
Ich schreckte hoch, als es laut an der Tür klopfte. Dann kam Olivia mit einem Lächeln herein. Sie wirkte überglücklich.
Ich blieb unter der Decke, weil ich mich wegen der letzten Nacht schämte. Mir war klar, dass mein Hintern trotz meiner Werwolf-Heilkräfte noch blau geschlagen war.
„Ich fass es nicht, dass du seine Gefährtin bist!“, rief Olivia fröhlich. „Das macht uns ja fast zu Schwestern, wo ich doch die Gefährtin des Betas bin“, jubelte sie und hüpfte auf mein Bett.
„Runter da“, fuhr ich sie an, und sie hörte auf.
„Tut mir leid“, sagte sie und stieg vom Bett. Ich hatte kein schlechtes Gewissen, weil ich sie angefahren hatte. Dazu gab es keinen Grund.
„Hier sind deine neuen Klamotten. Der Alpha lässt deinen Schrank mit neuer Kleidung auffüllen. Ich hab ihm deine Größen verraten.“ Sie lächelte, gab mir ein paar Sachen und verließ den Raum.
Ich verdrehte die Augen und nahm die Kleidung mit ins Bad. Unter der Dusche ließ ich meinen Tränen freien Lauf. Ich versuchte gar nicht erst, sie zurückzuhalten. Es war mir egal.
Ryan und mein Vater mochten es nicht, wenn ich weinte, also tat ich es nicht, aber jetzt war es mir schnuppe.
Nach der Dusche zog ich Unterwäsche und BH an und schlüpfte in das hellrosa Kleid, das Olivia mir gebracht hatte. Dann bürstete ich meine Haare.
Ich band sie zu einem Dutt, weil ich keine Lust hatte, mich groß damit abzugeben.
Ich versuchte, nicht zu grübeln und ging nach unten. Überraschenderweise war die Tür nicht abgeschlossen.
Ich roch Essen und ging in die Küche. Tess und Olivia kochten. Robin und Beta Levi halfen.
„Guten Abend, Luna“, sagte Robin und lächelte mich an.
„Nenn mich nicht so“, blaffte ich. Ich verdrehte die Augen und ignorierte ihre Blicke.
„Hier“, sagte Tess und reichte mir einen Teller mit Brathähnchen, Mais und Kartoffelpüree. Ich setzte mich an den Tisch und starrte auf mein Essen.
„Wie spät ist es?“, fragte ich und sah zu ihnen auf. Sie blickten mich ausdruckslos an, bevor Beta Levi antwortete.
„Sechs Uhr.“ Er lächelte freundlich.
Ich seufzte und schaute auf das Essen. Ich hatte keinen Hunger und hatte den ganzen Tag verschlafen. Ich vergrub das Gesicht in den Händen und fing wieder an zu weinen.
Ich weinte leise und hoffte, er würde nichts zu mir sagen.
Er setzte sich mir gegenüber und begann zu essen.
Wie konnte er essen, als wäre nichts passiert? Was stimmte mit diesem Typen nicht?
„Iss dein Essen“, sagte er mit rauer Stimme.
„Ich hab keinen Hunger.“ Ich schniefte.
„Du hast den ganzen Tag nichts gegessen“, sagte er im gleichen Ton. Es war, als würde ihn nichts aus der Ruhe bringen.
„Ich hab Angst, dass ich mich übergeben muss, wenn ich mich zwinge.“ Ich seufzte und hoffte, er würde nicht sauer auf mich werden.
Er schwieg und ich fühlte mich etwas besser.
„Wer ist Ryan?“, fragte er beim Essen.
Verdammt. Vielen Dank, Bell!, dachte ich bei mir. Er hatte Bells und mein Gespräch mitgehört und ich war sicher, sie wusste, dass das passieren würde.
„Ich versuche, nicht die Beherrschung zu verlieren“, sagte er ungeduldig.
„Er ist der Beta aus meinem alten Rudel“, sagte ich. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen.
„Und?“, fragte er. „Bitte sieh mich an, wenn wir reden“, sagte er und räusperte sich.
Ich nahm die Hände vom Gesicht und lehnte mich in meinem Stuhl zurück.
Ich sah ihn kurz an und dann weg. Seine grauen Augen wirkten diesmal sanfter und meiner Wölfin gefiel das. Ich rieb mir übers Gesicht in der Hoffnung, sie würde aufhören.
„Er hatte keine Gefährtin und ich auch nicht, also waren wir zusammen. Mein Vater wusste es nie und sonst auch niemand.
