
The Silver Siren (Deutsch)
Allie ist bereit, das Erwachsenenalter und ihre erste Schicht zu übernehmen, aber sie ist nicht begeistert davon, ihren Gefährten zu finden. Was als typischer Übergang ins Erwachsenenalter beginnt, entwickelt sich zu etwas viel Dunklerem, als lang gehütete Geheimnisse und verborgene Gefahren ans Licht kommen. Allie entdeckt, dass sie nicht die ist, für die sie sich hielt, und ihre Verbindung zu ihrem Gefährten ist mächtiger – und gefährlicher – als sie es sich je vorgestellt hat. Während sie eine Welt voller Geheimnisse durchquert, wird sie dem Gefährtenband erliegen oder gegen die Gefahr kämpfen, die droht, alles zu verschlingen, was sie kennt?
Kapitel 1
ALLIE
„Ab unter die Duschen, Leute! Das war’s für heute!“, rief Roland und beendete die Einheit. Alle begannen, ihre Sachen zu packen und gingen in Richtung Umkleiden.
Ich schnappte mir mein Handtuch, legte es mir um den Hals und trank einen langen Schluck aus meiner Wasserflasche.
„Gut gemacht heute, Allie“, sagte Roland und klopfte mir kumpelhaft auf den Rücken.
Er kannte mich, seit ich dreizehn war, also waren wir ziemlich eng. „Danke“, erwiderte ich lächelnd.
„Ich wollte dich um einen Gefallen bitten“, sagte er.
„Klar, schieß los“, antwortete ich und wischte mir mit dem Handtuch übers Gesicht.
„Ich muss diesen Freitag aus der Stadt. Meinst du, du könntest für mich einspringen und den Kurs übernehmen? Ich glaube, du hast die Jungs gut im Griff.“
„Allie?“, fragte Roland und wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht. „Allie?“
Ups! Ich merkte, dass ich einfach nur dagestanden hatte – völlig abwesend, mit einem dämlichen Grinsen im Gesicht. „Sorry! Ja, klar, ich kann den Kurs für dich übernehmen“, sagte ich und spürte, wie meine Wangen heiß wurden.
„Super, danke. Ich weiß, es ist ziemlich kurzfristig, aber es gibt echt niemanden, dem ich so sehr vertraue und der den Kurs so gut kennt wie du. Mach einfach das Übliche – Aufwärmen, ein paar Übungsbewegungen, dann etwas Sparring.. Halte es einfach. Klingt das okay?“
„Klingt super!“, sagte ich – ein bisschen verträumter, als ich eigentlich wollte. Und schon wieder wurde ich knallrot.
Roland lachte. „Perfekt, danke, Allie. Du wirst Spaß haben. Sie mögen dich alle.“
„Danke“, murmelte ich schüchtern. Wir verabschiedeten uns, und ich schnappte mir meine Tasche und meine Turnschuhe.
Ich komme seit fast fünf Jahren ins Red’s Gym und es fühlt sich wirklich wie ein zweites Zuhause an. Sobald ich durch die Tür gehe, fühle ich mich sofort sicher und angekommen.
Es ist seltsam. Irgendwie ist es mein Wohlfühlort.
Ich mochte schon immer Sport. Also bin ich damals zu einem Selbstverteidigungskurs für Teenager gegangen, nachdem ich einen Flyer in der Schule gesehen hatte – und war sofort begeistert. Jetzt helfe ich mittwochs und freitags nachmittags in genau diesem Kurs mit und bringe Jugendlichen die Grundlagen bei.
Das Red’s lag ganz im Westen des Gebiets, zusammen mit der Highschool – ein überwiegend von Menschen bewohnter Teil. Der Selbstverteidigungskurs wurde meistens von Mädchen besucht, aber gelegentlich war auch ein Junge dabei – obwohl die Jungs eher die Kampfsportkurse bevorzugten.
Seit ich letzten Monat frühzeitig meinen Abschluss gemacht habe, verbringe ich die meiste Zeit hier – kein Wunder, schließlich arbeite ich auch Teilzeit im Café. Ich schlüpfte in meine Turnschuhe und machte mich auf den Weg zu den Duschen.
Unter dem warmen Wasserstrahl ließ ich Rolands Bitte so richtig auf mich wirken. Und ich bekam das Grinsen einfach nicht aus dem Gesicht.
