
Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem mulmigen Gefühl.
Nach dem Gespräch mit Wolfgang am Vorabend war ich in mein Zimmer gegangen. Später hörte ich, wie sich die Haustür schloss, und nahm an, er sei gegangen.
Mein Magen knurrte, und ich erinnerte mich, dass ich wegen Wolfgangs plötzlichem Besuch nichts gegessen hatte.
Überrascht sah ich, dass das Geschirr vom Vorabend sauber war und die Pizza im Kühlschrank stand.
Ich ging zum Kühlschrank und merkte, dass ich keine Lebensmittel hatte. Nur die kalte Pizza von gestern Abend war da.
Ich beschloss, ein Stück in der Mikrowelle aufzuwärmen und dann einkaufen zu fahren.
Danach verließ ich das Haus und fuhr in die Stadt.
Es war kurz vor Mittag, die Sonne stand schon hoch, aber Wolken schützten mich vor der Hitze.
Als ich ankam, hatte ich das Gefühl, dass mich alle auf dem Markt anstarrten.
Das musste Einbildung sein, also versuchte ich mich darauf zu konzentrieren, Lebensmittel einzukaufen.
Während ich Karotten aussuchte, kam ein jüngeres Mädchen auf mich zu.
„Ähm ... bist du Aurora Craton?“, fragte sie nervös.
„Ja“, antwortete ich. Ich konnte mich nicht erinnern, sie zu kennen.
Plötzlich lächelte sie und verbeugte sich. „Lady Aurora, es ist mir eine Ehre. Sie waren so mutig, allein gegen diesen Wilden Wolf zu kämpfen. Danke, dass Sie die Armee der Wilden Wölfe aufgehalten haben.“
Sie redete wie ein Wasserfall.
„Das musst du nicht tun. Und bitte nenn mich nicht ‚Lady'. Ich bin nicht die Luna“, sagte ich. „Woher wusstest du überhaupt von ...?“
„Wir wissen alle davon. Wie Sie mutig allein mit den Wilden Wölfen gegangen sind, damit sie niemandem im Dorf etwas antun.“
Ihre Augen leuchteten. „Wie Sie allein gekämpft haben, fast gestorben wären und den Anführer besiegt haben. Alpha Wolfgang hat es neulich allen erzählt.“
Ich war stinksauer. Ich hatte diesen Titel nicht akzeptiert, und er posaunt es schon im ganzen Dorf herum.
Ich sah mich um und bemerkte, dass sich alle auf dem Markt vor mir verbeugten.
Ich ließ den Einkaufskorb fallen und rannte aus dem Laden. Wutentbrannt lief ich zum Rudelhaus.
Die Wachen am Eingang verbeugten sich schnell, aber ich ignorierte sie.
Jetzt hatte ich nur eins im Sinn: Wolfgang zur Rede zu stellen.
Ich stürmte ohne anzuklopfen in sein Büro.
Dort fand ich Wolfgang mit den drei alten Männern und seinem Gamma, Remus.
„Welchen Teil von ‚Ich will nicht deine verdammte Luna sein' hast du nicht kapiert?! Wer hat dir erlaubt, dem Dorf zu erzählen, dass ich dein Gefährte bin?“, schrie ich.
Die anderen starrten mich überrascht an, aber das war mir egal.
„Lady Aur--“, begann der alte Asher, aber ich funkelte ihn wütend an und er verstummte.
„Meine Herren, Sie können gehen. Wir besprechen das morgen weiter“, sagte Wolfgang ruhig, während ich vor Wut kochte.
„Ja, Sir.“ Sie verließen das Büro und ließen mich mit Wolfgang allein. Wir standen uns schweigend gegenüber.
„Guten Morgen, Aurora. Ich hoffe, du hast gut geschlafen“, sagte er gelassen.
„Von wegen guter Morgen. Warum hast du dem Dorf erzählt, dass ich dein Gefährte bin?“, fauchte ich.
Er stand auf, ging um den Schreibtisch und stellte sich vor mich.
„Ich bin der Alpha. Ich musste es dem Dorf sagen, bevor sie es woanders hören. Was denkst du, wie sie sich fühlen würden, wenn sie es von einem anderen Rudel erfahren?“
Er sprach ruhig und sah sehr ernst aus.
Wo war der nette Alpha von gestern Abend? Ich wusste, das war alles nur Show gewesen.
„Es ist mir egal, ob du der Alpha-König der Werwölfe bist, Wolfgang. Ich habe dir gesagt, dass ich nicht dein Gefährte sein will. Warum lehnst du mich nicht einfach ab, damit wir beide unser Leben leben können?“
Ich schüttelte frustriert den Kopf, als ich plötzlich eine warme Hand an meiner Wange spürte.
„Aurora, ich möchte nicht, dass wir uns weiter streiten. Bitte stoß mich nicht weg. Lass mich es wieder gutmachen.“
Er sprach so sanft, dass ich fast dahinschmolz, aber ich musste stark bleiben.
Ich konnte nicht zulassen, dass er mich mit schönen Worten einwickelt, nach allem, was er getan hatte. Ich wich zurück.
„Wie ich schon gestern sagte, Alpha Wolfgang. Tut mir leid reicht nicht“, sagte ich und verließ das Büro.
Gerade als ich gehen wollte, rief Beta Max meinen Namen. Ich drehte mich um und sah ihn aus dem Wohnzimmer kommen.
