
Meine Augen weiteten sich bei dem, was ich las. Ein Teil von mir weigerte sich zu glauben, dass dies wirklich passiert war, und der andere Teil wollte unbedingt mehr wissen.
Ich warf einen Blick auf den Wecker auf meinem Nachttisch und ich erschrak. Es war schon fast Morgen. Offenbar war ich so in das Tagebuch vertieft gewesen, dass ich vollkommen die Zeit aus den Augen verloren hatte.
Ich seufzte und beschloss, für heute Schluss zu machen. Meine Augenlider waren bereits so schwer geworden, dass ich darum kämpfte, sie offen zu halten. Ich legte das Tagebuch auf meinen Nachttisch und schaltete das Licht aus.
Mit Gedanken an Al Nadaha und an das, was Amina und ihrem Verlobten zugestoßen war, schlief ich endlich ein.
Es dauerte nicht lange, bis ich das geschäftige Treiben in der Stadt nicht mehr hören konnte.
Ausnahmsweise ärgerte mich der berüchtigte Stau in Kairo nicht. Ich war eher froh über die Verspätung, denn ich war nicht sehr begeistert davon, wieder zur Arbeit zu gehen.
In den letzten Tagen hatte ich versucht, mich vor meiner Mutter normal zu verhalten, um ihr zu versichern, dass ich wirklich weitermachte.
Und das hatte ich auch wirklich versucht, aber die Gefühle des Verrats und der Wut lasteten weiter auf meiner Brust. Ich konnte mich einfach nicht von ihrer erdrückenden Wirkung befreien, egal wie sehr ich mich bemühte.
Die Liebe war nur ein Dilemma, an das die Menschen zu glauben pflegten, und sie hinterließ oft eine Menge unsichtbarer Narben, von denen man sich nur schwer erholen konnte.
Jemanden zutiefst zu lieben bedeutete gleichzeitig ein großes Risiko verletzt zu werden. Man musste dieser Person die volle Kontrolle über sein Herz geben und konnte nur hoffen, dass sie barmherzig genug war, es nicht zu brechen.
Das Komische daran war, dass wir den Herzschmerz immer schon von weitem sahen, aber nie darauf vorbereitet waren. Man konnte nie glauben, dass jemand, den man liebte und schätzte, einem so viel Schmerz zufügen konnte.
Man musste diese Person schon sehr nah an sich rangelassen haben, damit die Wunde so tief war.
Autohupen holten mich in die Realität zurück. Ich blinzelte und sah mich um, um festzustellen, dass die Ampel bereits auf Grün umgeschaltet hatte und die Fahrer der Autos hinter mir mich verfluchten.
Ich grummelte, als ich meinen rechten Fuß auf das Gaspedal setzte und losfuhr.
Als ich einige Zeit später an meinem Arbeitsplatz ankam, parkte ich mein Auto aber blieb noch ein paar Minten sitzen.
Ich war mir nicht sicher, ob ich mich in seiner Gegenwart zusammenreißen konnte, aber dann erinnerte ich mich daran, dass ich es musste.
Ich hatte immer geglaubt, dass ich stark genug war, um mit allem fertig zu werden, was mir nach dem Tod meines Vaters widerfuhr.
Ich sollte all die Gefühle, die mich überwältigten, in etwas Positives verwandeln, das mich vorwärts bringen würde. Ich würde mich niemals von ihm unterkriegen lassen.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf stieg ich aus dem Auto aus, betrat das Gebäude und fuhr mit dem Aufzug in meine Etage. Als ich ausstieg, fühlte es sich so an, als ob mich jeder, der auf ebenfalls auf dieser Etage war, anstarren würde.
Ich ging erhobenen Hauptes weiter, bis ich mein Büro erreichte und mich an meinen Schreibtisch setzte.
Es vergingen kaum ein paar Minuten, als sich die Tür abrupt öffnete und jemand eintrat.
"Da bist du ja endlich wieder!"
Ich blickte auf und entdeckte Seif. Seine Augen waren voller echter Sorge. Er war einer meiner besten Freunde und einer der wenigen Menschen, denen ich noch vertraute.
"Oh mein Gott, Layla!" Er sah verzweifelt aus und fuhr sich mit der Hand durch sein lockiges Haar. "Du hast ja keine Ahnung, was für Sorgen ich mir um dich gemacht habe. Warum hast du nicht auf meine Anrufe reagiert?"
