Fest im Griff - Buchumschlag

Fest im Griff

Elizabeth Gordon

Der Zwischenfall

JACOB

Als Libbys Schrei ertönte, war Jacob innerhalb weniger Augenblicke auf den Beinen.

Er ließ seinen Controller fallen und rannte in den Flur, um dem schrecklichen Geräusch in Richtung Melindas Zimmer zu folgen.

Guter Gott, dachte er.

Er riss Melindas Tür auf und fand Libby umgekippt vor, die sich an ihr blutverschmiertes Hemd klammerte.

Melinda atmete durch zusammengebissene Zähne. Tränen kullerten ihr über die Wangen.

"Was zum Teufel hast du getan?", schrie Jacob.

Er drehte Libby um, als Rosie und Karen in der Tür erschienen.

Jacob half Libby aufzustehen und zählte drei Stichwunden, aus denen Blut floss. Eine befand sich in der Nähe ihrer Rippen, nahe ihrer Lunge.

Er blickte nach unten und sah die blutige Schere auf dem Boden.

"Mein Gott", keuchte Jacob.

"Ich wollte nicht...", weinte Melinda. "Es tut mir so leid!"

"Bringt Melinda weg!", befahl Jacob den beiden schockierten Frauen im Türrahmen. "Und jemand muss einen Krankenwagen rufen!"

Rosie zog ihr Handy aus der Tasche und begann zu wählen. Natürlich hatte sie die Regel mit der blauen Schüssel nicht befolgt, aber das wollte Jacob jetzt nicht erwähnen.

Karen hielt Melinda an den Schultern fest und führte sie aus dem Zimmer.

Die kleine Verrückte weinte noch heftiger als Libby.

Woher nimmt sie nur die verdammten Nerven?, fragte sich Jacob.

Er winkelte seinen Körper an und schirmte Libby vor Melindas ausgestreckten Händen ab.

"Geh einfach, Melinda. Du hast schon genug Schaden angerichtet", spuckte er.

Rosie sprach auf dem Flur mit der Polizei, und Jacob legte sich den Arm seines Zwillings über die Schulter.

"Kannst du gehen?", fragte er sie.

"Ich glaube schon", antwortete sie.

Bei ihrem ersten Schritt schrie Libby vor Schmerz auf.

"Mir geht es gut!", beruhigte sie ihn.

Jacobs Herz schmerzte für Libby. Er konnte nur erahnen, wie verängstigt sie sein musste. Er wollte ihr den Schmerz nehmen.

Er wollte sie vor allem beschützen, was sie verletzen könnte, aber es war zu spät.

Jacob half Libby die Treppe hinunter.

"Nur noch ein paar Stufen, Libby", tröstete er sie durch den Schmerz hindurch. "Nur noch ein paar. Es wird alles wieder gut."

Er brachte sie gerade nach draußen, als der Krankenwagen eintraf. Die Sanitäter eilten herbei und halfen Libby auf eine Bahre, und Jacob machte eine Bestandsaufnahme seiner erschöpften Familie.

"Wo ist Papa?", rief er.

Keiner antwortete.

"Ich nehme Melinda im Auto mit", rief Rosie, und ihre Mutter nickte.

Jacob sah zu, wie seine Mutter neben Libby in den Krankenwagen stieg. Er wollte sich ihnen anschließen, aber eine Sanitäterin hielt ihm die Hand hin.

"Nur ein zusätzlicher Begleiter", sagte sie ihm.

Jacob seufzte, als er auf Libby hinunterblickte.

Sie ließ sich von den Sanitätern helfen und wusste nicht einmal, dass Jacob da war.

Er kletterte aus dem Krankenwagen und setzte sich auf den Rücksitz von Rosies Mustang. Wenigstens brauchte er nicht neben Melinda zu sitzen.

Aber Jacob konnte seine Wut kaum unterdrücken, so nahe bei seiner geistesgestörten Schwester. Er wollte, dass Melinda für das bezahlte, was sie getan hatte.

Rosie berührte Melindas Arm, als sie rückwärts aus der Einfahrt fuhr.

"Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid", wiederholte Melinda immer wieder und hielt ihr Gesicht in den Händen.

"Melinda, könntest du verdammt noch mal die Klappe halten?", schnauzte Jacob.

DAN

Das war ein böses Erwachen.

Dan war in einem postkoitalen Dunst eingeschlafen, als sein Handy geklingelt hatte. Die ersten paar Anrufe konnte er noch ignorieren (sein Handy war schließlich in seiner Hose auf der anderen Seite des Zimmers), aber beim vierten Anruf kam er aus dem Bett.

