M. Wolf
VANESSA
Ich wache mit einem mulmigen Gefühl im Bauch auf. Meine Träume über den Club lassen mich einfach nicht los.
Ich versuche, das ungute Gefühl abzuschütteln und beginne, meine langen blonden Haare zu locken und Makeup aufzutragen. Schließlich muss ich mich von meiner besten Seite zeigen, wenn ich den Biker-Jungs Informationen entlocken will.
Ich ziehe ich eine schwarze Skinny Jeans, ein weißes Top und meine neue schwarze Lederjacke an. Mit den Bikerstiefeln habe ich den perfekten Look für die Arbeit, denke ich.
Ich nehme mir einen Kaffee to go und esse eine Banane. Mehr kriege ich gerade nicht runter.
Irgendwie bin ich heute nervöser als sonst. Vielleicht liegt es an dem Gespräch mit Jack gestern. Er wird ungeduldig bei den langsamen Fortschritten im Fall.
Heute habe ich Frühschicht mit Morgan. Normalerweise arbeite ich mit Chef, aber der ist in letzter Zeit wie vom Erdboden verschluckt. Das meiste Kochen bleibt an mir hängen, aber das macht mir nichts aus.
In der Küche zu arbeiten gibt mir die Möglichkeit, mich mit den Clubmitgliedern zu unterhalten und sie besser kennenzulernen.
Ich packe meine Sachen und fahre zum Clubhaus, welches am Stadtrand von Ranchdale liegt.
Die Eingangstür steht einen Spalt offen und ich schiebe sie auf. Ich grüße den Anwärter, der auf einem Stuhl am Eingang sitzt und Wache schiebt.
Die Tür führt direkt in einen großen Wohnbereich. Auf der einen Seite stehen Tischchen, Sitzecken und Sessel. Gegenüber ist eine lange Bar. Billardtische und Dartscheiben verleihen dem Raum den letzten Schliff. Die Wände sind in dunklem Blau gestrichen und der braune Holzboden hat schon bessere Tage gesehen.
Als ich reinkomme, landen sämtliche Blicke auf mir.
An der Bar sitzen etwa sechs Männer und trinken Bier … um acht Uhr morgens. In den Sitzecken hocken zwei weitere Typen, jeder mit einem Devils Girl auf dem Schoß.
Die Namen der beiden Mädels kenne ich nicht. Die meisten Devils Girls reden kaum mit mir. Ich glaube, sie wissen nicht so recht, was sie von mir halten sollen. Ich bin zwar eine Frau, aber gehöre nicht zu ihnen. Ich glaube, sie wissen nicht, was sie von mir halten sollen. Soweit ich weiß, ist es das erste Mal, dass der Club jemanden von außen zum Kochen angeheuert hat.
Wir haben für mich eine Tarngeschichte erfunden: Angeblich habe ich für einen Motorradclub namens Desert Vipers in Arizona gearbeitet. Der Anführer der Vipers schuldete Jack einen Gefallen und hat mir deshalb ein gefälschtes Arbeitszeugnis ausgestellt.
Motorradclubs sind sehr verschlossen und misstrauisch gegenüber Außenstehenden. Ohne diese gefälschte Referenz hätten mich die Devils nie eingestellt.
Irgendwie wusste Jack, dass der Stammkoch der Devils oft blau macht. Und irgendwie hat er es geschafft, dass ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.
Es hat Monate gedauert, bis sie mich akzeptiert haben. Und selbst konntendie Männer nicht aufhören zu starren, wenn ich reinkomme.
„Hey! Glotzt wo anders hin, ihr Deppen. Sie ist nicht mehr neu hier und tabu“, ruft eine Frau, als sie durch die Schwingtür läuft. Sofort wenden alle ihre Blicke ab.
Ich schüttle lachend den Kopf über Morgan. Sie umarmt mich und strahlt zurück. Als Frau des Präsidenten hat sie im Club viel zu sagen und ich bin froh, dass sie mich anscheinend mag.
