Gideon (Deutsch) - Buchumschlag

Gideon (Deutsch)

Nicole Riddley

Donut-Sahnetorte

GIDEON ARCHER

„Gideon, wo bist du? Ich bin fast fertig. Ich brauche jetzt das Auto”, sagt Helen, sobald ich abhebe. Man kann die sanfte Musik im Hintergrund hören.

„Ich bin fast zu Hause. Ich schicke das Auto, sobald Bradshaw mich absetzt”, informiere ich sie.

„Nein, du weißt sie sehr ich es hasse, zu warten. Ich bin bei Jean-Georges. Komm mich jetzt holen!”, verlangt sie.

Helen war den ganzen Morgen einkaufen und jetzt trifft sie sich zu Mittag mit einer Freundin in Jean-Georges. Das Auto stand ihr zur Verfügung, stand nutzlos herum und wartete den ganzen Morgen auf sie. Es hat mich vor 35 Minuten abgeholt und zum Penthaus zurückgefahren.

Ich bin weniger als fünf Minuten von unserem Gebäude entfernt. Waldorf Astoria, wo sie zu Mittag isst, ist an einem guten Tag 40 Minuten entfernt. Wenn der Verkehr stark ist, ist es eine Stunde… und der Verkehr ist stark. Es ist Stoßzeit.

„Dann nimm ein Taxi oder ein Uber…”

„Taxi? Uber?”, spöttelt sie, „Meinst du es jetzt ernst? Nie im Leben…”

Mir ist gerade nicht danach, mich um einen von Helens Hysterieanfällen zu kümmern. Ich habe die letzten sieben Stunden in einem Meeting mit sieben eigenwilligen Alphas von Orange County herum verbracht. Morgen muss ich mich wieder mit ihnen treffen.

Meine Mitarbeiter und ich haben hart als Vermittler gearbeitet, damit sie ihre Differenzen so friedlich wie möglich schlichten.

Ihre Rudel mögen nicht sehr groß sein, aber man weiß von Alphas, dass sie stur, leicht reizbar, und sehr oft, nicht vernünftig sind.

Ich kneife mir an der Nasenwurzel und lege das Telefon mit dem Bildschirm nach unten auf mein Knie. Sie spricht noch immer auf der anderen Seite der Leitung. Ich drücke auf „Auflegen”.

„Bradshaw, bitte hol Ms. Aristophanes ab, nachdem du mich an der Ampel hier abgesetzt hast”, weise ich meinen Fahrer an.

Ich bin nur wenige Blocks von meinem Gebäude entfernt und kann zu Fuss gehen. Außerdem steht der Verkehr still, es ist schneller für mich, zu Fuss zu gehen.

Bradshaw lenkt den Wagen langsam in die rechte Spur und ich steige aus dem Auto, sobald er an der Ampel stehen bleibt.

Das Handy läutet in meiner Hand. Hellen ruft wieder an. Sie muss wirklich sauer sein, dass ich aufgelegt habe, als sie noch geredet hat. Ich drehe das Handy ab und spaziere unter Leuten auf dem Gehsteig.

Ich bin größer als die meisten und ziehe Aufmerksamkeit auf mich. Immer ziehe ich Aufmerksamkeit auf mich.

Ich bin mir der kokettierenden Lächeln und Blicke, die „Komm her!” schreien, und meistens von Frauen kommen, bewusst. Sie haben keine Ahnung, was sie sehen.

Mein kurzer Spaziergang hat meine Laune gleich verbessert. Es ist lange her. Ich will joggen gehen, aber nicht in diesem Betondschungel. Das Tier in mir sehnt sich nach Natur.

***

Der Lykaner in mir zeigt sich, sobald ich die Tür zum Penthouse aufmache.

Gnadenlos.

Unkontrolliert.

Unersättlich.

Gierig mache ich einen starken und tiefen Atemzug und ziehe den Duft in meine Nase und Lunge, wie ein Süchtiger Kokain snifft.

Einatmen.

Einatmen.

Dieser Geruch.

Mein Herzschlag verdoppelt sich. Eine Flamme läuft meinen Rücken hinauf. Meine Sicht verändert sich, da meine Augen schwarz werden. Meine Zähne und Eckzähne werden länger und schärfer.

Der ausgefallene und polierte goldene Türknauf verbiegt sich unter meinem Griff. Meine Augen überprüfen eifrig die Umgebung, obwohl ich weiß, dass niemand hier ist.

Ich kämpfe um die Kontrolle über meinen Lykaner und will, dass die tierische Seite in mir nachgibt, doch dann mache ich mich auf die Suche nach der Quelle des Geruchs.