„Hey, Rory. Ich wollte dich gerade besuchen. Wie geht's dir?“, fragte er.
Dann sah er meinen Gesichtsausdruck. „Was ist passiert? Hat der Alpha dir was getan?“
Seit ich fast gestorben wäre, war Beta Max sehr beschützend. Er kam jeden Tag ins Krankenhaus, bis es mir besser ging.
Er war nicht glücklich, dass ich nicht ins Rudelhaus zurückkehren wollte, aber er verstand warum.
Irgendwie war er wie der große Bruder geworden, den ich nie hatte. Dafür war ich dankbar.
„Nichts. Mach dir keine Sorgen. Wie geht's dir?“, fragte ich und hoffte, er würde nicht weiter bohren.
„Mir geht's gut. Ich hab mir seit gestern Sorgen gemacht. Ich wollte dich gestern Abend besuchen, aber der Alpha hat mich bis heute früh an der Grenze Wache schieben lassen. Bin gerade erst aufgewacht.“
Er lachte und brachte mich zum Lächeln. Das mochte ich an Max. Er hatte immer gute Laune und steckte andere damit an.
Oft hatte ich ihn mit Wolfgang verglichen und mir gewünscht, er wäre mein Gefährte und nicht der fiese Alpha.
„Was machst du denn im Rudelhaus? Planst du zurückzukommen?“, fragte er hoffnungsvoll.
„Nein, tut mir leid.“ Ich lachte, als ich sah, wie er die Schultern hängen ließ.
„Warum bist du dann hier?“, fragte er erneut. Ich wollte gerade antworten, aber jemand kam mir zuvor.
„Sie war hier, um ihren Gefährten zu sehen.“ Wolfgangs Stimme hallte von der obersten Treppenstufe.
Ich hörte Max neben mir knurren und schritt ein, bevor sie sich in die Haare kriegen konnten.
„Es geht dich nichts an, mit wem ich rede, Alpha. Komm, Max. Lass uns gehen.“ Ich packte Max' Arm und zog ihn aus dem Haus.
„Aurora! Aurora!“ Ich hörte Wolfgang rufen, dass ich zurückkommen sollte, aber es war mir egal.
Ich zog Max den ganzen Weg bis zum Park. Ich wusste nicht, warum ich immer hierher flüchtete.
„Willst du mir jetzt erzählen, was los war?“, fragte Max und setzte sich auf eine Schaukel. Ich seufzte und setzte mich daneben.
„Ich war auf dem Markt und hab erfahren, dass dort schon alle wussten, dass ich Wolfgangs Gefährte bin.“ Ich sah zu Max auf.
„Wann hat er es ihnen überhaupt erzählt?“, fragte ich.
„Am Tag nachdem er sagte, er würde dich nicht ablehnen. Er machte eine offizielle Bekanntmachung und sagte ihnen, dass du die wahre Luna bist.
Er sah mich entschuldigend an. „Tut mir leid, dass ich es dir nicht früher gesagt habe. Ich wollte dich nicht aufregen.“
„Warum muss ich mit so einem Fiesling verbunden sein.“ Ich blickte auf meine Füße und schaukelte vor und zurück.
Max stand auf und stellte sich vor mich, die Ketten meiner Schaukel festhaltend.
„Ich weiß es nicht, Rory. Es ist die Entscheidung der Mondgöttin. Aber ...“
Er beugte sich zu mir. Unsere Gesichter waren jetzt ganz nah. „Wenn es meine Entscheidung wäre, würde ich ...“
„Aurora!“ Wir drehten uns um und sahen Aspen und Gamma Remus auf uns zulaufen.
„Geh zur Seite.“ Aspen schob Max weg und umarmte mich fest. „Wie geht's dir?!“ Sie hielt mich auf Armeslänge. Ich musste lächeln.
„Aspen, sei nicht so grob mit unserer Luna.“ Gamma Remus stellte sich neben seine Gefährtin. „Geht es Ihnen jetzt besser, Lady Aurora?“
Ich sah den Gamma genervt an, gab dann aber auf. Es war sinnlos, mit ihm über den dummen Titel zu streiten.
„Mir geht's jetzt viel besser“, antwortete ich.
„Warum bist du nicht ins Rudelhaus zurückgekommen? Ich hab dich vermisst!“, sagte Aspen mit verschränkten Armen.
„Ich musste zurück ins Haus meiner Eltern. Jetzt wo Montana weg ist, kümmert sich niemand darum.“ Das war nur die halbe Wahrheit, aber ich wollte nicht alles erklären.
Sie schienen zu verstehen und fragten nicht weiter.
„Na ja, Hauptsache du bist glücklich. Aber ich werd dich dort vermissen“, sagte Aspen traurig.
„Du kannst mich jederzeit besuchen. Wir können sogar Pyjamapartys machen“, sagte ich, um sie aufzumuntern.
„Hey! Wieso darf Aspen bei dir übernachten und ich nicht!“, beschwerte sich Max.
Ich lachte. „Na gut. Ihr könnt alle zu einer Übernachtungsparty kommen. Sogar Gamma Remus ist eingeladen.“
Ich sah den Brillenträger an, der nur den Kopf schüttelte und leicht lächelte.
Aspen und Max jubelten neben mir.
Diese Leute waren langsam zu meiner neuen Familie geworden.