Es gab keine besonderen Merkmale, die Seif zu einem gutaussehenden Mann machten, aber seine Augen waren etwas Besonderes. Sie hatten eine sehr dunkle Farbe, fast schwarz, aber sie strahlten Intensität, Sanftheit und Ehrlichkeit aus.
Vielleicht war er sogar die wahre Definition eines Gentleman - im Gegensatz zu einem anderen Idioten, den ich geglaubt hatte zu lieben.
Er hatte einen kleinen Ziegenbart und sein Haar war lockig und unordentlich und sah immer so aus, als wäre er gerade aus dem Bett gekommen. Ich war immer der Meinung, dass dies nur zu seinem einzigartigen Aussehen beitrug.
"Ich brauchte einfach etwas Zeit für mich, das ist alles", antwortete ich, wobei ich darauf achtete, ihm in die Augen zu schauen und ihn so zu beruhigen. "Es tut mir leid, wenn du dir wegen mir Sorgen gemacht hast."
"Es ist nur ..." Er stieß einen langen Seufzer aus und sprach dann sanft weiter. "Wenn du reden willst, dann weißt du hoffentlich, dass ich immer für dich da bin." Ich konnte echte Sorge in seinen dunklen Augen sehen, als er mich ansah.
Ich schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Ein paar Augenblicke lang stand er einfach so da und schien nach etwas anderem zu suchen, was er sagen konnte.
"Ich bin auf jeden Fall in der Nähe. Du weißt ja wo du mich findest, wenn du etwas brauchst", sagte er schließlich und lächelte sanft. Dann verließ er das Büro und schloss die Tür hinter sich.
Ich seufzte. Ich schätzte seine Besorgnis, aber ich konnte das Mitleid, das mir die Leute entgegenbrachten, nicht ertragen. Es wurde mir langsam zu lästig.
Ich warf einen Blick auf den Berg von Akten auf meinem Schreibtisch und stellte fest, dass ich nicht in der Stimmung für Papierkram war. Also zog ich meinen weißen Kittel an und beschloss, ins Labor zu gehen, um an dem neuen Medikament zu arbeiten.
Ich wollte gerade mein Büro verlassen, doch als ich die Tür öffnete, blieb ich augenblicklich stehen. Ich wurde von einem Paar dunkelbrauner Augen empfangen, die ich mittlerweile mehr als alles andere auf der Welt verabscheute.
Als ich ihn ansah, spürte ich, wie die Wut tief in meiner Brust aufloderte. Sein kurzer Stoppelbart war perfekt gestylt und im Gegensatz zu mir schien er in einer ziemlich guten Verfassung zu sein. Offenbar hatte ihn das, was passiert war, nicht im Geringsten beeinträchtigt.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten. "Was zum Teufel willst du, Karim?"
"Bitte beruhige dich, Layla", begann er und hob beschwichtigend die Hände. "Ich muss nur mit dir reden, bitte."
"Du musst mit mir reden?" Ein bitteres Lachen kam aus meinem Mund. "Ich will nichts von dem hören, was du zu sagen hast, vielen Dank auch du Mistkerl."
Seine Augen wurden noch ein paar Nuancen dunkler. Dann kam er in mein Büro und schlug die Tür hinter sich zu.
Ich trat automatisch ein paar Schritte von ihm zurück. "Raus hier, Karim, oder ich rufe den Sicherheitsdienst", drohte ich und griff nach meinem Festnetztelefon.
Er kam und riss mir den Hörer aus der Hand. "Ich gehe nicht bevor du mir zugehört hast." Er fuhr sich schnell mit den Fingern durch sein dunkelbraunes Haar, und seine Augen wurden weicher, als er mich ansah.
"Ich liebe dich, Layla. Das was passiert ist, war einfach ein Fehler."
"Einfach?", schnaubte ich und sah ihm in die Augen. "Du nennst es einfach, mich mit meiner Freundin zu betrügen?"
"Ja, ich nenne es einfach. Willst du wissen, warum?", zischte er. "Erinnerst du dich an das letzte Mal, als wir wie ein normales Paar ausgegangen sind?
"Du warst immer beschäftigt, hast an dem neuen Medikament gearbeitet und für deine blöde Zeitschrift geschrieben. Du wolltest sogar die Hochzeit verschieben, weil du sagtest, du hättest nicht genug Zeit für die Vorbereitungen und die Planung.