Es führt mich zu meinem Schlafzimmer. Der Geruch ist in meinem Bett am stärksten, auf meinem Leintuch, auf dem Kissen.

Ich bringe das Kissen zu meiner Nase. Was auch immer es ist, der Geruch ist unglaublich. Es riecht nach nichts, was ich jemals zuvor gerochen hatte.

Es macht mich wahnsinnig.

Ich halte fester an meinem Kissen fest, während der Lykaner in mir wieder herauszukommen versucht. Es ist wie eine Reaktion auf einen Bauchtritt, man hat keine Kontrolle darüber.

Der Lykaner in mir hat noch nie so stark ohne Anreiz reagiert. Auch wenn er schwach ist, der Lykaner merkt es und reagiert sehr stark darauf.

Ich kriege nicht genug davon.

Ich vergrabe meine Nase wieder in dem Kissen.

Der Duft macht auf jeden Fall süchtig. Je mehr ich daran rieche, desto mehr sehne ich mich danach. Es macht das Verlangen nach der Quelle des Duftes noch größer. Ich muss herausfinden, was dieser Geruch ist. Es macht den Lykaner in mir verrückt.

Es macht mich verrückt.

Ich werde mich nicht beruhigen können, bis ich herausgefunden habe, was es ist.

Ich lege das Kissen auf das Bett zurück und kämpfe gegen das Verlangen an, mich darauf hinzulegen. Dann gehe ich hinunter, nehme meine Jacke ab, setze mich auf das Sofa und versuche, daraus schlau zu werden.

Wie kam der Geruch hierher?

Mir fällt die Reinigungskraft ein. Sie wird in der Früh hier gewesen sein. Der Briefumschlag mit dem Trinkgeld, den ich auf dem Tresen gelassen hatte, ist weg.

Ich bin nur etwas länger als eine Woche hier und ich kenne bereits ihre Routine. Ihre Arbeit ist passabel, aber ich hinterlasse trotzdem jedes Mal Trinkgeld.

Heute ist es anders. Aus irgendeinem Grund ist sie gründlicher. Der Boden glänzt mehr. Der Tresen und die Tische wurden ordentlich abgewischt.

Ich weiß, dass sie normalerweise den Tresen vernachlässigt, weil obwohl er Menschen wahrscheinlich als sauber erscheint, ich die dünne Schicht von Staub sehen kann, wenn sie nicht abgewischt wurde.

Der Zitrusgeruch des Reinigungsmittels vermischt sich mit dem Geruch, der den Lykaner in mir wahnsinnig macht und mir das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt.

Ich weiß nicht, was der Geruch ist, aber er ist auf jeden Fall weiblich.

Vielleicht ein neuer Duftspender. Vielleicht bin ich dagegen allergisch. Vielleicht sollte ich herausfinden, was es ist, damit ich eine ganze Ladung davon kaufen kann.

Ich schüttele geistig den Kopf.

Der Lykaner, der sich um die Wartung meiner Wohnung kümmert, hebt erst beim zweiten Anlauf ab. Ich bitte ihn, sich mit der Reinigungsfirma in Verbindung zu setzen, die er angestellt hat, um die Wohnung zu reinigen. Helen spaziert ein paar Stunden später hinein, während ich an meinem Getränk schlürfe. Ich versuche noch immer zu verstehen, warum der Geruch so eine Wirkung auf mich hat. Ich überlege mir, was ich als nächstes tun werde, um an die Quelle zu kommen.

Ich werde die Reinigungskraft ganz bestimmt gleich als erstes morgen Früh antreffen.

Ich hatte damit gerechnet, dass Helen sehr wütend sein wird, nachdem ich aufgelegt habe und mich geweigert habe, ihre Anrufe danach entgegenzunehmen, aber sie sieht fröhlich aus. Bradshaw spaziert hinterher hinein, ihre Einkäufe in den Händen.

„Stell die Taschen hier ab”, sagt sie Bradshaw unbekümmert, während sie sich neben mir hinsetzt.

„Danke, Bradshaw. Du wirst heute Abend nicht mehr gebraucht.”, informiere ich Bradshaw.

„Gute Nacht, Sir”, erwidert er, bevor er die Tür hinter sich schließt.

„Schatz”, schnurrt Helen, und lehnt sich gegen mich. „Soll ich dir eine Peepshow von meinen heutigen Einkäufen zeigen?”

Sie lässt eine glänzende Tasche mit Unterwäsche auf meinen Schoß fallen, bevor sie ihren manikürten Finger über meine Brust fährt.

