
Von der Unschuld verführt
Xavier Knight ist reich, unausstehlich und ein Unruhestifter. Um sein Image aufzupolieren, hat sein Vater vorgeschlagen, dass ich, eine unschuldige dreiundzwanzigjährige Jungfrau, seine Braut werde. Unglücklicherweise für Xavier hat sein Vater nicht gerade gründlich recherchiert. Denn ich bin schon sehr, sehr lange keine Jungfrau mehr. Ganz zu schweigen davon, dass ich zwar wie dreiundzwanzig aussehen mag, aber dieses Alter seit, oh, 200 Jahren nicht mehr habe. Xavier denkt vielleicht, er besitzt mich, aber er hat keine Ahnung, dass ich beiße. Ich verbeuge mich vor niemandem, auch nicht vor dem Erben von Knight Enterprises. Man sagt, was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Da liegen sie völlig falsch. Xavier, ich komme, um dich zu holen. Deine Spielchen sind vorbei. Und wenn alles gesagt und getan ist, wirst definitiv du derjenige sein, der leidet. Denn ich werde es sicher nicht sein.
Kapitel 1.
ANGELA
Behutsam lege ich eine zarte Rose auf den Grabstein zu meinen Füßen. Mit sanfter Geste streiche ich über die eingravierten Worte. Sie gedenken einer Person, die bei einem schrecklichen Unfall ums Leben kam – an die ich mich kaum noch erinnern kann.
Zweihundert Jahre zu leben ist wahrlich eine lange Zeit. Sowohl gute als auch schlechte Erinnerungen verblassen im Laufe der Jahre.
Ein flüchtiges Lächeln huscht über meine Lippen, als ich mein Haupt vor dem Verstorbenen neige. Ich wünsche ihm eine friedvolle Reise in was auch immer nach diesem irdischen Dasein kommen mag. Was das sein könnte, vermag ich nicht zu sagen.
Mit Einbruch der Dämmerung beschleunige ich mein stilles Gedenken an die Toten. Von einem Grabstein zum nächsten schreitend, erweise ich jedem meinen Respekt.
Jedes Grab erhält eine rote Rose und eine kleine Verbeugung. In Gedanken wünsche ich ihnen eine sichere Reise ins Jenseits, sollte es ein solches geben.
Ich gebe nicht vor, unschuldig zu sein, auch wenn ich diesen Anschein zu erwecken versuche. Die Verstorbenen, deren Grabsteine mich umgeben, sind eine traurige, doch unausweichliche Tatsache.
Diese Menschen fielen der Gier und Macht zum Opfer. Ich tötete jeden Einzelnen ohne Gnade, weil sie mir den gebührenden Respekt verweigerten.
Von Unschuld kann keine Rede sein. Jeder dieser armen Seelen wurde dies in seinen letzten Augenblicken bewusst, als ich sie lächelnd dahinraffte.
Meine Schritte sind kaum hörbar auf dem feuchten Boden. Mit jedem Schritt nähere ich mich dem jüngsten Grabstein.
Ich hole tief Luft, als ich davor niederknie. Meine Hände zittern, während ich meine letzte Rose an ihrer letzten Ruhestätte niederlege. Tränen steigen mir in die Augen, als ich mich an die hier begrabene Frau erinnere.
„Meine Liebste, ich vermisse dich.“
Meine Lippen beben vor Kummer. Ich denke an die schrecklichen Dinge, die ich ihr angetan habe. Leise lese ich die Grabinschrift.
„Morgan L. Smith, meine innigst Geliebte, du besitzt mein Herz und meine Seele. Ich werde dich für immer in Ehren halten. Ruhe in Frieden.“
Ich lese die Worte erneut. Wut steigt in mir auf über die scheinheiligen Worte, die ich für diesen Grabstein gewählt habe.
Morgan war fast drei Jahre lang mein Ein und Alles. Ich wachte neben ihr auf, kam zu ihr nach Hause und liebte sie auf eine Art, die selbst gestandene Männer erröten lassen würde.
In diesen Jahren nahm Morgan mich ganz und gar an.
Bis sie es nicht mehr tat.
Sie flehte mich an, mit dem Töten aufzuhören. Sie meinte, ich hätte kein Recht zu entscheiden, wer lebt oder stirbt. Aber sie verstand nicht. Ich würde es nicht dulden, dass Menschen mich respektlos behandelten, wo ich doch doppelt so lange gelebt hatte wie sie.
Morgan glaubte, sie täte das Richtige, aber ich konnte ihre ständige Missbilligung nicht ertragen.
Und als sie mich bat, mich der Polizei zu stellen?
Da verlor ich die Beherrschung.
Ich bereue nichts und werde mich nicht entschuldigen. Sie mag einmal alles für mich gewesen sein, aber niemand stellt sich mir in den Weg. Ich allein bestimme über mein Schicksal.
Deshalb habe ich ein neues Ziel. Ich werde ihn so gründlich brechen, dass er sich mir am Ende aus freien Stücken unterwerfen wird.
Ein teuflisches Grinsen ersetzt das sanfte Lächeln auf meinem Gesicht. Meine Augen funkeln vor Vorfreude, als ich den Grabstein neben Morgans betrachte. Der Stein ist noch unbeschriftet und das Grab nicht ausgehoben. Es wartet auf denjenigen, der hier seine letzte Ruhe finden wird.