Ich trocknete mich schnell ab, zog eine alte, ausgewaschene schwarze Jeans, ein grünes T-Shirt mit winzigen Sternen und meine schwarzen Sneaker an. Dann föhnte ich mein hüftlanges Haar und drehte es zu einem Knoten auf dem Oberkopf zusammen.
Ich stopfte meine Sachen in die Tasche und machte mich auf dem Weg ins Café, um einen Saft zu holen. Als ich hereinkam, sah ich Kayla an der Theke stehen, wie sie sich mit dem Barista unterhielt.
Wir haben uns vor ein paar Jahren hier im Gym kennengelernt und sind seitdem beste Freundinnen. Wir waren zwar auf derselben Highschool, aber dort haben sich unsere Wege nie gekreuzt.
Ich hüpfte zu ihr rüber, und noch bevor sie etwas sagen konnte, platzte ich heraus: „Rate mal!“ Sie öffnete den Mund, um zu antworten, aber ich konnte meine Aufregung nicht länger zurückhalten und rief: „Roland will, dass ich am Freitag den Kurs leite!“
„Wow, wie cool ist das denn?!“, quietschte sie und zog mich in eine Bärenumarmung. Sie drückte mich fest an sich, ließ dann los – behielt aber meine Arme in ihren Händen.
„Lass uns deine Stunde planen“, sagte sie, das Strahlen förmlich im Gesicht. Sie vibrierte vor Begeisterung!
Sie wühlte in ihrer Tasche und holte ein dickes Notizbuch heraus. Wir kicherten und ließen uns an einem freien Tisch nieder.
Kayla und ich sind fast gleich alt – sie wird nächsten Monat 18 und ich habe am Samstag Geburtstag. Wie ich hat auch sie letzten Monat ihren Abschluss vorzeitig gemacht.
Wir sind Lernpartnerinnen und ein gutes Team, also war es einfach, gemeinsam durchzuziehen. Achtzehn zu werden ist in der Werwolf-Community eine große Sache.
Da bekommt man seinen Wolf – das heißt, man kann sich endlich verwandeln. Außerdem werden Schnelligkeit und Stärke deutlich gesteigert.
Und die Heilung verläuft schneller als je zuvor. Ich konnte es kaum erwarten, meine Wölfin kennenzulernen und ihre Kraft zu spüren.
Aber es ist nicht alles Zuckerwatte und Sonnenschein. Mit achtzehn kann man auch seinem Gefährten begegnen – dem, den die Mondgöttin für einen bestimmt hat.
Und darauf war ich ehrlich gesagt nicht sonderlich scharf. Seinen Gefährten zu finden ist wie das fehlende Stück der eigenen Seele zu entdecken.
Man wird vollständig – zwei Hälften, die eins werden, verbunden fürs ganze Leben. Was ich bisher darüber gehört habe: Die Verbindung ist unglaublich stark – und nahezu unmöglich, sich ihr zu entziehen.
Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich einen Partner fürs Leben wollte – erst recht keinen, den ich mir nicht selbst ausgesucht hatte. Ich hatte mein Leben bereits durchgeplant, eine aufregende Zukunft vor mir – und ich hatte nicht vor, all das aufzugeben, nur um zur Welpenmaschine für einen Fremden zu werden.
Es gab zwar die Möglichkeit, seinen Gefährten abzulehnen, aber das war riskant. Die Verbindung zwischen zwei Gefährten zu durchtrennen ist extrem schmerzhaft – und wenn man nicht stark genug ist, können sowohl man selbst als auch der eigene Wolf daran sterben.
Wir bestellten Milchshakes und verbrachten eine halbe Stunde damit, die Stunde zu planen, bevor wir uns auf den Heimweg machten. Kayla bot an, mich nach Hause zu fahren.
Ich warf meine Tasche auf den Rücksitz und ließ mich auf dem Beifahrersitz nieder. Als wir losfuhren, fragte Kayla: „Hast du schon Pläne für deinen Geburtstag? Es ist ja bald soweit.“
„Nein, nichts Großes. Ich wollte fragen, ob du am Samstag Lust hast, ins Kino zu gehen?“
„Klar, gerne. Plant Melissa etwas?“, fragte Kayla.
„Ich glaube nicht“, sagte ich achselzuckend. „Aber sie will mit mir in den Wald – für meine erste Verwandlung.“
„Cool“, sagte sie. „Bist du nervös?“
„Ein bisschen“, gab ich zu.
