
Kiera beäugte das unappetitliche Mahl auf dem Tablett vor ihr. Sie stellte es auf das Bett und lehnte sich verärgert zurück. „Ihr braucht dringend einen neuen Koch!", rief sie dem Wächter vor der Zellentür zu. Der Wächter gab nur ein mürrisches Brummen von sich.
„Du kannst nichts dafür", sagte sie leise. Dann blickte sie zur Zellentür. „Die Grenze hätte besser ausgeschildert sein müssen", rief sie, damit der Wächter es hören konnte.
Kiera hasste es, herumkommandiert zu werden. In einer Zelle zu sitzen fiel ihr sehr schwer und sie wurde zunehmend wütender. Sie nahm ihr Tablett und schob es durch den Schlitz in der Tür.
„Schon satt?", fragte der Wächter spöttisch.
„Das kann ich unmöglich essen", erwiderte sie. „Wann komme ich hier raus?"
Der Wächter lachte. „Nie im Leben."
„Aber König Harrison sagte –"
„Der redet viel, wenn der Tag lang ist. Warum sollte er eine Fremde freilassen? Du hast dir die Suppe selbst eingebrockt. Unerlaubtes Betreten unseres Landes ist strafbar", sagte der Wächter. Dann drehte er sich weg und ignorierte sie.
Kiera runzelte die Stirn. Dann kam ihr eine Idee. „Ich muss den Alpha sprechen."
„Der kommt nicht einfach angerannt, nur weil eine Gefangene danach verlangt", sagte der Wächter.
„Aber ich habe wichtige Informationen", lächelte sie, obwohl das nicht der Wahrheit entsprach.
Der Wächter musterte sie genau. Kiera schenkte ihm ein freundliches Lächeln und hoffte, er würde ihr Glauben schenken.
„Na schön, ich werde ihn rufen", knurrte der Wächter widerwillig.
Eine Stunde später öffnete sich die Zellentür und ein großer, kräftiger Mann trat ein. Kiera sah verwirrt auf. „Sie sind nicht der Alpha."
„Ich bin Hauptmann Mann, der Anführer der Kämpfer." Er sprach mit tiefer, gereizter Stimme. „Was willst du, Fremde?"
Kiera seufzte frustriert. „Ich will wissen, wann ich hier rauskomme. Ich sitze seit drei Tagen hier und bin keine Gefahr."
Der Hauptmann trat näher und knurrte. „Ist das der Grund, warum ich hergekommen bin? Man sagte mir, du hättest Informationen."
Kiera sah ihn unschuldig an. „Hauptmann Mann, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen."
Er kam noch näher und packte sie am Kragen. „Du miese kleine Fremde. Ich glaube, du wolltest unseren König hierher locken, um ihm eine Falle zu stellen."
Kiera versuchte sich zu befreien und wurde sehr wütend. „Ich glaube, Sie halten mich hier ohne Grund fest."
Hauptmann Mann ließ sie los und schlug ihr ins Gesicht. „Pass auf, kleiner Wolf. Noch so eine Bemerkung und du verlierst deine Zunge."
Wütend verließ er die Zelle und ließ Kiera schockiert zurück, die sich die Wange hielt. Sie spürte, wie ihre Wange von dem Schlag heiß wurde und sich rötete. Verärgert über ihre Lage runzelte sie die Stirn.
„Holt noch einen Wächter und bringt sie in eine schlechtere Zelle", brüllte er im Weggehen.
Sie stand auf und ging zum Waschbecken. Der kleine Spiegel zeigte ihr Aussehen. Ihre Haare und Augen wirkten stumpf von der Zeit in der Zelle und sie konnte die Stelle sehen, wo er sie geschlagen hatte. Vorsichtig berührte sie die schmerzende Stelle, an der sich ein blaues Auge abzeichnete.
„Da musst du dich hinten anstellen", murmelte sie, bevor sie zu ihrem Bett zurückging und sich in der Ecke zusammenrollte.
