Keily (Deutsch) - Buchumschlag

Keily (Deutsch)

Manjari

Ein bisschen zu viel des Guten

„Keily“, flüsterte Lucas, der neben mir saß.

Ich drehte mich zu ihm und hob fragend die Augenbrauen. Was?

Wir befanden uns mitten im Matheunterricht, und Mr. Penson erklärte vorne gerade die Differenzierung trigonometrischer Funktionen.

Es war erst mein fünfter Tag hier, aber ich hatte schon ein paar gute Freunde gefunden – Lucas war einer davon.

Dass ich mit Addison verwandt war, half mir natürlich dabei, Anschluss zu finden. Damit hätte ich nie gerechnet, mit so einer beliebten Gruppe befreundet zu sein.

Lucas warf mir einen Zettel zu, welcher genau auf meinem Lehrbuch landete. Ich faltete ihn auf und las:

Wir gehen nach der Schule Eis essen. Kommst du mit?

Mein erster Gedanke war: Wer ist denn „wir“?

Meine Augen wanderten ungewollt zu James, der auf Lucas’ anderer Seite saß. Seine zusammengekniffenen Augen waren bereits auf mich gerichtet, aus ihnen sprach Abneigung gegen meine bloße Existenz.

Ich ertrug seinen Blick nicht länger und sah wieder auf den Zettel. Wer auch immer sonst noch mitkam, James würde auf jeden Fall dabei sein.

Es wunderte mich, dass ein netter Kerl wie Lucas mit so einem Fiesling wie James befreundet war.

Weiß nicht. Addison fährt mich nach Hause, kritzelte ich zurück und legte den Zettel auf Lucas’ Tisch.

Mein Blick wanderte wieder zu James, jetzt warf er Lucas giftige Blicke zu.

Unwohlsein beschrieb wohl kaum, was ich fühlte, wann auch immer ich mit den beiden Matheunterricht hatte. Lucas versuchte zwar, mich in ihre Gespräche einzubinden, aber James beleidigte mich ständig.

Beim letzten Mal hatte Lucas mich um Hilfe bei den Hausaufgaben gebeten, die ich bereits fertig hatte.

Aber in dem Moment, als ich meinen Stift in die Hand nahm, wurde mir bewusst, dass James uns beobachtete – er lehnte lässig direkt vor mir am Schreibtisch –, und jeder zusammenhängende Gedanke verschwand aus meinem Kopf, sodass ich nur noch auf das Blatt starrte und völlig leer war.

„Was hast du erwartet, Lucas?“, hatte James höhnisch gesagt. „Dumme Schweine können nun mal kein Mathe.“

Am liebsten hätte ich etwas zurückgeschossen und ihm gesagt, dass er der Dumme war, weil Schweine eigentlich sehr intelligente Tiere sind.

Aber das hätte die Sache nur noch schlimmer gemacht. Er hätte bestimmt noch fiesere Sprüche geklopft.

Ein weiterer Zettel landete in meinem Schoß und brache mich zurück in die Gegenwart:

Frag Addison, ob sie auch mitkommt. Wird bestimmt lustig. Biiiitte.

Ich sah auf und bemerkte, wie Lucas einen Schmollmund machte. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht loszulachen. Wer hätte gedacht, dass so ein großer Footballspieler so niedlich gucken kann?

Ich wollte gerade antworten, da klingelte es.

Kaum war Mr. Penson aus der Tür, stand Lucas schon neben mir. „Ihr müsst einfach mitkommen“, sagte er und fummelte an seinem Rucksack herum. Ich packte in Ruhe meine Sachen ein und schloss meinen Rucksack.

„Ich weiß nicht“, meinte ich zögernd und stand auf. „Addison hat nach der Schule Training und ich wollte eigentlich in der Bibliothek an meinem Englisch-Aufsatz arbeiten.“

„Wenn Addison nicht kann, komm trotzdem mit. Es sind nicht nur wir Jungs dabei. Lola und Sadhvi kommen auch.“

„Aber meine Hausaufgaben“, versuchte ich höflich abzulehnen.

„Ach komm, das Schuljahr hat doch gerade erst angefangen. Jetzt ist noch Zeit zum Spaß haben, fürs Lernen ist später noch genug Zeit. Für’s Erste solltest du lieber dein letztes Jahr genießen.“

Ich lächelte, unfähig seinen großen Hundeaugen zu widerstehen. „Na gut.“

„Super! Treffen wir uns nach der Schule auf dem Parkplatz?“

Ich nickte und er grinste breit.

