Elijah Heartilly
VALERY
Am nächsten Morgen überlege ich, was ich meinem ungewöhnlichen Gast zum Frühstück machen soll. Er muss essen, um wieder zu Kräften zu kommen, aber ich habe keine Ahnung, was ein Wolf so frisst!
„Ach du meine Güte! Was mache ich denn jetzt?“, murmle ich vor mich hin.
Ich muss bald zur Schule und komme erst am Nachmittag zurück. Ich muss ihm also unbedingt etwas zu fressen geben!
Seufzend brate ich etwas Speck und koche Gemüse. Vielleicht mag er wenigstens den Speck. Wölfe sind ja schließlich Fleischfresser.
Ich stelle den Teller vor ihn hin und sehe, wie sich seine goldenen Augen vor Überraschung weiten. Verlegen kratze ich mich am Kopf.
„Tut mir leid. Wie gesagt, ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich mal einen Wolf bei mir zu Hause haben würde. Deshalb habe ich kein Wolfsfutter da. Aber keine Sorge, ich besorge dir was. Bitte iss trotzdem etwas.“
Obwohl ich weiß, dass er mich nicht verstehen kann, bitte ich ihn inständig, wenigstens ein bisschen zu essen. Zu meiner Überraschung senkt er den Kopf und frisst alles auf dem Teller auf.
„Wow, du musst ja richtig ausgehungert gewesen sein.“ Ich hebe die Hand und bedeute ihm zu bleiben. „Ich hole dir noch mehr!“
Ich flitze in die Küche und bringe den Rest des Frühstücks. Er frisst weiter und ich lächle zufrieden, während ich ihm zusehe. Wie schön, dass es ihm offenbar besser geht. Nachdem er die Hälfte von dem, was auf dem Teller ist, gefressen hat, schiebt er ihn zu mir rüber.
„Bist du satt? Na gut. Du kannst den Rest später essen.“
Ich will aufstehen, aber er schiebt den Teller gegen meine Hand.
„Was denn? Ich verstehe nicht, was du willst.“
Ich sehe ihn verwirrt an. Da nimmt er vorsichtig das Ende eines Speckstreifens zwischen die Zähne, sodass er nicht zerbricht, und legt es in meine Hand.
„Du willst, dass ich auch esse? Das ist lieb von dir. Aber ich habe das für dich gemacht. Ich brauche nichts.“
Ich lächle ihn an und will wieder aufstehen, als er wütend knurrt. Der plötzliche Laut erschreckt mich für einen Moment und ich sehe ihn wieder an. Seine goldenen Augen werden dunkler und er hält mir erneut den Speck hin.
Laut seufzend nehme ich den Speck von ihm. „Na schön, na schön. Ich esse ja schon“, murmle ich.
Ich stecke das Stück in den Mund und tue so, als würde ich ihn böse anstarren, während ich kaue. Er macht ein Geräusch, das wie ein Lachen klingt, und schiebt mir dann wieder den Teller zu.
„Du willst, dass ich das alles esse? Ich werde platzen-“
Er knurrt wieder und ich muss lachen. Es ist fast, als würde er wirklich verstehen, was ich sage.
Ich hebe die Hände, um zu zeigen, dass ich aufgebe, und nicke. Dann esse ich brav den Rest vom Teller auf.
Nachdem ich fertig bin, knurrt er wieder. Diesmal ist es kein wütender Laut, sondern ein sanftes, freundliches Brummen. Er sieht auf den Teller, schnüffelt daran und nickt dann mit dem Kopf, als wäre er zufrieden, was mich zum Schmunzeln bringt.
„Du bist ja ein komischer Kauz. Fast so, als würdest du dich um mich kümmern. Verrückt, oder?“
Diesmal stehe ich auf, ohne dass er versucht, mich aufzuhalten, und spüle den Teller ab. Ich schnappe mir meinen Rucksack und die Schlüssel, nachdem ich eine Schüssel Wasser neben meinen Gast gestellt habe, und knie mich dann neben ihn.
„Ich muss jetzt los. Tut mir leid, dass ich nicht bei dir bleiben kann, aber ich komme so schnell wie möglich zurück, okay?“
Ich nehme seine Schnauze in meine Hand und suche in seinen goldenen Augen nach einer Antwort. Sie werden sanfter. Ich nicke mit einem Lächeln und gebe ihm einen Kuss auf den Kopf, bevor ich gehe und sicherstelle, dass ich die Tür hinter mir abschließe.
Als ich in der Schule ankomme, gehe ich zuerst zum Lehrerzimmer und klopfe an die Tür. Ich lächle, als der Lehrer, mit dem ich sprechen möchte, die Tür öffnet.
„Guten Morgen, Herr Lamberg. Hätten Sie kurz Zeit für mich?“ Herr Lamberg ist einer meiner Lieblingslehrer. Er erklärt immer alles gut und ist ein sehr netter Mann.
Herr Lamberg nickt. „Aber natürlich, Valery.“ Er tritt zur Seite und lässt mich an ihm vorbei in den Raum gehen. Ein paar Lehrer unterhalten sich in der Nähe eines Getränkeautomaten, und Herr Lamberg führt mich zu einer Couch, wo er mich bittet, mich zu setzen.
