Eve ist mächtiger als die meisten anderen Lebewesen. Als sie aber eine Mission annimmt, deren Preis sie nicht ablehnen kann, beginnt sie daran zu zweifeln, ob sie dafür stark genug ist. Mit Vampiren, schurkischen Werwölfen und bösen Gottheiten, die hinter ihr her sind, wird Eves Entschlossenheit auf die Probe gestellt – und das noch bevor sie ihren Gefährten findet …
Aus der Welt von Die Millennium Wölfe
Altersfreigabe: 18+
Kapitel 1
Guten MorgenKapitel 2
GejagtKapitel 3
Ein leidenschaftlicher SchreckKapitel 4
MädchenträumeEVE
Ich sah ihn, bevor er mich sah. Er war ein paar Meter entfernt, aber ich wusste sofort, dass er es war. Ich konnte ihn spüren.
Mein Blick glitt über seine goldbraune Haut, die starken Oberarme, die sich abzeichnenden Bauchmuskeln, das markante Kinn.
Vielleicht war es unvorsichtig, ihn so schamlos zu mustern. Ich wollte nicht, dass er mich erwischte. Er durfte mich nicht erwischen. Das würde alles zunichtemachen.
Aber ich versteckte mich hinter Bäumen, die Äste und Blätter dienten mir als Tarnung. Ich musste mir keine Sorgen machen.
Deshalb sah ich ihn weiter an. Ich sah, wie er mit den Fingern an der zerfurchten Rinde eines alten Baums entlangfuhr. Er sah sich um, als ob er etwas suchte. Oder jemanden?
Aber nein, er konnte nicht wissen, dass ich hier war.
Ich hatte genug Macht, genug Magie, um mich vor ihm verstecken zu können.
Er ging zum nächsten Baum und diesmal griff er mit beiden Händen um den Stamm. Er fuhr ihn entlang nach unten und dabei spannte das Shirt, das er trug, an den Oberarmen.
Wie sehr ich mir wünschte, dass diese Hände an mir entlangfuhren, mich umgriffen ...
Ich wusste nicht, was es mit ihm auf sich hatte. Er war der einzige Mann, das einzige Wesen, das mich erregte. Und nein, ich übertreibe nicht. Er war tatsächlich der Einzige, der mich körperlich erregen konnte.
Ich konnte nicht von ihm wegsehen – seine Muskeln, das Kinn, die wilden, dunklen Haare. Mein Körper reagierte auf ihn. Es kribbelte an Stellen, an denen es sonst nicht kribbelte, und ich musste in seiner Nähe sein.
Ich sehnte mich so sehr danach, dass ich seine Berührung spüren konnte. Ich ~spürte~, wie er mir die Befriedigung gab, auf die ich so lange gewartet hatte.
Ich trat einen Schritt aus meinem Versteck. Vielleicht war es eine schlechte Idee, aber das kümmerte mich nicht. Es war genau, was ich wollte … nein.
Es war, was ich brauchte.
Ich ging einen weiteren Schritt.
Beinahe wollte ich genauso gerne, dass er mich fand, wie mich die Vorstellung erschreckte, er würde es tun. Denn ich wusste, was dann geschehen würde. Aber im Augenblick war mir das egal.
Ein weiterer Schritt.
Er drehte sich um.
Noch ein Schritt.
Dann schnappte ich nach Luft.
Ein Dolch schoss an meiner Schulter vorbei. Er musste aus dem Hinterhalt geworfen worden sein.
Er flog mit rasanter Geschwindigkeit an mir vorbei und eine Sekunde später traf er ihn. Er durchbohrte ihn. Mitten durchs Herz.
Sofort war sein Shirt blutgetränkt. Ich war wie versteinert, unter Schock. Ich öffnete den Mund, aber es kam nichts heraus.
Ich drehte mich um. Versuchte herauszufinden, wo der Dolch hergekommen war, wer dafür verantwortlich war. Aber ich konnte sonst niemanden sehen. Hier waren nur er und ich und der Wald.
Schnell sah ich wieder zu ihm. Er sank auf den Boden, er presste seine Hände auf die Wunde, versuchte das Blut zurückzuhalten. Diesmal musste er meinen Blick gespürt haben, denn seine Augen schossen zu mir hoch.
