Ivy White
HAZEL
"Lass mich los, Dante!", schreie ich ihn an, um meine eigene Power zurückzuerlangen und er lässt mich los.
Er zwinkert mir zu, während er einige Schritte zurückgeht. Ich verschränke meine Arme und er hält seine Hände nach oben, um zu demonstrieren, dass er mich nicht anfassen wird. Als er an der Tür stehen bleibt, schüttelt er den Kopf.
"Mir reicht’s, Hazel, ich gebe dir einen Rat. Sei ehrlich und erwecke nicht den Eindruck, dass du etwas mit mir anfangen willst, wenn du es nicht willst." Er dreht sich um und legt seine Hände auf beide Seiten des Türrahmens. "Ich würde nie etwas tun, was dir schadet, Hazel. Nicht in einer Million Jahren würde ich dir absichtlich wehtun. Nur damit du das weißt. Oh, und wenn du mich nicht sehen willst, halte dich von meinem Haus fern, denn ich wohne hier."
Er verlässt den Raum und lässt mich in der offenen Tür zurück. Ich greife nach meinem Glas Wasser und nehme einen kleinen Schluck.
Chloe kommt herein und schaut über die Schulter, um zu sehen, wohin Dante geht. Warum betritt der Schutzengel immer den Raum, wenn der Streit vorbei ist?
"Warum macht er so ein trauriges Gesicht?", fragt sie mich und schaut wieder über ihre Schulter.
Ich zucke mit den Schultern und wir gehen beide los.
DER NÄCHSTE TAG
Während ich aufwache, halte ich mir die Ohren zu, um den unerträglichen Lärm von Dantes Stimme in der klaustrophobischen Atmosphäre auszublenden. Als das Licht mich blendet, schließe ich die Augen und frage mich, warum ich gestern Abend so viel getrunken habe.
Ich setze mich auf und schaue auf mein widerliches Kleid hinunter. Ich schaffte es schließlich, meine Augen offenzuhalten. Es stimmt, was man darüber sagt, wie man am Abend vor dem Ausgehen aussieht versus am Morgen danach.
Mir ist übel und mein Outfit ist nicht gerade hilfreich. Es riecht nach abgestandenem Alkohol und Zigaretten. Wenn man bedenkt, dass ich selbst überhaupt nicht rauche…
Ich bin neugierig, was mein Gesicht und meine Haare für einen Eindruck machen. Wahrscheinlich verrät es anderen, dass ich mit einem Mann im Bett gelandet bin – aber wenigstens heil zurückgekommen bin.
Ich klettere aus dem Bett, während sich mein Kopf ständig im Kreis zu drehen scheint, und nehme all meinen Mut zusammen, um den Walk of Shame ins Bad anzutreten.
Es wird nicht einer meiner stolzesten Momente sein und das bestätigt sich, als ich mich im Spiegel betrachte und entsetzt auf mein Spiegelbild starre. Ich bin ein Wrack!
Langsam und leise öffne ich die Tür und laufe aus dem Gästezimmer den Flur entlang zum Badezimmer, um Dante zu vermeiden. Ich schließe die Tür hinter mir, gehe auf die Toilette, putze mir die Zähne und wasche mir das Gesicht.
Ich fahre mir mit der Bürste durch mein struppiges Haar, beuge mich vor und betrachte meinen kranken Teint im Spiegel. Ich sehe aus wie ein Panda – dunkle Augenringe, blasser Teint und meine Haut fühlt sich rau an.
Ich schnappe mir meine Feuchtigkeitscreme aus meiner kleinen Tasche, trage sie auf mein Gesicht auf und schimpfe innerlich mit mir, weil ich mich gestern Abend nicht abgeschminkt habe, aber ich kann mich nicht mal daran erinnern, wie ich nach Hause gekommen bin, geschweige denn, dass ich mich richtig abgeschminkt habe.
Ich platziere den Stöpsel im Abfluss der Badewanne, drehe den Wasserhahn auf und warte, bis das Wasser heiß ist, bevor ich mein muskelentspannendes Bad einlasse und meinen Rasierer auf den Wannenrand lege.
