Schuljahr bei ihnen verbringen könnte, wusste ich, dass ich zusagen musste. Mir selbst zuliebe.
Eigentlich hätte ich Tante Lynn hassen sollen. Ich hätte in mein Auto steigen und nie wieder zurückblicken sollen. Aber als ich dort stand und sah, wie sich der Vorhang im Wohnzimmerfenster leicht bewegte, während meine Tante mich beim Weggehen beobachtete, konnte ich nicht anders, als es zu spüren. Das Gefühl, im Unrecht zu sein.
Meine Tante würde sich eines Tages das Leben nehmen. Vielleicht in fünf Jahren. Vielleicht in fünf Tagen. Ich wusste, ich konnte es nicht verhindern. Dass das, was passieren wird, passieren wird, aber ich fragte mich ...
„Cade“, sagte Raven, als könnte sie meine Gedanken lesen, „du musst das tun. Es ist das Richtige.“
Sie und Joey sahen mich an, und ich konnte das Mitleid in ihren Augen sehen.
„Ja, Alter“, sagte Joey und wechselte einen Blick mit Raven. „Du kannst so nicht weiterleben. Sie wird schon zurechtkommen.“
„Gebt mir nur eine Minute“, sagte ich hastig.
Als ich zum Haus zurückging, schloss sich der Vorhang im Wohnzimmerfenster. Ich trat auf die Veranda, und die Tür öffnete sich langsam.
Tante Lynn stand in ihrem Morgenmantel und sah mich durch die Fliegengittertür an. Ich blieb wie angewurzelt stehen.
„Hast du deine Schlüssel vergessen?“, sagte sie mit belegter Stimme und blickte zur Seite.
„Ja“, sagte ich. „Sie liegen auf der Küchentheke.“
Sie schwieg.
„Dein Essen und deine Medikamente werden einmal pro Woche geliefert. Es gibt einen Dienst, der alles direkt an die Haustür bringt. Du musst nur für alles unterschreiben.“
Tante Lynn zeigte keine Reaktion.
„Alle Zugangsdaten sind am Kühlschrank angebracht, falls du etwas an deinen Bestellungen ändern musst.“
„Ich brauche deine Hilfe nicht“, sagte Tante Lynn leise.
„Ich weiß“, log ich.
Nach einer gefühlten Ewigkeit sah meine Tante mich endlich an.
„Manchmal denke ich darüber nach, was gewesen wäre, wenn du nie geboren worden wärst“, sagte sie. „Vielleicht wäre sie dann noch am Leben.“
Und dann fiel die Tür krachend vor meiner Nase zu.
RAVEN
. . . . „Langsamer! Verdammt nochmal!“, rief Cade vom Beifahrersitz und klammerte sich ans Armaturenbrett.
Ich warf ihm ein Lächeln zu. „Du hast ja mehr Schiss als Grace“, neckte ich ihn. „Dabei fahre ich gar nicht mal so schnell.“
„Ich will bloß nicht, dass meine Karre vor meinem ersten Arbeitstag morgen einen Kratzer abbekommt“, gab er zurück.
„Wo lang jetzt?“, fragte ich Joey auf dem Rücksitz.
„Einfach geradeaus. Es kommt auf der linken Seite.“
„Alles klar.“ Ich schielte wieder zu Cade. „Weißt du, ich glaube, ich werde langsam richtig gut darin.“
„Schalten“, ermahnte Cade.
„Seht mal“, meldete sich Joey plötzlich von hinten. „Umzugswagen.“
Vor uns bogen zwei große Umzugslaster auf die Straße ein.
„Ich fasse es nicht, dass tatsächlich noch jemand in dieses Kaff zieht“, meinte Cade.
Eine Weile tuckerten wir hinter den langsamen Lastern her und ich fragte mich, wer wohl darin saß.
Als wir uns der Abzweigung zu meiner Straße näherten, wurden die Laster langsamer.
„Die biegen in die Marbury Street ein“, bemerkte Joey.
„Vielleicht hat jemand das Haus der Sanders gekauft“, mutmaßte Cade.
Ich dachte daran, wie viel Ärger Emilys Pflegeeltern wohl nach ihrer Verhaftung am Hals gehabt hatten.
