Serene
CASSANDRA
Während Emilio Anweisungen gibt, sitzt Cassandra mit Alex in seinem Auto und hält ihn fest, da es keinen Kindersitz gibt. Ihr Sohn ist immer noch aufgebracht, weint aber nicht mehr.
Cassandra spürt Emilios Blick auf sich und begegnet seinem ausdruckslosen Starren. Er zeigt keinerlei Gefühle, was ihr Angst einjagt. Was geht in seinem Kopf vor? Was hat er vor? Werde ich meinen Sohn verlieren?
Als das Auto anhält, steigt Emilio flink aus und hilft Cassandra beim Aussteigen. Er führt sie in ein Gebäude.
Das muss eine Privatklinik sein, denkt sie, als sie drinnen sind. ~Das kann ich mir niemals leisten.~
Cassandra blickt zu Emilio, will gerade etwas sagen, als eine hübsche junge Frau am Empfang sie anlächelt.
"Herr Rodriguez. Wie können wir Ihnen helfen?"
Cassandra bemerkt, wie die Frau ihre Brust herausstreckt und Emilio übertrieben anblinzelt. Hat sie keinen Anstand? Sie ist bei der Arbeit!
"Ist Dr. Perez da?", fragt Emilio.
"Ja. Folgen Sie mir bitte."
Die Frau kommt hinter ihrem Schreibtisch hervor und sie folgen ihr den Flur entlang. Sie halten vor einer Tür rechts. Sie klopft leise und eine Frauenstimme sagt: "Candice, ich habe Ihnen doch gesagt, ich..." Ihre Stimme verstummt, als sie Emilio sieht. "Ich kümmere mich darum."
Nachdem die Empfangsdame gegangen ist, umarmen sich Dr. Perez und Emilio. Er gibt ihr auch einen Wangenkuss. Sie ist etwa vierzig und sehr attraktiv mit mittelbrauner Haut, hellbraunem Haar und braungrünen Augen.
"Du siehst blendend aus wie immer", sagt Dr. Perez zu Emilio. "Wie geht es deiner Mutter inzwischen?"
"Besser. Danke der Nachfrage."
"Was führt dich her?"
Emilio tritt zur Seite, damit Dr. Perez Cassandra und Alex sehen kann. Die Ärztin wirkt überrascht.
"Deine Mutter hat gar nicht erwähnt, dass du ein Baby hast, als wir zuletzt sprachen. Ich weiß, sie wünscht sich sehnlichst Enkelkinder."
"Selbst ich war überrascht." Er blickt zu Cassandra.
"Was ist los?", fragt die Ärztin sie und nimmt Alex. "Er glüht ja förmlich - hast du ihm ein kühles Bad gegeben?" Cassandra nickt.
Dr. Perez legt Alex auf ein kleines Babybett in ihrem Büro und überprüft seine Atmung. Cassandra ist sehr besorgt und hofft inständig, dass nichts Ernstes mit ihrem Sohn nicht stimmt.
Die Ärztin wendet sich wieder Cassandra zu. "Irgendwelche Allergien?" Cassandra schüttelt den Kopf. "Erzähl mir von seinem Fieber - wie lange hat er es schon und welche Medikamente hast du ihm gegeben?"
Cassandra antwortet so gut sie kann. Gestern Abend ging es ihm noch prächtig; erst heute Morgen war er quengelig. Sie dachte, es sei nichts Schlimmes, aber da lag sie falsch.
"Er hatte vor ein paar Tagen einen Schnupfen", fügt Cassandra hinzu.
Dr. Perez schaut in Alex' Ohr und er fängt wieder an zu weinen. Cassandra eilt sofort zu ihm. Als die Ärztin mit der Untersuchung fertig ist, blickt sie beide an.
"Er hat eine leichte Ohreninfektion, wahrscheinlich von seinem Schnupfen. Es ist nicht bedrohlich, aber deshalb ist er unruhig und hat Fieber. Ich gebe ihm ein Medikament."
Cassandra nimmt Alex hoch und drückt ihn an sich. Sie war so in Arbeit vertieft, dass sie nicht bemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte. Sie fühlt sich schuldig und ihre Augen füllen sich mit Tränen.
Dr. Perez legt eine Hand auf ihre Schulter. "Mach dir keine Vorwürfe, es ist nicht deine Schuld. Sowas passiert. Wenn du es jetzt nicht bemerkt hättest, würde es ihm später schlechter gehen. Ich hole sein Medikament."
Die Ärztin geht zu ihrem Schreibtisch und holt ein Rezept. "Ich verschreibe ihm auch etwas gegen die Schmerzen. Wie alt ist er?"
Cassandra sagt es ihr und fügt hinzu: "Vielen Dank, Doktor."
Dr. Perez lächelt. "Ich mache nur meinen Job." Sie gibt das Rezept Emilio und sagt: "Hier, bitte schön."
"Danke, Beth", sagt er. "Grüß Onkel von mir. Bitte behalte das vorerst für dich."
