
Ich stand stoisch am Rande des Trainingsgeländes und beobachtete die Mitglieder meines Rudels beim Training.
Nach meinem Gespräch mit Kyle brauchte ich Zeit, um die Dinge zu verarbeiten, also ließ er mich allein und ging mit den anderen zum Training.
Etwas Kleines umarmte plötzlich um mein Bein. Mein erster Instinkt war, das Ding von mir wegzutreten, aber dann sah ich nach unten. Es war Zoe.
Zoe war erst fünf Jahre alt und eine der ungestümen Jungwölfe meines Rudels.
Ich war nicht überrascht, als ich sah, dass sie es irgendwie geschafft hatte, sich aus dem Rudelhaus zu schleichen, wo alle jüngeren Welpen sich hätten aufhalten sollen. Zoe fand immer einen Weg, um in Schwierigkeiten zu geraten.
Sie sagte nichts, sondern klammerte sich nur an mein Bein wie ein kleines Äffchen. Dabei beobachtete sie die Werwölfe vor uns mit großen, interessierten Augen.
Ich hatte Zoe immer gemocht und sie schien auch mich zu mögen. Sie war einer der Gründe, warum ich Kinder haben wollte.
Wir hatten eine Verbindung miteinander aufgebaut, sobald sie hatte sprechen können, und hatten viel Zeit miteinander verbracht.
Sie schlich sich oft in mein Büro und fragte mich, was ich gerade tat, da sie sich ständig für die Angelegenheiten des Rudels interessierte.
Ich hatte den leisen Verdacht, dass sie eines Tages ein ranghöheres Mitglied eines Rudels werden würde, vielleicht sogar eine Alpha.
Sie zeigte alle Anzeichen einer großen Führungspersönlichkeit – bis auf ihren Ungehorsam und ihre Unfähigkeit, Befehle zu befolgen.
Ich seufzte. „Zoe, was machst du hier? Du solltest doch im Rudelhaus sein“, schimpfte ich und bückte mich, um sie hochzuheben.
Zoe riss ihren Blick von den Kriegern los. Ihre braunen Augen weiteten sich, als sie mich anblickte. „Deine Augen sind rot“, berichtete sie mir sachlich. Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern. „Du siehst aus wie ein Dämon.“
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass mein Vampir an der Oberfläche meines Bewusstseins war und meine Augen rot färbte. Das lag wahrscheinlich an der ganzen Wut, die ich empfand.
Ich war überrascht, dass Zoe sich davon nicht erschrecken ließ, sondern sich für meine roten Augen zu interessieren schien. „Das liegt daran, dass ich jetzt einen Vampir in mir trage, genau wie du einen Wolf hast. Ich habe beide Arten.“
Zoe nickte. „Ja, ich weiß“, meinte sie und zuckte lässig mit den Schultern, als wäre es die normalste Sache der Welt. „Meine Mutter hat es mir erklärt.
Sie sagt, dass du wirklich stark bist, weil du jetzt auch einen Vampir hast, und dass es gut ist, dich als Alpha zu haben. Das ist auch der Grund, warum du dich in einen Riesen verwandelt hast!“ Sie breitete ihre Arme aus und versuchte damit auszudrücken, wie groß ich geworden war.
Ich gluckste. „Ja, ich bin ganz schön groß geworden, was?“
Zoe fasste mir an die Schultern und musterte sie. „ Du bist der größte Mensch, den ich kenne.“
Ich lachte, aber bevor ich auf ihre Aussage reagieren konnte, legte Zoe ihre Handflächen auf beide Seiten meines Gesichts. „Dein Bart ist kratzig“, bemerkte sie. „Wie der von meinem Vater.“
Ich nickte, amüsiert darüber, wie schnell ihre Gedanken umhersprangen. „Nun-“
„Hey, deine Gefährtin ist hübsch. Ich habe sie gesehen“, unterbrach sie mich.