Sie ist groß – fast 1,80 m – mit hübschen braunen Locken und einem Dauerlächeln im Gesicht. Soweit ich das beurteilen kann, ist sie das Herz des Clubs. Alle scheinen sie zu mögen und zu respektieren – und ich vermute, dass viele wohl auch Angst haben, sie zu verärgern.
„Sag Bescheid, wenn dir einer dumm kommt“, meint sie. „Keiner wird was bei dir versuchen. Hammer hat klargemacht, dass du nicht wie die Devils Girls bist. Aber sie wissen eine schöne Frau zu schätzen und jedes Mal, wenn du reinkommst, glotzen alle.“
Sie zwinkert und ich spüre, wie ich rot werde.
„Danke, aber ich glaube, das liegt hauptsächlich daran, dass ich noch ziemlich neu bin“, sage ich, als wir zusammen in die Küche gehen.
Sie schüttelt den Kopf, dass ihre Locken nur so wippen. „Die Jungs mögen keine Veränderungen und es dauert, bis sie sich an neue Leute gewöhnen“, erklärt sie und stößt die Küchentür auf.
Die Küche ist der Wahnsinn. Alles blitzt und blinkt, die Töpfe und Pfannen sind vom Feinsten. In meiner ersten Woche hat mir Morgan erzählt, dass sie Hammer ganz schön bearbeiten musste, bevor er ihr erlaubt hat, die Küche zu renovieren.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mehr als nur mit ihren Wimpern geklimpert hat, um ihn zu überzeugen. Aber was auch immer sie getan hat – das Ergebnis kann sich sehen lassen.
„Heute gibt’s Frühstück um neun“, sagt Morgan zu mir. „Sie sind gerade in einer Besprechung und kommen wahrscheinlich hungrig raus. Lass uns das Mittagessen etwas später als sonst machen – so gegen eins? Und Abendessen um halb sieben.“
Ich nicke und binde mir eine Schürze um. Dann fange ich an, die Eier zuzubereiten – sowohl Rührei als auch Spiegeleier – während Morgan sich um den Speck kümmert. Sie sagt, Speck sei das Einzige, was sie wirklich gut kochen kann. Sonst verbrennt sie oft das Essen, aber Hammer mag seinen Speck knusprig.
Wir haben viel Spaß und zum Glück läuft das Kochen gut. Ich bin ganz gut im Backen, aber für so viele Leute zu kochen ist definitiv eine Herausforderung.
Als die Eier fertig sind, bereite ich eine Obstschüssel zu. Am Anfang waren die Männer skeptisch wegen des frischen Obstes, das ich jeden Morgen hinstelle. Chef verwendet normalerweise kein frisches Obst und Gemüse, das war also neu für sie. Trotzdem ist am Ende des Frühstücks die Obstschüssel immer leer – und ich freue mich zu wissen, dass sie wenigstens ein paar Vitamine abbekommen, wenn man bedenkt, was sie sonst so in sich reinschütten.
Ich reiße mich aus meinen Gedanken und erinnere mich daran, dass das alles nur Show ist. Ich bin keine echte Köchin. Ich bin Polizistin. Ich bin nicht hier, um diese MC-Mitglieder gesünder zu ernähren. Ich bin hier, um herauszufinden, welche krummen Dinger sie drehen.
Ich fange an, die Buffetschüsseln mit Eiern und Speck zu füllen. Dann stelle ich frische Brötchen aus dem Ofen dazu, zusammen mit etwas Aufschnitt und Käse.
Als hätten sie das Essen gerochen, kommen die Männer aus einer großen Tür am hinteren Ende des Wohnbereichs. Hammer schaut zu Morgan rüber, als er näher kommt. Er schlingt einen Arm um ihre Taille und gibt ihr einen Kuss auf die Wange.
„Hey Babe, alles paletti?“, fragt er mit einem Lächeln.
„Mit Ashley läuft es wie geschmiert, also ist natürlich alles bestens“, sagt sie und zwinkert mir zu.
