Rain Itika
LARA
Die Musik pulsierte durch ihren Körper.
Sie weckte in ihr den Wunsch zu tanzen und alles zu vergessen. Zu vergessen, wer sie war und was sie tat.
Seit ihrer Flucht vor ihm fühlte sie sich wie ausgehöhlt, und dies war das Einzige, was ihr noch blieb.
Die Tanzfläche war brechend voll, die Leute drängten sich aneinander und bewegten sich im Takt, auf der Suche nach einem Funken Glück.
Mittendrin war Lara und tanzte mit jedem, der in ihre Nähe kam. Niemanden interessierte es, mit wem oder warum sie hier waren; alle wollten einfach nur einen Tanzpartner.
Lara schloss die Augen und ließ ihren Geist treiben. Die gestrigen Probleme hatten sie ganz schön aus der Bahn geworfen. Bill war alles andere als begeistert von ihrem Versagen, obwohl es ihr erstes Mal war.
„Agent, warum haben Sie das Zielobjekt am Leben gelassen? Es scheint, als hätten Sie eine günstige Gelegenheit gehabt, als er auf Ihnen lag“, sagte er mit vor Zorn triefender Stimme.
„Hören Sie, Sie verstehen nicht –„, versuchte sie zu erklären, doch er fiel ihr ins Wort.
„Nein, Sie verstehen nicht. Sie haben ihn nicht getötet und ihm Ihr Gesicht gezeigt. Das reicht mächtigen Männern, um Leute aufzuspüren. Er verfügt über fast so viele Ressourcen wie wir.
„Sie müssen sofort verschwinden. Machen Sie sich schleunigst aus dem Staub. Treffen in vier Tagen an Basis drei. Wir müssen einen neuen Plan entwickeln, um ihn zu beseitigen. Bald, zu Ihrem eigenen Wohl. Ende.“
Deshalb war sie nun in einem Nachtclub und tanzte eng mit Fremden – in dem Versuch, ihre Fehler zu vergessen, und sei es nur für eine Nacht.
Sie war drei Bundesstaaten vom Zielobjekt entfernt und nur noch eine Tagesfahrt von HB3. Sie gönnte sich eine kurze Pause, die sie genießen sollte, da Bill sie in ein paar Tagen vielleicht um die Ecke bringen würde.
Ein Arm schlang sich um ihre Taille und holte sie aus ihren Gedanken zurück. Sie drehte den Kopf, um den Mann anzusehen, zu dem er gehörte.
Dunkles Haar, markante Wangenknochen und Augen, die im dunklen Club wahrscheinlich dunkel waren, aber im Moment war ihr das schnuppe.
Auch wenn er keine grünen Augen, blondes Haar, starke Knochen und volle Lippen hatte, die selbst eine Nonne in Versuchung führen könnten, würde er für den Moment reichen.
Der Mann drückte sich fester gegen ihren Rücken und umfasste ihre Taille enger, vertrieb ihre düsteren Gedanken, und sie musste sich ermahnen, nicht an ihn zu denken.
Sie genoss es, mit dem Fremden hinter ihr zu tanzen, und stellte sich erneut vor, es wäre ein bestimmter anderer Mann. Die Musik war langsam, aber die Stimmung wurde hitziger.
Sie spürte seine Härte gegen ihren Hintern drücken, seine Hände auf ihrem Bauch hielten sie an Ort und Stelle und weckten in ihr den Wunsch nach mehr.
Hände wanderten an ihrem Körper auf und ab, hielten nur inne, als sie ihre Hüften erreichten, nahe ihrer intimsten Stelle.
Ihr Instinkt schlug Alarm. Sie stieß ihn mit den Ellbogen weg. Eine innere Stimme drängte sie zu gehen, und sie hörte darauf.
Als sie sich zu ihm umdrehte, sah sie den hungrigen Blick in seinen Augen, der vorher nicht da gewesen war. Augen, die sagten, dass er sich nehmen würde, was er wollte, auch wenn ein Mädchen Nein sagte.
„Muss auf die Toilette“, rief sie über die Musik hinweg. Ohne seine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und bahnte sich ihren Weg durch die tanzende Menge in Richtung Damentoilette.
Sie vergewisserte sich, dass er ihr nicht folgte, bückte sich und bewegte sich schnell zwischen den Menschen hindurch, an ihnen vorbei und unter den roten Buchstaben hindurch, die sich im Dunkeln abhoben: EXIT.
Frische Luft traf ihr Gesicht und ließ sie weniger betrunken fühlen. Der Typ war ihr unheimlich vorgekommen. Allein der Gedanke an ihn ließ ihre Haut kribbeln und verstärkte ihren Wunsch zu verschwinden.
Sie war froh darüber, denn morgen musste sie den ganzen Tag fahren.
Sie erblickte den Mietwagen nicht weit entfernt und ging darauf zu, als plötzlich eine Hand ihren Arm fest packte.
Als sie sich umdrehte, sah sie den unheimlichen Typen von vorhin.
Im besseren Licht konnte sie sein Gesicht deutlicher erkennen. Schwarze Augen, ebenso dunkles und sehr fettiges Haar und ein Lächeln mit fehlenden Zähnen – wahrscheinlich vom übermäßigen Drogenkonsum – dicht vor ihrem Gesicht.
„Wo willst du hin, Baby? Wir hatten doch gerade so viel Spaß.“ Seine Worte waren vom zu vielen Alkohol etwas undeutlich.
„Ich muss morgen früh arbeiten. Muss los.“ Sie trat einen Schritt zurück, doch er hielt ihren Arm fester, seine kalten Finger gruben sich schmerzhaft in ihre Haut und hinderten sie am Gehen.
„Vielleicht kann ich mitkommen und dir beim Einschlafen helfen“, sagte er und zwinkerte ihr zu.
Lara seufzte leise und fragte sich, ob das jemals bei irgendeiner Frau funktioniert hatte, besonders bei nüchternen.
„Hör zu, Kumpel, es war nett, aber jetzt muss ich wirklich gehen. Also, lässt du mich los, oder muss ich nachhelfen?“ Sie stellte ihre Füße langsam weiter auseinander, schob die Schultern zurück und bereitete sich auf alles vor.
Er grinste, als fände er das lustig.
Seine Reaktion machte sie noch wütender. Genug von diesem Scheiß.
Lara packte seine offene Jacke, zog ihn zu sich heran und holte gleichzeitig mit der anderen Hand aus, um ihm ins Gesicht zu schlagen.
Knack.
„Au“, war alles, was er sagte. Endlich ließ er sie los, seine Hände bedeckten seine Nase, Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor.
„Ich habe dich gewarnt.“
Ohne ihn noch einmal anzusehen, drehte sie sich um und ging zum Auto. Der Alarm piepte, als sie es entriegelte, und sie stieg ein und fuhr davon.
Während der kleine Wicht im Rückspiegel immer kleiner wurde, lächelte sie, zufrieden, dass sie immer noch gut austeilen konnte.
Wenn sie nur dasselbe mit dem grünäugigen Mann hätte tun können.