Bei der Erwähnung von Belle wurde ich sofort nervös. Zoe musste sie irgendwann gesehen haben, bevor Belle gegangen war. Mein Wolf wimmerte in meiner Brust. „Danke“, antwortete ich. „Das denke ich auch.“
Zoe runzelte die Stirn und strich sich die unordentlichen braunen Haare aus den Augen. „Sie war traurig. Deshalb ist auch dein Wolf traurig und du siehst so wütend aus.“
Es war kaum zu glauben, aber diese Fünfjährige redete mir gerade genau aus der Seele. „Ich schätze, du hast recht.“
„Ich weiß. Aber das wird schon, denn wir müssen nicht mehr gemein zu ihr sein!“, meinte sie aufgeregt und lächelte mich breit an. „Also kannst du jetzt glücklich sein, oder?“
Ich nickte. „Gut.“ Sobald ich Belle wieder im Arm und ihr alles erklärt hatte, würde ich wieder sehr, sehr glücklich sein.
Zufrieden mit meiner Antwort, schaute Zoe wieder zu den Leuten, die trainierten. „Was machen die da?“
Ich folgte ihrem Blick und beobachtete die verschiedenen Gruppen von Wölfen, die gegeneinander kämpften. „Sie trainieren. Es wird Krieg geben.“
„Ja, meine Mutter hat es mir erzählen. Aber du wirst ihnen sagen, dass sie verschwinden sollen, oder? Das kannst du doch machen, oder? Weil deine Augen ja rot werden und so?“
Ich hielt inne und dachte darüber nach. Hatte sie recht? Konnte ich meine neuen Kräfte nutzen, um den Krieg zu beenden und Azazel zu besiegen?
„Wenn es nur so einfach wäre“, meinte eine Stimme hinter uns. Ich drehte mich um und sah Zagan an.
„Es gibt eine besondere Art von Stein, den man sich ins Ohr stecken kann und der jede Art von Befehl blockiert, der von einem Mortar kommt. Er funktioniert wie ein Ohrstöpsel.
Ich habe keinen Zweifel, dass Azazel dafür gesorgt hat, dass alle seine Krieger sie benutzen. “
Zoe keuchte. Sie schloss ihre Hände um ihren Mund und legte sie dann an mein Ohr. „Wusstest du, dass das ein echter Vampir ist, Alpha Grayson? Das kann man an seinen Zähnen erkennen.“
„Ich denke, es ist an der Zeit, dass du zum Rudelhaus zurückkehrst, Zoe. Dorthin, wo du hingehörst“, bemerkte ich. Obwohl ich wusste, dass Zagan sie nicht verletzen würde, wollte ich sie trotzdem nicht in seiner Nähe haben.
Ich setzte sie auf dem Boden ab. „Brent!“, rief ich einem der Rudelmitglieder in der Nähe zu. Im Nu stand er vor mir.
„Bringst du Zoe zurück ins Rudelhaus? Und sag dem Verantwortlichen, er solle besser aufpassen, damit sie sich nicht wieder davonschleicht.“
Zoe beschwerte sich und kämpfte eine Weile mit mir, aber schließlich gab sie auf und ging mit Brent.
Zagan schaute amüsiert, als ich mich wieder zu ihm umdrehte. „Ich hätte nie erwartet, dass der große Alpha Grayson eine Schwäche für Kinder hat.“
„Gibt es einen Grund, warum du hier bist, König Zagan?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln. „Gibt es etwas, das du mir sagen wolltest?“
„Ja, tatsächlich. Ich dachte, es wäre vielleicht eine gute Idee, dich zu warnen, bevor ich eine Armee von Vampiren in dein Gebiet hole.“
Mein Wolf und mein Vampir kamen zugleich an die Oberfläche. „Was?“, schnauzte ich.
Zagan zeigte mit dem Kinn Richtung Horizont. „Sieh selbst.“
Ich starrte in die Richtung und holte scharf Luft, als ich Hunderte von Vampiren in Kampfanzügen auf uns zukommen sah.
Dann spürte ich einen Windstoß neben mir. Kyle.