"Es schien fast so, als wärst du die Einzige, der ein Arbeitsleben hat. Und weißt du was? Farida war da, jederzeit verfügbar.
"Und bei deinem vollen Terminkalender hast du nicht einmal bemerkt, dass deine Freundin ständig versucht hat, mich zu verführen und dir wegzunehmen."
Das Feuer der Wut und des Hasses loderte in mir auf. "Oh, jetzt schiebst du mir also die Schuld in die Schuhe. Gibst mir die Schuld dafür, dass ich gut in meinem Job bin? Etwas, das dir offenbar schwerfällt.
"Du gibst mir die Schuld dafür, dass ich dir und dieser Schlampe vertraut habe. Konntest du etwa nicht Nein sagen oder hat sie dich gezwungen, indem sie dir eine Waffe an den Kopf gehalten hat?", zischte ich und spürte, wie die Tränen bereits in meinen Augen brannten.
"Oh Gott, hörst du dir eigentlich selbst zu? Du bist nur sauer, weil ich in meinem Job so erfolgreich bin. Weil ich mit dem, was ich gerade tue, viel Geld verdiene, während du immer noch mit Papierkram beschäftigt bist.
"Es hat dein Ego so sehr verletzt, dass deine Verlobte - und zukünftige Frau - erfolgreicher sein wird, als du es dir je erträumt hattest."
"Halt sofort die Klappe!", bellte er und meine Augen weiteten sich. Seine Augen waren jetzt so kalt, wie ich sie noch nie gesehen hatte, und seine Gesichtszüge wirkten einschüchternd. "Was glaubst du eigentlich, wer du bist, dass ich neidisch auf dich bin?
"Dein Erfolg bedeutet mir nichts, Layla. Du bist nur eine narzisstische Schlampe, die glaubt, die Welt drehe sich nur um sie.
"Und wer weiß, vielleicht ist dein hübsches Gesicht sogar der einzige Grund, warum du es so weit geschafft hast. Ich glaube, der Chef ist sehr zufrieden mit dir ... und deiner Arbeit."
Brennende Wut zischte durch meinen Körper wie tödliches Gift. Ich merkte erst, was ich tat, als ich meine Hand bereits mit seiner Wange verbunden hatte - die Ohrfeige war so laut wie ein Klatschen.
Seine Augen waren weit aufgerissen, und es schien, als würde er immer noch versuchen zu begreifen, was gerade passiert war. Er berührte seine Wange, die nun von dem Schlag gerötet war, und sah mich an. Wenn Blicke töten könnten wäre ich wohl auf der Stelle tot umgefallen.
Mein Herz klopfte schnell und ich atmete schwer. Plötzlich biss er die Zähne zusammen und machte langsame Schritte auf mich zu, und ich machte die gleichen Schritte weg von ihm.
Seine Augen waren voller Gewalt und ich wollte am liebsten aus dem Zimmer verschwinden, weil ich kaum noch atmen konnte.
Plötzlich öffnete sich die Tür und Seif kam herein. Ich war noch nie so froh, ihn zu sehen.
Er wollte gerade etwas sagen, erstarrte dann aber und seine Augen weiteten sich, als er die Szene vor sich sah.
Karim fluchte leise vor sich hin, während er mich anstarrte. "Dafür wirst du noch bezahlen", drohte er, bevor er aus dem Zimmer stürmte.
Seif eilte zu mir. "Hat er dir wehgetan?" Ich schüttelte den Kopf.
"N-nein, aber ich brauche dringend frische Luft." Schnell rannte ich aus dem Büro und lief direkt zu meinem Auto.
Später in der Nacht lag ich regungslos auf meinem Bett. Es fiel mir immer noch schwer zu glauben, was heute geschehen war, und ich konnte nicht glauben, dass der Mann, den ich einst so geliebt hatte, derselbe Mann aus meinem Büro heute war.
Das Komische daran war jedoch, dass ich tatsächlich froh war, dass es passiert war, dass ich endlich seine wahre Gestalt gesehen hatte. Jetzt hatte ich nur noch ein Gefühl, das über allen anderen stand, und das war Hass. Purer Hass.
Ich schaute auf meinen Nachttisch und sah das Tagebuch darauf liegen. Ich stieß einen Seufzer aus und nahm es an mich. Ich musste mich ablenken und nicht mehr darüber nachdenken, was heute passiert war.
Also schlug ich das Buch auf und begann da weiterzulesen, wo ich zuletzt aufgehört hatte.