Obwohl er einige Jahre jünger ist als mein Vater, waren sie gute Freunde. Es schien, als wäre Herr Lamberg fast jeden Freitagabend bei uns zu Hause gewesen - bis meine Eltern vor ein paar Jahren bei einem Autounfall ums Leben kamen.
Seitdem war Herr Lamberg jedoch sehr hilfsbereit. Er hat mir geholfen, Darlehen und Stipendien für die Schule zu finden, und er hat mir viele Ratschläge gegeben, was ich tun muss, um mich um das Haus zu kümmern, das ich geerbt habe, bevor ich eigentlich alt genug dafür war.
Jetzt bitte ich ihn um Rat, was ich mit dem großen Wolf zu Hause machen soll.
Sobald er sich gesetzt hat, klopft er auf sein Knie. „Womit kann ich dir helfen, Valery?“
Ich erzähle ihm, wie ich den Wolf gefunden habe und erkläre, was ich getan habe, um zu helfen. Er hört aufmerksam zu, mit leicht gerunzelter Stirn. Als ich fertig bin, schließt er die Augen, um nachzudenken, und öffnet sie dann wieder.
„Zunächst einmal muss ich dir sicher nicht sagen, wie gefährlich das war, Valery. Du hättest dich ernsthaft verletzen oder sogar getötet werden können.“
Ich schlucke und sehe auf meine Hände hinunter.
Herr Lamberg seufzt. „Aus irgendeinem Grund hast du aber anscheinend eine besondere Gabe. Eine Art Tierflüsterin oder so. Du warst schon immer gut mit Tieren, besonders mit Hunden, also überrascht es mich nicht, dass du einem wilden Wolf geholfen hast!“
Er steht auf. „Du bist eine der besten und vielversprechendsten Schülerinnen an dieser Schule. Ich werde dir ein paar Verbände für ihn und etwas Hundefutter geben, aber sobald es ihm besser geht, lass ihn frei. Wilde Wölfe sind nicht ungefährlich.“ Er reicht mir eine kleine Packung Hundefutter. „Hier, das sollte er problemlos fressen können.“
„Vielen Dank!“, sage ich und stecke das Futter in meine Tasche. Herr Lamberg geht zu einem anderen Schrank und nimmt Verbände heraus, die er mir ebenfalls gibt. Er will die Tür gerade schließen, hält aber inne, öffnet die Schranktür wieder und sieht darin herum.
Als er sich mir wieder zuwendet, reicht er mir ein Betäubungsgewehr. „Es ist wahrscheinlich keine gute Idee, dich überhaupt nach Hause gehen zu lassen, ohne die Behörden zu informieren, aber wenn er sich irgendwie aggressiv verhält, Valery, schieß mit dem hier auf ihn. Es wird ihn lange genug einschläfern, damit jemand kommen und ihn abholen kann. Verstanden?“
In meinem Kopf weiß ich, dass er Recht hat, vorsichtig zu sein. Erst gestern Abend dachte ich, ich wäre verrückt, den Wolf ins Haus zu bringen! Aber jetzt, wo ich Zeit mit ihm verbracht habe, kann ich nicht anders, als ein bisschen sauer zu sein, dass Herr Lamberg denkt, er könnte etwas anderes sein als der liebe Wolf mit den goldenen Augen, der er bisher war.
Trotzdem stecke ich das Betäubungsgewehr in meine Tasche und schließe sie, um Herrn Lamberg zu beruhigen. „Danke. Ich glaube wirklich nicht, dass Sie sich Sorgen machen müssen, und er wird wahrscheinlich nur noch einen Tag oder so bleiben müssen. Heute Morgen schien es ihm schon viel besser zu gehen.“
Herr Lamberg runzelt bei diesen Worten die Stirn und scheint einen Moment lang über etwas nachzudenken, aber er zuckt es ab und begleitet mich zur Tür des Lehrerzimmers. „Nach dem, was du gesagt hast, klingt es tatsächlich so, als wäre er schon einmal mit Menschen in Kontakt gewesen, aber Vorsicht ist besser als Nachsicht.“
Ich bedanke mich noch einmal und eile den Flur hinunter zu meinem Unterricht, aber er ruft mir nach.
„Valery, warte.“
Ich drehe überrascht den Kopf und gehe zu ihm zurück. Er lächelt und nickt in Richtung der Ställe.
„Miste einfach die Ställe aus und geh dann für heute nach Hause.“
Meine Augen werden vor Überraschung groß.
„Sind Sie sicher? Aber der Unterricht-“
Er unterbricht mich, indem er die Hand hebt, um mir zu bedeuten, still zu sein. Dann legt er seine Hand auf meine Schulter.
