Moontochter - Buchumschlag

Moontochter

Nathalie Hooker

Kapitel Acht

Aurora

Ich kam nach Hause und fühlte mich vollends hilflos. In meinem Körper machte sich Erschöpfung breit.

Ich schätze, das war ganz normal, wenn man sich als Werwolf zum ersten Mal verwandelt und zudem seit zwei Tagen keine anständige Mahlzeit zu sich genommen hatte.

Jetzt wurde mir erst bewusst, dass ich geschlagene zwei Tage damit verbracht hatte, mir wegen meines sogenannten Seelenverwandten die Seele aus dem Leib zu heulen.

Als ich zur Tür hereinkam musste ich gleich wieder zurückweichen, weil Montana auf mich zu rannte und mich fast in ihrer Umarmung erdrückte.

„Wo warst du denn?! Ich bin aufgewacht und wollte nach dir sehen, aber du warst weg!“, rief sie. „Ich habe Emma angerufen und gefragt, ob du bei ihr bist, aber dort warst du auch nicht!“

„Tut mir leid, Montana. Ich … Meine Wölfin wollte unbedingt laufen“, sagte ich, um sie zu beruhigen.

„Deine Wölfin? Du hast sie endlich kennengelernt? Der Göttin sie Dank, Rory!“, quietschte sie vor Freude. „Wie heißt sie? Wie sieht sie aus? Wann gehen wir zusammen laufen?“

Sie bombardierte mich mit Fragen, aber ich konnte spüren, wie meine Kräfte versagten.

„Ich beantworte deine Fragen morgen, okay? Ich muss mich erst mal hinlegen“, sagte ich.

„Ja, natürlich! Die erste Verwandlung ist immer ziemlich anstrengend, wenn alles noch so neu ist. Du musst völlig erschöpft sein. Komm, ich bringe dich ins Bett.“

Sie legte einen meiner Arme über ihre Schulter und half mir die Treppe hoch und in mein Schlafzimmer.

„Danke, Montana“, sagte ich, bevor mich der Schlaf übermannte.

***

Ich saß in meiner menschlichen Gestalt auf der schönen Lichtung, die ich an diesem Abend gefunden hatte.

Dieser Ort war so friedlich und ruhig. Es war am helllichten Tag und das Sonnenlicht spiegelte sich glitzernd auf dem See. Das hohe Gras wiegte sich in der lauen Sommerbrise.

Doch plötzlich zog eine dunkle Wolke am Himmel auf, die alles düster erscheinen ließ.

Der See wurde trüb, beunruhigende Wellen wirbelten das vorher so stille Gewässer auf und die sanfte Sommerbrise verwandelte sich in einen starken, peitschenden Wind.

Das grüne Gras verblasste und trocknete aus und es blieben nur scheußliche, getrocknete Grasbüschel und der aufgeplatzte Erdboden überall um mich herum zurück.

Dann hörte ich das Geräusch von raschelnden Blättern und fallenden Ästen und fing an, meine Umgebung sehr aufmerksam zu betrachten.

Verängstigt schaute ich mich um und wollte nach meiner Wölfin rufen, aber sie antwortete nicht.

Aus einer Gruppe vertrockneter Büsche, die immer noch ihre ausgedörrten Blätter trugen, kam ein riesiger schwarzer Wolf mit strahlend blauen Augen hervor. Mit entblößten Reißzähnen knurrte er mich an.

Der Wolf kam immer näher, bis er sich endlich auf mich warf und mir seine scharfen Zähne tief in den Hals rammte. Ich wachte auf, als Montana mich sanft anstupste.

Ich keuchte und war verschwitzt, als ich meine Stiefmutter verwirrt und verängstigt anstarrte.

Das war nur ein Albtraum.

„Was ist los? Ich weiß, dass ich versprochen habe, mit dir laufen zu gehen, aber ist es dafür nicht ein wenig früh?“, beschwerte ich mich, um von meinem Zustand abzulenken. .

Ich setzte mich im Bett auf und sah auf den Wecker auf meinem Nachttisch, doch als ich mich zu ihr umdrehte, sah ich ihren düsteren Gesichtsausdruck. Ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmte.

„Was ist denn los?“, fragte ich.

„Unten wartet … ein Besucher auf dich, Liebling“, sagte sie und in ihrer Stimme schwang mit Angst und Traurigkeit mit.

„Wer denn …?“, fragte ich, aber sie unterbrach mich.

„Beeil dich bitte. Du musst präsentabel aussehen, Liebling“, sagte Montana. Dann stand sie auf und ließ mich mit meiner Verwirrung allein.

War der Alpha etwa schon zurückgekommen, um mich wieder zu quälen?

Wie sich herausstellte, hatte ich fast recht gehabt.

Die Person, die in unserem Wohnzimmer auf mich wartete, war die rechte Hand der Haushälterin im Haus des Anführers. Sie unterhielt sich fröhlich mit meiner Stiefmutter, die allerdings alles andere als glücklich dreinblickte.

Was habe ich denn jetzt angestellt?

„Kala?“, rief ich erfreut, und beide Frauen drehten sich sofort zu mir um.

Die ältere Frau schenkte mir ein strahlendes Lächeln. „Rory! Es freut mich, dich wiederzusehen, Liebes.“ Sie kam zu mir und umarmte mich fest.

