
Die erste halbe Stunde, nachdem sie gegangen ist, bin ich aufgekratzt und möchte am liebsten meine Faust in die Wand schlagen.
Ich habe sie verletzt. Es stand ihr regelrecht ins Gesicht geschrieben. Ich habe verdammt nochmal versucht das Richtige zu tun, aber sie hat es nicht so gesehen.
Und sie zu verletzen ist irgendwie das Allerletzte. Inakzeptabel. Die wahre Frage aber ist – warum war sie so verletzt? Weil ich ihr Geld geben wollte? Habe ich ihr das Gefühl gegeben, dass sie eine Hure ist? Ich habe versucht, ihr mehr als deutlich zu machen, dass es nicht dafür war, weil sie mich in ihr Höschen gelassen hat. Oder war es etwas anderes? Zurückweisung?
Scheiße, das hat sie nicht verdient.
Und dann überkommt mich der Drang, es wiedergutzumachen, und zwar sehr viel stärker als mein Wunsch, das Richtige für sie zu tun. Oder aber ich bin einfach nur ein gieriger Bastard, der vorgibt, sich nicht nur um sich selbst zu scheren.
Ich kann mich einfach nicht von Sondra Simonson fernhalten.
Ich nehme mein Telefon und rufe die Security. „Ich brauche den Aufenthaltsort einer Angestellten.“ Die Namensschilder unserer Angestellten sind allesamt mit Sendern versehen und die Daten, wo genau im Casino sie sich aufhalten, sind leicht abrufbar. Außerdem werden sie gespeichert, damit wir wissen, wer wo war, sollte sich ein Vorfall ereignen.
„Sicher, Mister Tacone, wen suchen Sie?“
„Ihr Name ist Sondra Simonson. Sie arbeitet als Zimmermädchen.“
Eine Pause. „Bedaure, Mister Tacone, sieht aus, als ob sie sich nicht mehr im Gebäude aufhält.“
Scheiße. Sie hat gekündigt.
Genau das hatte ich ihr gesagt. Also sollte ich auch keine Lust verspüren, den Schreibtisch umzukippen oder meine gläserne Balkontür mit dem Stuhl zu zertrümmern.
Sie ist clever. Sie hat sich meine Warnung zu Herzen genommen.
Nur um sicherzugehen, rufe ich direkt beim Chef der Reinigungsabteilung an. „Ich suche eine unserer Angestellten – Sondra Simonson. Arbeitet sie heute?“
„Tut mir leid, Mister Tacone, aber sie sagte, dass sie sich unwohl fühlt. Ich habe sie früher nach Hause gehen lassen. Ich habe Jenny hochgeschickt, damit sie die Penthouse-Suiten sauber macht. Sondra meinte, mit Ihrer wäre sie fertig – stimmt das etwa nicht? Brauchen Sie sonst noch irgendetwas?“
Sie hat nicht gekündigt. Sie hat sich krankgemeldet.
„Nein, alles bestens.“ Ich beende das Gespräch und starre auf mein Telefon. Der Gedanke, dass Sondra so aufgebracht war und deswegen gegangen ist, bewirkt in mir, dass ich am liebsten aus der Tür stürmen und ihr hinterherjagen möchte. Aber ich bin auch erleichtert, dass sie nicht gekündigt hat.
Was soll das bedeuten?
Denkt sie darüber nach, hierher zurückzukehren? Nachdem ich ihr mehr als deutlich gemacht habe, was dann geschehen würde? Scheiße.
Ich möchte wirklich nicht ihren Glanz trüben. Allerdings sollte ich jegliche verletzte Gefühle lindern.
Ich rufe den Casino-Floristen an. „Ich brauche drei Dutzend Rosen sofort außer Haus geliefert.“
„Gerne, Mister Tacone. Wohin sollen sie gehen?“
Ich schnappe mir Sondras Akte und lese ihre Adresse ab.
„Farbe?“
„Bitte wählen Sie die schönste aus.“
„Mit einer Nachricht?“
Ich zögere. Was zum Teufel soll ich ihr sagen? Ich atme einmal aus. „Wie wäre es mit … Kann ich dich heute Abend zum Essen einladen? Und unterschreiben Sie mit Nico.“
„Perfekt, Mister Tacone, die Sträuße gehen sofort raus.“
„Danke.“
Ich lege auf.
