Die Ruhe im Sturm - Buchumschlag

Die Ruhe im Sturm

Rose Jessie James

Unerwidert

Lilac

Lilac und ihre Familie erreichten das Hauptquartier des Rates, eine riesige, mehrstöckige Festung, mit so vielen Ballsälen und Fluren, dass Lilac sicher war, sich zu verlaufen, wenn sie nicht in der Nähe blieb.

Die Versammlungshalle, in der die Lykanthropen-Versammlung stattfand, war der dekadenteste Raum in der gesamten Zitadelle.

Kristallkronleuchter hingen von der gewölbten Decke und prachtvolle Wandteppiche schmückten die Steinwände.

Im ganzen Saal waren mit Kerzen beleuchtete Tische aufgestellt, die mit poliertem Silber und Knochenporzellan gedeckt waren, das im Licht funkelte.

Lilac war noch nie in ihrem Leben an einem Ort wie diesem gewesen. Und die Leute schienen genauso überrascht zu sein, sie zu sehen, wie sie es war, hier zu sein.

Lilac lief ihren Eltern hinterher, als sie zu ihrem Tisch geführt wurden.

Sie konnte die Augen auf sich gerichtet spüren und das Gemurmel in der Luft hören.

Jeder wusste, dass Alpha Legion eine Tochter hatte, aber einen Blick auf sie in der Öffentlichkeit zu erhaschen, war in der Tat ein seltener Anblick.

"Es ist die Tochter von Alpha Legion..."

"Sie ist so..."

"Herrlich, ich weiß."

Lilac errötete bei den Komplimenten und neigte den Kopf, um die Röte zu verbergen, die ihren Hals hinauf in ihr Gesicht kroch.

Zum Glück sah ihre Mutter Mila so schön aus, dass auch sie die Aufmerksamkeit des Saals auf sich zog.

"Mila", rief jemand. Ein charmanter Mann mittleren Alters ging auf sie zu und grinste.

"Nach all diesen Jahren bist du immer noch mit dieser erbärmlichen Entschuldigung für einen Alpha zusammen?", sagte er und stieß Legion in die Rippen.

Die Männer waren offensichtlich alte Freunde, denn Legion erwiderte seine Schläge mit einem eigenen Schlag. "Vorsichtig, Alpha Mason. Wir wissen beide, wer der stärkere Alpha ist."

Mila trat vor und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange, den er erwiderte.

"Wirst du überhaupt älter, Mila?", stichelte Mason.

"Wie ein guter Wein, Mason." Mila zwinkerte. "Und vergiss es nicht. Ist deine strahlende Frau Nancy hier?"

"Aber natürlich. Achte auf den lautesten Klatsch und Tratsch. Dort wirst du sie finden."

Sie alle lachten. Alle außer Lilac, die sich extrem fehl am Platz fühlte. Ihre Finger bewegten sich zu ihrer Clutch, weil sie wusste, dass darin die Sicherheit eines Buches lag.

Mason schüttelte als nächstes Ales' Hand. "Die Zukunft des Rudels, hier und leibhaftig. Glückwunsch zum Erwachsenwerden."

"Vielen Dank, Alpha Mason", sagte Ales höflich.

Schließlich wandte sich Mason an Lilac.

"Und du musst die mysteriöse Lilac sein. Es ist mir ein Vergnügen, dich endlich kennenzulernen."

Lilac nickte als Antwort, nicht an diese übermäßig freundlichen Sitten gewöhnt.

Mason fuhr fort und hatte das Bedürfnis, die Stille zu füllen.

"Dein Vater hat mir so viel von dir erzählt. Du bist wirklich ein besonderes Geschenk der Göttin. Eine Überraschung, wie ich höre! Ich kann immer noch nicht glauben, dass dein Vater dich während der Schwangerschaft von Luna Mila nicht entdecken konnte."

Alpha Mason gluckste unbeschwert. Die Tatsache, dass dies öffentlich bekannt war, verursachte bei Lilac immer ein mulmiges Gefühl.

Aber was hatte sie erwartet, als Tochter von jemandem, der so wichtig ist wie ein Alpha?

"Habt ihr schon von der Ankündigung des Königs für den Rat gehört?", fragte Mason und schaltete auf Rudelpolitik um.

"Was ist damit?", antwortete Legion.

"Der König wird den Namen eines neuen Ratsmitglieds bekannt geben."

"Ja, das hatte ich schon gehört", brummte Legion. "Hast du eine Ahnung, wer das sein könnte?"