Kayla lächelte. „Das wird schon.“
Melissa ist meine Patentante. Sie kümmert sich um mich, seit meine Eltern starben, als ich noch ein Baby war. Sie war die beste Freundin meiner Mutter – sie sind als Nachbarinnen aufgewachsen und später zusammen zur Schule gegangen.
Obwohl sie ein Mensch ist, war die Bindung zwischen meiner Mutter Suzanne und Melissa stark – sie betrachteten sich als Schwestern. Melissa weiß schon seit Langem von der Existenz der Werwölfe, was in unserer Gemeinschaft eher ungewöhnlich ist.
Normalerweise halten wir Menschen von unserer Welt fern. Und heute ist sie das, was einer Familie für mich am nächsten kommt.
Als ich kleiner war, habe ich sie ständig über meine Eltern ausgefragt, gierig darauf, alles über sie zu erfahren. Wie haben sie gerochen? Was war ihr Lieblingsessen? Was war ihr Lieblingsfilm?
Melissa antwortete immer nur: Sie waren wunderbare Menschen. Doch je älter ich wurde, desto öfter bemerkte ich, wie blass ihr Gesicht dabei wurde, wie leer ihre Augen wirkten – und mir wurde klar, wie sehr es ihr wehtat.
Dann fühlte ich mich schuldig, überhaupt gefragt zu haben. Also hörte ich damit auf.
Melissa hat sich gut um mich gekümmert und mir alles gegeben – sie hat mir alles gegeben, was ich körperlich und emotional gebraucht habe. Ich hatte das Gefühl, ich bin es ihr schuldig, sie nicht in schmerzhafte Erinnerungen zurückzustoßen.
Wäre sie nicht gewesen, wäre ich im Waisenhaus des Rudels aufgewachsen. Es hat sie zutiefst getroffen, als meine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen – ich war gerade mal sechs Monate alt.
Damals hatte Melissa auf mich aufgepasst, während meine Eltern zu zweit ausgegangen waren. Ich erinnere mich an nichts von ihnen – und manchmal bin ich froh darüber.
Ich glaube, der Schmerz, sie verloren zu haben, wäre unerträglich, wenn ich mich an ihre Gesichter, ihre Stimmen oder ihren Geruch erinnern könnte. Ich vermisse es schrecklich, Eltern zu haben – aber zu sehen, wie sehr Melissa unter ihrem Verlust leidet, tut mir noch mehr weh. Das ist einer der Hauptgründe, warum ich sie nicht mehr nach ihnen frage.
In letzter Zeit ist mir allerdings aufgefallen, dass sie sich merkwürdig verhält. Normalerweise ist sie gesprächig und quirlig, und wir stehen uns sehr nah – wir gehen oft zusammen essen oder ins Kino.
Aber in letzter Zeit ist sie still und in sich gekehrt. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Letzte Woche war ich nach Hause gekommen und hatte sie vor einem gerahmten Foto meiner Eltern gefunden – sie hatte es traurig angestarrt, während ihr lautlos Tränen über das Gesicht gelaufen waren.
Die Tränen hatte sie schnell weggewischt, in der Hoffnung, ich hätte es nicht gesehen, und dann war sie in die Küche verschwunden, um das Abendessen zu machen. Und die wenigen Male, die ich meinen Geburtstag erwähnt habe, wich sie dem Thema aus.
An meinen bisherigen Geburtstagen hat sie immer fröhlich mit mir gefeiert, mit einem Hauch von Traurigkeit im Gesicht. Aber dieses Jahr fühlt sich alles viel schwerer an.
Ich habe keine Ahnung, was sie im Moment so unglücklich macht. Ja, sie ist jedes Jahr ein bisschen traurig, weil meine Eltern nicht mehr da sind – aber diesmal ist es … anders.
Der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf ging, war: Ich werde achtzehn und bin dann offiziell erwachsen – vielleicht hat sie Angst, mich zu verlieren, wenn ich meinen Gefährten finde. Bei meiner Abschlussfeier letzte Woche war Melissa stolz im Publikum gesessen, als ich mein Diplom entgegengenommen habe.
Sie hatte so viel Liebe ausgestrahlt, und auch wenn ich mir wünschte, meine Eltern hätten mich auf der Bühne sehen können, fühlte ich mich trotzdem unglaublich dankbar, dass sie in meinem Leben ist. Wäre sie damals nicht meine Vormundin geworden, hätte ich ins Waisenhaus des Rudels gemusst.
