Die Millennium Wölfe - Buchumschlag

Die Millennium Wölfe

Sapir Englard

Das Zerwürfnis

SIENNA

Als ich abends aus dem Bad kam, war Aidens Gesichtsausdruck unbezahlbar, als er meinen Geruch bemerkte. Er rümpfte unzufrieden die Nase und knurrte „Fuck“, bevor er die Tür zu seinem Zimmer zuschlug.

Eigentlich war Blut aus offensichtlichen Gründen für Werwölfe kein Problem. Aber Periodenblut ließ die männlichen Exemplare mit dem Schwanz zwischen den Beinen das Weite suchen. Im Augenblick war ich dankbar dafür.

Immerhin entkam ich so den sexuellen Avancen für eine Weile, bis ich mir eine neue Strategie überlegen konnte. Außerdem erlaubte mir das, bis dahin ein bisschen mit Aidens Lust zu spielen.

Als ich mich gerade über meinen kleinen Sieg freute, klingelte mein Handy.

MichelleHey kleine, bist du morgen dabei?
SiennaBei was?
MichelleSienna …
MichelleIm Ernst?
SiennaTut mir leid, aber ich hab wirklich keine Ahnung.
MichelleWir gehen Mias Vermählungskleid shoppen.
MichelleDas steht seit Tagen.
SiennaO mein Gott, das hab ich völlig vergessen.
SiennaEs war so viel los.
SiennaSeit, du weißt schon …
MichelleHab ich gemerkt …
MichelleWir kriegen dich ja nie zu sehen.
SiennaIch weiß, ich weiß.
SiennaEs ist nur.
SiennaAiden
Siennaund die Hitze.
SiennaUnd dann auch noch das Zusammenziehen.
SiennaIch glaub, ich dreh durch.
MichelleOk.
MichelleBei dir ist viel los.
MichelleMir geht’s übrigens gut.
SiennaWas?
MichelleNichts.
MichelleAlso, kommst du mit oder nicht?
SiennaAlles klar, ich bin dabei.
MichelleBis dann.

Eine menschliche Bedienung reichte uns Champagner, während Mia verschiedene Kleider anprobierte. Erica und Michelle diskutierten die Schleppe und machten ihr Komplimente.

Ich saß in der Ecke und starrte in mein Glas, als ob ich darin die Antworten auf all meine Fragen finden würde.

„Hey, Erde an Sienna“, rief Erica von der anderen Seite des Raums. „Langweilen wir dich?“

„Entschuldigt, ich bin nur ein bisschen abgelenkt“, bat ich um Verzeihung.

Michelle schnalzte mit der Zunge und stürzte ihr Glas Champagner hinunter, als ob sie ihren Mund beschäftigen wollte, um nichts zu sagen, was sie später bereuen würde.

„Komm her und hilf mir aus diesem Kleid, bevor ich ihn Ohnmacht falle.“ Mia ächzte und wand sich. „Das Ding hier ist enger als ich vor meiner ersten Hitze.“

„Ja, du hast es weit gebracht, das ist klar.“ Michelle lachte. „Gibt es in dieser Stadt überhaupt einen Kerl, in den du deine Krallen nicht versenkt hast?“

„Hey, ich werde jetzt sesshaft, okay?“, antwortete Mia. „Immerhin kann ich mich noch an euren Abenteuern aufgeilen. Besonders deinen, Sienna. Du musst die wildesten Nächte mit diesem sexy Alpha haben. Ich bin ja so eifersüchtig, das kannst du dir nicht vorstellen.“

„Du vermählst dich mit deinem besten Freund“, sagte Erica vorwurfsvoll.

„Das kann ja sein, aber lass mich doch ein bisschen träumen, okay?“ Mia schüttete ihren Champagner über eines der Kleider.

Sie hatten keine Ahnung, wie unangenehm mir all dieses Gerede über Sex war. Aber ich hatte nicht vor, einer Gruppe beschwipster Wölfinnen im Sexrausch meine Jungfräulichkeit zu gestehen.

„Das musst du mir nicht erzählen“, versuchte ich sie zu überzeugen. „Es gibt kaum einen Moment, in dem Aiden nicht über mich herfällt.“

„O mein Gott, erzähl uns alles.“ Erica fiel beinahe um.