Er sah mir direkt in die Augen.
Es gab kein Entkommen. Kein Versteck. Er hatte mich gesehen.
Und ich wusste, ich wusste, er dachte, ich hätte den Dolch geworfen. Das bestürzte mich, überwältigte mich vor Reue, obwohl ich unschuldig war.
Aber tief in mir wusste ich, dass ich nicht unschuldig war. Nicht einmal annähernd.
Nun kroch er auf Händen und Knien und versuchte, die Augen offen zu halten. Versuchte, sie weiter auf mich zu richten. Und mein Herz raste immer noch. Schließlich war er der einzige Mann, der es zum Rasen bringen konnte.
Geh zu ihm, Eve.
Hilf ihm.
Berühre ihn.
Doch ich blieb einfach stehen, wie versteinert. Ich sah zu, als das Leben ihn verließ, als sich seine Augen schlossen, seine Finger aufhörten zu zittern. Ich musste es sehen. Ich zwang mich hinzusehen.
Als er seinen letzten Atemzug tat und stilllag, wurde ich auf einmal vollkommen ruhig. Ich atmete auf. Endlich war es vorüber.
***
Biep. Biep. Biep. Biep.
Ich schlug die Augen auf. Was war das?
Biep. Biep. Biep. Biep.
Ein verfluchtes Telefon klingelte. Mein verfluchtes Telefon. Ich sah mich um. Ich war im Bett, in einem weißen Bett. Alles war weiß.
Ja, richtig. Ich hatte in einem Hotel in New York übernachtet. Ich versuchte meinen Traum zu vergessen und suchte das Handy unter dem Kopfkissen neben mir.
Ich konnte mich jetzt nicht damit beschäftigen. Außerdem brauchte man kein Genie zu sein, um zu wissen, was mein Traum zu bedeuten hatte.
Diese Muskeln … diese Haare … es war nicht das erste Mal, dass ich von ihm geträumt hatte. Und es war sicher nicht das letzte Mal.
Ausgerechnet jetzt. Wo wir einander immer näher kamen …
Biep.
Eine Nachricht.
Ich sah auf mein Handy. Zwei verpasste Anrufe von Killian. Und eine–Biep–und ~zwei~ Nachrichten noch dazu.
Ich hatte seit ein paar Wochen nichts von ihm gehört, er musste also etwas Wichtiges gefunden haben. Er hatte für mich spioniert, recherchiert und ausgekundschaftet.
Ich las die Nachrichten.
Meine Armeestiefel machten bei jedem Schritt laute Geräusche, als ich über den Gehweg stapfte.
Es regnete nicht wirklich, aber es war nebelig. Das Wetter machte mich klamm, wie einen Schwamm auf der Spüle.
Ich hatte London eindeutig nicht vermisst.
Aber das war nicht die ganze Wahrheit. Ich hatte einige wunderbare Jahre hier verbracht, als Killian noch ein Kind war.
Ich ging um die alte Kirche herum und befand mich nun auf einem leeren Parkplatz in irgendeiner vorstädtischen Siedlung.
Killian und ich gingen nie in die Kirche, aber manchmal hatten wir uns von hier den Sonnenuntergang angesehen. Aber das war schon lange her. Ich hörte ein Motorrad hinter mir und sah lächelnd auf die Uhr.
17.59 Uhr. Mehr als pünktlich.
Das Motorrad raste auf den Parkplatz und bremste so abrupt vor mir ab, dass es qualmte. Killian sprang vom Motorrad, bockte es auf und nahm den schwarzen Helm ab.
Daraufhin fielen seine goldenen Locken runter und er fuhr sich mit einer Hand, die noch im Handschuh steckte, durch die Haare. Seine goldenen Augen glänzten vor Schalk und als er mich ansah, konnte er ein schelmisches Grinsen nicht verbergen.
„Versuchst du etwa mich zu beeindrucken?“, fragte ich ihn und zeigte auf das Motorrad.
„Funktioniert aber ganz gut. Das musst du zugeben“, erwiderte er. Dann zog er aus einer Ledertasche eine Akte und gab sie mir.
