
Im Bett mit einem Vampir
Getrieben von Trauer steht Ravenna am Rand des Wahnsinns – und wagt in der Nacht von Allerheiligen das Undenkbare:
Sie ruft ihren toten Ehemann durch Blutmagie aus dem Grab zurück.
Doch was aus den Flammen steigt, ist nicht der Mann, den sie verloren hat –
sondern etwas Dunkleres. Hungrigeres.
Während ein fanatischer Priester immer näher kommt, sind Ravenna und ihre wiedererweckte Liebe an ein gefährliches Verlangen gebunden – eines, das Leben, Tod und Erlösung gleichermaßen herausfordert.
Zerrissen zwischen Hingabe und Verdammnis muss Ravenna sich der Wahrheit stellen:
Der Mann, den sie zurückgeholt hat, ist vielleicht nicht der, den sie liebte –
sondern das Monster, dem sie nicht widerstehen kann.
Der Käfig
Ravenna
Der Seitenflügel lebt, und Ravenna spürt, wie sein Blick auf ihr ruht.
Der Wind rüttelt an den kaputten Fensterläden und lässt sie klappern. An den feuchten Fensterscheiben rinnen langsame Tränen aus Kondenswasser herab. Draußen erstreckt sich das graue Moor endlos in die Ferne. Es seufzt durch die Schornsteine, wie eine Klage über alle verlorenen Seelen.
Schatten huschen über die rissigen Dielen wie nasse Schlangen. Ravenna legt eine zitternde Hand an den kalten Putz und lauscht den Seufzern, die aus den Bodenbrettern aufsteigen, den flüsternden Luftzügen, die den fernsten Nachhall der Stimme ihres Mannes tragen.
Eine Kerze flackert auf dem kleinen Schreibtisch und lässt ihr Spiegelbild im gesprungenen Spiegel erscheinen. Für einen Moment glaubt sie, eine andere Gestalt darin zu sehen – eine große, dunkle Silhouette mit Augen wie gealterter Whisky, die sie aus dem Glas heraus anstarren. Sie wirbelt herum, doch das Zimmer ist leer.
„Mordecai ...“, flüstert sie, ihre Lippen kaum bewegend, und doch hallt das Wort nach, als trüge der Raum selbst es fort.
Mordecai – ihr Ehemann, ihr Anker – ist fort. Sie bleibt zurück, haltlos, sich an Erinnerungen klammernd, wie man eine Kerze gegen den Sturm schützt.
Sie denkt an das Porträt über dem Kamin, auf dem ihr Mann so gelassen wirkt. Es entspricht nicht der Wahrheit, das weiß sie. Sie kann es nicht lange anschauen, ohne das Pochen der Vergangenheit im eigenen Herzen zu fühlen.
„Muss ich diese Welt ohne ihn ertragen?“, flüstert sie.
Plötzlich überkommt sie eine heiße Wut, mit der Hand fegt sie die Bücher vom Regal. Ein Tintenfass zerschellt auf dem Boden. Eine ihrer Kerzen rollt über die Dielen, sie verlöscht und hinterlässt eine Wachsspur. Der Raum scheint unter ihrem Zorn zu ächzen, und in diesem Augenblick wird die Evidenz ihrer Aufgewühltheit offenkundig.
Über den Schreibtisch verstreut und an den Wänden befinden sich zahllose Zeichnungen von Pentagrammen, Darstellungen von Teufeln mit gewundenen Schwänzen und gekrallten Händen, Skizzen von Tieren, hingelegt zum Opfer. Inmitten dieser unheimlichen Dinge türmen sich Stapel akribisch verfasster Manuskripte, jede Seite an Mordecai adressiert. Ihre ordentliche Handschrift ein Zeugnis jener Liebe und Trauer, die in Besessenheit umgeschlagen sind.
Ravenna ist außer sich vor Wut. Sie läuft in einem kleinen Kreis um die umgestürzten Möbel und lässt sich dann in den Stuhl an ihrem Schreibtisch fallen. Die Wiege in der Ecke schaukelt sacht und das Baby darin schreit auf, vom Lärm aus dem Schlaf gerissen, doch Ravenna hört es kaum.
Ganz versunken ist sie in das fieberhafte Kratzen ihrer Feder über das Pergament. Das verbleibende Kerzenlicht flackert über ihre eingefallenen Züge, während sie Briefe verfasst, die zugleich Liebesbekenntnisse, Verwünschungen und Beichten der Verzweiflung sind. An Mordecai schreibt sie von ewiger Liebe, von kalten Nächten im leeren Bett, in dem einst er gelegen hatte. Sie schreibt vom grausamen Schmerz seines Verlusts und vom brennenden Hass, der sie verzehrt, weil er sie ganz allein zurückgelassen hat.