„Mir ist gerade nicht danach, Helen”. Ich fange ihre Handgelenke ab und ziehe ihre Hände weg, während sie versucht, mein Hemd aufzuknöpfen.

Ihre Augen werden schmäler, ihre Lippen geschürzt. Sie räuspert sich und springt vom Sofa auf.

Sie reißt die Tasche von meinem Schoß und sagt „Ich werde in meinem Zimmer sein, für wenn du in Stimmung bist”.

Ich weiß, dass meine Zurückweisung sie wütend gemacht hat, und ich bin mir sicher, dass sie noch nicht vergessen hat, dass ich ihre Anrufe zuvor ignoriert hatte, aber aus irgendeinem Grund versucht Helen heute, nett zu sein.

„Irgendwas stimmt nicht mit dem Türknauf”, verkündet sie, während sie die Treppe hinaufsteigt und ihre Absätze an den Stufen klopfen.

LAYLA

Ich gähne, seitdem der Kurs begonnen hat.

Es ist wirklich eine Herausforderung, wach zu bleiben, während Mr. Duong über den Portfolioaufbau und die Planung unseres nächsten Projektes spricht.

Es ist nicht so dass mir langweilig ist oder dass mich das Thema nicht interessiert, aber ich kann es nicht lassen.

Mr. Duong ist einer meiner Lieblingsdozenten, aber heute hilft nicht einmal sein Sinn für Humor.

So oft nicke ich ein und falle mit meinem Gesicht auf den Laptop vor mir.

Schlussendlich lege ich meinen Arm auf den Tisch und lege meine Wange darauf. Nur für eine Minute.

Ich habe mit Sarah Büros bis um drei Uhr nachts geputzt. Erst um fünf Uhr nachts bin ich in mein Bett gekrochen.

Drei Stunden später musste ich aufstehen, um einen weiteren Job von Marnie zu erledigen.

Dann bin ich in diesen Kurs gekommen.

Nun, Schlaf wird überbewertet. Genauso wie Essen.

Ich hatte nicht mal Gelegenheit, in der Früh ein Donut oder einen Kaffee kaufen, also knurrt mein Magen. Gott sei Dank ist die Wohnung, die ich geputzt habe, nicht zu weit von dem Kampus entfernt.

Ja… Gott sei Dank… wenn ich nur meine Augenlider kurz ausruhen könnte… nur eine Minute… mmm…

Donut.

Sahnetorte.

Kokos-Sahnetorte… lecker… dieses Penthouse riecht lecker…

Besser als ein Dutzend Donuts…

Hey, ich wollte den Donut!

Sahnetorte… mmm… Donut

„Ms. Emanuel!”, eine undeutliche Stimme weit, weit weg.

Ja, Sahnetorte…

„Ms. Emanuel!”

Wow! Das war laut! Hat jemand ein Donut angeboten? Ich zeige mit meiner Hand auf.

„Ja, Donut-Sahnetorte!”, schreie ich laut, während ich aufspringe. Es gibt viele knallende Geräusche um mich herum, Stille, dann Lachen.

Viel Lachen.

Ich schaue um mich herum, und sehe wie meine Klassenkameraden vor Lachen aufheulen. Einige kippen vor Lachen um.

Meine Bücher, Notizblock und Stift liegen auf dem Boden verstreut. Gott sei Dank steht mein Laptop unversehrt auf dem Tisch.

Mr. Duong steht nur einen Meter von mir entfernt. Sein Mund ist geschlossen und sein Gesicht ist knallrot. Ich weiß nicht ob dieser Blick bedeutet, dass er mich umbringen will, oder ob er mich aus seinem Kurs schmeißen will.

Vielleicht überlegt er es sich.

Meine Antwort bekomme ich einige Sekunden darauf, wenn er in Gelächter ausbricht, sodass meine Klassenkameraden wieder anfangen, zu lachen.

Oh, toll! Einfach toll!

Meine Wange brennt vor Verlegenheit.

„Ms. Emanuel…”, schüttelt Mr. Duong den Kopf, „Wieso schlafen Sie in meinem Kurs? Finden Sie meinen Kurs so langweilig?”

„Nein, Sir”, antworte ich, „es ist, uhm… aufklärend. Sehr unterhaltsam.” Ich wische mir das Kinn ab, falls ich verzaubert bin. „Ihre Stimme wirkt sehr beruhigend”.

Am Ende der Stunde hatte ich einen neuen Spitznamen, nämlich „Donut-Sahnetorte”.

Ja, das klingt einfach falsch. So falsch.

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