Ich fahre mehr als zwei Tage ununterbrochen durch, aber schließlich erreiche ich die Grenze des Bundesstaats und fühle mich gleichzeitig erleichtert und erschöpft. Es ist nicht mehr weit. Ich bin in Alabama, und die Position der Sonne am Himmel zeigt mir, dass es gerade später Nachmittag ist. Die Uhr auf dem Armaturenbrett bestätigt das. Ich habe der alten Mrs. Gordon gesagt, dass ich innerhalb der nächsten Stunde ankommen würde, um die Schlüssel für das Mietshaus abzuholen. Ich sehne mich nach einer heißen Dusche.
Es ist nun mehrere Monate her, seit ich Miles verlassen habe. Der einzige Vorteil, für mehrere Top-Anwälte in der Stadt zu arbeiten, ist das schnelle Scheidungsurteil. An dem Tag, an dem ich von der Affäre meines Mannes erfahren hatte, verbrachte ich meine Zeit damit, meine Bankkonten und die meisten der seinen zu leeren. Nach zwanzig Jahren schuldete er mir das.
Ich habe alle meine Konten geschlossen und neue bei einer anderen Bank eröffnet, während ich sichergestellt habe, dass die Personalabteilung bei meiner Arbeit von diesen Änderungen Bescheid wusste. Ich teilte ihnen auch meine neue Adresse mit. Es ist unglaublich, aber mein Chef überließ mir eine der vielen Wohnungen, die er vermietete, bis ich herausfinden konnte, was ich und Logan als Nächstes tun würden.
Logan all das zu erklären, war das Schwierigste. Zu erklären, warum wir wegziehen mussten, war für ihn unbegreiflich. Genau wie ich hat er geglaubt, dass unsere Familie stark und voller Liebe war, also war er natürlich völlig verletzt und verwirrt.
Nachdem die Scheidung abgeschlossen war, meinte Mr. Bigham, mein Chef, dass ich mir einen längeren Urlaub nehmen sollte. Und weil ich noch genug Urlaubstage zur Verfügung hatte, nahm ich die Chance nach einigem Überlegen wahr.
Logan ist jetzt im Footballcamp, also habe ich online nach Mietshäusern in der Nähe meiner Eltern gesucht, anstatt ziellos durch New York City zu wandern oder mich in der Wohnung zu verkriechen. Ich telefoniere mit meinen Eltern, aber wir sind so beschäftigt, dass ich sie seit meinem Weggang aus Alabama nicht mehr besucht habe.
Und jetzt bin ich zurück.
Dieser Straßenabschnitt ist abgeschieden und ich möchte es in die Stadt schaffen, bevor es dunkel wird. Alles, was ich sehe, sind die hoch aufragenden Bäume um mich herum und gelegentlich Weide mit Pferden und Kühen. Ich hatte vergessen, wie es unten im Süden ist. Die Luft ist sauberer, aber die Sommer sind schwüler. Gut, dass ich eine funktionierende Klimaanlage im Auto habe.
Ich weiß nicht, was schlimmer ist, der Schnee, den wir im Winter in New York haben, oder die Feuchtigkeit im Süden das ganze Jahr über. Ich kenne Leute in Alabama, die mitten im Winter noch Shorts und Flip-Flops tragen.
Ich blicke auf das Armaturenbrett und runzle die Stirn, als ich sehe, dass ein rotes Licht aufleuchtet. Es sieht aus wie ein verdammtes Hufeisen mit einem Ausrufezeichen in der Mitte.
Einfach großartig. Auf diesem Abschnitt gibt es keinen Ort, an dem ich anhalten kann, außer am Straßenrand, und es wird bereits dunkel. Der Handyempfang funktioniert hier ebenfalls kaum und ich habe keine Ahnung von Autos. Was kann denn noch schiefgehen?
Ich höre ein dumpfes Geräusch von meinem rechten Vorderreifen. Bis zur nächsten Stadt, die zufällig auch mein Ziel ist, dauert es noch mindestens dreißig Minuten, aber ich kann nicht riskieren, das Auto zu beschädigen. Und so packe ich das Lenkrad fester und bremse ab, bis das Auto zum Stehen kommt.
„Blöder Reifen.“
Noch ein Tritt. Ich muss aussehen wie eine verdammte Idiotin, die ihre Wut an einem platten Reifen auslässt, aber wer soll mich hier schon sehen?
„Konntest du nicht noch dreißig Minuten warten?“
Noch ein Tritt. Mittlerweile kann ich nicht mehr aufhören und trete und schreie den platten Reifen an.
„Warum nicht? Genau wie alles andere in meinem Leben! Mach weiter! Lass mich im Stich! Nein, warte! Das hast du doch schon! Du blöder Reifen!“
Ich bemerke das dunkle Polizeiauto nicht, das hinter mir anhält. Noch weniger bemerke ich in meiner Wut über den Reifen, der mich im Stich gelassen hat, den Polizisten, der auf mich zukommt, während ich weiterhin den Reifen trete.
„Was zum Teufel ist los mit dir?! Du kennst meinen Ex-Mann wohl persönlich, oder!?“
„Ähm … nicht persönlich, Ma’am. Ich glaube nicht, und außerdem scheint Ihr Reifen einen Platten zu haben.“
Ich mache einen Satz bei dem Klang seiner Stimme und stolpere fast über meine eigenen Füße. Er packt mich sofort an den Oberarmen, um zu verhindern, dass ich direkt auf meinem Hintern lande.