Er hatte auch SMS erhalten.

RosiePapa, nimm ab
RosieLibby ist verletzt
RosieWir fahren ins Krankenhaus
RosieMelinda hat sie verletzt
RosieSie wird wieder gesund, aber es sieht nicht gut aus
RosieRuf nicht zurück
RosieTriff uns einfach im Krankenhaus

"Scheiße!", schrie Dan.

"Du sollst in meinem Haus nicht schreien...", begann Ramona mit ihrer "Kein Scheiß"-Routine.

Dan hörte kaum zu. Er zog sich an und lief ohne ein Wort der Erklärung zu seinem Pickup.

Auf dem Weg zum Krankenhaus überlegte er, was er später sagen würde, um es bei Ramona wiedergutzumachen. Ihm fiel ein, dass Karen weder eine SMS geschickt noch angerufen hatte.

Er konnte nicht einmal damit anfangen, was er sagen könnte, um es bei ihr wiedergutzumachen...

Er konnte nicht glauben, dass Melinda Libby wehgetan hatte. Ja, das Mädchen war krank, aber war sie auch gewalttätig?

Er drückte das Gaspedal durch und raste über eine gelbe Ampel. Bevor er und Ramona ins Bett gegangen waren, hatten sie eine ordentliche Menge Whiskey getrunken. Das gab ihm zusätzlichen Treibstoff für seine Fahrt.

Als er im Krankenhaus ankam, fand er Karen, Rosie und Jacob tief in die Stühle im Wartezimmer versunken.

"Wo warst du?", fragte Rosie, als Dan sich näherte.

"Ich habe mit einem Freund etwas getrunken", antwortete er schroff. "Kann mir mal jemand sagen, was passiert ist?"

"Melinda ist ausgeflippt", sagte Jacob.

"Libby hat eine durchstochene Lunge", fügte Rosie hinzu, wobei ihre Stimme brach.

Karen sagte nichts. Sie saß einfach nur da und die Tränen liefen ihr über die Wangen.

"Wo sind sie?", fragte Dan.

"Libby wird gerade von den Ärzten untersucht. Sie wollten uns nicht bei ihr bleiben lassen", informierte Jacob ihn.

"Und Melinda ist in der Psychiatrie", sagte Rosie.

"In der Psychiatrie?" Dan starrte Karen an.

Er setzte sich neben seine Frau. "Was macht sie denn da?"

Karen weinte weiter, und Dan berührte ihren Arm. Sie reagierte nicht. Sie schaute ihn nicht einmal an.

"Sie könnte einen weiteren Anfall haben", sagte seine Frau schließlich und starrte ausdruckslos auf den Empfangstresen. "Was hätte ich denn tun sollen?"

"Scheiße", fluchte Dan. Er bewegte seine Hand von seiner Frau zu seinem Schoß. Er dachte laut nach. "Sie betäuben sie wahrscheinlich, bis sie einschläft. Gott, sie könnten sie sogar einweisen. Musstest du ihnen sagen, dass sie Libby verletzt hat?"

Als Dan aufblickte, starrte Jacob ihn an, als hätte er zwei Köpfe.

"Papa, Melinda hat mit einer verdammten Schere auf Libby eingestochen. Sie sollte eingewiesen werden."

Das war alles, was Karen ertragen konnte. Sie brach an Dans Schulter zusammen.

Dan legte seinen Arm um sie. Er war froh, dass er seine Frau noch trösten konnte, selbst in einem Moment wie diesem.

"Sie hat sich deswegen schlecht gefühlt, okay?", schrie Rosie Jacob an. "Melinda ist schizophren, sie wusste nicht, was sie tut."

Jacob spottete.

"Jacob!", rief Dan. Jacobs Augen weiteten sich vor Überraschung. "Deine Schwester ist krank, okay? Gewalt ist inakzeptabel ... aber wir müssen Melinda in dieser schweren Zeit unterstützen."

Dan tat sein Bestes, um seiner Rolle als Vater gerecht zu werden. Sein Arm blieb um seine Frau gelegt, während er seine Familie in Ordnung hielt.

Jacob starrte auf seine Hände. Einen Moment lang dachte Dan, er hätte ihn wirklich erreicht.

"Du bist nur betrunken", spuckte er schließlich aus.

"Jacob!", schimpfte Karen. Aber auch sie begegnete Dans Blick nicht.