Ich nahm sie an mich. „Wenn hier alles drinnen ist, …“
„Alles und mehr. Die ganze Blutlinie“, versicherte er mir.
Ich konnte meinen Stolz nicht unterdrücken. Jetzt, wo ich mir seine Grübchen an den Wangen besah, die nun mit einem Dreitagebart bedeckt waren, kam er mir wie ein erwachsener Mann vor.
Ein talentierter und äußerst brauchbarer Mann.
„Es stimmt also?“, fragte er und zeigte auf die Akte. „Die Morgans sind in Schwierigkeiten?“
„Von mir kriegst du keinen Klatsch, Kil.“
„Komm schon“, drängte er.
„Na gut, jeder kennt die Morgans. Sie sind die meist respektierten Menschen in Amerika. Und weil sie vor all diesen Jahren eine Vereinbarung mit dem Westküstenrudel getroffen haben, leben sie im Revier des Rudels, unangetastet.
Elena Morgan war wie eine Königin. Wegen ihrem Vermögen konnte das Westküstenrudel so lange so erfolgreich sein. Sie gehörte zu seinen größten Unterstützern. Aber sie hat ihr Vermögen ihren Töchtern hinterlassen. Ihr Gefährte hat keinen Anspruch darauf.“
„Na und?“
„Nun ja, rechtlich betrachtet sind ihre Töchter zu jung, um das Erbe anzutreten. Die älteste ist erst siebzehn.“
Killian betrachtete mich aufmerksam. „Du denkst, die Familie ist in Gefahr, weil sich jemand das Vermögen unter den Nagel reißen will?“
Er schüttelte den Kopf. „Jeder kennt die Morgans, Eve. Sie sind wie Aristokratie. Keiner würde der Aristokratie etwas antun wollen.“
„Wie bitte? Haben sie dir an der Akademie keine Geschichte beigebracht?“, fragte ich mit einem ironischen Grinsen. Er verdrehte die Augen. „Elenas Töchter können das Erbe erst antreten, wenn eine von ihnen achtzehn wird.“
„Also, was hast du vor, willst du die Töchter beschützen, bis sie achtzehn sind?“
Ich zuckte mit den Achseln. „Irgendeiner muss es ja tun. Denn, wenn jemand sie vorher umbringt, ist das Vermögen leichte Beute. Das reicht doch schon als Anreiz.“
Ich drehte mich um, um zu gehen, aber Kilian hielt mich an der Schulter zurück. „Du sagst mir nicht alles. Über die Leute, die ihnen schaden wollen.“
Ich schüttelte ihn ab. „Mach dir keine Sorgen, Kil –“
„Ich kann dir nur helfen, wenn ich weiß, was los ist“, sagte er und verschränkte die Arme.
„Na gut. Was willst du hören? Die Mafia? Die Mafia weiß vom Vermögen und bereitet den nächsten Schritt vor. Dann sind da die abtrünnigen Werwölfe, die immer auf Geld aus sind. Und lass uns die Vampire nicht vergessen.“
Ich sah, wie Killian weiß wurde. Er hatte schon immer ein Herz für die Schwachen gehabt. Ich klopfte ihm auf die Schulter.
„Es wird ihnen nichts passieren, Killian. Ich bin ziemlich gut, in dem was ich tue“, sagte ich und lächelte ihn an. Er nickte.
„Ich melde mich“, sagte ich und drehte mich um, um mich wieder auf die weite Rückreise nach Amerika zu machen. Zurück zum Westküstenrudel.
„Keine Verabschiedung“, rief er mir zu.
Ich lächelte. „Keine Verabschiedung“, rief ich zurück.
„Lass mich nicht zu lange warten“, rief er noch. „Ich langweile mich sonst.“
***
Das Taxi fuhr auf der schlecht geteerten Straße durch den Wald und alles, was ich sehen konnte, waren Abermillionen von Bäumen auf beiden Seiten.
Als wir tief genug im Wald waren, und es keine ausgebaute Straße mehr gab, bat ich den Taxifahrer anzuhalten.
„Hier ist es gut.“ Ich stieg aus.
