Her Hidden Beast (Deutsch)

Teil 1

SCHARLACHROT

Vor etwas mehr als hundert Jahren kamen die Monster aus ihren Verstecken. Sie krochen unter Betten und aus Schränken hervor. Wilde Tiere stiegen von den Bergen herab und kamen aus den Wäldern.

Jahrtausendelang hatten sie sich versteckt gehalten. Sie bauten Armeen auf, schlichen sich in jede Regierung ein und übernahmen die ganze Welt in nur wenigen Stunden.

Es ist eure eigene Schuld.

Die Geschichten waren da.

Ihr wolltet nur nicht glauben, dass Dracula wirklich in diesem Schloss wohnte oder dass Rotkäppchen tatsächlich vor einem bösen Wolf weglief.

Wer hätte gedacht, dass diese alten Leute Recht hatten, als sie angebliche Hexen verbrannten?

Trotzdem war das nicht nett. Die meisten hatten es nicht verdient.

Die Menschen wurden weniger. Man arbeitete entweder für die Bestien oder versuchte, im Graben zu überleben, wo nur die Schlauen und Starken durchkamen. Wer klug war, schloss sich einer Familie an. Geld war nichts mehr wert, also zählten Vorräte, und Treue war alles, was man hatte. Das nahm man sehr ernst.

Familien?

Die sind wie Gangs, nur etwas höflicher. Sie tauschen Vorräte und bieten Schutz. So gut Schutz hier eben sein kann. Wenn Familien streiten, klären sie das in den Gruben. Keine Waffen, nur Fäuste.

Als die Monster die Macht übernahmen, blieb die Menschenwelt stehen. Gut für den Klimawandel, schlecht für Menschen, die sich schwer taten, sich anzupassen.

Am Anfang kämpften die Menschen wie wild um Vorräte. Sie bildeten Banden und wurden noch brutaler als vorher.

Als die Menschen weniger wurden, wurden aus den Banden Familien, die jetzt versuchen, einander zu helfen, der Menschheit zuliebe... Na ja.

Ich weiß, ich klinge negativ.

Wahrscheinlich, weil ich kein Mensch bin.

Ich bin auch keines dieser Biester.

Ich passe nirgendwo richtig rein, aber ich sehe meistens menschlich aus, also ist es einfacher, bei ihnen zu leben. Es ist einfach eine Art zu existieren.

Ich weiß nicht, ob meine Mutter eine Wölfin war, die sich für ein menschliches Baby schämte, oder eine Frau, die sich für das Baby eines Wolfes schämte.

So oder so, niemand hat je von so was gehört, und soweit ich weiß, bin ich die Einzige meiner Art.

Ein seltsamer Zufall der Natur.

Offensichtlich ungewollt, wurde ich in einem Waisenhaus abgegeben, wo ich bis zehn blieb. Da merkte ich, dass ich... anders war.

Weibliche Wölfe sind größer als normale Menschen, meist so um die 1,80 Meter. Obwohl ich mit 1,75 Metern kleiner bin, war ich immer größer als alle anderen Mädchen und viel stärker als die Jungs. An meinem zehnten Geburtstag, oder besser gesagt dem zehnten Jahrestag, seit man mich abgegeben hatte, ärgerte mich einer der Jungs so lange, bis ich so wütend wurde, dass meine Nägel zu Krallen wurden und die Haut in meinen Fäusten aufrissen.

Außer dass meine Augen die Farbe wechseln, ist das alles, was ich kann. Ich habe mich nie in einen ganzen Wolf verwandelt, egal wie sehr ich es versucht habe.

Es gibt nur eine andere Person auf der Welt, die von mir weiß. Kurz nachdem ich aus dem Waisenhaus abgehauen war, traf ich Rose, eine Hexe.

Ja, Hexen gibt's wirklich.

Hexen sind genau das, was ihr denkt. Als Menschen geboren, mit etwas Besonderem. Einige nutzen ihre Kräfte für Gutes und leben bei den Menschen, während andere etwas... ehrgeiziger sind.

Diese fiesen Frauen würden alles tun, um beim Bund gut anzukommen.

Verdammt... Der Bund.

Vampire.

Die herrschen über dieses ganze Chaos.

Rose wusste sofort, als sie mich traf, was in meinem Blut war, war aber nur nett zu mir.

Mit ihrer Hilfe lernte ich alles, was sie mir über Wölfe beibringen konnte, aber selbst sie wusste nur wenig. Wichtiger noch, sie zeigte mir, wie ich meinen Geruch verstecken kann, damit andere Wölfe mich nicht finden.

Ich glaube, ich roch sogar wie einer der Diener des Bundes.

Jetzt wisst ihr also, wie meine Welt aussieht.

Die Vampire herrschen über alles. Wölfe beschützen sie und halten Ordnung. Hexen, obwohl menschlich, gelten als was Besonderes und dürfen leben, wie sie wollen. Menschen haben nur zwei Möglichkeiten: Sklaverei oder ein Leben in den armen Gegenden des Grabens.

Wenn man mit sicherem Essen, einem sauberen Bett und einem Dach über dem Kopf leben will, wird man zur Nahrung für einen Vampir oder zum Sklaven eines Wolfes. Die mit mehr Stolz leben am Rand der Städte, wo das Leben hart und die Vorräte knapp sind.

Mein Name ist Scarlet.

Ich bin halb Mensch, halb Wolf.

Ich halte das geheim, weil ich Angst habe, dass es mich entweder von Menschen getötet oder zu einer Sklavin der Wölfe machen würde.

Dies ist meine Geschichte.

***

Teil 2

KYLIAN

Wir – Werwölfe und Vampire – leben schon immer unter Menschen. Wir waren nie genug, um zu überleben, wenn die Menschen von uns erfahren hätten.