Scheiße, das hatte ich nicht gut genug durchdacht. Während Mia sich aus ihrem Kleid schälte, sah ich plötzlich ein Arschgeweih in Form eines Einhorns auf ihrem Hintern prangern. Ich dankte Gott für Mias Schnapsideen.

„Nein, Mia, du musst mir alles über dein Tattoo erzählen und zwar jetzt“, rief ich und versuchte, das Thema zu wechseln.

Mia zog lasziv eine Augenbraue hoch und sagte: „Hey, was auf dem Festival passiert, bleibt auf dem Festival. Vielleicht können Aiden und du euch nächstes Jahr ja passende stechen lassen.“

Lieber würde ich sterben.„Haha, Mia, du hast Ideen“, sagte ich mit einem gekünstelten Lachen.

„Weshalb sagst du uns nicht, warum du an unserem Abend den Club einfach mit Aiden verlassen hast, ohne Bescheid zu geben“, fragte Michelle und im ganzen Raum wurde es still. Alle sahen mich erwartungsvoll an, als ob es unvermeidlich zu dieser Unterhaltung hätte kommen müssen.

„Ich … ähm, ich war …“

Fuck, ich konnte ihnen nicht erzählen, dass ich beinahe vergewaltigt worden wäre. Ich zog die Stimmung schon genug runter. Und es würde nur neue Fragen aufwerfen, die ich im Moment nicht beantworten wollte. Daher dachte ich, meine einzige Option war –

„Aiden ist vielleicht mein Gefährte“, sprudelte es aus mir heraus.

Erica und Michelle kippten fast aus ihren Schuhen.

„Wie bitte?“, schrie Mia. „Im Ernst? O mein Gott, das erklärt alles! Warum du in letzter Zeit so abwesend und komisch warst. Das ist ja großartig.“

„Wow, ich hatte keine Ahnung. Das ist ein guter Grund, um uns sitzen zu lassen.“ Erica wurde rot, als Michelle sie böse ansah.

„Es passiert alles so schnell“, sagte ich und versuchte so gut wie möglich, Selene zu imitieren. „Ich dachte, ich sterbe, als er es mir gesagt hat. Wir versuchen noch, alles zu verstehen.“

„Dann stehst du vielleicht als Nächste vor dem Altar“, neckte mich Erica.

„Nein, das tut sicher Michelle“, sagte ich und lächelte sie an.

Aber Michelle lächelte nicht zurück. Sie stand plötzlich auf und nahm ihre Tasche.

„Du lebst doch gerade auch nur noch in deiner Fantasiewelt, oder Sienna?“ Michelle stürmte aus dem Laden und ließ mich völlig verwirrt sitzen.

„Warte, Michelle!“, rief ich ihr nach. „Hab ich was Falsches gesagt?“

Mia und Erica sahen sich vielsagend an.

„Michelle geht’s grad nicht so gut. Sie und Ross haben Schwierigkeiten“, erklärte Erica.

Scheiße, davon wusste ich nichts. „Das renkt sich doch aber wieder ein, oder?“

Mia zuckte mit der Achsel. „Kann sein, aber ist doch klar, warum sie sauer ist. Wenn du in den letzten Wochen ein bisschen mehr da gewesen wärst, wüsstest du halt, was sie durchmacht.“

Scheiße, stimmte das? War ich mit allem, was passiert war, so selbstbezogen gewesen, dass ich meine beste Freundin vernachlässigt hatte? Es tat mir unendlich weh, meinen Freundinnen nicht die Wahrheit sagen zu können.

Aber das hier musste ich alleine durchziehen. Hoffentlich würden sie es irgendwann verstehen. Nur jetzt war nicht der richtige Moment.

***

Als Aiden von der Arbeit nach Hause kam, kochte ich gerade Abendessen und dachte über Michelle nach. Er hatte noch immer denselben verärgerten Gesichtsausdruck wie heute Morgen.

„Ich dachte, du bist nicht das unterwürfige Weibchen, das nur für ihren Mann kocht“, kommentierte er genervt.

Ich warf ihm einen bösen Blick zu. „Kochen zu können hat nichts mit Unterwürfigkeit zu tun. Im Gegenteil, wenn man sich nicht sein eigenes Essen kochen kann, ist man von anderen abhängig.“

Er sah mich mit seinem Wolfsgrinsen an. „Bürste ich dir dein Fell gegen den Strich, Sienna?“, fragte er mich mit einem schelmischen Funkeln in den Augen.

