
Der Chorgesang verstummt; das fast schmerzhafte und doch bezaubernde Licht erlischt und wird ersetzt durch Dunkelheit.
Ich blinzle und bin überrascht, als ich mich wieder im Wald auf dem Schurkenterritorium vorfinde, wo mein Alpha mich umgebracht hat.
Ich kämpfe mich auf die Beine, um meine Umgebung abzusuchen.
Die Nacht bricht herein, als die Dunkelheit mich mit einer sanften, kalten Brise umhüllt. Tiergeräusche hallen durch die flüsternden Bäume.
Das Rascheln der Blätter jagt mir einen Schauer über den Rücken und ich umklammere meine Arme, um mich vor dem Spuk dieses Geländes zu verbergen.
Genau wie jedes Mitglied eines jeden Rudels, habe ich all die Geschichten über Schurken gehört. Einzelgängerische Wölfe, die es ablehnen, beherrscht zu werden, sich zu beugen und einem Alpha Loyalität zu schwören.
Sie sind Wölfe ohne Disziplin, ohne Moralvorstellungen, ohne den Trieb nach Gemeinschaft.
Und ich stehe hier im Herzen ihres Territoriums, wiedererweckt von den Toten.
Dieser verrückten Tatsache werde ich mir wieder bewusst, als ich auf meine Füße starre.
Ich erstarre, als ich realisiere, dass die warme Flüssigkeit, die ich unter meinen Fußsohlen spüre, mein eigenes Blut ist, das aus meinem Hals geströmt ist und eine Lache gebildet hat.
Jetzt strömt es über meine Beine, färbt sie purpurrot, durchbrochen von Matsch und Dreck.
Vielleicht bin ich gar nicht am Leben. Vielleicht bin ich ein Geist. Oder vielleicht ist dies das Jenseits und die Tür, durch die ich geschoben wurde, war das Tor zu dem, was nach dem Tod kommt.
Ich berühre meinen Hals und stelle fest, dass er immer noch von Blut bedeckt ist, aber die Wunde ist verheilt, als wäre sie nie dagewesen. Ich kann mir das aber nicht nur eingebildet haben, das beweist das Blut an meinen Händen.
Ich habe keine anderen Wunden am Körper, von denen das Blut stammen könnte.
Ich wage es, einen Schritt zu machen, und rutsche natürlich aus.
Auf meinem eigenen Blut …
Und falle mit dem Gesicht voran direkt in die Blutlache …
Ich schließe den Mund und presse meine Lippen aufeinander, aber ich bin zu langsam, denn ich schmecke die salzige, knusprige Mischung aus Erde und Blut.
Ich drehe mich auf den Rücken und fühle mich all meiner Energie beraubt.
Scheiß auf den Plan, mir einen sichereren Platz zu suchen, um nicht von Schurken angegriffen zu werden. Falls dies das Jenseits ist, sind sie vielleicht gar nicht hinter mir her.
Und falls dies nicht das Jenseits ist, sterbe ich vielleicht und werde wieder zum Leben erweckt.
Alles, was ich weiß, ist, dass ich Antworten brauche.
Plötzlich erinnere ich mich an den Brief in meiner Tasche …
Ich greife in meine Jackentasche und bin erleichtert, als ich das Papier zwischen meinen Fingern spüre.
Das ist das Letzte, was ich je von Mama bekommen werde.
Es wird nie sicher für mich sein, dorthin zurückzukehren, und sie kann das Rudel nicht verlassen.
Wusste sie, dass sie mich umbringen würden?
Sie kann es nicht gewusst haben, sonst wäre sie mit mir gekommen. Sie hätte mich gerettet.
Sie wusste, dass ich nie das Gefühl hatte, zum Rudel zu gehören, und weil sie das wusste, dachte sie wahrscheinlich, dass ich ein menschliches Leben führen könnte, wenn ich das Rudel verlasse.
Ich öffne den blutverschmierten Umschlag in meiner Jackentasche und entfalte den Brief.
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Sie wusste es. Sie wusste, dass ich sterben und wieder zum Leben erwachen konnte.
Warum hat sie mir das nicht vorher gesagt? Warum gibt sie mir diese Information jetzt? Wusste sie, dass ich sterben und wiederbelebt werden würde, und hat es deshalb erklärt? Wusste sie, dass Alpha Nick mich umbringen würde?
Ich habe so viele Fragen, aber sie wird sie nie beantworten können, weil sie recht hat, ich kann nicht hierbleiben. Sie haben mich umgebracht. Sie haben mir die Kehle aufgeschlitzt.
Wenn ich irgendwie lebendig wieder im Rudel auftauchen würde, würden sie es vielleicht nochmal versuchen, und ich würde wieder zum Leben erwachen, und dann wüssten sie es.
Wie viele Leben habe ich?
Was, wenn dies mein letztes Leben ist? Ich hatte schon drei Leben mehr, als ich haben sollte.
Ich bin immerhin ein Mensch.
Ich mache mich auf den Weg, bereit dazu, von hier zu verschwinden. Ich muss die menschliche Zivilisation erreichen und aus dem Schurkenterritorium entkommen.
Trotz allem, was Mama gesagt hat, ist es hier draußen gefährlich.
Vielleicht haben Schurken damals einfach das kleine Baby nicht verletzt, das ich war, aber ich bin hier nicht sicher. Ich muss gehen.
Doch genau in diesem Moment höre ich hinter mir das Knirschen trockener Blätter, als ein niedriges, intensives Knurren meine Ohren erfüllt.
Mein Herz rast schneller als menschenmöglich, obwohl auch Wiederbelebung das Menschenmögliche überschreitet.
Meine Augen weiten sich und in dem schwachen Licht des Sonnenaufgangs sehe ich den Schatten eines Schurkenwolfes.
Er nähert sich mir und umkreist mich.
Ich beobachte ihn, halte die Luft an und warte auf den Moment, in dem er mich anspringt.
Was ich nicht erwarte, ist das Geräusch knackender Knochen. Die Verwandlung des Wolfs direkt vor mir lässt meinen Lippen einen kleinen Schrei entweichen.
Er blickt mir in die Augen, als er sich vollständig in seine menschliche, nackte Gestalt verwandelt und langsam auf mich zukommt.
Ich halte meine Augen auf die seinen gerichtet und wage nicht mal, den Blick auch nur ein Wenig zu senken, weil ich Angst vor dem habe, was ich sehen könnte.
„Kleine Mädchen wie du sollten nicht hier draußen sein”, knurrt er und ein bedrohliches Lächeln schleicht sich auf seine Lippen.