"Ich habe gehört, dass Eli Damon ein Anwärter sein könnte", antwortete Mason und grinste.

Die Lippen ihres Vaters wurden schmaler. "Ah ja, den lüsternen Hund meinst du."

Die Erwähnung von Elis Namen brachte Lilacs Gedanken zurück zu dem Gedicht. Die Chancen, ihm aus dem Weg zu gehen, waren so gut wie unmöglich.

"Ich habe auch gehört, dass Alpha Kyril heute Abend zu uns stoßen wird. Obwohl ich ihn noch nicht gesehen habe", kommentierte Mason, während er den Raum scannte.

Der Klang dieses Namens weckte Schmetterlinge in Lilacs Magen.

Aber warum?

"Kyril Vasilio? Den habe ich schon ewig nicht mehr gesehen", antwortete Legion.

"Das hat auch sonst niemand", sagte Mason. "Nach dem, was ich gehört habe, hat der König ihm eine Galgenfrist gewährt, damit er nach seiner Gefährtin suchen kann."

"Er hat sie immer noch nicht gefunden? Er muss doch schon mindestens dreißig sein."

"Zweiunddreißig", antwortete Mason. "Es ist siebzehn Jahre her seit seiner ersten Schicht. Persönlich bezweifle ich, dass sie existiert."

Legion seufzte. "Pech für einen Lykaner-Alpha. Ich könnte mir ein Leben ohne meine Mila nicht vorstellen."

"Ich auch nicht ohne meine Nancy", antwortete Mason. "Apropos, ich sollte zurück zu meinem Tisch gehen, bevor mein Gefährte sich fragt, wohin ich verschwunden bin."

Die Familie Achilles nahm ihre Plätze ein, und Lilac wandte sich sofort an ihren Bruder.

"Was ist los mit Alpha Kyril?"

Allein das Aussprechen seines Namens jagte ihr Schauer über den Rücken.

Ales warf Lilac einen Seitenblick zu, unsicher, warum sie fragte.

"Alpha Kyril verschwand vor etwas mehr als einem Jahr. Niemand ist sich sicher, warum. Einige Leute verbreiten Gerüchte, dass er... wild geworden ist."

Wild?!

Lilac hatte dieses Wort bisher nur beiläufig gehört. Jeder wusste, dass ein verwilderter Wolf gefährlicher war als jede andere Kreatur auf der Welt.

Wenn sie die Möglichkeit hätten, würden sie sogar ihre eigene Art ermorden.

Doch bevor Lilac weitere Fragen stellen konnte, trat eine Stille in den Saal ein. Alle drehten sich um und sahen, wie sich ein roter Teppich auf der prächtigen Treppe am Ende des Saals ausrollte.

Dann begann die Band zu spielen, als der König, die Königin und der Prinz herabstiegen, gefolgt von drei Ratsmitgliedern.

Sie sah zu, wie die königliche Familie die Bühne bestieg und König Agnus seinen Platz an der Festtafel einnahm.

"Guten Abend, meine Damen und Herren!", dröhnte er durch den Saal.

Alle Männer verbeugten sich vor dem König. Nicht jedoch die weiblichen Wölfe, die sich nur vor der Göttin Selene verneigten.

"Erhebt euch", befahl König Agnus. "Ich heiße euch alle zur jährlichen Versammlung der Lykanthropen willkommen. Bevor wir fortfahren, möchte ich euch alle beruhigen, indem ich den Namen des neuesten Ratsmitglieds bekannt gebe. Der Alpha, den wir gewählt haben, hat seinen Wert und seine Stärke immer wieder bewiesen. Bitte heißen Sie ihn im Rat willkommen... Alpha Legion Achilles!"

Jubel brach im ganzen Saal aus, als Lilacs Vater schockiert dastand. Die ganze Familie konnte es nicht fassen.

Lilac keuchte und schaute ihren Vater entgeistert und erstaunt an.

"Herzlichen Glückwunsch, Papa!"

"Danke, kleines Mädchen." Er lächelte. Alle versammelten sich um ihn, um ihm zu gratulieren. Und bald bewegten sich alle auf die Tanzfläche.

Lilac war so in den Moment vertieft, dass sie gar nicht merkte, dass sie mitmachte – bis sie spürte, wie eine Hand ihre ergriff.

"Darf ich um diesen Tanz bitten?"

Sie drehte sich um und sah Eli Damon – haselnussbraune Augen, ein markantes Kinn, volles braunes Haar und einen Körper, für den man sterben könnte.

