Em Jay
BAILEY
Bailey war stinksauer, ihr Fuß klopfte ungeduldig auf den Boden. Wer zum Teufel glaubte Spencer eigentlich, wer er sei? Ihr Vater?
Es war etwas anderes gewesen, als Spencer sie gestern im Flur gesehen hatte. Da war Eric wirklich unheimlich gewesen.
Aber diesmal fühlte es sich an, als hätte Spencer ihr Gespräch belauscht und wäre extra aus seiner Wohnung gekommen, um den Retter zu spielen. Klar, Bailey wusste, dass Eric kein Engel war.
Trotzdem ging Spencer das einen feuchten Dreck an.
Warum muss sich jeder in mein Leben einmischen?
Ihre Mutter versuchte ständig, sie zu „reparieren“, ihr Agent traute ihr nicht über den Weg, das Buch fertigzustellen, und jetzt hatte Spencer auch noch ihren Freund verjagt.
„Du bist nicht mein Vater, Spencer. Weder mein Bruder noch mein Mann oder mein Freund. Du hast mir nicht vorzuschreiben, mit wem ich zusammen sein soll.“
Spencers Hals spannte sich an, seine Kiefermuskeln traten hervor. Er sah sie mit zusammengekniffenen Augen an.
„Er behandelt dich wie den letzten Dreck –„
Bailey versuchte, ihren Schmerz zu verbergen. Die Wahrheit tat weh. Sogar ein Fremder konnte es sehen. Ihr wurde heiß. Ihr Blick wanderte von ihm weg, die Hände fielen schlaff herunter.
„Warum interessiert dich das überhaupt?“
„Warum interessiert es dich nicht?“, sagte er leise, jeglicher Ärger war verflogen.
Bailey sah ihm nicht in die Augen und legte ihre Hand auf den Türknauf.
„Dieses Gespräch ist beendet, Spencer.“
Bailey ging in ihre Wohnung und knallte die Tür zu.
Was zum Henker war das gerade?
Obwohl sie sauer war, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Spencer war zwar etwas grob, aber irgendwie gefiel ihr das.
Er war nicht einfach nur charmant, wie die Typen in ihren Büchern. Er war freundlich auf eine Art, die sie spüren ließ, dass sie sich selbst mehr wertschätzen sollte.
Es war nervig und schön zugleich, als wäre eine ihrer Romanfiguren zum Leben erwacht, um sie daran zu erinnern, dass sie Besseres verdient hatte.
Bailey kuschelte sich tiefer ins Sofa, die Beine angezogen, während ihre Gedanken Achterbahn fuhren. Wie würde es sich wohl anfühlen, in seinen Armen zu liegen?
Sie malte es sich aus: stark, sicher, aber nicht einengend. Seine Berührung wäre fest genug, um sie sich geborgen zu fühlen, aber sanft genug, um sie atmen zu lassen. Warm, beständig und irgendwie einfach … richtig.
Ihre Finger zeichneten gedankenverloren Muster auf dem Sofa. Sie konnte fast spüren, wie seine Hand ihr Haar zurückstrich.
Die Tagträume mussten sie eingelullt haben, denn als Nächstes öffnete sie blinzelnd die Augen.
Ihr Nacken schmerzte von der unbequemen Schlafposition, und auch ihr Rücken tat weh.
Mit einem leisen Stöhnen bewegte sie sich, hatte aber nicht die Energie, sich richtig aufzusetzen. Stattdessen ließ sie ihren Kopf auf der Couch ruhen und starrte an die Decke.
Ehrlich gesagt versuchte sie, nicht zu viel über ihre Beziehungen nachzudenken. Das war gefährlich, wie in Treibsand zu waten.
Als Schriftstellerin hatte sie ein Auge für Muster – wie sich Charaktere entwickeln, was sich wiederholt, welche Probleme ungelöst bleiben. Es brauchte nicht viel, um den Kern ihrer eigenen Probleme zu erkennen – ihre Familie und genauer gesagt, ihre Mutter.
Das war der Knackpunkt. Jede miese Beziehung, jede Liebesgeschichte, die im Keim erstickte – alles führte zurück zu diesen frühen Tagen.
Diese riesige Leere. Sie wollte nicht darüber nachdenken, nicht jetzt, nie. Aber die Wahrheit hing wie ein schlechter Geruch in der Luft. Sie konnte sich eine Beziehung ohne diese Probleme nicht wirklich vorstellen.
Zumindest nicht für sich selbst.
Ihre Charaktere jedoch? Die waren anders. Cynthia war fleißig, freundlich und stark – eine Version von ihr selbst, aber ohne den ganzen Ballast.
Bailey konnte aus dem Schmerz Geschichten machen und anderen ein Happy End geben, auch wenn sie selbst keines zu bekommen schien.
Die Geschichten würden reichen müssen. Das hatten sie immer. Und außerdem warten Abgabetermine auf niemanden.
***
Der Oktober kam und ging, und bald war auch Thanksgiving vorbei. Das Wetter war saukalt geworden für den Winter, mit heftigem Schneefall jede Woche.
Eric tauchte immer noch auf. Bailey konnte sehen, dass er anfangs nervös war und Ausschau hielt, ob Spencer auftauchen würde. Tat er nicht.
Oft kamen Frauen zu Spencers Tür, und sie versuchte, dem nicht zu viel Beachtung zu schenken. Es gefiel ihr nicht, das zu sehen.
Bald waren die Feiertage vorbei, und das neue Jahr stand vor der Tür. Bailey machte gute Fortschritte mit ihrem Roman und nutzte die Probleme in ihrem Leben, um ihre Geschichte voranzutreiben.
Bailey brauchte dringend gute Nachrichten.
Das Leben wurde zur Routine, eine Art Gleichgewicht. Sie sehnte sich nach etwas – irgendetwas Großem, Inspirierendem.
Ihre Routine änderte sich schlagartig, als ein heftiger Schneesturm die Ostküste traf und New York und New Jersey unter einer dicken Schneedecke begrub. Stromleitungen waren ausgefallen, und Familien waren in Sorge, da sie ihre Lieben nicht erreichen konnten.
Die Straßen waren spiegelglatt, überall krachte es. Die Leute waren immer noch dämlich genug, bei einem Meter Schnee Auto zu fahren.
Überall versagte die Notstromversorgung. Einige Krankenhäuser hatten keinen Strom, und Menschen starben.
Die Heizungen fielen aus, und es war bitterkalt. Sie nannten den Sturm Carlos.
Und das Schlimmste sollte morgen um 21 Uhr kommen. Bailey ging mit diesem Wunsch nach Inspiration im Herzen zu Bett.