Anscheinend gab ihnen jeder in der Stadt die Schuld, Emilys Plan nicht durchschaut zu haben. Keine zwei Wochen später hatten sie gepackt, die Apotheke verkauft und waren über alle Berge.
Das Einzige, was geblieben war, war das „Zu verkaufen“-Schild im Vorgarten.
Ich wurde langsamer und setzte den rechten Blinker.
„Was hast du vor?“, fragte Cade.
„Was wohl? Ich folge ihnen.“
Ich behielt Recht, als wir am Anfang der Marbury Street ankamen – wo ich immer noch wohnte (und wo ich einst froh gewesen war, Emily als Nachbarin zu haben).
Als die Laster in die Einfahrt einbogen, hielt ich leise am Straßenrand und stellte den Motor ab.
Die Tür des ersten Umzugswagens schwang auf und eine rothaarige Frau stieg aus.
Sie gab einem kräftigen, gebräunten Mann mit dunklen Haaren, der aus dem zweiten Umzugswagen kletterte, einen Kuss.
Ein lautes Hupen ließ sie aufblicken, als ein knallroter, alter Mustang vor dem Haus scharf bremste.
Ein Mädchen, das etwa in meinem Alter zu sein schien, sprang aus dem schicken Schlitten und lief die Einfahrt hinauf zu ihnen.
Sie war groß gewachsen, hatte braune Haut und langes, schwarzes Haar, das in Wellen fiel.
„Sieht so aus, als wärst du nicht mehr der einzige Neue in der Stadt“, flüsterte Joey.
WILLY
»Es stinkt hier wie in einer Jauchegrube.«
Meine Nase kräuselte sich angesichts des widerlichen Gestanks, und ich verzog das Gesicht, während ich den Bus musterte.
Der Gefängnisbus war menschenleer, abgesehen von den zwei Wachen ein paar Reihen vor mir und den zweien hinter mir.
Jeder von ihnen trug seltsame Schutzmontur und umklammerte sein Gewehr, als ginge es um Leben und Tod. Ihre Blicke klebten förmlich an mir, aber keiner wagte es, mir direkt in die Augen zu sehen.
»Der ganze Aufwand nur für mich?«
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Ihre Angst war wie Musik in meinen Ohren. Sie machte mich richtig ... appetitlich.
Einer der Wächter – so ein junger Heißsporn – bemerkte, dass ich ihn beobachtete.
»Hast du 'n Problem, du Freak?«, blaffte er.
Ich lachte über seinen lahmen Versuch, mich zu beleidigen. Es war ja nicht seine Schuld, dass er nur ein nutzloser Mensch war. Die meisten sind das nun mal.
Ich betrachtete seine junge Haut und malte mir aus, wie sie wohl aussehen würde, wenn man sie mit etwas Säure bearbeiten würde ...
Wie er mich anflehen würde, ihm nichts zu tun.
Allein der Gedanke daran ließ mich fast vor Erregung zittern.
»Schade, dass ich das nie zu hören kriegen werde.«
»Schade, dass ich wie ein räudiger Köter angekettet bin.«
Ein leises »Plopp« ließ mich aufhorchen.
»Was zum Teufel?!«
Die Handschellen, die meine Handgelenke umschlossen, waren ...
Offen?
Ich warf einen schnellen Blick zurück zu dem Wächter, der immer noch wie ein verschrecktes Kaninchen dasaß und aus dem Fenster glotzte.
»Wie kann das sein?«
Vorsichtig zog ich meine Hände aus den Metallschellen und rieb mir die roten Abdrücke auf der Haut, während ich grübelte.
Vielleicht war etwas kaputt.
Es machte keinen Unterschied.
Die Ketten um meine Fußgelenke waren noch bombenfest.
Ich starrte sie wütend an.
»Plopp.«
»Das gibt's doch nicht ...«
Ich befreite meine Beine aus den Ketten, meine Gedanken überschlugen sich.
Doch mein erster Gedanke – der, der mich grinsen und mein Herz höher schlagen ließ ...