Was mache ich da? Jetzt will ich sie zum Essen einladen? Nachdem ich eben noch versucht habe, sie zu loszulassen? Scheiße. Was diese Frau angeht, bin ich sowas von gestört, es ist einfach nur peinlich.
Ich bin wie besessen von einer Frau, die ich höchstwahrscheinlich vernichten werde.
Ich sitze im Bus nach Hause. Corey habe ich gar nicht erst Bescheid gesagt, weil ich erstmal den Kopf freibekommen muss. Ich wollte meine Entscheidung nicht überstürzen.
Ich sollte kündigen.
Er hat es mehr als deutlich gemacht, dass ich kündigen soll.
Außerdem hat er deutlich gemacht, wie sehr er mich will. Und nicht nur als Quickie zwischendurch
Er will mich behalten.
Zumindest habe ich seine Drohung so verstanden.
Und verflucht sollte ich sein, wenn mich das auf gewisser Ebene nicht ansprechen sollte. Ich hatte noch nie einen Mann, der mich so sehr wollte. Ich war immer das Mädchen, das man mühelos sitzenlassen konnte. Das man einfach betrügen konnte.
Und ein Teil von mir ist der Meinung, dass ich ihn herausfordern und morgen einfach wiederauftauchen sollte. Ihn auffordern, seine Drohungen wahr werden zu lassen.
Aber der Rest von mir kann noch so eine emotionale Achterbahnfahrt einfach nicht durchstehen. Die Vereinnahmung und die anschließende Zurückweisung.
Ich steige an meiner Haltestelle aus und laufe die sechs Blocks bis zu Coreys Stadthäuschen.
Und … Mist. Deans Auto ist da. Ich hatte echt gehofft, das Haus für mich zu haben. Seit ich nach Vegas gezogen bin, war ich buchstäblich nicht mehr allein. Es sein denn, man würde Zimmer putzen dazuzählen.
Und wenn ich je etwas Abgeschiedenheit gebrauchen könnte, dann jetzt.
Fast laufe ich einfach weiter. Aber es ist heiß draußen. Und ich brauche eine Dusche. Ich muss Tacone loswerden. Diesen Tag von mir runterwaschen.
Ich gehe rein. Dean sitzt auf dem Sofa und sieht fern. Sein Gesicht erhellt sich mit einem trägen Grinsen. „Hi Sondra.“
Alles klar. Er klingt ein bisschen zu erfreut, mich zu sehen.
„Hi“, murmele ich und schnappe mir ein paar Wechselsachen aus meinem Koffer neben dem Sofa. Ich gehe schnurstracks an ihm vorbei ins Badezimmer.
Er steht auf und folgt mir. „Ich wusste gar nicht, dass du heute zu Hause bist.“
Ich ignoriere ihn und schließe die Badezimmertür. Penner. Ich stelle die Dusche an und lasse das Wasser laufen. Vielleicht bin ich ja zickig, aber es fällt mir immer schwerer, mit Dean einfach auch nur höflich zu bleiben. Ich kann ihn nicht ausstehen und er ist unheimlich.
Ich ziehe mich aus und gehe unter die Dusche, aber jegliche Freude, die ich mir von der Wassertherapie erhofft hatte, wird durch die Gewissheit verdorben, dass Dean direkt vor der Tür lauert.
Wenn es ein Guckloch gäbe, dann würde er wohl jetzt hindurchspähen.
Abartig.
Letztendlich verkürze ich die Dusche und ziehe mich hastig wieder an. Ich könnte ein bisschen spazieren gehen. Es ist, als ob ich die allgegenwärtige Dean-Energie durch die Tür hindurch spüren kann. Ich brauche dringend meinen eigenen Raum.
Als ich rausgehe, werde ich von nicht einem, sondern gleich drei Rosensträußen gegrüßt.
Und einem ziemlich mies gelaunten Dean.