"Ich werde niemandem etwas sagen. Pass auf dich auf." Dr. Perez zögert. "Er sieht dir ähnlich. Er hat sogar das gleiche Muttermal."
Cassandra ist verwirrt, aber dann führt Emilio sie aus dem Krankenhaus. Bald sind sie wieder in seinem Auto und Emilio gibt seinem Fahrer das Rezept mit den Worten: "Besorge das so schnell wie möglich und bring uns dann zurück zum Penthouse."
Cassandra schaut schnell auf. "Ich möchte nach Hause, bitte. Es ist Zeit für Alex' Fläschchen." Emilios Blick lässt sie erschaudern, aber sie gibt nicht klein bei. "Ich bleibe nirgendwo mit dir."
Cassandra sieht, dass Emilio intensiv nachdenkt, also sagt sie nichts weiter. Sie braucht immer noch Alex' Medizin, also wird sie bis dahin mitgehen.
Für den Rest der Fahrt ist Alex ruhig. Er schläft sogar in ihren Armen ein. Armes Baby, er muss erschöpft sein vom vielen Weinen.
Nachdem sie in der Garage eines der teuersten Hotels am Times Square geparkt haben, bringt Emilio sie zu einem Aufzug, der einen Code benötigt. Er gibt den Code ein und sie fahren nach oben. Alex schläft noch immer.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie sollte morgen nicht hier sein; sie muss zurück zur Arbeit.
Falls ich überhaupt noch einen Job habe, flüstert eine leise Stimme in ihrem Kopf.
Als sie Emilios Penthouse betreten, ist Cassandra überwältigt von der Größe. Es hat riesige Fenster vom Boden bis zur Decke. Im Eingangsbereich steht eine Bar mit vielen edlen Getränken und die Küche und der Essbereich haben einen atemberaubenden Blick auf den Central Park. Alles, sogar die Möbel, ist in Weiß und Hellgrau gehalten.
Emilio legt Alex' Tasche auf das Wohnzimmersofa. "Folge mir", sagt er und führt Cassandra die Treppe hinauf in ein Schlafzimmer. Als sie dort ankommen, lässt er sie zuerst eintreten.
Ein großes Bett steht in der Mitte des Raumes, mit Nachttischen und großen Lampen auf jeder Seite. In der Nähe des Fensters stehen zwei Ledersessel mit einem Glastisch dazwischen. Ein großes Gemälde hängt an der Wand und eine Tür links führt vermutlich ins Badezimmer. Wie unten sind die Wände grau und der Boden aus Holz.
Dies ist nicht dasselbe Zimmer, in das er sie beim letzten Mal gebracht hat. Sie sieht ihn an.
"Warum bin ich hier?", fragt Cassandra.
Emilio runzelt die Stirn. "Wir müssen über einige Dinge reden. Leg ihn hin."
"Ich kann ihn hier nicht allein lassen; er könnte vom Bett fallen. Wenn er aufwacht, braucht er sein Fläschchen. Wir müssen nach Hause."
"Du gehst nirgendwo hin, bis ich einen DNA-Test gemacht habe, und das wird ein paar Tage dauern. Wenn er meiner ist, muss ich es Leuten sagen, bevor es jemand anders herausfindet."
"Wir können nicht hier bleiben. Und warum denkst du, ich würde einen DNA-Test zulassen? Er ist nicht dein Baby", lügt Cassandra.
"Sei vorsichtig", warnt Emilio. "Wenn er meiner ist, nehme ich ihn dir weg. Du bleibst hier, bis ich sage, dass du gehen kannst. José wird alles besorgen, was er braucht."
"Du kannst mich nicht zwingen, hier zu bleiben!"
"Doch, das kann ich."
"Ich muss morgen zur Arbeit." Cassandra fleht: "Emilio, bitte tu das nicht. Ich kann meinen Job nicht verlieren."
Emilio hebt eine Augenbraue. "Hast du vergessen, wer dein Chef ist? Wenn du deinen Job behalten willst, tu, was ich sage."
"Was soll ich Herrn Smith sagen, warum ich nicht da bin?"
"Darum kümmere ich mich. Gib mir deine Wohnungsschlüssel und Adresse."
"Wozu?"
Emilio deutet auf Alex. "Er wird seine Sachen brauchen - ich lasse José sie holen. Schreib alles auf, was er braucht; da drüben auf dem Tisch liegen Papier und Stift."
"Emilio...", beginnt Cassandra, aber er dreht sich um und lässt sie ihm nachstarren.
Cassandra legt Alex aufs Bett und vergräbt das Gesicht in den Händen. Was soll sie nur tun?
Sie geht zum Balkon und blickt auf den Central Park. Wie ist sie nur in diese Lage geraten? Was hatte sie sich dabei gedacht, vor fünfzehn Monaten mit ihm zu schlafen?
Cassandra schaut zurück zu Alex, der auf dem Bett schläft. Sie geht zurück, setzt sich neben ihn und streicht ihm durchs Haar. Sie weiß nicht, wie es weitergehen soll.