Ich sah zurück zu den Wachen, diesen armseligen Menschen, die geradezu danach »lechzten«, einen Sinn für ihr Dasein zu finden.
»Zeit für ein kleines Spielchen.«
CADE
„Sag es“, flüsterte Raven zwischen den Küssen, während ihre Hände mein Gesicht umfassten. „Ich bin eine gute Fahrerin.“
Ich wollte antworten, aber meine Zunge war in ihrem Mund – und ich hatte nicht vor, damit aufzuhören.
Ich zog sie auf meinen Schoß, meine Hand glitt ihren Rücken hinunter.
Eigentlich war sie gekommen, um mir beim Einrichten meines neuen Zimmers in Joeys Haus zu helfen, aber wir ließen uns von anderen Dingen ablenken.
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
Plötzlich lehnte sich Raven zurück und ich schlug die Augen auf. Sie starrte mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck über meine Schulter.
„Was ist los?“, fragte ich und strich ihr über den Rücken.
Raven gab mir keine Antwort.
„Raven?“
„Okay“, sagte Raven hastig und kletterte von mir herunter. „Lass uns mal nachsehen.“
„Wonach denn?“
Ich schaute in die Richtung, in die sie blickte, und sah, wie sich einer der Umzugskartons wie von Geisterhand öffnete. Ein Buch schwebte langsam aus der Kiste heraus.
„Randy!“, rief Raven begeistert. „Das ist ja der Wahnsinn!“
Ich beobachtete, wie das Buch zu uns herüberschwebte und sanft auf dem Bett landete.
Ich wusste, dass ich nur sauer war, aber ich konnte meine Verärgerung nicht verbergen.
Randy tauchte immer aus heiterem Himmel auf. Stets zur Unzeit, wenn Raven und ich unter uns waren.
„Warte, wer ist diese Person?“, fragte Raven. „Ja. Ich muss Duke wirklich mal kennenlernen ... Ja. Okay, tschüss.“
Dann wandte sie sich mir zu und lächelte.
„Tut mir leid wegen der Unterbrechung.“
„Was hat er denn?“, fragte ich.
„Randy lernt viel von einem Geist, den er vor zwei Jahren kennengelernt hat. Er bringt Randy bei, wie man Dinge in der realen Welt bewegen kann.“
Raven packte mich und wälzte uns herum, sodass ich auf dem Rücken lag und sie wieder auf mir.
„Er wird definitiv stärker“, sagte ich desinteressiert und blickte auf ihre hübschen Lippen.
„Mhm.“ Sie brachte ihr Gesicht ganz nah an meines. „Jetzt sei still und küss mich.“
RAVEN
„Ach du meine Güte, ich bin ja so aufgeregt!“, rief Grace fröhlich und häufte mir eine ordentliche Portion Spaghetti auf den Teller. „Morgen geht's los mit dem letzten Schuljahr. Das ist doch was! Was ziehst du an?“
„Bitte mach nicht so ein Aufheben darum, ja?“, bat ich sie.
Mein Blick schweifte zum Fernseher, den ich vom Esstisch aus sehen konnte.
Die Nachrichten liefen, aber ohne Ton. Die Worte auf dem Bildschirm ließen mich erschaudern:
Ich erstarrte.
„Grace“, sagte ich leise. „Grace, mach den Fernseher lauter. Schnell!“
Grace nahm ihre Fernbedienung und stellte den Ton an.
„Willy Woods, ein verurteilter Serienmörder, ist gestern bei seiner Verlegung vom Staatsgefängnis Colorado in die psychiatrische Klinik Colorado entkommen und hat dabei drei Polizisten getötet“, erklärte die Nachrichtensprecherin.
„Ein Sprecher des Sheriffbüros gab bekannt, dass Woods einen Monat nach seiner Begnadigung vom Todestrakt verlegt wurde.“
Ein Bild von Willys Gesicht erschien auf dem Bildschirm.
„Woods ist vermutlich bewaffnet und äußerst gefährlich. Falls Sie ihn sehen, halten Sie sich fern und verständigen Sie umgehend die Polizei.“












