Aber einige alte Rudelmitglieder meinten, er und ich sollten Gefährten sein, um starke Kinder zu bekommen. Vater war dagegen.“ Ich zuckte mit den Schultern.
„War er der einzige Mann, mit dem du zusammen warst?“, fragte er mich.
Ich spürte seinen Blick auf mir, sah aber nicht hin. Ich starrte auf das Essen auf meinem Teller, das ich nicht anrühren wollte.
„Nein, ich war mit ein paar Menschen zusammen. Vielleicht drei“, sagte ich leise.
Ich musste ihm die Wahrheit sagen und wollte ihn wirklich nicht verärgern. Aber ich log.
Ich war nur mit einem Menschen zusammen und das war eine dumme Eintagsgeschichte nach einem heftigen Streit mit Ryan.
„Und Kenton?“, fragte er. Er klang wütender.
„Er hat mich geküsst“, sagte ich scharf und sah ihn wütend an.
Unsere Blicke trafen sich und alles fühlte sich leichter und heller an. Ich verstand die Gefühle nicht, die ich hatte.
Ich versuchte wegzusehen und ich konnte sehen, dass er es auch versuchte, aber wir konnten nicht.
Wir blieben eine Weile so und seltsamerweise wollte ich nicht, dass es endete.
Ich hörte, wie zwei Personen ins Haus kamen. Er stand auf und ich vermisste seine Augen sofort. Sie hatten die perfekte graue Farbe mit silbernen Sprenkeln.
Ich mochte sein Aussehen schon so sehr, es war albern.
Beta Levi zog Kenton in die Küche und ich stand auf, aber mein Gefährte blockierte mich.
„Du hast mir gesagt, dass Estella dich geküsst hat“, sagte mein Gefährte.
„Was?“, fragte ich überrascht. Er hob die Hand, um mich zum Schweigen zu bringen, und ich sah zu Kenton, der niemanden ansah.
„Hast du mich angelogen?“, brüllte er laut.
„I-Ich“, stammelte Kenton und hatte Schwierigkeiten zu sprechen.
„Steh auf“, knurrte er mit Alphastimme.
Ich sah, wie angespannt sein Körper war, und ich spürte den Drang, ihn zu beruhigen.
„Sag es mir, Kenton“, sagte er mit bedrohlicher Stimme und ging auf Kenton zu, „lügst du oder lügt deine Luna mich an?“
Ich biss mir auf die Lippe, aus Angst Kenton könnte wieder lügen. Ich wollte mich nicht mit diesem Idioten herumschlagen.
„Es tut mir leid, Alpha“, sagte er leise. Er sah mich an, bevor mein Gefährte ihn zu Boden schlug.
„Du hast mich angelogen“, schrie er und stand über Kenton. „Du hast mir erzählt, dass sie sich an dich rangemacht hat.“
Kenton konnte ihn nicht einmal ansehen.
„Dann wagst du es, sie anzusehen!“, brüllte er, bevor er ihn am Hemd packte und aus der Küche warf. Er schrie vor Schmerz und ich sah weg.
„Er wird dir nichts tun“, sagte Beta Levi, kam auf mich zu und schenkte mir ein freundliches Lächeln. Kennt er seinen eigenen Alpha überhaupt?
Ein paar Minuten später kamen Robin und Ed herein und trugen Kenton aus dem Haus.
„Brauchst du etwas, Alpha?“, fragte Beta Levi, als mein Gefährte sich wieder an den Tisch setzte, als wäre nichts passiert.
„Im Moment nicht“, schüttelte er den Kopf.
„Gute Nacht“, sagte Beta Levi, bevor er ging.
„Willst du versuchen zu essen?“, fragte er.
„Ich kann es versuchen“, sagte ich und setzte mich. Ich aß etwas von meinem Hähnchen, aber es war jetzt kalt.
„Stimmt etwas nicht mit dem Essen?“, fragte er. Ich konnte hören, dass er besorgt war.
„Es ist jetzt kalt“, zuckte ich mit den Schultern.
„Du kannst es in der Mikrowelle aufwärmen“, deutete er auf die Mikrowelle über dem Herd.
„Ja, aber-“
„Ich mach das schon.“
Er nahm unsere beiden Teller und wärmte sie in der Mikrowelle auf. Dann brachte er unser Essen zurück zum Tisch und holte uns etwas Wasser zum Trinken.
„Danke“, sagte ich leise.
Ich aß mein Essen. Eigentlich aß ich alles sehr schnell auf. Ich hatte Hunger. Ich beendete meine Mahlzeit und sah, dass er mich ansah.