„Sind die von deinem Boss?“, will er wissen. Der Penner hat echt die Karte aufgemacht. Er wirft sie mir hin. Sie flattert vor meinen Füßen auf den Boden.
Ich bücke mich, um sie aufzuheben und sie mir durchzulesen.
Nico Tacone will mich zum Essen einladen? Nachdem er mich eben aus seiner Suite geworfen hat?
Dieser Tag hätte schräger nicht sein können.
„Was hast du gemacht, damit er dir Rosen schickt?“, will Dean wissen. Er kommt einen Schritt näher und auf einmal fühlt es sich bedrohlich an.
Seine Andeutung gefällt mir nicht. „Nichts.“
Dean wird höhnisch. „Ja, schon klar. Bist du mit ihm ins Bett gegangen?“ Er packt mich am Arm. „Du solltest vorsichtig sein. Wusstest du nicht, dass er bei der Mafia ist?“
Ich will mich aus seinem Griff befreien, aber seine Finger packen noch fester zu. „Aua“, protestiere ich. „Lass mich los!“
Er kommt mir noch näher und beugt sich runter, sodass wir Nase an Nase sind. „Ich finde dich echt heiß, Sondra“, hisst er. Sein Atem riecht nach Käsechips. „Tacone bestimmt auch.“
Ich versuche erneut mich loszureißen, aber Dean lässt nicht locker.
„Lass mich los“, fauche ich.
„Ich stehe drauf, dass du Coreys Cousine bist“, spricht er und drückt mich gegen die Wand. „Fast so gut, wie es mit Zwillingen zu treiben.“
„Nicht mit mir, das kannst du vergessen.“ Meine Empörung wandelt sich in Panik. Mir war klar, dass Dean schmierig ist, aber ich hatte nicht erwartet, dass er die Sorte von Kerl ist, der ein Mädchen vergewaltigen würde. Ich habe mich geirrt. Denn jeder normale Mann würde mich loslassen, wenn ich ihn dazu auffordere.
Seine Finger drücken jetzt so fest meinen Arm, dass ich wohl blaue Flecken davontragen werde.
„Lass mich. Verdammt nochmal. Los.“ Ich fange ernsthaft an mich zu wehren; ich drehe mich, um seinem Griff zu entkommen, und versuche ihm in die Eier zu treten, aber ohne Erfolg. Er rammt mich gegen die Wand.
Ein lautes Klopfen ertönt an der Tür und verschafft gerade genug Ablenkung, um mich zu ducken und meinen Arm zu befreien. Ich renne zur Tür, als ob auf der anderen Seite die sichere Rettung wartet.
„Sondra.“
Ich ignoriere Deans Knurren und reiße die Tür auf. Ich will nur noch raus, um bei wem auch immer da draußen Schutz zu suchen.
Ich ahnte ja nicht, dass es sich dabei um Nico Tacone handeln würde.
In meiner Eile renne ich glatt in ihn hinein; er fängt mich auf und macht ein verwundertes Gesicht.
„Was ist los? Bist du wütend?“ Er tritt einen Schritt zurück, um mich zu betrachten, und bemerkt die zornigen roten Flecken auf meinen Armen.
Mehr braucht es nicht. Ich habe kein Wort gesagt, aber er marschiert schnurstracks ins Haus und schlägt Dean mitten in die Fresse.
Knochen knirschen, als Deans Nasenbein bricht, und er fliegt zurück, stolpert gegen die Couch und rutscht zu Boden. Tacone folgt ihm und liest ihn an seinem T-Shirt auf, um ihm noch eine zu verpassen.
„Okay!“, brülle ich. „Stopp.“ Ich greife nach Tacones Arm.
Er hält inne und schaut mich an. Er trägt seinen edlen Designeranzug, aber er ist nicht mal ins Schwitzen gekommen. „Sondra, geh und warte im Auto.“ Seine Stimme klingt völlig gleichmäßig, als ob gewaltsame Vergeltung bei ihm auf der Tagesordnung steht. Was wohl auch der Fall ist.
Gütiger Gott. Er wird Dean umbringen.