Denk nur daran, was mit den Hexen passiert ist.

Und ihr nennt uns Monster.

Stattdessen haben wir unsere Geheimnisse gehütet und uns langsam vermehrt. Warum hat das so lange gedauert?

Nicht jeder Mensch überlebt die Verwandlung zum Vampir. Die meisten sterben sofort. Manche werden verrückt und töten Menschen, dann müssen wir sie stoppen.

Vielleicht hast du von so einem Fall gehört.

Sagt dir Vlad Dracul was?

Das war echt schwer zu vertuschen.

Wegen ihm wären die Vampire fast aufgeflogen. Zum Glück hat sich die Geschichte mit der Zeit so verändert, dass sie nur noch... eine alte Erzählung wurde.

Sonst nichts.

Die Wölfe haben ein anderes Problem mit der Vermehrung. Ein Mensch kann nicht in einen Wolf verwandelt werden, man muss als einer geboren werden.

Glaubst du an Seelenverwandte? Na, dann fang mal an.

Ein Wolf wird nur mit einem anderen Wolf zusammen sein, mit dem er sich besonders verbindet. Es ist wie ein unsichtbares Band. Es ist sehr stark und nichts kann es zerreißen.

Du riechst sie, bevor du sie überhaupt siehst.

Du fühlst, was der andere fühlt.

Es ist, als würden sie ein Teil von dir.

Manche von uns finden ihr ganzes Leben lang nicht ihre andere Hälfte. Ihren Gefährten.

Ganze Familien sind deswegen ausgestorben. Meine Familie hatte bisher Glück, immer Kinder zu bekommen, um weiterzumachen. Meine Eltern hätten es fast nicht geschafft.

Sie wollten unbedingt einen Alpha-Erben und bekamen neun Töchter vor mir. Nur ein männlicher Wolf kann Alpha sein.

Wölfe sind unfair zu Frauen. Nur ein Mann gilt als Erbe und kann die Familie fortführen.

Es hat Hunderte Jahre gedauert, bis wir so viele geworden sind. Unsere schwächeren Wölfe, die Omegas, haben gelernt, unbemerkt unter Menschen zu leben.

Sie haben eure Kranken geheilt, eure Häuser gebaut und eure Kriege gekämpft.

Mit den Vampiren arbeiten wir zusammen, weil wir müssen. Die Hexen auf unsere Seite zu ziehen war auch nicht schwer. Wir brauchten einander, um unter Menschen zu überleben.

Wir haben die Vampire beschützt, wenn sie schwach waren, und dafür haben sie uns in Regierungen gebracht und mächtige Menschen auf der ganzen Welt kontrolliert.

Menschen haben unsere Wälder zerstört und Fabriken haben unser Frischwasser verschmutzt. Ihr habt die Erde vergiftet, alles getötet und es war euch egal.

Irgendwann hatten die Wölfe genug.

Der Covenant denkt, sie hätten jetzt die Macht, aber eigentlich kontrollieren die Wölfe alles.

Wir lassen ihnen ihre großen Häuser und tollen Partys. Manchmal geben wir ihnen ein paar Menschen zum Essen.

Ab und zu haben sie Wünsche, die wir erfüllen, damit sie in ihrer Scheinwelt glücklich sind.

Falls sie die Wahrheit kennen, sagen sie nichts. Vielleicht ist es ihnen wirklich egal.

Sie wissen, dass sie sowieso nichts dagegen tun könnten. Sie können nicht gegen uns kämpfen, und wir kennen ihre Schwächen.

Warum machen wir sie also nicht einfach fertig?

Das wäre nicht nett.

Immerhin haben sie uns geholfen.

Ihr Monster.

Die meisten Hexen leben gerne bei den Vampiren, aber manche wollen lieber normal unter Menschen leben. Sie würden sich auch nicht gegen uns stellen. Wir können Magie riechen.

Keine Hexe würde es wagen, sie gegen uns einzusetzen. Solange sie keinen Ärger machen, lassen wir sie ihre kleinen Zauber und Tränke machen.

So sind wir jetzt hier... hundert Jahre später.

Die Wölfe haben die Kontrolle. Vampire und Hexen können frei sie selbst sein, in einer Welt, die wir geschaffen haben. Die Menschen gibt es weniger und sie sind jetzt nützlicher als das Problem, das sie waren.

Seit ich zwanzig bin, gibt mir mein Vater langsam die Kontrolle über alles.

Zum dreihundertsten Mond meines fünfundzwanzigsten Geburtstags nächstes Jahr werde ich der Alpha von Osteuropa sein.

Kein Stress, echt nicht.

Und als ob das nicht genug wäre: Um die volle Kontrolle zu kriegen, muss ich es mit meiner Gefährtin machen.

Ich muss sie finden.

Meine andere Hälfte. Meine Seelenverwandte. Meine Gefährtin.

Die Frau, mit der ich herrschen soll. Eine Königin. Eine Luna.

Ich muss von zu Hause weg, um sie zu finden, und das macht mich nervös.

Andere starke Wölfe wollen um meinen Platz kämpfen, deswegen will meine Familie nicht, dass ich gehe.

Aber ich werde sie nicht finden, wenn ich hier auf dem Weingut bleibe oder zu noch einer Dinnerparty von meiner Mutter gehe.

Ich habe endlich die Erlaubnis bekommen, das Haus zu verlassen, weil ich angeblich selbst sehen will, was meine Wölfe in unserem Gebiet machen.

Mein Beta, Victor, kommt mit. Er sucht auch nach seiner Gefährtin.

Vielleicht, nur vielleicht... ist sie irgendwo da draußen... und wartet auf mich.

Ich liebe eine gute Jagd.