Es ist verrückt – man könnte meinen, dass ich hier wohne, obwohl ich in Wirklichkeit nur zu Besuch bin, aber Annette motzt mich immer an, wenn ich ihr Haus nicht wie mein eigenes behandle.
Vor ein paar Jahren habe ich sogar versucht, ihr eine große Summe Geld zu geben, aber sie hat es abgelehnt und mir gesagt, dass sie sich dadurch beleidigt fühlt.
Jetzt betrachte ich ihr Haus als mein eigenes, doch selbst wenn ich hier einziehen könnte, würde ich es als unverschämt erachten. Ich bin Annette schon so sehr dankbar für das, was sie für mich getan hat.
Auch Chloe hat mich mehrmals gefragt, ob ich einziehen möchte und hat mich gehalten, wenn ich Unterstützung brauchte. Sie ist meine beste Freundin, und das ist auch einer der Gründe, warum ich Dante keine Chance geben kann.
Er ist Chloes Bruder, und es hilft nichts, dass er sechs Jahre älter ist als ich. Sie würde ausflippen und Annette auch, denn ich sollte als seine kleine Schwester angesehen werden.
Aber die Spannung zwischen uns geht weit über geschwisterliche Liebe hinaus. Seit ich sechzehn bin, zielt auf sexuelle Spannung und Lust ab.
Er war immer da, um mich zu beschützen, wenn ich es brauchte, aber gestern kam er mir näher als je zuvor, und ich bin sicher, dass ich das genossen habe. Deshalb habe ich ihm gesagt, er soll sich zurückhalten.
Ich war noch nie in einer solchen Situation, und als er sich mir näherte, entschied ich, zu fliehen.
Als ich in die Badewanne steige, bevor ich mich für den Besuch bei Chloe fertig mache, denke ich an meinen Streit mit Dante gestern Abend.
Die Art, wie er mein Haar zurückzog und dicht bei mir verweilte. Dieses sichere Gefühl, gemischt mit Adrenalin und Verwirrung ließ mich alles infrage stellen, was uns betraf.
Nachdem ich mich gebadet habe, nehme ich den Rasierer in die Hand, ziehe den Stöpsel heraus und beobachte, wie meine Haare im Wasser herumwirbeln, bevor sie im Abfluss verschwinden. Ich spüle die Wanne vollständig aus und atme die warme Luft ein.
Jede Oberfläche ist mit Kondenswasser bedeckt. Eine Mischung aus Erdbeere und Minze – kühl und doch warm und köstlich.
Ich starre auf das Kleid auf dem Boden und bin genervt, dass ich vergessen habe, mir frische Klamotten mitzubringen. Ich verdrehe die Augen, wickle meine Haare in ein blaues Handtuch und sehe ein langes Shirt herumliegen.
Es ist definitiv sauber und ich weiß, dass es riskant ist, aber ich kann nicht mein altes Kleid von letzter Nacht anziehen. Ich werfe das Oberteil über, öffne die Tür und renne um mein Leben, bis ich meine Zimmertür schwer atmend hinter mir zuschlage.
Ich durchstöbere meine Schubladen und finde ein gelbes Sommerkleid und ein königsblaues Unterwäsche-Set, das ich bei meiner letzten Übernachtung hier vergessen hatte.
Ich ziehe alle an, falte das Oberteil und lege es zurück ins Bad, wo es war, bevor ich an Chloes Tür klopfe, um zu sehen, ob sie schon wach ist. Ich muss ihr sagen, dass das schwarze Kleid, das sie mir geliehen hatte, im Badezimmer liegt.
"Chloe, bist du wach?", rufe ich an der Tür und bekomme keine Antwort. Im Gästezimmer ziehe ich meine Converse an, schnappe mir meine Schlüssel und verlasse das Haus, ohne ein Wort zu Dante zu sagen, der unten in der Küche werkelt.
Ich werde später wiederkommen, wenn er bei der Arbeit ist, damit ich mich nicht mit ihm herumschlagen muss. Ich gehe in meinen privaten Schuppen im Wald, lege mich dort auf mein Bett und lese gemütlich ein Buch.