Colette bekam mehr als erwartet, als sie in den Wald ging, um für ihren Neffen ein Foto von einem Wolf zu machen. Sie wollte lediglich sagen können, dass sie sich ernsthaft bemüht hatte. Nie hätte sie gedacht, einen verletzten Mann in einer leeren Hütte mitten im Wald zu finden. Doch dann lernt sie diesen geheimnisvollen Mann kennen. Vielleicht hat sie ihren Wolf doch gefunden.
Altersfreigabe: 18+.
In den Wäldern hinter ihrem Haus kursierten Gerüchte über riesige Wölfe. Man erzählte sich, diese Wölfe seien so groß wie Pferde und blitzschnell. Oft hatte sie ihre gewaltigen Pfotenabdrücke gesehen, aber nie die Wölfe selbst zu Gesicht bekommen.
Die Wölfe waren schwer aufzuspüren, doch in der Nacht konnte man ihr Heulen hören. Jäger versuchten vergeblich, sie zu fangen. Es schien, als wüssten die Wölfe genau, wie sie sich verstecken mussten.
Ihr Neffe kannte ihren Wohnort und bettelte sie an, ihm ein Foto von einem echten Wolf zu machen. Er war fasziniert von Wölfen und fest davon überzeugt, dass es sie gab. Sie versprach ihm, ihr Bestes zu geben, denn er war ihr Ein und Alles.
Ihre Schwester, die fünf weitere Kinder hatte, riet ihr: „Druck doch einfach ein Bild aus dem Internet aus.“ Aber das kam für sie nicht in Frage - ein Versprechen war schließlich ein Versprechen.
Ab und zu schnappte sie sich ihre Kamera und streifte durch den Wald. So versuchte sie, ihr Wort zu halten. Dabei hielt sie stets Ausschau nach Wölfen.
Sie sah die Enttäuschung in den Augen ihres Neffen, wenn sie ohne Erfolg zurückkehrte. Doch sobald sie ihm von ihrer letzten Suche erzählte, strahlte er über das ganze Gesicht.
Es war eine Weile her, seit sie zuletzt nach Wölfen gesucht hatte. Als ihr Neffe nachfragte und sie sich nicht erinnern konnte, wann sie das letzte Mal losgezogen war, hatte sie ein schlechtes Gewissen.
Also machte sie sich an diesem Freitagabend mit ihrer Kamera auf den Weg in den dichten Wald. Normalerweise lief sie eine halbe Stunde und kehrte dann um. So hatte sie es monatelang gehandhabt.
Doch diesmal hatte sie versäumt, wie üblich einen Blick auf den Wetterbericht zu werfen. Sie packte ihre Tasche und ging los. Nun befand sie sich mitten in einem Schneesturm.
Mit Schneefall hatte sie nicht gerechnet. Als sie aufbrach, war es zwar kalt gewesen, aber nach einer Viertelstunde merkte sie, wie sehr die Temperatur gesunken war.
Sie wollte ihr Versprechen an ihren Neffen unbedingt einhalten und beschloss, noch ein Stück weiterzugehen. Doch dann begann es heftig zu schneien, und sie verlor rasch die Orientierung.
Sie versuchte umzukehren, aber nach über einer Stunde wurde ihr klar, dass sie in die falsche Richtung gelaufen war. Langsam bekam sie es mit der Angst zu tun.
Sie überlegte, ob sie anhalten und abwarten sollte. Sie versuchte es mit ihrem Handy, aber es gab keinen Empfang. Sie hatte keine Ahnung, wie lange der Schneefall noch anhalten würde.
Als es dunkel wurde, begann sie an ihren Entscheidungen zu zweifeln. Ihre Schuhe waren durchnässt, und ihre Füße schmerzten vor Kälte. Ihre Beine waren steif vom Stapfen durch den Schnee. Sie wünschte, sie wäre zu Hause geblieben.
Nach stundenlangem Herumirren erblickte sie eine kleine Hütte. Sie sah aus wie eine Jagdhütte. Sie war kurz davor, im Schnee zusammenzubrechen, doch der Anblick der Hütte gab ihr neue Kraft.
Die Hütte wirkte alt und unheimlich, aber sie war zu erschöpft, um sich darum zu scheren. Als sie zur Vordertür kam, sah sie, dass sie einen Spalt offen stand.
