
Der Professor
Sarah dachte, sie hätte ihren größten Herzschmerz hinter sich gelassen – bis ihre Buchtour sie zurück an die Uni führt und ihr ausgerechnet ihm gegenübersteht: dem Mann, über den sie nie wirklich hinweggekommen ist. William war einst ihre unerreichbare Schwärmerei: brillant, älter und absolut tabu. Jetzt ist sie eine Bestsellerautorin – und die Geschichte, die sie berühmt gemacht hat? Sie handelt von ihm. Und er hat sie gelesen.
Funken sprühen, Grenzen verschwimmen, und was einst eine jugendliche Fantasie war, lodert plötzlich heißer als alles, was sie sich je vorgestellt hat. Doch alte Gefühle bringen neue Risiken mit sich – und ihn zu lieben könnte sie mehr kosten, als sie zu geben bereit ist.
Ein langsames, mitreißendes Feuerwerk aus Spannung, Verführung und einer Chemie, die man nicht vortäuschen kann.
Kapitel 1
SARAH
Er war tabu. Mein Lehrer. Der erste Mann, bei dem mein Herz schneller schlug.
Zehn Jahre später stand ich wieder in Willowridge – in einem figurbetonten Kleid, mit einer Einladung zum Jubiläum in der Hand und einem Buch unterm Arm, das mehr verriet, als ich je preisgeben wollte.
Meine Nervosität war nicht von der aufgeregten Art, die ich vor Lesungen spürte. Nein, das hier war anders. Als würde etwas Dunkles, Unbehagliches an meinen Gedanken zerren.
Es war kein gewöhnliches Treffen. Es war meine alte Schule. Der Ort, an dem alles begann. Wo ich lernte, wie fragil Gefühle sein können – und wie sehr sie wehtun, wenn man sie ignoriert.
Plötzlich sah ich mich wieder vor mir: siebzehn, unsichtbar, das Mädchen in der letzten Reihe. Keine Partys, keine Flirtversuche in den Gängen, keine Kleidung, die Blicke auf sich zog. Die coolen Mädels beachteten mich nicht. Und die Jungs? Für die existierte ich nicht.
Also verkroch ich mich in meinen Büchern. Ich hatte immer einen Stapel dabei, es gab immer eine neue Welt, in die ich eintauchen konnte. Sie waren mein Schutz, wenn die Realität zu laut wurde. Und ich lernte – zu viel, zu verbissen –, weil es das Einzige war, worin ich nicht versagte.
Doch bei dem Gedanken an diese Gänge spürte ich auch etwas Warmes: das Klappern der Schließfächer, die Schulausflüge, bei denen alle im Bus grölten. Ich sang nie mit, aber ich hörte zu. Und irgendwie gehörten mir diese Momente trotzdem. Auf meine stille, unsichtbare Art.
Es war nicht alles schlecht. Es gab Lehrer, die mich sahen. Nachmittage voller Geschichten, die ich selbst schrieb. Das Kribbeln, wenn die richtigen Worte kamen – als wären sie nur für mich bestimmt. Damals wusste ich nicht, dass jede einsame Stunde, jede gelesene Seite, jede bittersüße Erinnerung mich zu der Frau formten, die ich heute war.
Ich war nicht mehr das schüchterne Mädchen. Inzwischen kannten die Leute meinen Namen.
Meine Agentin – und beste Freundin – hielt mein chaotisches Leben zusammen. Klein, kurvig, mit feuerrotem Haar und einer Stimme, die jeden Raum füllte. Und sie war der Grund, warum ich so viele Bücher schreiben konnte, während ich mich mit Kaffee über Wasser hielt.
Und sie war die Meisterin darin, mich zu Dingen zu überreden, bei denen mir mulmig zumute war. Wie heute.
„Bist du sicher, dass das mit dem Kleid eine gute Idee war?“, fragte ich, als ich aus dem Helikopter stieg. Die Rotorblätter peitschten die kühle Herbstluft auf und wirbelten Blätter um meine Knöchel herum auf.
Der Wind zerrte an meinen Haaren, trug den Geruch von feuchtem Laub und Holzrauch heran – als würde der Herbst selbst mich willkommen heißen. Oder vor etwas warnen.
Nervös zupfte ich am Saum des engen roten Kleides, das Sandra ausgesucht hatte. Es schmiegte sich an meinen Körper wie eine zweite Haut. Derer Ausschnitt war so tief, dass ich fast mein eigenes Herz klopfen sah.
Meine Haut kühlte in der Luft ab, doch mein Magen brannte.
Sandra stieg hinter mir aus, ihre Absätze klackerten selbstbewusst über die Steine – eine Sicherheit, die ich nie vortäuschen könnte. Sie duftete nach Vanille und teurem Parfüm, ein Kontrast zum erdigen Aroma des Herbstes.