„Äh … Sag mal, Alpha, siehst du die unheimliche Gruppe Vampire, die sich uns nähert? Oder habe ich schon Wahnvorstellungen? “, fragte er. „Sie sind definitiv nicht die Armee von Neugeborenen, auf die wir uns vorbereiten.“
Das musste die königliche Armee sein. „Kannst du das erklären?“, fragte ich Zagan.
Zagan lächelte. „Du hast doch nicht geglaubt, dass ich dich und dein Rudel alleine lasse, oder? Es ist mein Bruder, gegen den wir kämpfen werden. Deshalb ist es genauso mein Kampf wie deiner.
Und ich habe eine gute Armee, die nur darauf wartet, eingesetzt zu werden.“ Im Nu schoss Zagan auf die andere Seite des Feldes und sprach mit dem Anführer der Armee, von dem ich nur annehmen konnte, dass es sein erstgeborener Sohn war.
Kyle lachte. „Tja, scheiße. Das wird interessant werden.“
Eine weitere Stunde des Trainings verging wie im Flug.
Casimir führte meine Rudelmitglieder weiter durch verschiedene Übungen und Szenarien, um sicherzustellen, dass sie auf jeden Trick vorbereitet waren, den ein neugeborener Vampir einsetzen könnte.
Nur hatten wir jetzt zusätzlich echte Vampire, die mit uns kämpfen würden. Zagans Armee war gut trainiert und tödlich.
Nach dem anfänglichen Schock, dass Tausende von Vampiren einfach so in mein Gebiet einmarschierten, wurde mir klar, wie nützlich diese Vampire während des Kampfes sein würden. Ich war dankbar, sie hier zu haben.
Ich beobachtete den größten Teil des Trainings aus der Ferne und bewertete die verschiedenen Fähigkeiten meiner Krieger.
Unter normalen Umständen bestand meine Rudelarmee aus den größten und stärksten Rudelmitgliedern, sowohl männlichen als auch weiblichen.
Aufgrund der Schwere des bevorstehenden Krieges hatte sich jedoch fast jeder kräftige Wolf über achtzehn Jahren freiwillig gemeldet und riss sich jetzt für das Rudel den Arsch auf.
Die Leute kamen und gingen, um Pausen zu machen oder Essen zu holen, aber den größten Teil des Tages hatten wir mit dem Training verbracht. Ich war noch nie so stolz auf mein Rudel gewesen.
Schließlich schloss ich mich ihnen beim Training an, weil ich meine eigenen Kampffähigkeiten testen wollte, vor allem jetzt, wo ich den Vampir in mir hatte. Ich war überrascht, wie leicht mir die Bewegungen wieder einfielen.
In den letzten Monaten hatte ich nicht gerade viel Zeit zum Trainieren gehabt. Obwohl ich schon vorher ein hervorragender Kämpfer gewesen war, bewegte ich mich jetzt schneller als je zuvor.
Es fühlte sich an, als würde ich mich in Zeitlupe bewegen, obwohl ich wusste, dass ich mich in Wirklichkeit so schnell bewegte, dass ich im Grunde nur ein Windhauch war. Jede meiner Handlungen war anmutig und gut durchdacht.
Ich hatte schon immer gerne trainiert und meine Fähigkeiten getestet. Auch jetzt steckte ich all meine Wut und Aggression, die ich in den letzten Monaten empfunden hatte, in die Trainingsübungen.
Belle half mir dabei: Obwohl ich versuchte, es zu verhindern, war sie ständig in meinen Gedanken. Ich hatte erwartet, dass die ständigen Bilder von ihr, die mir durch den Kopf gingen, mich ablenken würden, aber sie bewirkten das Gegenteil.
Ihr schönes Gesicht in meinem Kopf zu sehen, schürte meine Wut auf Azazel und ließ mich noch härter kämpfen.
Keines der Mitglieder meines Rudels hatte eine Chance gegen mich, selbst wenn ich gegen mehr als zehn von ihnen gleichzeitig kämpfte. Mit den Vampiren war es genauso.