„Schweinchen“, rief James und stand auf, „hast du nicht Computerunterricht, oder ist Flirten mit Lucas wichtiger?“

Ich runzelte die Stirn und wurde rot. „Tut mir leid, dass ich versuche, ein Leben außerhalb der Schule zu haben, James. Davon hast du offensichtlich keine Ahnung.“

Er sah auf mich herab und ich glaubte, ein leichtes Lächeln zu sehen. „Er wird nie ein Mädchen wie dich mögen, nur damit du’s weißt“, sagte er tonlos. „Ein Schweinchen, das sich wie eine Nonne anzieht, alles bedeckt, zu ängstlich, um Haut zu zeigen.“

Lucas funkelte ihn an. „Weißt du was, James?“, begann er – oh nein – und ich sah, wie seine Nasenflügel wütend bebten. „Ich hätte kein Problem damit, mit Keily zusammen zu sein. Sie ist hübsch, intelligent und vor allem nicht so ein Arschloch wie du. Ich wäre der Glückliche, wenn sie je mit mir ausgehen würde.“

Ich starrte ihn schockiert an. Was hatte er da gerade gesagt?!

Ich sah zu James und zuckte zusammen, als ich sah, wie wütend er Lucas anblickte. Dann wandte er sich mit einem fiesen Grinsen zu mir.

„Ach ja? Na dann viel Spaß, wenn die Kuh dich plattdrückt. Glaub ja nicht, ich würde dir helfen“, sagte er zornig und musterte meinen Körper voller Abscheu.

„Verdammt, James!“, rief Lucas und andere Schüler wurden aufmerksam. „Du gehst zu weit …“

Aber jetzt sahen uns schon andere Schüler an. Das war zu viel.

„Ich muss los“, murmelte ich und stürmte aus dem Klassenzimmer, ohne mich umzudrehen.

Ich hörte Lucas nach mir rufen, aber ich war zu aufgewühlt um mit ihm zu reden und ging weiter, bis ich den Computerraum erreichte.

Fett, Kuh, Schwein, Specki, Wal, Fettsack.

Ich setzte mich und atmete tief durch. Meine Hände und Beine zitterten und meine Augen wurden feucht, als würde ich gleich weinen.

Wag es ja nicht, wegen diesem Arschloch zu heulen. Wag es nicht!

Manchmal konnte man gemeine Worte nicht ignorieren und sie begannen, an einem zu nagen. Und auch wenn ich es nicht zugeben wollte, James’ Worte begannen sich in mich hineinzufressen.

Ich atmete tief ein und aus und sah nach oben, um die Tränen zurückzuhalten. Ich wollte nicht mitten im Schulcomputer-Labor vor allen anderen weinen.

Der Stuhl neben mir bewegte sich und jemand ließ sich lässig darauf fallen. Ich sah James nicht an, tat so, als wäre er nicht da, und starrte geradeaus.

„Schalt wenigstens den Computer ein, wenn du ihn schon anstarrst“, sagte er beiläufig, als wäre vorhin nichts passiert.

Mein Gesicht wurde rot, als mir klar wurde, dass ich auf einen leeren Bildschirm starrte.

Bitte lass mich sofort im Erdboden verschwinden.

Ich schaltete schnell den Computer ein, um mich nicht noch mehr zu blamieren, denn James genoss es offensichtlich.

Ich spürte, wie er mich ansah, wie immer, in dem Versuch mich nervös und unbehaglich zu machen. Aber im Moment war ich zu wütend, um ihm die Genugtuung zu geben, mich aufgewühlt zu sehen.

Plötzlich kribbelte meine Haut und ich wusste, dass er mich noch intensiver anstarrte, was mich fast zum Zappeln brachte. Ich vermutete, es störte ihn, dass ich nicht reagierte.

Gut so!

„Sieht aus, als wäre mein Schweinchen sauer auf mich“, sagte er und ich konnte mir das dämliche Grinsen auf seinem bescheuerten Gesicht vorstellen.

Ich wurde noch röter. Am liebsten hätte ich seinen Kopf gepackt und gegen den Bildschirm vor ihm gedonnert. Stattdessen holte ich mein Notizbuch heraus und tat so, als wäre er nicht da.

Als klar wurde, dass ich ihm nicht antworten würde, seufzte er und wandte sich ab. Ich dachte, ich hätte endlich meine Ruhe, aber dann sprach er wieder. Ich versteifte mich und erwartete eine weitere Beleidigung, aber sie kam nicht.

„Hör mal“, sagte er, seine Stimme sanfter. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass er mich gar nicht ansah. Er starrte auf seinen eigenen Bildschirm. „Ich gebe zu, ich bin vorhin bei Lucas vielleicht zu weit gegangen“, sagte er.