Ein Blick auf sie verriet mir: Es gab kein Zurück mehr
„Wärst du lieber in deiner grauen Jogginghose mit den Löchern an den Knien aufgetaucht?“
„Die ist wenigstens bequem.“
„Sarah, das Kleid ist perfekt. Du hast nur Angst, weil es kein Kapuzenpulli ist.“ Sie setzte ihre Sonnenbrille auf. „Es ist nur ein Abend. Morgen kannst du dich wieder hinter deinem Laptop verkriechen und über Sex schreiben, den du selbst seit Jahren nicht mehr hattest.“
„Hey!“
„Liege ich damit etwa nicht richtig?“
Ich seufzte. „Vielleicht.“
„Das ist mein Mädchen.“ Daraufhin marschierte sie zu dem wartenden Auto, als gehöre es ihr.
Drinnen runzelte ich die Stirn. „Ist das wirklich nötig?“
Sandra zuckte mit den Schultern und griff nach dem Champagnerglas, das für uns beide bereitstand. „Beschwer dich beim Direktor. So behandelt man hier Ehrengäste.“
„Es ist drei Uhr nachmittags.“
„Zeit ist relativ.“ Sie schwenkte das Glas und nippte daran.
Die Fahrt war kurz – nur dreißig Minuten. Als das alte Herrenhaus meiner Schule vor uns auftauchte, kamen all die Erinnerungen zurück.
Für mich ging es in der Highschool nie um Cliquen. Was mir an Freunden fehlte, fand ich bei den Lehrern. Sie bemerkten mich, auf eine Weise, wie es meine Mitschüler nie taten. Sie ermutigten mich, wenn ich mich meldete. Lachten über meine Texte. Drängten mich zur Teilnahme an Wettbewerben, vor denen ich mich zu sehr ängstigte.
Diese Momente waren alles. Sie ließen mich spüren, dass ich wertvoll war. Dass jemand mich sah.
Irgendwann zwischen Schulaufsätzen und Romanen begann ich zu träumen – nicht davon, beliebt zu sein, sondern davon, eines Tages meine eigenen Geschichten zu erzählen.
Das Gebäude sah fast unverändert aus: die steinerne Veranda, die Backsteinfassade, die dunklen Holzbalken.
Doch die Schule war gewachsen. Wo früher ein staubiges Feld war, glänzte nun ein Schwimmbad. Neue Wohnheime, moderne Sportplätze.
Ich stieg aus – und die Luft raubte mir den Atem. Für einen Augenblick war ich wieder siebzehn, hatte die Arme voller Bücher und träumte von einem Leben jenseits dieser Mauern.
Sandra gesellte sich mit unseren Taschen zu mir, doch bevor ich etwas sagen konnte, durchdrang eine vertraute Stimme den Hof.
„Die wunderbare, talentierte Sarah Levick!“
Ich drehte mich um – und mein Herz setzte einen Schlag aus.
Direktor Chad Stanfort stand vor mir. Sein einst braunes Haar war jetzt komplett grau, aber sein warmes Lächeln und die strahlend blauen Augen waren genau wie in meiner Erinnerung.
„Direktor Stanfort!“ Ich ließ mich von ihm umarmen, roch den vertrauten Duft nach Pfeifentabak und Minze – ein Geruch, der mich sofort in die Zeit zurückversetzte, als ich die späten Nachmittage in seinem Büro verbrachte, wo wir über Gedichtwettbewerbe und Aufsatzpreise sprachen.
„Ich bin so stolz auf dich, Sarah“, sagte er mit dieser tiefen, väterlichen Stimme. „Ich wusste immer, dass du mit deinem klugen Kopf Großes erreichen würdest.“
Ich lächelte und spürte, wie ich errötete – was selten vorkam. „Danke. Es ist … seltsam, wieder hier zu sein.“
„Und wer ist diese bezaubernde junge Dame?“ Sein Blick wanderte zu Sandra.
„Meine Agentin – Sandra.“
Sie lächelte, wurde aber knallrot, als er ihre Hand nahm und galant küsste. „Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen.“
Sandra stieß einen leisen, verlegenen Seufzer aus. Ich hob eine Augenbraue – das würde ich ihr später unter die Nase reiben.
Drinnen weckten die vertrauten Gänge eine Erinnerung in mir: Gelächter, das in meinen Ohren nachhallte, jugendliche Ängste, die unter meiner Haut krabbelten.
Manchmal dachte ich an das Mädchen, das ich einmal war – das den Kopf senkte und in Büchern lebte statt in der Realität. Wenn sie mich jetzt sähe, wie ich als Buchautorin durch diese Gänge ging … sie würde es nicht glauben.
Ich war nicht so weit gekommen. Es hatte Mut gebraucht – und jemanden, der zur richtigen Zeit an mich glaubte. Jemand, der mir Hoffnung gab, als ich sie am meisten brauchte. Das hatte mich weitergebracht, als ich je zu träumen gewagt hätte.
