Mikayla S
Soren
Wir waren einen Monat auf Hochzeitsreise. Einunddreißig Tage. Es kam uns vor wie eine Woche.
Die Zeit verging wie im Flug, jeder Augenblick war erfüllt von unserer Liebe. Wir verbrachten viele Stunden eng umschlungen.
Ich weiß nicht, wie Zayla sich fühlt, wieder in Purgatory zu sein. Wir haben nicht wirklich darüber gesprochen.
„Soren! Pass auf!“
Wir sind seit einer Woche zurück, und es fühlt sich an wie eine Ewigkeit.
Ich schaue über den Tisch zu Devlin, der vor den Fenstern steht. Draußen sehe ich das Weiß von Purgatory, das alles verschwommen erscheinen lässt.
„Ich weiß, du versuchst aufzuholen, aber Zayla –“ Devlin verstummt, als er meinen zornigen Blick bemerkt.
„Was ist mit Zayla?“
Devlin kann manchmal recht taktlos sein. An guten Tagen ist er nervig. An schlechten ...
Ich beuge mich vor und schlage wütend auf den Tisch.
„Sie gibt ihr Bestes, verdammt nochmal! Lass sie in Ruhe!“
„Ihr Bestes reicht nicht“, sagt Craven. Er und Zennen tauschen vielsagende Blicke aus.
„Hör zu, Soren“, fängt mein dritter Bruder an. „Wir wissen alle, dass sie aus einer anderen Welt kommt. Aber sie hat sich entschieden, hierher zu kommen und diesen Job zu machen, damit ihr zusammen sein könnt.“
Devlin setzt sich an die Tischspitze. „Sie hat sich für dieses Leben entschieden und hat eine Aufgabe zu erfüllen. Und wenn sie nicht bald damit anfängt –„
Meine Brüder haben Recht.
Zayla macht Schwierigkeiten.
Ich hoffe, es liegt nur an ihrer Schwangerschaft, dass sie bei ihrer Arbeit unsicher ist. Denn wenn es so weitergeht und sie nicht tun kann, was getan werden muss ...
Nun, unsere Zukunft als Paar sieht nicht rosig aus.
„Schau“, sagt Zennen, „wir geben ihr noch ein paar Tage. Wir werden weiterhin unsere Arbeit ruhen lassen, damit Zayla sich eingewöhnen kann.“
„Ja“, fügt Craven hinzu. „Aber sie muss anfangen, ihren Job zu machen. So kann es nicht weitergehen.“
„Was wirst du tun, wenn sie ihr ‚Problem' nicht in den Griff bekommt, wenn sie sich nicht dazu durchringen kann –„
Devlin unterbricht. „Dann musst du Schluss machen. Ihr könnt nicht zusammenbleiben. Selbst mit dem Baby nicht.“
Ich schaffe es, ruhig zu bleiben, bis meine Brüder den Raum verlassen, aber dann packt mich die Wut.
Ich greife meinen Stuhl und zerschmettere ihn gegen Devlins, dann gegen Cravens und Zennens. Ich kippe den Tisch um und werfe ihn gegen die Fenster, die zersplittern.
Nachdem ich das Mobiliar zerstört und durch die Fenster geworfen habe, fühle ich mich etwas besser.
Aber es wäre viel einfacher – und sauberer – gewesen, wenn Devlin mich einfach Gracie sehen lassen würde.
Meine Nichte kann mich beruhigen, wenn ich wütend bin. Ihre Berührung lässt all meinen Zorn verfliegen.
Aber sie ist nicht hier.
Devlin hat sie und Ana für ein paar Tage an den Strand geschickt. Er wusste, dass ich Gracies Hilfe wollen würde.
Er hat Angst, ich könnte seiner kleinen Tochter etwas antun, obwohl ich sie genauso liebe wie ...
Wie ich mein eigenes ungeborenes Kind liebe.
Es ist schwer zu verstehen, wie Devlin so beschützend gegenüber seiner Tochter sein kann, wenn er zu allen anderen so ein Kotzbrocken ist.
Ich schätze, es liegt an dem, was er ist. Devlin ist einer der vier apokalyptischen Reiter der Hölle, wie wir alle.
Devlin ist der Reiter des Krieges.
Craven ist der Reiter der Hungersnot.
Zennen ist der Reiter der Seuchen.
Und ich bin der Tod, der die Seelen der Übernatürlichen nimmt.
Wir sollen zusammenarbeiten, um das Gleichgewicht zwischen Leben und Tod zu wahren. Aber meine Brüder haben aufgehört zu arbeiten, damit sich die Seelen auf der Liste der Schicksalsgöttinnen nicht zu sehr anstauen, während wir weg waren.
Und jetzt, da Zayla neu in ihrem Job ist, arbeiten sie immer noch nicht.
Kein Krieg, damit sterbende Soldaten meine Frau nicht überfordern.
Keine Krankheiten, damit sich Seuchen nicht zu sehr ausbreiten, bis Zayla bereit ist.
Kein Hunger ... vor allem kein Hunger.
Hunger ist für die Kinder am schlimmsten.
Und Zayla ...
Ehrlich gesagt hat Zayla sich geweigert, Kinderseelen zu nehmen.
Es ist schwer, die Seele eines Kindes zu nehmen. Aber es muss getan werden, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Zayla hat ein weiches Herz, und jetzt, wo sie schwanger ist, ist es noch schwieriger.
Ich weiß, es wird nicht lange dauern, bis mein Vater herausfindet, was sie tut.
Oder eben nicht tut.
Und dann wird es mit Sicherheit dicke Luft geben.
Ich muss herausfinden, wie ich Zayla verdammt nochmal da durchhelfen kann. Wie sie über ihre Gefühle hinwegkommen kann.
Andernfalls werden die Zahlen der verletzten, kranken und hungrigen Kinder, die in den Himmel müssen, zu hoch, wenn meine Brüder wieder anfangen zu arbeiten – was sie bald tun werden.
Zayla muss diesen Teil ihrer Arbeit akzeptieren.
Aber wie zum Teufel soll sie das schaffen?