Ich runzelte die Stirn, sah ihn aber immer noch nicht an. Versuchte er sich zu entschuldigen?

„Hab mich ein bisschen hinreißen lassen. Du solltest wissen, Lucas ist …“ Es sah aus, als wollte er noch etwas anderes sagen, aber dann hielt er inne. „Hey, hörst du mir überhaupt zu?“

Ich schluckte und ignorierte ihn weiterhin. Das war ein Trick. Irgendeine Falle. Darauf würde ich nicht hereinfallen.

„Schön“, sagte er, seine Stimme wurde wieder härter. Jetzt sah er mich direkt an und ich konnte seinen Blick auf meiner Wange spüren. „Wie du willst.“

Und ich wollte es genau so, ignorierte ihn, als würde er nicht existieren. Seltsamerweise beschloss er, dasselbe mit mir zu tun. Ein paar Minuten später kam unsere Lehrerin und begann mit dem Unterricht über Webdesign.

Meine schlechte Laune verflog für eine Weile, als ich aufmerksam zuhörte. Ich kannte die HTML-Tags, über die sie sprach, bereits.

Ich hatte oft mit meinem Vater zusammengearbeitet und ihm geholfen, Websites für seine Kunden zu erstellen, um Zeit zu vertreiben und bei seiner Arbeit zu helfen.

In den letzten fünfzehn Minuten gab uns Mrs. Green eine kleine Aufgabe, eine Tabelle zu gestalten. Ich schrieb meinen Code in zwei Minuten.

Ich überlegte, ob ich dem Text und den Zeilen Farben hinzufügen sollte, um die Zeit zu überbrücken, entschied mich aber dagegen. Mrs. Green hatte uns noch kein CSS beigebracht und es war besser, vor jemandem, der meine Arbeit benotete, nicht anzugeben.

„Scheiße!“ Ein leiser Fluch kam von der Seite und erinnerte mich daran, dass mein Feind immer noch hier war. Seine starrenden Blicke nicht zu spüren und mich auf den Unterricht konzentrieren zu können, hatte mich ihn fast vergessen lassen.

Leider halten gute Zeiten nicht ewig.

Ich konnte nicht anders, als kurz zu ihm hinüberzusehen. Er starrte wütend auf seinen Bildschirm, die Lippen vor Konzentration zusammengepresst, während seine Augen auf und ab über den Monitor huschten.

Auch wenn ich ihn hasste, musste ich zugeben, dass er verdammt gut aussah.

Schade. So gutes Aussehen an einen schlechten Charakter verschwendet.

Ich drehte meinen Kopf zu seinem Bildschirm und spähte heimlich auf seinen Code. Er hatte die schließenden Tags in jeder Zeile vergessen, einfache Daten-Tags für Überschriften verwendet und die Span-Tags nicht an den richtigen Stellen platziert.

Ich war etwas schadenfroh über seine Fehler. Bevor er mich beim Gucken erwischen konnte, wandte ich mich wieder ab und versuchte, nicht zu grinsen.

Ein Arschloch und dumm. Dummes Arschloch.

Bald klingelte es und die Schule war endlich aus. Ich packte schnell meine Tasche und eilte zur Tür hinaus, weil ich keine weitere Begegnung mit James ertragen wollte.

Nachdem ich meine Sachen in den Spind gesperrt hatte, seufzte ich und lehnte meinen Kopf dagegen. Ich hatte keine Lust, mit den anderen Eis essen zu gehen.

Ich war müde nach dem Streit im Matheunterricht und wollte James nicht wiedersehen. Ich wollte nicht einmal Lucas sehen nach all den Dingen, die er gesagt hatte.

Er hatte das alles wahrscheinlich nur gesagt, um James wütend zu machen, aber seine Worte hatten mich mehr beschäftigt, als ich zugeben wollte.

Ich stöhnte, mein Kopf pochte. Ich wollte einfach nur nach Hause.

Also nahm ich mein Handy heraus und machte mich auf den Weg zur Bibliothek, während ich nach Lucas’ Namen suchte, um ihm zu sagen, dass ich nicht mitkommen würde.

Plötzlich wurde ich zurückgezogen und wäre fast auf den harten Boden gefallen. Ich stieß ein peinliches Quietschen aus.

„Wo willst du hin, Schweinchen?“, James hielt den die Schlaufe meines Rucksacks fest. Er beugte sich näher, sein Atem kitzelte über mein Ohr. „Der Parkplatz liegt in der anderen Richtung.“

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