Er nahm das Geld und fuhr zurück in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Offensichtlich wollte er nicht eine Sekunde länger hier draußen verbringen als notwendig.
Menschen wie er waren im Revier des Westküstenrudels nicht wirklich gerne gesehen, außer sie hatten eine Aufenthaltsgenehmigung. Oder wenn sie ein Morgan waren.
Und dieser Wald, der Deschutes Nationalpark in Oregon, war das Revier des Westküstenrudels.
Aber das galt nicht nur für unangekündigte Menschen. Es betraf alle Nicht-Werwolfartigen. Also auch mich.
Aber ich war hier aus gutem Grund. Und ich hatte nicht vor, so etwas wie eine mögliche Begegnung mit einer Werwolf-Patrouille oder einem Alpha dazwischenkommen zu lassen. Schließlich hatte ich es schon mit weit Schlimmerem aufgenommen.
Ich konzentrierte mich ganz auf meinen Körper. Es funktionierte und ich spürte, wie sich meine Zellen auffächerten, sich die Dichte meiner Haut verringerte.
Ich war nicht vollkommen unsichtbar, aber eben auch nicht wirklich sichtbar. Ich war wie eine gedimmte Version meines Selbst, man musste schon stark fokussieren, um mich wahrzunehmen.
Zufrieden wandte ich mich den Bäumen zu. Mit meiner Kraft hob ich mich hoch in die Luft.
Und dann schwang ich mich von Baum zu Baum und sprang von einem zum anderen.
Nach ungefähr fünfzig Kilometern wurde ich langsamer. Dann landete ich auf einem Baum und nutze seine Blätter als Tarnung, nur zur Sicherheit. Denn vor mir, nur einen guten Kilometer entfernt, lag Lumen.
Lumen, auch die Wolfsstadt genannt, beherbergte das Westküstenrudel, eines der stärksten Rudel Amerikas, wenn nicht der ganzen Welt.
Ich holte tief Luft, denn ich wusste, der letzte Kilometer würde der schwierigste werden. Jede Rudelstadt hatte Sicherheitsvorkehrungen und gutausgebildete Wachposten.
Und das Problem an Werwolfwachen war, dass ihre Nasen ihre besten Waffen waren. Sogar in Menschengestalt konnten sie einen Eindringling kilometerweit wittern.
Was bedeutete, dass sie mich jetzt jeden Moment wahrnehmen mussten, wenn sie es nicht schon längst getan hatten.
Aber das war egal.
Ich hatte etwas zu erledigen.
Ich sprang los und landete auf einem anderen Baum, dann sprang ich weiter zum nächsten. Ich schwang mich von Baum zu Baum, nun tiefer im Geäst, um mich im Laub zu tarnen.
Und da sah ich ihn. Nur ein paar hundert Meter vor mir.
Ein Werwolfwachposten.
Aber nicht irgendeine Werwolfwache. Ich konzentrierte mich und konnte das Abzeichen auf seiner Jacke erkennen, es kennzeichnete ihn als Mitglied des persönlichen Sicherheitsteams des Alphas.
Großartig.
Aber bevor ich irgendetwas tun konnte, richtete die Wache seine Augen auf mich. Er konnte mich auf jeden Fall wittern, meinen Blick auf sich spüren. Und ich hatte keine Lust zu warten, bis er Verstärkung rief.
Also holte ich noch einmal tief Luft und sprang nach vorne, in der Hoffnung, mein gedimmter Körper würde es ihm erschweren, mich zu entdecken.
Aber es machte nichts, dass ich kaum sichtbar war, denn die Wache nutzte seine Nase, um mich aufzuspüren.
Als ich durch die Bäume rannte, auf das Stadttor zu, hörte ich, wie sich die Wache hinter mir verwandelte. Jetzt war ich in Schwierigkeiten.
Vor einem Werwolf in Menschengestalt wegzulaufen war eine Sache. Aber vor einem Wolf?
Ich blieb in Bewegung, rannte weiter und riskierte einen Blick über die Schulter.
Die Wache war direkt hinter mir. Er knurrte und fletschte die Zähne. Keine zwei Schritte hinter mir.