Harrison ging vom Rudelhaus zum Gefängnis.
Joseph hatte ihm erzählt, dass das Mädchen behauptete, Informationen zu haben. Er glaubte nicht wirklich daran, musste aber auf Nummer sicher gehen, dass sein Rudel geschützt war. Er hätte Hauptmann Mann schicken können, vertraute ihm aber nicht.
Der Wächter vor dem Bunker verbeugte sich, als Harrison eintrat. Er ging den langen Flur entlang und hielt inne, als er sah, was sich vor ihm abspielte.
„Lasst mich los!"
Er beobachtete, wie das Mädchen um sich trat und schrie, während zwei Wachen versuchten, sie wegzubringen.
„Lasst mich los, oder ich reiße euch die Köpfe ab!", brüllte sie.
Harrison musste über ihre Worte schmunzeln. Er war überrascht, als sie einen Arm befreite und einem Wächter ins Gesicht schlug.
Sie rammte dem anderen Wächter ihr Knie zwischen die Beine, sodass er vor Schmerz zusammensackte. Sie kämpfte weiter, als der geschlagene Wächter sie erneut packte. Sie schrie die Wachen an, sie loszulassen.
Harrison beschloss, dass er genug gesehen hatte. Er trat vor.
„Alpha!", sagte der Wächter überrascht. „Ich wusste nicht, dass Sie –"
„Ja, ich bin sicher, Sie haben nicht mit mir gerechnet. Lasst sie los", sagte er knapp.
Der Wächter zögerte kurz, bevor er gehorchte.
„Du wolltest mit mir sprechen?", erfüllte Harrisons tiefe Stimme den Flur.
„Ich wollte wissen, wann ich diesen Ort verlassen kann ...", sagte sie leise und blickte zu Boden.
Harrison trat näher, überrascht von ihrer plötzlichen Stille. „Ich sagte dir, wir würden in einer Woche darüber reden. Du meintest, du hättest Informationen."
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe dem Wächter das nur gesagt, damit er dich holt. Ich will weg, ich will nach Hause."
Harrison musterte sie genau und fragte sich, warum sie nicht mehr wütend war. Er trat vor und beobachtete, wie sie den Kopf gesenkt hielt, während er sich bewegte.
Harrisons Gesicht verfinsterte sich. „Streunerin, sieh mich an, wenn ich mit dir rede."
Kiera hob langsam den Kopf, Hass und Wut in ihren Augen.
Harrison knurrte zornig, als er ihr Gesicht sah. Ihre Wange war rot und blau geschlagen, und er konnte sehen, dass sie ein blaues Auge bekam. „Wer hat das getan?" Er wandte sich an die beiden Wachen. „Habt ihr –"
Kiera lachte bitter. „Tu nicht so, als hättest du deinen Soldaten nicht geschickt, um mir Angst einzujagen!"
Harrison trat vor, außer sich vor Wut darüber, dass einer seiner Männer einer Gefangenen, noch dazu einer Frau, Gewalt angetan hatte. Er war vieles, aber er verletzte keine Menschen auf diese Weise.
„Wer. Hat. Das. Getan?", knurrte er, seine Augen wurden noch dunkler vor Zorn.
Kiera blickte erschrocken und überrascht zu ihm auf. „Der Hauptmann ... er – er kam herein und redete mit mir. Ich dachte, du hättest ihn geschickt ..."
Er wandte sich wutentbrannt an den Wächter. „Wusstest du davon?"
„Alpha ... Ich –"
„Wusstest du davon?!", brüllte er. „Hast du tatenlos zugesehen, wie er ihr wehtat, und dann geschwiegen? Du kennst die Regeln, du kennst das Versprechen der Krieger. Find ihn. Find den Hauptmann und bring ihn sofort zu mir her."
„Jawohl, Alpha ...", sagte der Wächter.