Ihr Geist verrät sie mit Visionen von Mordecai, wie er einst war – seine Hand in der ihren bei nächtlichen Spaziergängen über das Moor. Sein Atem warm an ihrem Ohr, wenn er ihren Namen flüsterte mit jener Zärtlichkeit, die sie erzittern ließ. Das ungezähmte Feuer in seinen Augen, wenn er sie in ihrer Kammer an sich zog. Sie erinnert sich an das Gewicht seines Körpers auf dem ihren, an den Geruch von Rauch und Leder seines Mantels und an die Rauheit seiner Wange, wenn er sie flüchtig küsste.
Jede Erinnerung ist ein Dolchstich mitten in ihre verwundete Seele.
Plötzlich rafft Ravenna die verstreuten Blätter zusammen und drückt sie an ihr Herz, als könne sie durch Tinte und Papier die Wärme seine Umarmung spüren. Ihre Lippen bewegen sich lautlos, formen Worte der Liebe, der Entschuldigung, der Reue, des Flehens. Ihr dunkles Haar fällt wirr herab.
Dann hört sie plötzlich Schritte im Flur.
Ravenna erstarrt und hält die Papiere noch fester, als seien sie heilige Reliquien. Die Türklinke bewegt sich langsam, dann öffnet sich die Tür mit einem Knarren. Ihr Cousin Alistair tritt mit ernster Miene ein. Der schwarze Mantel passt zum düsteren Schnitt der Zeit. Hinter ihm folgt seine Frau Evelyn. Ihr Kleid ist schlicht, aber elegant. Sie wirkt sanftmütig, aber auch bestimmt, und missbilligt offensichtlich, was sie sieht.
SSeit Mordecais Tod wohnen sie im Hauptteil des Anwesens, leiten dessen Geschäfte und haben ohne zu Zögern die Aufgaben übernommen, die einst Mordecai erledigte. Nun ist es Alistair, der Pächter empfängt, Dokumente unterschreibt und Befehle an die Dienerschaft erteilt. Ravenna hingegen wurde in diesen abgelegenen Flügel des Hauses verbannt – ein goldener Käfig, wo ihre Trauer und ihre Wahnvorstellungen sich unbeobachtet verzehren sollen.
Die beiden betreten den Raum vorsichtig, als fürchteten sie, ein Wesen zu erschrecken, das sowohl zerbrechlich als auch gefährlich ist. Sie bewegen sich behutsam, besorgt, dass jede plötzliche Bewegung Ravenna in den Wahnsinn treiben könnte, aber ihre Blicke verraten auch Missbilligung.
Evelyns Blick fällt sofort auf den Schreibtisch, und sie keucht leise auf beim Anblick der verstreuten Seiten: saubere Schriftstücke an einen Toten gerichtet, wütend durchgestrichene Worte, verzweifelte Bitten und dazwischen sorgfältig gezeichnete Pentagramme, die mit einem Zirkel angefertigt zu sein scheinen. Über die verputzten Wände hinweg hat Ravenna Abbildungen gehörnter Gestalten geheftet, mit leeren Augenhöhlen, aufgeschlitzten Tieren auf Altären und Symbolen, die im Kerzenlicht zu leben scheinen.
Der Blick, den er und Evelyn in der Dämmerung des Zimmers austauschen, währt nur einen Atemzug, doch er spricht von Monaten des geteilten Schweigens. Es ist der Blick resignierter Seelen, die wissen, dass etwas getan werden muss. Wieder einmal werden sie den Priester rufen müssen. Wieder einmal werden Ravennas wirre Reden und Gotteslästerungen unter dem Mantel heiliger Autorität gebändigt werden.