Als ich mit dem Diplom in der Hand von der Bühne gekommen war, hatte sie mich fest in die Arme genommen. Ihr schönes Gesicht hatte vor Stolz geleuchtet, während sie mir gratuliert hatte.
Nach ein paar Minuten Fahrt bog Kayla in die kleine Einfahrt neben dem Cottage ein und parkte. Wir haben morgen Frühschicht im Café, also hatte Kayla angeboten, mich abzuholen.
Ich habe zwar meinen Führerschein schon bestanden, aber noch kein eigenes Auto – deshalb hilft Kayla mir manchmal aus und nimmt mich mit. Ich griff nach meiner Tasche auf dem Rücksitz und bedankte mich für die Fahrt.
Das Cottage liegt am Rand eines dichten Waldes, ganz am äußersten Rand des nördlichen Territoriums unseres Rudels. Das Gold Creek-Rudel ist eines der größten in Nordamerika – gut organisiert, wirtschaftlich erfolgreich und entsprechend einflussreich.
Alpha Spencer ist ein starker und gerechter Anführer. Er hat es geschafft, mit unseren zwei nächstgelegenen Nachbarrudeln ein Friedensabkommen zu schließen, das nun schon seit Jahrzehnten besteht. Das Rudelhaus, in dem der Alpha, der Beta, die Gammas und ihre Familien wohnen – zusammen mit einigen Bediensteten und Kriegern – befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite des Geländes. Ich war zwar noch nie dort drin, aber Kayla und ich sind bei unseren Touren ein paar Mal daran vorbeigefahren.
Kurz nachdem sie ihren Führerschein und ihr Auto bekommen hatte, sind wir oft gemeinsam losgefahren, um das Rudelgebiet zu erkunden. Das Cottage liegt direkt an der Baumgrenze des Waldes, ist recht geräumig und hat ein schräges Dach aus roten Ziegeln.
An jedem Fenster hängen sonnengelbe Holzläden, und vor dem Haus erstreckt sich ein großer Garten mit Blumenbeeten, die überquellen vor leuchtenden, farbenfrohen Blüten. Jetzt im Frühling platzte der Garten förmlich vor neuem Leben – aber ehrlich gesagt sah er das ganze Jahr über wunderschön aus.
Er war Melissas ganze Leidenschaft. Sie verbringt einen Großteil ihrer Freizeit damit, seltene und beeindruckende Pflanzen, Kräuter und Blumen zu züchten – von den meisten habe ich noch nie zuvor gehört. Ich trat durch die passende, sonnengelbe Haustür und warf meine Tasche aufs Sofa.
Melissa war nicht zu Hause. Sie arbeitet in einem großen Architekturbüro näher am Stadtzentrum und war noch bei der Arbeit.
Ich ging in die Küche, und mein Magen knurrte so laut, als hätte er gewusst, dass ich mich dem Essen näherte.
Ich zauberte mir ein Truthahnsandwich und setzte mich an die Küchentheke, um zu essen. Ich liebe Essen. Wirklich. Mehr als alles andere.
Als ich fertig war und meinen Teller gespült hatte, begann ich über meinen bevorstehenden Geburtstag nachzudenken. Ich hatte mir bislang kaum Zeit genommen, ihn mir wirklich bewusst vorzustellen.
Frühere Geburtstage waren immer ziemlich … na ja, normal gewesen. Ein Kuchen, Geschenke – und ein Ausflug zum Bowling oder ins Kino.
Und natürlich immer all meine Lieblingsgerichte! Aber dieser Geburtstag war ein echter Meilenstein – und entsprechend groß war der Druck.
Mit achtzehn ist man im Rudel offiziell erwachsen. Und dann steht auch noch die erste Verwandlung an … und die wird schmerzhaft.
Ich war froh, dass Melissa bei mir sein würde – aber langsam wurde ich doch nervös.
Ich räumte meine Sachen weg, zog meine Sneaker aus und ließ mich aufs Sofa sinken, um die letzten Details für den Unterricht am Freitag auszuarbeiten. Ich wollte, dass er perfekt wird.
Schon beim Gedanken daran kribbelte es in meinem Bauch vor Aufregung! Es fühlte sich an wie ein Schritt näher an meinem großen Ziel: mein eigenes Gym zu eröffnen – spezialisiert auf Selbstverteidigung und Kampfsportarten.
Seit ich meine allererste Selbstverteidigungseinheit hinter mir hatte, wusste ich, dass das mein Weg war. Es war wie ein Aha-Moment – plötzlich war da diese Klarheit, und ich wusste, wofür ich bestimmt bin.