Ein Arzt erschien, und alle Johnsons richteten sich auf.

"Sie müssen Libbys Vater sein", sagte der Arzt, ein ernster Mann mit Brille. Er streckte seine Hand aus, um die von Dan zu schütteln. "Ich bin Dr. Terryman."

Dan nickte.

"Die gute Nachricht ist, dass Libby stabil ist und sich bereits auf dem Weg der Besserung befindet", begann Dr. Terryman. Karen seufzte dramatisch.

"Die schlechte Nachricht ist, dass Einstichwunden nicht genäht werden können, so dass wir sie etwa eine Woche lang hier behalten müssen, um ihre Heilung zu überwachen."

Die Familie schwieg.

"Und Melinda?", fragte Dan.

"Melinda ist bei meinen Kollegen in der psychiatrischen Abteilung. Sobald deren Analyse ergeben hat, dass sie keine Gefahr mehr für sich oder andere darstellt, können wir über die nächsten Schritte sprechen."

Der Arzt schenkte ihr ein kleines Lächeln.

"Können wir sie sehen?", fragte Dan.

"Ich fürchte, nein, Sir. Ich denke, es wäre besser für alle, wenn Sie sich etwas ausruhen", riet Dr. Terryman.

Die Johnsons dankten dem Arzt, und er ging.

In der Abwesenheit des Mediziners verblasste die Fassade der vereinten Familie schnell.

Dan wusste, dass sein Sohn wütend war, dass seine Frau neurotisch war, dass eine Tochter verletzt und eine andere verrückt war.

Alle anderen wussten, dass Dan betrunken war.

ROSIE

Zurück in ihrem Zimmer drückte Rosie einen Teddybär an ihre Brust und schloss die Augen, um die Tränen zu unterdrücken.

Sie wünschte, sie könnte die Ereignisse des Abends vergessen. Vorher war alles so gut gewesen, und sie hatte es nicht einmal gemerkt.

Sie holte ihr Handy heraus. Sie hatte eine Menge verpasster SMS von Jackson. Sie hatte aufgelegt, als das alles vorhin passiert war, und sie hatte keine Zeit gehabt, ihm zurückzuschreiben.

JacksonBabe
JacksonWas ist passiert?
JacksonAlles in Ordnung?
Jackson...
JacksonBist du sauer oder so?
JacksonIch war noch nicht fertig mit unserem Gespräch
JacksonWas soll’s.
JacksonVielleicht hat deine verrückte Mutter dein Handy gefunden
JacksonHoffentlich sieht sie das 😜
JacksonBis später, Schatz

Rosie seufzte. Sie wünschte, Jackson wäre jetzt hier, aber ihm eine SMS zu schreiben, war besser als nichts. Sie hoffte nur, dass er noch wach war.

RosieJackson ❤️
RosieEs tut mir so leid, Baby
RosieDas war die beschissenste Nacht aller Zeiten
JacksonHey, Schatz.Baby, was ist passiert?
RosieIch bin so froh, dass du noch wach bist!!!
RosieEs war so schlimm, Baby
Jackson???
RosieMelinda hatte einen Anfall
RosieUnd sie hat Libby verletzt 😢
JacksonVerdammt
JacksonWas zum Teufel
JacksonWas hat sie getan?
RosieSie hat auf sie eingestochen
RosieMit einer Schere.
RosieIch kann nicht mal darüber nachdenken. Libby ist jetzt im Krankenhaus.
JacksonVerdammt. Das ist verrückt
JacksonWo ist Melinda?
RosieAuch im Krankenhaus
JacksonGut
JacksonIch will, dass mein Baby in Sicherheit ist
RosieSo ist es nicht. Aber danke.
JacksonIch wünschte, ich wäre da, um dich zu halten. Die ganze Nacht.
RosieIch auch ❤️❤️❤️
RosieIch sollte schlafen gehen
RosieIch liebe dich
JacksonIch liebe dich auch
JacksonGeh schlafen
RosieOh und Baby
RosieBitte sag es niemandem?
JacksonJa, natürlich. Gute Nacht!

Rosie seufzte und schaltete ihr Telefon aus. Als sie die Augen schloss, konnte sie immer noch die SMS ihres Freundes sehen.

Sie konnte praktisch seine Stimme hören, die ihr sagte, dass er sie in den Arm nehmen wollte.

Rosie wollte das auch. Das war das Einzige, was sie aufmuntern konnte.

Die eine Sache, durch die sich dieses Spukhaus wieder wie ein Zuhause anfühlen könnte.

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