Ein mulmiges Gefühl überkam sie. Sie zitterte, doch diesmal vor Furcht, nicht vor Kälte.
Sie blickte über ihre Schulter und sah den dichten Schneefall. Der Wind blies heftig, peitschte ihr ins Gesicht und drückte ihre Kapuze zurück.
Sie fasste den Entschluss hineinzugehen und schob die Tür langsam auf.
Drinnen war es stockfinster. Doch sie konnte eine Gestalt ausmachen, die mitten im Raum am Boden lag.
Wieder überkam sie Angst, aber sie trat ein und schloss die Tür, um die Kälte draußen zu halten. Die Tür fiel krachend ins Schloss, und sie stand im Dunkeln. Sie hörte nur noch den Wind draußen heulen.
Sie stellte ihren Rucksack ab und kramte nach ihrer Taschenlampe. Sie wühlte in ihrer vollgestopften Tasche, bis sie die große Lampe fand.
Nach mehrmaligem Klopfen ging sie an. Der Raum war groß und leer, bis auf die große Gestalt am Boden. Am anderen Ende befand sich etwas, das wie eine Küche aussah. Rechts führte eine Treppe nach oben.
„Hallo“, sagte sie leise zu der Person am Boden. „Geht es Ihnen gut?“, rief sie.
Als niemand antwortete, näherte sie sich vorsichtig.
Es war ein Mann. Ein nackter Mann. Er war groß und bewusstlos.
Sie versuchte, nicht auf seinen Körper zu starren, als sie sich neben ihn kniete. Seine Haut war gebräunt, was für die Gegend ungewöhnlich war, da die Sonne sich hier selten blicken ließ. Sein schwarzes Haar lag ausgebreitet auf dem Boden, und sie nahm den Geruch von Blut wahr.
Sie ließ ihren Blick über seinen Körper wandern und entdeckte die Quelle des Blutes. Tiefe Schnitte zogen sich über seine Brust und bluteten. Um ihn herum hatte sich eine Blutlache gebildet.
Sie erschrak. Ihre Augen weiteten sich beim Anblick. Dafür hatte sie ihren Rucksack gepackt, aber warum tat sie nichts? Sie stand wie angewurzelt da und beobachtete, wie seine Wunden bluteten und sich sein Brustkorb langsam hob und senkte, als wäre sie erstarrt.
Dann setzte sie sich in Bewegung. Sie stellte ihre Taschenlampe so auf, dass sie den ganzen Raum erleuchtete, und eilte zu ihrem Rucksack. Sie brachte ihn zum Mann zurück. Sie hatte keine richtige medizinische Ausbildung, nur ein paar Kurse in Wildnis-Überlebenstechniken, Wiederbelebung und Erster Hilfe.
Statt alles durchzuwühlen, kippte sie kurzerhand den gesamten Inhalt ihrer Tasche aus. Sie begann, ihre Sachen zu sortieren. Zuerst nahm sie ein sauberes Tuch und drückte es auf seine Wunden. Sie übte mehrere Minuten lang Druck aus, um die Blutung zu stoppen.
Als sie das Tuch nach dem Stillen der Blutung wegnahm, konnte sie das volle Ausmaß der Verletzungen erkennen. Die Schnitte waren tief, fast bis auf den Knochen, und sie konnte viel von seinem Muskelgewebe sehen.
Wieder überkam sie Angst.
Schnell trug sie ein Mittel gegen Infektionen auf und verband seine Wunden. Nachdem sie ihm geholfen hatte, musste sie sich um sich selbst kümmern. Sie fror erbärmlich, und ihre Kleidung war klatschnass.
Neben dem Kamin lag ein kleiner Holzstapel. Sie wusste ein wenig darüber, wie man ein Feuer macht. Nach ein paar Minuten hatte sie ein kleines Feuer entfacht.
Am liebsten hätte sie sich wie eine Katze vor dem Feuer zusammengerollt, doch dann fiel ihr der Mann auf dem Boden hinter ihr wieder ein. Er fühlte sich kalt an, als sie ihn berührte, wahrscheinlich wegen des hohen Blutverlusts.
Sie zog ihre nassen Kleider aus und breitete sie zum Trocknen aus. Nackt zog sie den Mann vor das Feuer, damit er sich aufwärmen konnte, und legte sich neben ihn. Sie waren zwei Fremde, ohne Kleidung, beieinander.