„Hast du alles gepackt?“, fragte sie.

Das verwirrte mich noch mehr. „Gepackt? Wofür?“.

„Du ziehst aus, Liebes! Hat deine Stiefmutter dir das nicht erzählt?“

Ich sah Montana an, deren Gesicht noch düsterer wurde.

„Ich ziehe aus? Was soll das heißen? Wohin denn?“, fragte ich völlig frustriert.

„Ins Haus des Anführers, Liebes. Der Alpha hat angeordnet, dass du sofort als Dienstmädchen eingestellt werden sollst.“

Kala kündigte das an, als wären es die besten Neuigkeiten der Welt.

„Wie bitte?!“, rief ich. Ich befreite mich aus dem Griff der alten Dame und rannte zu Montana.

„Wovon redet Kala da?“, fragte ich Montana. Ich sah, wie ihr ein paar Tränen über das Gesicht liefen.

Obwohl sie bereits Mitte vierzig war, hatte sie noch ein jugendliches Gesicht, wie es bei Werwölfen üblich war.

Sie hatte nur ein paar vereinzelte Falten um ihre schönen braunen Augen, die nun sichtbar wurden, weil sie die Augen zusammenkniff und weinte. Sie umarmte mich ganz fest.

„Oh, Rory. Ich verstehe das auch nicht, aber das ist ein direkter Befehl des Alphas. Wir müssen ihm gehorchen, sonst werden wir bestraft.“ Sie tätschelte meinen Kopf, während sie sprach.

„Aber ich will nicht bei ihm wohnen. Hier ist mein Zuhause!“, protestierte ich.

„Das ist es, und das wird es immer sein, Schatz. Ich bin mir sicher, dass du mich ab und zu besuchen darfst, aber im Moment haben wir keine andere Wahl. Der Alpha hat es so angeordnet.“

„Das ist nicht fair!“, rief ich.

„Es tut mir leid, Rory, aber deine Stiefmutter hat recht. Das ist ein unumstößlicher Befehl des Alphas. Du musst also sofort mit mir kommen. Wenn du dich eingelebt hast, können wir für deine Stiefmutter an Wochenenden Besuchszeiten einplanen“, erklärte Kala in dem Bestreben, mich zu überzeugen.

Ich drehte mich um und sah die einzige Elternfigur an, die mir noch geblieben war.

„Ich möchte dich nicht im Stich lassen“, teilte ich ihr mit. Und das war die Wahrheit.

Obwohl Montana und ich nicht immer einer Meinung waren, war sie diejenige, die mich großgezogen und sich um mich gekümmert hatte, nachdem mein Vater gestorben war.

„Ich komme schon zurecht, Liebes. Ich bin mir sicher, der Alpha wird uns erlauben, uns zu treffen.“

Das bezweifelte ich stark.

„Tut mir leid, Liebes. Aber wir müssen uns beeilen“, unterbrach uns Kala.

Ich ignorierte sie und sah weiter meine Stiefmutter an.

„Ich komme schon zurecht, Rory.Geh und pack deine Sachen. Wir wollen doch nicht, dass der Alpha wütend wird.“

Der Gedanke erschreckte mich. Diesen Mann in Rage zu versetzen…

Andererseits machte das kaum einen Unterschied. Er war ohnehin ständig schlecht gelaunt. .

Trotzdem nickte ich und ging nach oben in mein Zimmer, um meine Sachen zu packen. Ich suchte alles zusammen, was ich brauchte, weil ich mein Zuhause auf absehbare Zeit verlassen musste.

Als ich fertig war, ging ich zurück nach unten und hörte einen Teil von Kalas und Montanas Unterhaltung.

„… Er hat sie erst gestern des Diebstahls beschuldigt! Warum will er plötzlich, dass sie als Dienstmädchen in seinem Haus arbeitet?“, wollte meine Stiefmutter wissen.

„Das weiß ich nicht, Mrs. Craton. Ich habe ihm genau die gleiche Frage gestellt, als er mir heute Morgen den Auftrag gegeben hat, aber der Befehl eines Alphas ist eben bindend. Wir müssen ihn befolgen, egal wie seltsam er auch sein mag“, entgegnete Kala.

Ich räusperte mich lautstark und die Frauen richteten ihre Aufmerksamkeit auf mich.

„Ich bin fertig …“, sagte ich.

„Sehr gut. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Gehen wir“, sagte Kala. Sie stand auf und ging zur Haustür.

Ich folgte ihr, blieb dann aber stehen und drehte mich ein letztes Mal zu meiner Stiefmutter um.

„Ich komme zurecht, Rory. Vergiss nicht, dass du hier immer ein Zuhause hast“, verkündete Montana und versuchte, aufmunternd zu klingen.

Ich rannte zurück und umarmte sie, so fest ich konnte, und sie erwiderte die Umarmung genauso fest.

„Ich werde es vermissen, mit dir zu streiten“, stellte ich fest. Die Tränen liefen mir in Strömen über die Wangen, sodass ihre Schultern ganz nass wurden.

Sie kicherte leicht.

„Und mir werden meine verzweifelten Maßnahmen fehlen, dich morgens aufzuwecken“, konterte sie. „Pass auf dich auf, Liebes.“

Wir ließen einander los und ich folgte Kala, nachdem ich noch einen letzten Blick auf mein Zuhause geworfen hatte.

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