Die neue Stärke, die ich dank des Vampirs in mir hatte, war unglaublich. Ich war praktisch unbesiegbar.
„Also gut, Alpha“, meinte Kyle zu mir, nachdem ich gleichzeitig drei der besten Krieger unserer Armee ausgeschalten hatte. Er kam mit einem entschlossenen Blick auf mich zu. „Ich bin dran. “
Ich hob eine Augenbraue und spürte, wie sich ein amüsiertes Lächeln auf mein Gesicht legte. „Du willst mit mir kämpfen?“
Kyle zuckte mit den Schultern und drehte dann seinen Kopf, um seinen Nacken knacken zu lassen und eine gute Kampfhaltung einzunehmen. „Ja, ich sehe schon, wie groß dein Ego wird. Ich glaube, wir müssen dich ein bisschen herunterholen.“
Ich lachte. „Und du glaubst, du bist die richtige Person dafür? “
„Ich bin der einzige andere Hybrid hier, oder?“, antwortete Kyle.
Ich nickte. „In Ordnung.“ Ich nahm meine Kampfstellung ein. „Sag mir Bescheid, wenn du aufgeben willst, Beta.“
Kyle lachte und rollte die Schultern zurück. „Keine Chance.“
„Alpha!“, rief jemand hinter uns und unterbrach den Kampf zwischen Kyle und mir, kurz bevor wir überhaupt loslegen konnten. Eines meiner Rudelmitglieder rannte mit großen, panischen Augen auf uns zu.
In der nächsten Sekunde schoss ich los und traf ihn auf halbem Weg über das Feld.
„Der Clan von Azazel“, keuchte er. „Ich habe sie gesehen. Gleich hinter dem Horizont. Sie werden bald hier sein.“
Die Gruppe um uns herum verstummte und alle sahen mich an, um zu sehen, was sie als Nächstes tun sollten.
Ich nickte einmal. „Dann wird es Zeit. Ihr wisst alle, was zu tun ist.“
Alle um uns herum liefen nervös auf ihre Posten und bereiteten sich auf den Kampf vor.
„Bist du bereit?“, wandte ich mich an Kyle.
Er sah mich nicht an. Sein Blick war auf etwas in der Ferne gerichtet, seine Augen verengten sich verwirrt. „Elijah?“, fragte er.
Ich folgte seinem Blick. Tatsächlich, Elijah kam auf uns zu. Mein Herz setzte sofort aus. Nein, nein, nein, nein. Er sollte doch bei Belle sein! Was zum Teufel machte er hier?
Sowohl Kyle als auch ich rannten los. Kyle erreichte Elijah als Erster, drückte ihn an sich und untersuchte ihn, um zu sehen, ob er verletzt war.
„Was zum Teufel machst du hier?“, schrie Kyle seinen Gefährten an. „Die Schlacht fängt gleich an!“ Er schaute über seine Schulter und sah, wie sich unsere Rudelmitglieder und Zagans Armee in einer Reihe aufstellten.
Noch konnten wir den Clan von Azazel nicht sehen, aber ich hatte keinen Zweifel, dass sich das sehr bald ändern würde.
Elijah schaute mich nervös an. „Ähm ...“, begann er.
„Wo ist Belle?“, wollte ich wissen. „Warum zum Teufel bist du nicht bei ihr?“
Kyle knurrte und zerrte Elijah näher zu sich heran.
„Ich habe überall nach ihr gesucht, Alpha. Ich schwöre es“, versuchte Elijah zu erklären. „Ich konnte sie nicht finden.“
Ich trat drohend vor und war kurz davor, jeden in Sichtweite zu ermorden. „Was meinst du?“, knurrte ich.
„Sie ist nicht in Minneapolis“, fuhr Elijah fort. „Ihrem Geruch nach zu urteilen, ist sie schon vor Stunden abgereist.“
In der Ferne hörte ich stampfende Schritte und wusste, dass es der Clan von Azazel war, der sich uns näherte. „Wo zum Teufel ist meine Gefährtin?“