Ich bin zwar verdammt sauer auf Dean, aber meiner Meinung nach sind wir jetzt quitt. Ich meine, dem Typen läuft das Blut aus der Nase und er ist so gut wie erledigt.
„Nein.“ Ich versuche Tacone Richtung Tür zu bewegen. „Lass uns Abendessen gehen. Das hörte sich gut an.“
Er lässt Dean zu Boden fallen, dann richtet er sich auf und blickt mich an. „Wer ist dieser Typ? Hat er dir wehgetan?“
Ich zucke zusammen, denn mir ist klar, dass die Antwort noch mehr Gewalt nach sich ziehen wird. „Das ist der Freund von meiner Cousine. Bitte, können wir gehen?“
Tacone greift in sein Sakko. Ich weiß, was er gleich hervorholen wird, denn er hatte mir dasselbe Ding an den Kopf gehalten. Er beugt sich vor und drückt den Lauf der Pistole an Deans Schläfe. „Mach, dass du hier rauskommst.“
Dean scheint zwar zu Tode erschreckt zu sein, dennoch stammelt er. „Das ist mein Haus.“
Tacone brät ihm mit der Pistole eins über. „Ich habe gesagt raus hier. Hol deine Sachen. Zieh aus. Solltest du Sondra oder ihrer Cousine noch einmal zu nahekommen, bringe ich dich um. Hast du verstanden?“
Dean antwortet nicht schnell genug und Tacone hebt die Pistole, um noch einmal auszuholen. „Okay! Ich gehe!“ Mit erhobenen Händen rappelt er sich langsam auf.
Tacone lässt Dean nicht aus den Augen, während er mir zuflüstert. „Sind das deine Sachen, Baby?“
Erst verstehe ich nicht, dann leuchtet mir ein, dass er den offenen Koffer neben der Couch meint.
„Ja. Das sind sie.“
Tacone steckt die Waffe in den Holster unter seinem Arm zurück, geht zum Koffer rüber und macht entschlossen den Reißverschluss zu.
Ich zittere wie Espenlaub und stehe möglicherweise genauso stark unter Schock wie beim ersten Mal, als ich Tacones Waffe gesehen hatte.
„Geh ins Auto, Baby.“ Er umfasst den Koffergriff und hebt das Kinn Richtung Tür.
Meine Knie sind weich wie Butter, aber irgendwie schaffe ich es noch, meine Handtasche aufzulesen und zur Tür zu wackeln. Tacone folgt direkt hinter mir und trägt meinen Koffer. Keiner von uns dreht sich nochmal um.
Eigentlich wollte ich Sondra wie eine Dame behandeln und sie zu einem romantischen Abendessen einladen. Diese Idee aber hatte sich erledigt, als ich die wilde Angst in ihren Augen und die Rötungen an ihren Armen erblickt hatte.
Verfluchter Mistkerl. Ich will den Wichser am liebsten umbringen, weil er mein Mädchen angefasst hat.
Ja, ich wollte mir zwar vormachen, dass ich Sondra Simonson noch nicht für mich beansprucht habe, aber das habe ich.
Zu spät für sie.
Der Teufel nimmt, was der Teufel will. Und ich will sie.
Finstere Wut strömt durch meine Adern, wodurch ich mich unbesiegbar fühle, aber ich versuche sie in Schach zu halten.
Sondra ist vollkommen verängstigt. Genauso ängstlich wie an dem Tag, an dem ich sie getroffen habe. Scheiße. Etwa meinetwegen? Wegen dessen, was ich gerade gemacht habe? Ich darf nicht vergessen, dass sie es nicht gewohnt ist mitanzusehen, wie Typen die Nase gebrochen bekommen.
Ich werfe den Koffer in den Kofferraum meines Lamborghinis und halte ihr die Beifahrertür auf. Nachdem ich auf dem Fahrersitz Platz genommen und den Wagen gestartet habe, muss ich allerdings nachfragen. „Sondra, er hat doch nicht–“
„Nein.“ Sie schüttelt vehement den Kopf. Und dann, wie zu meiner totalen Vernichtung, bricht sie in Tränen aus.