Ich blickte auf meinen leeren Teller und lehnte mich in meinem Stuhl zurück, ohne seinen Augen zu begegnen.
Ich saß unbeholfen da, während er auch fertig wurde. Ich wollte ins Bett gehen, wusste aber nicht, ob ich das durfte.
„Möchtest du noch mehr?“, fragte er und nahm unsere Teller.
„Nein“, sagte ich leise.
Er räumte die Küche auf und verstaute die Essensreste, während ich auf meine Hände starrte. Ich fühlte mich sehr unwohl in seiner Nähe.
Ich dachte, Gefährten fühlten sich immer entspannt, wenn sie zusammen waren, aber anscheinend war das eine Lüge.
„Komm mit“, sagte er, als er wegging.
Ich folgte ihm aus der Küche und die Treppe hinauf, unsicher, was er vorhatte.
Wir gingen in den zweiten Stock, dann ging er den Flur entlang zu einer weiteren Treppe, die in den dritten Stock führte.
Ich hatte außer seinem Büro, dem Zimmer, in dem ich letzte Nacht war, und der Küche noch nichts gesehen. Ich wusste also nichts über dieses Haus.
Als wir in den dritten Stock kamen, sah ich eine wunderschöne Bibliothek und mein Mund öffnete sich vor Staunen, weil er so viele Bücher hatte.
Vor uns waren zwei Glastüren, die zu einer Terrasse führten, und ich wollte unbedingt sehen, wie es draußen aussah. Er ging in die andere Richtung und öffnete die Tür zu dem, was ich für sein Schlafzimmer hielt.
Sein Geruch war überall im Raum. Ich musste die erste Person sein, die je diesen Raum betrat. Er ging zu seinem Bett. Es war sehr groß und hatte rote Laken, Decken und Kissen.
„Ich wollte dir nur zeigen, wo mein Zimmer ist, falls du etwas brauchst. Du kannst dich überall sonst im Haus aufhalten. Mein Schlafzimmer und Büro sind tabu, es sei denn, ich bitte dich, dort zu sein.“
Er räusperte sich. „Der Rest des Hauses ist mir egal, aber ich möchte nicht, dass du ohne meine Erlaubnis hierher kommst.
Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt“, sagte er und sah mir kurz in die Augen, bevor ich wegschaute.
„Ja, ich verstehe.“ Ich nickte. Es wurde still im Raum und ich fühlte mich plötzlich unwohl.
„Gute Nacht“, sagte ich leise, bevor ich zur Tür ging.
„Nein“, sagte er, legte seinen Arm um meine Taille und zog mich an seine Brust. Ich spürte Funken bei der plötzlichen Berührung. Er hatte kein Hemd an und mein Rücken lag an ihm.
Ich blieb still, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte.
Er zog mir das Kleid aus und ich versuchte, mich zu bedecken. Mein BH war weg, bevor ich reagieren konnte.
Sein Hemd berührte meine Haut und ließ mich erschaudern, als er es mir überzog, bevor er mich hochhob und mit mir ins Bett stieg.
Ich war angespannt. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
„Entspann dich“, flüsterte er sanft.
Ich wollte, aber ich konnte mich nicht beruhigen - Es war zu viel.
Er seufzte und rückte von mir weg.
Der Abstand half. Ich bewegte mich auf die andere Seite des Bettes und rollte mich zusammen. Ich fühlte mich nicht wohl und ich war mir nicht sicher, ob ich daran etwas ändern konnte.
„Ich war wütend und mein Wolf hat die Kontrolle übernommen. Ich dachte, du würdest mich ablehnen“, sagte er leise.
Es war keine Entschuldigung.
„Einen anderen Mann bei dir zu sehen, war schwer und ich habe nicht richtig reagiert.“ Er seufzte. „Ich habe ihm geglaubt und das hätte ich nicht tun sollen.“
Ich wusste nicht, was er von mir hören wollte, und ich wusste nicht, was ich sagen konnte. Er hatte das Gespräch gehört, das ich letzte Nacht mit meiner Wölfin geführt hatte, und es war klar, dass er sich schlecht fühlte.
„Du hättest mich fragen können. Ich hätte dir die Wahrheit gesagt. Stattdessen warst du gemein und hast mir gedroht. Und mich bestraft, mich beschämt“, sagte ich, fast außer Atem.
Er schwieg und ich war froh, dass er nicht antwortete. Es zeigte, dass ich doch Recht hatte.