Sie hatte vergessen, was für ein großartiger Mann er war.

Ein rosiger Schimmer breitete sich auf ihren Wangen aus, als der gutaussehende Alpha ihr in die Augen starrte.

"Ja, ein Tanz ist gut", antwortete Lilac und wandte ihren Blick ab.

Eli legte seine Hand auf Lilacs Taille und führte sie in die Mitte des Bodens.

Lilac hatte nie einen Grund gehabt, das Tanzen zu üben, aber Eli führte sie so souverän, dass sie nicht wissen musste, wie es ging.

Als die Musik langsamer wurde, lehnte er sich nahe heran.

"Du siehst wunderschön aus, Lilac."

"Danke", flüsterte sie. "Du siehst auch ... sehr schneidig aus."

Eine angenehme Stille legte sich zwischen sie, ihre Körper wiegten sich und ihre Augen verweilten.

"Hast du mein Gedicht bekommen?", fragte Eli.

"Das habe ich", antwortete sie verlegen. "Wie hast du ..."

"Ich sagte doch, dass ich unsere Herzen einander näher bringen würde."

Lilac wurde rot. "Alpha, ich-"

"Eli, bitte."

"Eli...was meinst du?"

"Lilac, ist das nicht offensichtlich?"

Lilacs Augen weiteten sich, und ihr Herz begann in ihrer Brust zu pochen.

Seine Augen leuchteten mit einer aufrichtigen Wärme, die nur eines bedeuten konnte. Er brauchte es nicht laut auszusprechen. Lilac verstand. Es beruhte einfach nicht auf Gegenseitigkeit.

Aber bevor sie ihn aufhalten konnte, sagte er es trotzdem.

"Ich liebe dich, Lilac."

Lilac trat von ihm weg und wusste nicht, was sie sagen sollte.

Sie fühlte sich verpflichtet, zu antworten. Aber es gab keine Möglichkeit, ihm die Enttäuschung zu ersparen.

Ihr Herz war einfach zu gut, um seines zu brechen.

Das war zu viel. Er war nicht ihr Gefährte. Sie wusste das tief in ihrem Herzen, und doch war da dieser perfekte Mann, der sich ihr anbot.

Panik begann sie zu übermannen.

"Ich ... entschuldige mich. Ich bin gleich wieder da", flüsterte sie.

Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und lief von der Tanzfläche weg. Sie konnte Elis traurigen Blick spüren, der sie gehen sah.

Sie konnte spüren, wie die Augen aller in der Halle sie beobachteten.

Sie konnte nicht atmen.

Sie musste nach draußen.

Sie brauchte Luft.

Sie stolperte aus der Tür, sprintete hinaus in die mondbeschienene Nacht und fand sich in der Mitte eines Heckenlabyrinths wieder. Sie lehnte sich gegen einen Laternenpfahl, um sich zu beruhigen. Sie wusste, dass sie heute Nacht nie hätte kommen sollen.

Sie hat ihre Regel für eine Nacht gebrochen und schau, was sie getan hat? Sie hat das Herz des süßesten Werwolfs gebrochen. Eines Alphas, noch dazu.

Aber sie hatte Eli Damon schon gesagt, dass sie keinen Partner wollte.

Es gab keinen Partner für sie.

Sie war sich dessen jetzt sicherer als je zuvor.

Das war der Moment, in dem sich ihre Sinne schärften und etwas tief in ihrem Inneren auslösten und alles um sie herum zu schwanken begann.

Sie konnte es jetzt riechen. Ein verführerisches Aroma, so einladend, dass es sie in Trance zu wiegen schien. Der Duft war moschusartig mit einem Hauch von Zitrusfrüchten und Patchouli-Rosenholz.

Lilacs Körper rief nach dem Duft, sehnte sich danach, dass er ihren Körper umhüllte und sie zudecken würde. Es fühlte sich so weit weg an.

Sie musste die Quelle finden.

Sie konnte sich nicht davon abhalten, sich darauf zuzubewegen. Fast schlafwandelnd. Es war wie eine außerkörperliche Erfahrung.

Bevor sie wusste, wie ihr geschah, ging, joggte, rannte Lilac. Nichts konnte sie aufhalten. Irgendetwas an diesem Moschus, dieser Spur des Verlangens, diesem unsichtbaren Band rief nach ihrer Seele.

Lilac würde nicht ruhen, bis sie den Ursprung gefunden hat.

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