„Baby.“ Meine Hände zerquetschen fast das Lenkrad. „Scheiße.“
„Es geht schon wieder.“ Sie schnieft. „Es war einfach nur ein langer Tag.“
„Tut mir leid. Zum Teil bin ich daran schuld. Oder ist es alles meine Schuld?“ Aus dem Augenwinkel blicke ich zu ihr rüber.
Sie schüttelt den Kopf.
Dem Himmel sei Dank.
„D-du wirst ihm nichts … anderes antun, oder?“
Ob ich den Typen ausschalten will? Und wie. Wenn sie mir sagen würde, dass er sie vergewaltigt hat, dann würde ich das auf jeden Fall. Aber nein. Der einzige Grund, warum ich Chicago verlassen und in Vegas ein Casino eröffnet habe, war ja, dass ich aus der Unterwelt rauswollte. Ich führe ein sauberes Unternehmen. Ich halte mir so gut wie möglich das Blut von den Händen.
„Soll ich noch irgendetwas anderes tun?“ Ich möchte nur sichergehen.
Sie schüttelt rasant den Kopf. Kaum überraschend.
„Dann nein. Ich werde ihn nicht anrühren. Solange er seinen Arsch hier raus bewegt.“
Sie verdreht ihre Finger im Schoß. „Was, wenn er nicht auszieht?“
Ich knirsche mit den Zähnen. „Dann werde ich dafür sorgen.“
„Aber nicht, indem du ihn tötest.“
Ich schaue rüber. Sondra Simonson hat ein Machtwort gesprochen. Ich mag diese Unnachgiebigkeit in ihrer Stimme, und zwar fast genauso sehr, wie ich es liebe, wenn sie mir nachgibt. „Okay. Ich werde ihn nur woanders hinschicken.“
Sie wischt sich über die halbtrockenen Tränen im Gesicht. „Wohin bringst du mich?“
„Ins Bellissimo. Ich werde dir dort eine Suite besorgen – kostenlos und ohne Verbindlichkeiten. Du brauchst ein ordentliches Bett.“ Mein Tonfall ist endgültig und sie gibt keine Widerworte. Ich kann es einfach nicht ertragen, dass sie in diesem Stadthaus geschlafen hat, und zwar mit diesem Arschloch in der Nähe.
„Danke“, sagt sie nach einer langen Pause.
Der plötzliche Druck in meinem Herzen überrascht mich. „Wofür?“
Sie liest einen Faden an ihrer Jeansshort auf. „Ich bin echt froh, dass du aufgetaucht bist.“
Jetzt will ich umdrehen und den Typen kaltmachen. Die Finger von ihr zu lassen ist definitiv keine Option mehr. Ich fasse ihr an den Nacken und streiche mit dem Daumen über ihre Wirbelsäule. „Du sagst mir Bescheid, falls du ihn wiedersiehst.“
Ich habe genau das Falsche gesagt. Sondra wird wieder ganz bleich und ich spüre, wie sie von einem kleinen Schauer durchzuckt wird.
Verdammt. Sie fürchtet sich vor mir. Aber vielleicht ist das ja gut so. Sie soll sich vor mir fürchten. Sie soll ihre Tür verriegeln und sich verdammt noch mal von mir fernhalten.
Ich bin verunsichert und unter Schock. Vielleicht ist das der Grund, warum ich diesmal vor Nico Tacone keine Angst habe. Tatsächlich fühle ich mich eigenartig getröstet und umsorgt, was bekloppt ist, denn dieser Mann ist wahnsinnig gefährlich. Zum Teufel, eben habe ich mitangesehen, wie er eine Knarre auf jemanden gerichtet hat. Schon wieder.
Dennoch, er hat mich beschützt, seine Gefährlichkeit hat plötzlich etwas Heldenhaftes bekommen. Corey würde sagen, dass ich wieder auf die Stimme des Teufels höre.
Gütiger Gott! Was wird Corey nur wegen Dean sagen?
Wird sie mir die Schuld geben? Wird sie Nico verantwortlich machen, wenn Dean auszieht? Wird Dean überhaupt ausziehen? Das hoffe ich doch, und zwar um seinetwillen. Eigentlich hoffe ich es um unser aller willen.