Dem Kurs beizutreten war ein Wendepunkt für mich. Als ich damals mit dreizehn den Aushang am Schwarzen Brett der Schule sah, fühlte ich mich sofort davon angezogen.
Ich war still und schüchtern, hielt mich in der Schule meist im Hintergrund. Keine besonderen Talente, keine wirklichen Hobbys.
Alle anderen Kinder wussten, dass ich eine Waise war – in der Werwolf-Community entgeht einem schließlich nichts. Niemand war je gemein zu mir, aber die meisten hielten einfach Abstand. Ich war dankbar, dass ich nie gemobbt wurde, aber am Ende bedeutete es, dass ich kaum Freunde hatte – was durch meine soziale Unsicherheit auch nicht besser wurde.
Als ich dem Kurs im Gym beitrat, veränderte das alles. Mein Selbstbewusstsein wuchs, und ich fand endlich Anschluss. Es fühlte sich total natürlich an, das Kämpfen zu lernen – als hätte ich genau das immer gebraucht.
Jedes Mal, wenn ich dort war, fühlte ich mich angenommen und zufrieden. Und dort begegnete ich Kayla. Wir verstanden uns auf Anhieb – und sind seither unzertrennlich.
Sie ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von mir: groß, schlank und mit dem schönsten blonden Haar, das man sich vorstellen kann – von Natur aus wellig.
Als wir uns kennenlernten, war ich überzeugt, dass sie es jeden Tag lockt. Ich habe ihr nie geglaubt, wenn sie meinte, es sei natürlich. Erst bei meiner ersten Übernachtung bei ihr wurde mir klar, dass sie die Wahrheit gesagt hatte.
Sie wusch sich abends die Haare – und am nächsten Morgen sahen sie einfach … perfekt aus.
Ich meine, wirklich perfekt. Wie frisch vom Laufsteg: weiche, glänzende Wellen aus goldener Seide.
Ich hingegen bin eher klein – kaum eins fünfzig – und definitiv nicht schlank.
Nicht dick, nicht übergewichtig, eher kräftig und muskulös vom vielen Training. Kurvig, würde ich sagen.
Meine Haare reichen mir bis zur Taille,glatt wie ein Lineal und schokoladenbraun. Unsere Persönlichkeiten könnten unterschiedlicher kaum sein – und doch passen wir auf eine Art zusammen, die sich einfach richtig anfühlt.
Als würde ich Kayla schon mein ganzes Leben lang kennen. Und als würde das auch immer so bleiben. Der Kurs war nur der Anfang.
Nachdem ich die Grundlagen der Selbstverteidigung gemeistert hatte, wechselte ich in alle möglichen Kampfsportkurse – wirklich alle. Dann kamen die Vollkontakt-Sportarten, bis ich alles ausprobiert und gelernt hatte, was das Gym zu bieten hatte.
Der Selbstverteidigungskurs ist trotzdem mein absoluter Favorit geblieben. Mit sechzehn fing ich an, dort freiwillig mitzuhelfen. Roland meinte immer, ich hätte ein Händchen dafür, die Jüngeren zu motivieren und mit ihnen in Kontakt zu kommen.
Ich liebe es, ihnen etwas beizubringen – vielleicht, weil ich mich in vielen von ihnen wiedererkenne. Zu sehen, wie sie nach und nach Selbstvertrauen gewinnen und sich zu jungen Erwachsenen entwickeln, erfüllt mich jedes Mal mit echter Freude.
Den Kurs am Freitag zu leiten bedeutet mir viel. Wenn es gut läuft und ich einen guten Job mache, könnte das Türen öffnen – mehr Verantwortung, mehr Erfahrung als Trainerin. Vielleicht sogar ein Job im Gym.
Das wäre einfach nur großartig! Da piepte mein Handy – eine Nachricht von Melissa. Sie schrieb, dass sie heute Abend länger arbeitet.
Das war jetzt schon jeden Tag so in dieser Woche. Ich habe sie seit dem Wochenende nicht mehr gesehen, was ungewöhnlich ist.
Wir schreiben kurz hin und her, und ich erzähle ihr vom Kurs am Freitag – falls wir uns heute Abend tatsächlich nicht mehr sehen. Ich hoffe nur, sie geht mir nicht aus dem Weg.














