„Cousine“, beginnt Alistair, „du darfst nicht zulassen, dass die Trauer dich überwältigt. Es gibt sicherere Wege, sein Andenken zu ehren als diesen. Das Baby ... der Haushalt ... Es gibt Pflichten, die du erfüllen musst, auch wenn du es nicht willst.“
Ravenna blickt ihn mit wilden, fiebrigen Augen an. „Sicherere Wege?“, wiederholt sie, bebend vor Wut und Trauer. „Es gibt keine Sicherheit dort, wo Mordecai nicht ist! Ich werde ihn zurückbringen, Alistair. Du weißt nicht, was es heißt, so zu lieben wie ich – und vom Schicksal selbst getrennt zu werden!“
Evelyn berührt sanft ihren Ärmel, um sie zu beruhigen, doch es wirkt nur als Übergriff. „Ravenna, du bringst dich selbst ins Verderben. Kehre zurück zu Gott, zum Leben, zur Vernunft.“
Ravennas Antwort ist so kalt wie der Herbstwind. „Ein Leben ohne meinen Gatten ist Wahnsinn. Vernunft ist wie ein Gefängnis. Ihr sprecht von Trost, doch ihr kennt nicht die Macht einer Liebe, die selbst der Tod nicht zum Schweigen bringt. Ich werde ihn finden, und er wird wieder bei mir sein. Selbst wenn es mich meinen Verstand, meinen Körper ... alles kostet. Ich werde ihn zurückbringen!“
„Du erschreckst dich selbst mehr als jeden anderen, liebe Frau“, warnt Evelyn mutig. „Du hast dich in Schatten verloren und im Flüstern des Teufels.“
Ravenna lacht ein hohles Lachen, das von den Wänden widerhallt wie der Ruf einer Krähe. „Er wartet auf mich in den Schatten. Und durch die Schatten werde ich ihn wiederfinden.“
Der Raum wird still, aber nicht lautlos. Die Luft verdichtet sich, drückt schwer auf die Brust. An den Wänden beginnen sich Ravennas Zeichnungen zu bewegen. Sie rascheln wie trockene Blätter, obwohl kein Hauch von Wind durch den Seitenflügel zieht. Evelyn weicht zurück, instinktiv näher an die Seite ihres Mannes. „Der Teufel ist hier“, flüstert sie und klammert sich an seinen Ärmel.
„Siehst du?“, zischt Ravenna, ihre Lippen zu einem unheimlichen Lächeln verzogen, zugleich triumphierend und furchterregend. „Mordecai ist noch hier. Der Tod hat ihn nicht ganz beansprucht. Er wartet darauf, dass ich ihn rette.“
Das Paar starrt sie an, sprachlos, während Ravenna triumphierend den Beweis ihrer Überzeugung genießt.
Im Spiegel über dem Kamin flimmert ihr Spiegelbild, die Oberfläche bebend wie Wasser, das von unsichtbarer Hand berührt wird. Sie beobachtet, wie Schatten über ihr Gesicht tanzen. Die alte Spitze an ihrem Hals wirft Muster auf ihre blasse Haut. Ihr Haar, einst in ordentlichen Locken, fällt nun wild ihren Rücken hinab. Es ist von Schlaflosigkeit und Kummer mit grauen Strähnen durchzogen. Neben ihrem Spiegelbild erscheint ein anderes Gesicht, bleich und leuchtend im Glas.
Seine Augen blicken in ihre, erfüllt von der furchtbaren Wucht einer Liebe, die selbst den Tod überdauert hat. Ravenna stockt der Atem, ihr ganzer Körper erstarrt, als sie ihn erkennt. Ein Schauer läuft über ihren Rücken, als eine kalte Hand den Nacken berührt.
Ihre Lippen öffnen sich lautlos, während ihre Knie vor Sehnsucht weich werden.
Als sie sich umdreht, ist er natürlich nicht da – doch die kalte Hand des Verlangens scheint noch immer auf ihrer Schulter zu ruhen.
Ravenna sinkt neben der Wiege zu Boden. Ihr Haar fällt wie ein dunkler Schleier um ihr Gesicht. Das Baby wimmert, und Ravenna fühlt eine seltsame Verbindung in ihrer gemeinsamen Hilflosigkeit – gefangen in einer Welt, die ihnen die Wärme von Mordecais lebender Gegenwart verwehrt. Sie presst ihre Lippen an die Stirn des Kindes und murmelt: „Hab keine Angst, mein Liebling ... Ich werde nicht ruhen und nicht wanken. Er wird zu uns zurückkommen, das schwöre ich.“
Dann, wie von einer bösen Macht getrieben, beißt sie sich auf die Unterlippe, bis sie aufspringt. Sie spürt den scharfen Schmerz und schmeckt das Blut. Mit zitterndem Atem streicht sie mit ihrem Finger über das rote Blut und berührt damit die Stirn des Kindes – zieht eine dunkle Linie über zarte Haut, eine blasphemische Segnung.













































