Jessica Bailey
Buch 1:Narben
GIDEON
"Es tut mir leid. Sie ist von uns gegangen. Ich konnte nichts mehr tun." Der Arzt trat von mir zurück, mit einem besorgten und traurigen Blick.
"Nichts?! Es gibt nichts?! Bringen Sie sie zurück!" Ich schrie. Tief in meinem Herzen wusste ich es schon, bevor er es aussprach. Ich spürte, wie sie Abschied nahm und losließ.
Ein Schmerz, den ich nicht in Worte fassen kann, durchfuhr meinen ganzen Körper. So etwas hatte ich noch nie erlebt.
"Ich wünschte, ich könnte es, aber sie ist bereits gegangen. Sie wissen das. Jetzt ist keine Zeit für Trauer. Die Kleinen brauchen ihren Vater."
Der Arzt zeigte auf die zwei neugeborenen Mädchen, die ebenfalls laut weinten. Wie um alles in der Welt sollte ich das alleine schaffen?
Von einem Moment auf den anderen änderte sich mein Leben, aber ganz anders als erwartet. Meine Frau starb bei der Geburt. Ihr Blutdruck machte Probleme und sie überlebte die Entbindung nicht.
Sie schenkte mir zwei wunderschöne Töchter, Rose und Daisy. Sie lächelte sie an und verließ dann diese Welt, verließ sie und mich.
Am liebsten hätte ich alles kurz und klein geschlagen. Ich war ein Kämpfer, einer der Probleme löste. Ich kannte nur eines: mich aus der Patsche zu hauen.
Ich konnte nicht begreifen, dass sie weg war und ich allein. Ich konnte nicht kämpfen, um sie zu retten. Sie war einfach weg. Ich sah meine beiden Töchter an, die nach ihrer Mutter weinten, und alles, was ich tun konnte, war mitzuweinen.
Ich, der Anführer der Druit-Wache, heulte Rotz und Wasser wie meine beiden Babys. Zwei Mädchen. Was sollte ich nur tun?
Wie sollte ich zwei Mädchen großziehen? Ich wusste ja nicht einmal, wie man eine Windel wechselt. Ich dachte an ihr ganzes Leben, während sie aufwuchsen, an all die Dinge, die passieren könnten.
Würde ich in der Lage sein, ihnen wichtige Mädchendinge beizubringen? Was waren überhaupt wichtige Mädchendinge?
Kämpfen konnte ich ihnen beibringen. Ich konnte ihnen zeigen, wie man eine Gruppe von Kämpfern anführt. Aber das war's auch schon!
Noch nie im Leben hatte ich mich so hilflos gefühlt. Diese zwei winzigen Mädchen hatten mich bereits aus der Bahn geworfen.
Sie waren alles, was mir von meiner Frau geblieben war, meine letzte Verbindung zu meiner Liebe. Ich wusste, ich sollte ihnen nicht die Schuld geben, aber ich wollte es.
Erneut überkam mich tiefe Trauer, als mir klar wurde, dass diese zwei wunderschönen Babys nie das Lächeln ihrer Mutter sehen würden. Sie würden nie ihre Stimme hören, wie sie ihnen abends eine Geschichte vorlas.
Sie würden nie ihr Lachen über ihre lustigen Aktionen hören oder ihre warmen Umarmungen spüren. Konnte ich das schaffen, Mutter und Vater zugleich sein?
Mit Hilfe der Krankenschwester nahm ich meine winzigen Töchter auf den Arm. Ich gab jeder einen Kuss.
"Ich verspreche euch, alles zu geben, was ich habe. Ich kann nicht versprechen, dass ich perfekt sein oder keine Fehler machen werde, aber ich werde mein Leben für eures geben, um euch zu beschützen. Wir haben jetzt nur noch uns."
Ich versuchte, meine Tränen zurückzuhalten, aber es gelang mir nicht. Bemüht, meine Töchter nicht mit Tränen zu benetzen, legte ich sie zurück in ihr kleines Bett.
Sie hatten aufgehört zu weinen und bewegten ihre kleinen Arme aufeinander zu, bis sie sich an den Händen hielten.
Ich seufzte: "Zumindest werden sie immer einander haben." Ich setzte mich auf einen Stuhl neben ihnen und beobachtete sie beim Schlafen – ehrlich gesagt ein wenig besorgt, sie könnten aufhören zu atmen.
Während ich dort saß, wusste ich, dass ich meine Trauer bewältigen musste. Ich musste unsere Familienverbindung vollenden. Auch wenn es schmerzte, musste ich für meine Töchter weiterleben.
Ich ließ meinen Nagel am linken Zeigefinger wachsen, machte einen kleinen Schnitt an meiner rechten Hand und dann, so behutsam wie möglich, einen winzigen Schnitt an beiden ihrer großen Zehen.
Ich berührte jede ihrer winzigen Zehen mit meinem Schnitt und ließ den kleinsten Tropfen von jeder in meine Wunde eindringen. Ich spürte, wie sie in meine Seele eindrangen, und der kleine Funke Hoffnung und Liebe begann, mich aufzumuntern.
Ich blickte auf meine Brust, genau dorthin, wo mein Herz war, und konnte das Familienzeichen meiner Töchter sehen – eine weiße Rose und ein weiß-gelbes Gänseblümchen.
"Meine kleinen Blumen, ihr wisst gar nicht, wie sehr ihr euren Papa gerettet habt", flüsterte ich.
Der Arzt hatte Recht. Ich hatte keine Zeit für Trauer. Ich musste weiterleben, egal wie sehr es schmerzte. Es tat weh. Das Zeichen meiner Frau brannte in dem Moment, als sie diese Welt verließ.
Ich betrachtete mein Zeichen, und es verblasste bereits. Jetzt musste ich mich auf meine Mädchen konzentrieren. Ich hätte mich in dem Schmerz und der Trauer verlieren können, die meine Seele so sehr quälten.
Meine Frau würde mir nie verzeihen, wenn ich nicht weiterleben und mich für unsere Kinder anstrengen würde. Ich wusste nur nicht, wie ich das anstellen sollte, wo ich anfangen sollte.
Ich wusste, ich würde kämpfen, aber nicht mit meinen Fäusten, Nägeln oder Zähnen. Ich würde gegen mein gebrochenes Herz kämpfen, damit es nicht aufgab. Ich wusste nur noch nicht wie. Ich hatte nur meine kleinen Blumen, die mir Trost spendeten.