Plötzlich stand er hinter mir, legte die Hände auf meine Hüften und presste sich an mich. Seine Lippen berührten mein Ohr, als er sagte: „Möchtest du den großen, bösen Alpha schlagen?“

Das wollte ich, aber fürs erste würde ich mich zusammenreißen. „Lass mich los“, knurrte ich ihn an. Aber er begann mich zu küssen. Diesmal war sein Kuss nicht so hastig wie zuvor.

Er hatte seine Hitze völlig unter Kontrolle und das brachte mich um den Verstand. Ich wollte, dass er mich noch fester hielt, dass er mich auf die Küchentheke warf und mich verschlang.

Seine Lippen forderten beißend und saugend meine heraus. Ich erzitterte und konnte meinen Mund nicht länger geschlossen halten.

Da glitt seine Zunge zwischen meine Lippen und neckte die meine. Ich war verrückt vor Verlangen. Doch plötzlich zog er sich mit einem spöttischen Grinsen im Gesicht zurück.

„Ich denke, das ist genug für heute“, sagte er und wiederholte die Worte, die ich nun schon so oft zu ihm gesagt hatte.

So ein Arschloch. So wollte er das also spielen? Alles klar, Bitch, los geht’s. Du bist nicht der einzige, der seine Hitze unter Kontrolle hat.

„Setz dich. Das Essen ist fertig“, sagte ich schnippisch.

„Schau dich an, was für eine süße Hausfrau du abgibst. Das steht dir g–“

Aiden heulte spitz auf, als ich ihm eine Portion heißer Spaghetti Bolognese in den Schoss kippte.

„Huch, das tut mir leid, Liebster. Lass mich das für dich sauber machen.“ Ich musste grinsen.

Ich nahm ein Küchentuch und ließ seinem Schritt beim Einsammeln des Essens ganz besondere Aufmerksamkeit zukommen. Ich spürte, wie er hart wurde und seine Hitze fast augenblicklich über ihn strömte.

Als ich ihn vorsichtig massierte, schloss er die Augen und ein Ausdruck totaler Lust breitete sich auf seinem Gesicht aus. Plötzlich hielt ich inne und warf ihm das Küchentuch mit den Essensresten über das Gesicht.

„Du hast da unten was“, sagte ich belustigt. „Darum solltest du dich kümmern. Schließlich will ich dir während deiner Periode nicht zu nahekommen.“

Aiden sprang grollend auf und stach mit der Gabel in den Tisch. Wir knurrten einander an, wägten unsere Dominanz gegeneinander ab, bis zum äußersten –

Umso sprachloser war ich, als Aiden plötzlich anfing, schallend zu lachen. Er lachte immer lauter, krümmte sich und hielt sich den Bauch. Sein Lachen war tief und grollend und so ansteckend, dass ich einfach mitlachen musste. Was zum Teufel veranstalteten wir hier eigentlich?

Als das Lachen abklang, lächelten wir einander an und sein Blick wurde wieder zärtlicher. Die Stille, die folgte, war die angenehmste, die ich je mit jemandem geteilt hatte. Und wie wir uns so ansahen und lächelten, fühlte es sich auf einmal richtig an.

Endlich ergab alles einen Sinn. Es war ein unwirklicher Moment, aber ich hinterfragte ihn nicht.

Wir aßen schweigend, keiner wollte diese Stille durchbrechen. Außerdem schien er mein Essen sehr zu genießen, denn er aß es komplett auf.

Zu sehen, mit was für einem Heißhunger, für einer Leidenschaft, Aiden mein Abendessen aß, war noch eine ganz andere Freude für mich.

Er schaute auf und sah mich an. Sein Blick bohrte sich in meine Augen und mein Herz machte einen Satz.

Er sah mir so tief in die Augen, als ob er versuchte, mich zu lesen, mich abzuschätzen. Daher tat ich dasselbe und versuchte, seinen undurchdringlichen Blick zu entschlüsseln.

Was dachte er? Was fühlte er? Vielleicht würden wir einander eines Tages tatsächlich verstehen.

Da grinste er mich wieder an und aß weiter.

„Guten Appetit“, flüsterte ich zärtlich.

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