„Whoa! Ich wollte Sie nicht erschrecken. Entschuldigung, ich habe gedacht, dass sie mit mir gesprochen haben.“
Heilige Mutter Gottes, wann wurde dieser gutaussehende Mann geschaffen, und wo war ich, als er aufwuchs?
Aber Gott, ich wusste nicht, dass Männer in Uniform so verdammt heiß sein können! Ich meine, ich suche ganz sicher nicht nach einem Mann, aber ich kann männliche Exemplare doch trotzdem bewundern, oder? Außerdem sieht er aus, als wäre er ungefähr in meinem Alter, also bin ich mir ziemlich sicher, dass er schon seit einer Weile vergeben ist.
„Geht es Ihnen gut, Miss?“
„Nicht im Geringsten.“
„Mein Name ist Detective Kelly Hawthorne. Ich kann Ihnen helfen, Ihren Reifen zu wechseln, damit Sie weiterfahren können.“
„Detective? Aber Sie tragen eine Uniform.“
Er schmunzelt. „Ja. Ich habe heute das kurze Streichholz gezogen, als es darum ging, die Männer für die Streife auszulosen. Das passiert. Können Sie mir zeigen, wo Ihr Ersatzreifen ist …“
„Rayna. Ich heiße Rayna Anderson-Callaway.“
„Das ist ein ziemlich langer Name. “
Während er mir zum Kofferraum folgt, erkläre ich: „Ja, ich warte auf die Papiere, um den Zusatz Callaway loszuwerden. Hier ist der Ersatzreifen.“
„Scheidung?“
Ich nicke nur.
„Tut mir leid, das zu hören.“
Ich lache, während er den Ersatzreifen nach vorn rollt. Verdammt, dieser Hintern in dieser Uniform. „Mir nicht.“
„Sind Sie nur zu Besuch hier oder ziehen Sie um?“
„Ich komme für einen Besuch nach Hause. Ich bin in Ashville geboren und aufgewachsen. Ich musste eine Weile weg.“
Seine Augen schnellen zu meinen. Sie sind wunderschön grün. Fast klar, aber nicht ganz. Ich habe noch nie eine solche Farbe gesehen. Sein Haar ist dunkel, fast schwarz, und an den Seiten und hinten kurz geschnitten, aber oben länger. Seine Gesichtszüge sind makellos, mit einem kurzen Bart, der dieses gemeißelte Gesicht bedeckt.
In meinem Leben habe ich noch nie jemanden gesehen, der mich sprachlos gemacht hat, aber dieser Mann hat es beim ersten Anblick geschafft. Ein riesige, rote Flagge, die mich davor warnen sollte, mich von ihm fernzuhalten. Nichts Gutes kommt von gutaussehenden Männern. Gut, dass ich ihn nie wiedersehen werde.
„Ich arbeite bei der Sheriff-Abteilung in Ashville. Wo wohnen Sie?“
So viel zum Thema, ihn nie wiederzusehen.
„Ich habe ein Haus in der Spring Drive gemietet. Direkt an der Hugh Ridge Road.“
„Meinen Sie das Haus, das Edna Gordon gehört?“
„Ja.“
Er nickt erneut, während er den platten Reifen abnimmt. „Das ist nur ein paar Häuser von mir entfernt.“
Verdammt noch mal …
Es dauert nicht lange, bis er den Reifen gewechselt und den, der mich im Stich gelassen hat, wieder in den Kofferraum geworfen hat. Als wir zum Fahrersitz gehen, drückt er mich plötzlich gegen das Auto. Der Aufprall ist so stark, dass mein Rücken sofort gegen mein Auto knallt. Ein Truck fährt ein wenig zu nah an uns vorbei.
Aber der Truck wird plötzlich unwichtig, als ich den Geruch von Kellys Parfüm einatme – eine Mischung aus Minze, Sandelholz und einem Hauch von Gefahr. Mein Atem geht bereits schnell, da ich gerade von seinem Körper gegen mein Auto gedrückt werde, aber jetzt ist … alles, was ich tun kann, seinen maskulinen Duft einzuatmen.
Ich werde am Weg noch einen Zwischenstopp einlegen müssen. Mrs. Gordon wird das sicher verstehen. Ohne seinen Körper zu bewegen, neigt er seinen Kopf und spricht in mein Ohr.
„Geht es Ihnen gut, Rayna?“
„Ähm, ja?“
Er schaut auf mich hinunter, und verdammt, er ist so nah. Er sollte sich zurückziehen und ich sollte ernsthaft von hier wegkommen.
„Ist das eine Frage oder eine Aussage?“
Mit seinen Armen, die mich immer noch zwischen sich und meinem Auto einsperren, frage ich mich langsam, ob es vielleicht gar nicht so schlecht ist, allein auf einem verlassenen Straßenabschnitt mit diesem Mann zu sein …
„Ja, Detective, mir geht es gut. Ich muss weiterfahren. Danke für Ihre Hilfe.“
„Kein Problem.“
Nachdem er ein paar Schritte gemacht hat, dreht er sich plötzlich auf dem Absatz um und sieht mir in die Augen. „Wir sehen uns, Ms. Anderson-Callaway. Und bitte, nennen Sie mich Kelly.“