„Xavier Knight, ich komme, um dich zu holen.“
XAVIER
Ich bemühe mich, meine Verärgerung über meinen Vater zu beherrschen und verschränke die Arme. Meine Tätowierungen spannen sich über meine bloßen Oberarme. Zu viele Dummheiten habe ich mir geleistet, und nun ist das PR-Team erzürnt.
Mein Vater meint, eine Vermählung könnte die Situation wieder ins Lot bringen.
Von dieser Idee bin ich alles andere als angetan.
„Xavier! Das ist von großer Bedeutung“, ermahnt mich mein Vater.
„Ja, ja, schon gut“, murmele ich. Der Gedanke, meine Ungebundenheit aufzugeben, behagt mir ganz und gar nicht.
Vor zwei Stunden noch war ich in einem Klub in der Innenstadt, habe über die Stränge geschlagen und die Sau rausgelassen. Irgendwann soll ich Knight Enterprises übernehmen, doch momentan bin ich ohne Beschäftigung und sitze auf einem Berg Geld. Ich dachte, ich hätte ausgesorgt.
Das änderte sich schlagartig, als die Polizei im Klub Rauschmittel fand.
An sich kein Weltuntergang, aber jedermann weiß, dass ich Stammgast in diesem Etablissement bin. Nun vermuten alle, ich könnte etwas konsumiert haben.
Dabei habe ich keine Drogen angerührt. Ich trinke lediglich.
Der junge PR-Berater meines Vaters schiebt sieben Fotografien über den Tisch. Er lächelt entschuldigend, als bedauere er sein Handeln.
Stirnrunzelnd betrachte ich die Frauen auf den Bildern. Sie wirken wie aus der Vogue.
Es ist mir ganz recht, dass mir niemand etwas über das Leben dieser Damen erzählen möchte, denn es interessiert mich nicht die Bohne. Mich interessiert nur ihr Äußeres.
Und dass sie sich fügen.
Alle Frauen sehen aus, als verbrachten sie viel Zeit vor dem Spiegel – üppige Mähnen, tiefe Dekolletés und ansprechende Augen.
Die Rothaarige kommt nicht in Frage. Ich kenne sie von früher. Sie ist kein Zuckerschlecken. Ihren Namen habe ich vergessen, aber sie war in Ordnung, nur etwas zu eifrig.
Vater meinte, wir müssten diese Ehe ein, zwei Jahre lang glaubwürdig erscheinen lassen. Sie haben Notfallpläne für den Fall, dass ich Mist baue.
Und ich werde mit Sicherheit Mist bauen.
Das zweite Bild erinnert mich an meine Mutter. Ich möchte nicht den ganzen Tag jemanden ansehen, der ihr ähnelt. Auch dieses Bild lege ich beiseite.
Das dritte und vierte Bild müssen Zwillinge sein. Sie haben unterschiedliche Frisuren, eine ist blond, die andere brünett.
Ich grinse bei dem Gedanken, eine auszuwählen und beide zu bekommen. Jeder will mit mir ins Bett. Wenn ich sie gleich anziehen ließe, könnte ich beide in meinem Bett haben.
Aber darum geht es bei dieser Ehe nicht. Wenn ich mein Erbe einstreichen will, muss ich aufhören, in der Öffentlichkeit für Ärger zu sorgen.
Das fünfte Bild fällt mir ins Auge, aber sie sieht aus, als würde sie nicht nach meiner Pfeife tanzen. Sie wirkt, als würde sie mir bei allem widersprechen. Sie scheint etwas auf dem Kasten zu haben.
Wäre ich anders, würde ich sie ohne zu zögern wählen. Sie ist die Art Frau, die man heiraten möchte.
Aber ich will keine Ehefrau.
Die Frau auf dem sechsten Bild ist atemberaubend. Sie anzusehen macht mich ganz wuschig, und ich rutsche auf meinem Stuhl herum, um es zu verbergen. Ihre leuchtend grünen Augen blicken mich auf eine Weise an, die mich dazu bringt, sie finden und sofort flachlegen zu wollen, egal wer zusieht.
Aber das bedeutet, dass sie mich zu sehr um den Finger wickeln könnte, und das kann ich nicht zulassen. Wenn der Vertrag ausläuft, werde ich Schluss machen, der Ehefrau ihre Abfindung geben und zu meinem alten Leben zurückkehren.
Nein, sie wird auch nicht funktionieren.
Dann sehe ich die Frau auf dem siebten Bild und weiß, dass sie die Richtige ist. Sie ist nicht so hübsch wie die anderen, aber sie sieht unschuldig aus. Sie hat ein kleines, schüchternes Lächeln und wirkt etwas ängstlich. Genau das will ich.
Sie sieht so rein aus.
So bereit, geformt zu werden.
So bereit, mir zu gehören.
Ich zeige lächelnd auf das siebte Bild. „Die. Ich will sie.“
Es ist wie eine seltsame Version von „Der Bachelor“, und es gefällt mir ausnehmend gut.
Vielleicht wird die Ehe doch nicht so übel.














