„Schön zu hören, dass es gut läuft, Ashley. Chef und Morgan sind sehr zufrieden mit dir“, sagt Hammer, und ich senke den Blick.
„Ich liebe es hier, also vielen Dank“, sage ich und spiele die dankbare Angestellte. Hammer nickt zufrieden.
„Wo steckt Chef heute?“, frage ich und schaue mich um.
„Chef … ist nicht da“, sagt Hammer ohne weitere Erklärung.
„Ich wollte eigentlich über das Menü sprechen, aber ich erwische ihn einfach nie“, sage ich seufzend.
Hammer zuckt mit den Schultern. „Du hast bewiesen, dass du deinen Job gut machst. Ich würde vorschlagen, du ziehst es dieses Mal ohne ihn durch. Chef wird’s schon schlucken müssen, wenn’s ihm nicht passt.“
Er klingt etwas schroff und ich nicke und gehe zum Buffet.
„Keine Würstchen heute, Ashley?“, fragt West, als er mit einem vollen Teller vorbeigeht. Ich schüttle den Kopf.
„Große Frühstücke gibt’s nur am Wochenende und an besonderen Tagen, West. Tut mir leid“, sage ich, und er verdreht die Augen.
„Jeder Tag ist der perfekte Tag für Würstchen“, brummt er, als er zu einem Tisch schlurft, und ich muss lachen.
Als ich sehe, dass der Kaffee zur Neige geht, gehe ich in die Küche, um aufzufüllen. Während ich die Kanne auffülle und ein paar warme Brötchen aus dem Ofen hole, geht die Tür auf – und Navy kommt rein.
„Mein Bruder meckert am Buffet rum“, sagt er.
„Macht er je was anderes?“, frage ich, und Navy gluckst.
„Der Kaffee ist alle und er hatte 'ne miese Nacht“, sagt er, und ich seufze und gehe zur Kaffeekanne.
„Hier, bring du’s ihm“, sage ich, und er sieht mich vielsagend an.
„Angst vorm großen bösen Wolf?“, fragt er neckend, und ich zucke mit den Schultern.
„Es gibt ein paar Leute, denen ich lieber aus dem Weg gehe, und dein riesiger Bruder gehört dazu“, sage ich.
„Er ist echt nicht so übel“, sagt er lachend, und meine Augenbrauen schießen in die Höhe.
„Alles, was er kann, ist knurren!“, rufe ich und werfe die Hände in die Luft. „Ich hab ihn noch nie einen ganzen Satz sagen hören.“ Außer bei meinem Vorstellungsgespräch. ~Da konnte er mich in ganzen Sätzen beleidigen~. „Wenn Blicke töten könnten, wär ich längst umgefallen.“
Navy schüttelt immer noch lachend den Kopf. „Er ist nett, wenn man ihn erst mal kennt. Danke für den Kaffee. Ich bring dem Biest sein Öl.“ Er zwinkert und verlässt die Küche.
Ich mag Navy. Die kurzen Gespräche, die wir hatten, waren nett. Er scheint das komplette Gegenteil seines furchteinflößenden großen Bruders zu sein – viel umgänglicher.
Aber er scheint auch nicht viel darüber zu wissen, was im Club so läuft.
Uff. Ich will wirklich nicht in die Nähe von Vize Steel, aber irgendwann muss ich wohl in den sauren Apfel beißen. Jacks gestresstes, ungeduldiges Gesicht taucht vor meinem inneren Auge auf.
Ich bringe die Sandwiches zum Buffet und sehe, wie Navy seinem Bruder eine Tasse Kaffee gibt. Steel lächelt.
Moment mal …
Steel lächelt? Was? Ich wusste gar nicht, dass dieses versteinerte Gesicht lächeln kann. Ich beobachte die beiden noch einen Moment, während ich die Sandwiches in den Brotkorb lege.
Scheiße! Steel hat mich beim Starren erwischt. Er runzelt die Stirn und ich schaue schnell weg, mein Herz rast.