Tacone fährt am Haupteingang vom Bellissimo vor und steigt aus dem Wagen. Der Hotelpage eilt herbei, um meine Tür zu öffnen. Tacone wirft ihm die Schlüssel zu. „Hinten ist noch ein Koffer.“
„Gewiss, Mister Tacone.“
Er eskortiert mich hinein, umgeht die Schlange vor der Rezeption und geht direkt zu einem freien Schalter. Der Page folgt mit meinem Koffer. Eine Angestellte eilt herbei.
„Ich brauche eine freie Suite für Miss Simonson.“
Tacones Mitarbeiter sind gut geschult, denn die Rezeptionistin lässt sich nichts anmerken und versprüht eine effiziente, zuvorkommende Haltung, als ihre Finger über die Tastatur huschen. Sie blickt zu mir auf und lächelt. „Miss Simonson, wie lange werden Sie bleiben?“
„Ähm … ein oder zwei–“
„Unbegrenzt“, fällt Tacone dazwischen. „Buchen Sie die Suite mindestens für die nächsten Monate.“
Monate? Ich wollte Nächte sagen. Eine Suite im Bellissimo kostet in der Hochsaison 450 Dollar pro Nacht.
„Okay, ich benötige nur einen Lichtbildausweis und eine Kreditkarte für die Service-Kosten“, spricht die Rezeptionistin und blickt dabei zu Tacone.
Ich greife nach meiner Handtasche, er aber schüttelt nur ungeduldig den Kopf. „Keine Service-Kosten.“
Die Unruhe in meiner Brust wird lauter. Ich kann monatelang hierbleiben? Nico Tacone wird eines seiner Zimmermädchen in einer Luxussuite wohnen und nach Lust und Laune den Zimmerservice rufen lassen? Umsonst? Ich weiß, dass er mich mag, aber das lässt meine Alarmglocken schrillen.
Tacone scheint es zu bemerken, denn er wirft mir einen eindringlichen Blick zu. Es ist zum einen Teil Warnung, zum anderen Teil Zusicherung. Nimm sie einfach, scheint er zu sagen.
„Okay, Sie haben Zimmer 853, das ist im Nordturm. Nehmen Sie den Aufzug zu Ihrer Linken.“ Die Rezeptionistin schiebt mir die Karte zu und Tacone schnappt sie sich, reicht sie dem Pagen und schickt ihn mit einem Kopfnicken los.
Der Page rollt lautlos mit meinem Koffer davon. Tacone legt eine Hand auf meinen unteren Rücken und führt mich zu den Aufzügen. Die Leute werfen uns im Vorbeigehen neugierige Blicke zu. Er ist in seinen edlen Anzug gekleidet und ich trage abgeschnittene Jeans-Shorts und ein schulterfreies Oberteil. Mist, sehe ich etwa wie seine Hure aus?
Meine Schritte werden unsicher.
Tacone bleibt stehen und dreht mich um, sodass ich ihm gegenüberstehe. Ein Muskel in seinem Kiefer verkrampft sich. „Nimm das verfluchte Zimmer“, brummt er, als ob er bereits weiß, dass ich kurz davor bin, es mir anders zu überlegen. Er lässt mich los und hält seine Hände hoch, die Finger kapitulierend von sich gespreizt. „Ich werde nicht mit dir nach oben gehen. Du musst mich nicht wiedersehen. Du arbeitest nicht mehr für mich. Im Gegenteil, du bist gefeuert. Und jetzt hast du eine Bleibe, während du dein Leben wieder auf die Reihe kriegst.“ Mit dem Kinn deutet er Richtung Fahrstuhl, wo der Page mir bereits die Tür aufhält. „Geh.“
Er dreht ab und verschwindet, ohne meine Entscheidung abzuwarten. Ich zögere. Der Hotelpage hat meinen Koffer, also muss ich so oder so zum Fahrstuhl gehen.
Ich könnte also genauso gut sehen, wie es ist, in einer Bellissimo-Suite zu schlafen.
Nur für eine Nacht.
Mit dem Rest kann ich mich auch noch morgen befassen.