„Wie gesagt, du bist eine der besten Schülerinnen hier. Du lernst schnell, und ich weiß, dass du dir Sorgen machst, den verletzten Wolf allein zu lassen. Du hast meine Handynummer. Ich möchte, dass du mir ab und zu eine Nachricht schickst und mir sagst, dass es dir gut geht. Wenn nicht, komme ich selbst vorbei und sehe nach dir. Verstanden?“
Ich verdrehe die Augen und er lacht. „Und mach dir keine Sorgen wegen des Unterrichts. Du wirst schnell aufholen können.“
Ich lächle über die netten Dinge, die er gesagt hat, und nicke. „Danke. Ich werde den Stall ausmisten und Ihnen Bescheid geben, wenn ich fertig bin.“
Er schüttelt lächelnd den Kopf. „Schon gut. Ich werde beschäftigt sein. Geh einfach, wenn du fertig bist. Bis morgen.“
Ich nicke und laufe zum Umkleideraum, um mich umzuziehen und meine Wasserflasche zu holen. Dann gehe ich zu den Ställen, um sie auszumisten. Die anderen Schüler haben die Pferde schon gefüttert. Meine Klasse muss heute nach dem Unterricht hier saubermachen.
Ich lege los, um schnell fertig zu werden, nehme mir aber trotzdem Zeit, um bei den Pferden zu sein. Nach drei Stunden bin ich endlich fertig und räume die Putzsachen weg, bevor ich zurück zu meinem Spind gehe, um mich umzuziehen.
Auf dem Heimweg summe ich ein Lied, während ich an den Wolf denke. Hoffentlich geht es ihm gut. Ich habe gar nicht daran gedacht, ihn rauszulassen, damit er sein Geschäft machen kann!
Als ich zu meinem Haus komme, schließe ich die Tür auf.
„Ich bin wieder da!“, rufe ich und höre ein Heulen aus dem Wohnzimmer. Ich schätze, das heißt Hallo. Ich schmunzle und ziehe meinen Mantel aus, bevor ich meinen pelzigen Gast begrüße, der zur Tür gekommen ist.
„Ich habe ein paar Sachen für dich mitgebracht. Aber zuerst, musst du raus?“ Ich halte die Tür offen und hoffe, dass er, wenn er rausgeht, auch wieder zurückkommt. Aber obwohl er für ein paar Momente nach draußen schaut, bleibt er, wo er ist, mit wedelndem Schwanz.
„Bist du sicher? Einmal.“ Ich schließe die Tür ein wenig. „Zweimal.“ Ich schließe die Tür noch mehr. „Vorbei!“, sage ich, als ich die Tür ganz schließe und absperre. „Lass uns zu Mittag essen und dann wechsle ich deinen Verband, okay?“
Ich streichle seinen Kopf und er knurrt zufrieden. Nach ein paar Umarmungen gehe ich in die Küche, um mir etwas zu essen zu machen und das Hundefutter auf einen Teller zu geben. Ich nehme beide Teller und gehe ins Wohnzimmer.
Als ich mich setze, greife ich nach meiner Wasserflasche und gieße etwas in die nun leere Schüssel. Er trinkt etwas und ich fülle sie wieder auf.
„Also gut. Ich hoffe, das ist mehr nach deinem Geschmack. Lass uns essen!“
Ich nehme meine Gabel und fange an zu essen, höre aber auf, als ich sehe, dass er nur auf seinen Teller starrt.
„Was ist los? Hast du keinen Hunger?“
Ich stelle meinen Teller ab und sehe in seine goldenen Augen. Er macht ein Geräusch und nimmt einen Bissen von seinem Teller, aber er scheint nicht essen zu wollen...
Ich seufze, als ich meinen Teller abstelle und seinen Kopf streichle.
„Ist schon okay. Du musst dich nicht zwingen. Bist du sicher, dass es dir gut geht?“
Er knurrt und lehnt seinen Kopf in meine Hand. Dann hebt er den Kopf und schnappt sich eines der Gemüsestücke von meinem Teller.
„Hey! Was, magst du das lieber?“
Ich sehe ihn an und schüttle den Kopf, während er weiter mein Gemüse frisst.
„Du bist ein seltsamer Wolf. Na ja, solange du isst, ist es wohl in Ordnung.“
Ich lache und sehe ihm zu, wie er von meinem Teller frisst, bis er ihn zu mir schiebt und mich mit seinen goldenen Augen ansieht.
Ich lächle. „Ich weiß, ich weiß. Du willst, dass ich den Rest esse. Du brauchst nicht wieder zu knurren.“
Ich esse, und seine Augen werden sanfter. Aus seiner Kehle höre ich ein zufriedenes Brummen. Nachdem ich fertig bin, wasche ich mir die Hände und lege die Verbände an, bevor ich das Geschirr spüle und zu meinem Schreibtisch gehe. Damit er sich keine Sorgen macht, suche ich Herrn Lambergs Telefonnummer heraus und schicke ihm eine kurze Nachricht, dass alles in Ordnung ist.
Ich stecke das Handy in meine Gesäßtasche und greife nach meinem Mantel. „Ich gehe noch kurz spazieren, bevor es zu dunkel wird“, sage ich meinem Hausgast.
Er bellt, und ich lache, als ich mich zur Tür drehe.
Doch plötzlich ist er zwischen mir und der Tür, zeigt seine Zähne und das Fell auf seinem Rücken steht aufrecht, als wäre er zum Angriff bereit.