Und dann stach eine Erinnerung besonders hervor – ein Gesicht. Klar. Unvergesslich. Eines, das ich jahrelang verdrängt hatte.
Ich blieb stehen.
„Sarah?“ Sandra berührte mit ihrer Hand meinen Arm.
Doch ich konnte nicht antworten.
Denn tief in mir wusste ich es.
Ich würde ihn wiedersehen.
„Kommt, ich zeige euch alles, bevor die Feier beginnt. Wir haben noch Zeit“, sagte der Direktor und führte uns in sein Büro.
Er trug unsere Taschen und zeigte dabei stolz die Neuerungen. Dieser Ort war sein Zuhause, sein Refugium. Seit dem Tod seiner Frau – der anderen Schulleiterin – vor drei Jahren war er allein.
Ich kannte diese Einsamkeit nur zu gut. Meine Mutter starb bei meiner Geburt und mein Vater an einem Herzinfarkt, als ich kaum erwachsen war. Sandra war die einzige Familie, die mir blieb.
Wir ließen die Taschen zurück und gingen zur Aula. Sie war schon immer schön gewesen, doch nach dem Umbau wirkte sie fast märchenhaft – hohe Decken, Glaswände und natürliches Licht, das den Raum flutete.
An einem Ende thronte eine Bühne und im Rest des Raumes verteilten sich runde Tische mit Häppchen und Getränken. Kellner machten letzte Handgriffe, während das Personal hin und her eilte.
Ich nahm mir ein Kanapée, wobei ich meine Finger unbewusst zum Saum meines Kleides gleiten ließ – als wäre ich immer noch das unbeholfene Mädchen in zu weiten Pullovern und dicken Brillengläsern.
„Wie fühlt es sich an, in deine ‚glorreichen' Schuljahre zurückzukehren?“, stichelte Sandra.
„Glorreich? Wohl kaum.“ Ich lachte bitter. „Ich war der Inbegriff des Außenseiters.“
Sie musterte mich ungläubig. „Du bist jetzt eine erfolgreiche Autorin. Wie kam es, dass das niemanden beeindruckte?“
„Meine Lehrer mochten mich. Die Schüler? Die haben mich nicht mal bemerkt.“ Ich zuckte mit den Schultern und biss in das Häppchen. „Und das“ – ich deutete auf meinen Körper – „gab es vor zehn Jahren noch nicht.“
Sandra brach in schallendes Gelächter aus. Ich wackelte übertrieben mit den Hüften, was sie noch mehr zum Kichern brachte.
Doch das Lachen erstarb, als er den Raum betrat.
Er bewegte sich mit dieser stillen, natürlichen Autorität vorwärts und zog Blicke auf sich, ohne es zu wollen. Mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren, während eine Welle aus Aufregung und Angst mich durchflutete und meine Knie weich werden ließ.
William Stanfort.
Die Jahre hatten ihn nur noch attraktiver gemacht. Diese breite Gestalt, die muskulösen Schultern, die weichen braunen Locken – all das hatte sich in meine Erinnerung eingebrannt. Seine schmalen, grünen Augen waren noch immer durchdringend, sein markantes Kinn verlieh ihm eine ruhige Stärke.
Und dieses Lächeln … ließ mich schwach werden. Es war immer noch das perfekteste, das ich je gesehen hatte.
Alle Gefühle, die ich begraben hatte, brachen wie ein Tsunami über mich herein. Meine Hände zitterten um das Kanapée.
„Warte … Ist er das?“, flüsterte Sandra.
„Nein. Wer?“, log ich – jedoch schlecht.
„Oh mein Gott, Sarah. Das ist er, oder? Er sieht genau so aus, wie du ihn beschrieben hast. Deine Leserinnen würden ihn verschlingen.“
„Sandra, hör auf“, zischte ich, panisch. „Verdirb das nicht …”
Doch dann traf sein Blick meinen.
Die Welt um uns herum verschwand.
Ein Lächeln stahl sich unwillkürlich auf meine Lippen. Sein Lächeln blieb – warm wie das Sonnenlicht, das durch dunkle Wolken bricht.
Und dann …
… begann er auf mich zuzugehen.
Jeder seiner Schritte fühlte sich an wie ein Hammerschlag gegen meine Brust. Der Boden unter mir schwankte, als würde ich gleich stürzen.
Ich versuchte, mich zusammenzureißen, doch mein Herz raste, als würde es gleich zerbersten.
„Sarah“, sagte er.
Seine Stimme war tiefer, rauer, als ich sie in Erinnerung hatte. Mein Name klang wie eine Berührung – als hätte er schon immer ihm gehört, nicht mir.
Und mit einem Mal waren all die Gefühle wieder da. Die, die ich nie hätte zulassen dürfen. Die, von denen ich dachte, ich hätte sie für immer zwischen den Seiten meiner Bücher vergraben.











































