Das unmoralische Angebot - Buchumschlag

Das unmoralische Angebot

S.S. Sahoo

Weißer Schleier

ANGELA

Nach dem Thanksgiving-Essen verbrachte ich noch einen Tag mit Dad und fuhr dann zurück in die Stadt. Die Hochzeit sollte nächsten Samstag stattfinden, und ich wollte Dad davor alles erzählen.

Aber ich … konnte einfach nicht.

Und dann rief Danny mich am Donnerstagmorgen an, weil Dad wieder im Krankenhaus war. Er hatte noch einen Schlaganfall gehabt.

Die Ärzte hatten ihn in ein Koma versetzt, ein „medikamentös herbeigeführtes“, wie sie es nannten, so dass ich ihm, auch wenn ich wollte, nicht die Wahrheit hätte sagen können. Ich weinte und sagte Danny, dass ich den nächsten Zug nehmen würde, aber er unterbrach mich.

„Du heiratest in zwei Tagen, Angie“, sagte er. „Dad ist stabil. Du kannst hier nichts tun. Konzentrier dich auf deinen großen Tag. Lucas und ich sind da.“

„Haben sie gesagt, wie lange … wie lange Dad …?“

„Sie wissen nicht, wie lange.“

Ich schloss meine Augen. Dad würde nicht da sein, um mich zum Traualtar zu führen. Er würde überhaupt nicht wissen, dass ich vor den Altar trat.

***

Als ich am Samstagmorgen aufwachte, war ich am ganzen Körper angespannt. Heute würde ich Xavier Knight heiraten. Allein der Gedanke, ließ mich erschauern und mir wurde etwas übel.

Em platzte in mein Schlafzimmer herein und fragte, ob ich bereit war. Ich vergrub mich unter meiner Decke.

Sie kam zu mir und zog sie von mir. Ich hatte ihr direkt nachdem ich aus Heller zurückgekommen war, von Xavier erzählt, weil ich gedacht hatte, dass ich es einfach schnell hinter mich bringen sollte.

Ich erzählte ihr die gleiche Geschichte wie meinen Brüdern: dass ich Xavier an einem Chinastand getroffen, wir uns ein paar Dim Sum im Park geteilt und wir seitdem fast keinen Moment getrennt voneinander verbracht hatten. Unsere Liebe war intensiv – so intensiv, dass es mir Angst machte – doch war ich mir sicher.

Nachdem ich allen die gleiche Zusammenfassung gegeben hatte, erzählte ich es so, dass ich mir selbst schon fast glaubte. Und alle schienen sie mir abzukaufen.

Trotzdem war die ganze Woche eine seltsame Stimmung in unserem Apartment gewesen. Als würden sich die unausgesprochenen Worte in der winzigen Zwei-Zimmer-Wohnung ausbreiten.

„Ich brauche ein paar Minuten“, sagte ich, als ich vom Bett zu ihr aufsah.

„Bist du aufgeregt? Flippst du aus? Hast du mit ihm gesprochen?“, fragte sie mich aus.

„Ja, nein und nein“, antwortete ich und versuchte, mich zusammenzureißen. Ich hatte Angst, dass mir etwas herausrutschen und sie mein Lügennetz durchschauen könnte, wenn ich zu viel sagen würde. Oder dass ich einfach aufgeben und ihr alles erzählen würde.

„Okay, dann beeil dich, du Schnarchnase“, neckte sie mich und verließ mein Zimmer. „Ich ziehe mir schon mal die Schuhe an.“

„Okay!“, rief ich, als sie im Wohnzimmer verschwand.

Als Em und ich schließlich das Apartment in Brooklyn verließen, machte ich mir Sorgen, dass wir zu spät zu unserem Termin für unsere Haare und unser Make-up sein würden. Doch dann strafte ich mich selbst dafür, mir über solche belanglosen Dinge Sorgen zu machen, während Dad ein paar Stunden entfernt im Koma lag.

Em und ich betraten die Brautsuite im Knights Tribeca Hotel und mir blieb sofort die Luft weg. Das Zimmer war eher ein Museum. Überall, wo ich hinsah, war ein anderes Zimmer, ein anderes Möbelstück oder ein anderes Kunstwerk. Es war alles so bildhübsch.

Meine Gedanken spiegelten sich in Ems Kreischen wider, während sie ihre Sneaker wegkickte und über den beheizten Marmorboden rannte.

„Das kann nicht wahr sein! Das kann nicht wahr sein!“, quietschte sie und tanzte, quietschte und tanzte. Ich folgte meiner besten Freundin in den Wohnbereich und konnte nicht anders, als zu lächeln. Zumindest sie würde diesen Tag genießen.

„Sollen wir Mimosas trinken?“, fragte ich, als ich zu dem festlichen Buffet ging. Eine Flasche Dom Pérignon lag schon auf Eis. Ich hatte noch nie welchen in echt gesehen, aber ich kannte den Namen von der Barkarte in Dads Restaurant. Ich wusste, dass es einer der nobelsten Tropfen war.

„Seit wann trinkst du vor ein Uhr Mittag?“, fragte sie und kam zu mir.

Ich entfernte die Folie von der Flasche, gab sie dann jedoch Em. Sie war in unserem Apartment immer dafür zuständig, Weinflaschen zu öffnen.

„Ich heirate“, sagte ich leise. Die Worte hörten sich immer noch fremd an. „Wenn heute nicht der Tag für einen frühen Drink ist, wann dann?“

Sie lächelte mich an, öffnete dann die Flasche mit einem Plopp und schüttete den Champagner in zwei Champagnerflöten. Ich gab noch etwas dazu, das wie frisch gepresster Orangensaft aussah, und wir nahmen jeder ein Glas.

„Ich kann nicht glauben, dass meine beste Freundin tatsächlich vor den Altar treten wird. Das ist so surreal.“

„Wem sagst du das.“

„Okay, auf dich, Angie. Ich bin so glücklich, dass du glücklich bist“, sagte sie und prostet mir zu. Sie sah mich an, als wartete sie auf meine Bestätigung, dass ich wirklich glücklich war.

„Hast du Hunger?“, fragte ich stattdessen und sah auf all die Platten mit frischem Obst, Rohkost und Käse vor uns. Es gab außerdem jede Menge ofenfrisches Gebäck und eine riesige Schokoladentorte.

Em folgte meinem Blick. „Das kann nicht alles für uns sein. Damit könnte ganz Williamsburg satt werden.“

Ich lachte und war dankbar für den Themenwechsel. Es tat gut, mit jemandem zusammen zu sein, dem das alles genauso fremd war wie mir.

Und dann klopfte es an der Tür. Em lief schnell hin und öffnete sie für eine Schar fabelhaft aussehender Frauen, die allesamt schwarze Uniformen trugen.

„Wir sind das Brautteam“, stellte sich die erste vor. Ich erkannte unter den Frauen Sky wieder, die Make-up-Artistin von dem Fotoshooting. Sie hatte ihr Haar zu einem glatten Pferdeschwanz zusammengebunden und ihre Bräune war so dunkel, dass sie nicht natürlich sein konnte.

„Kommen Sie herein“, sagte ich. „Bitte bedienen Sie sich an dem Essen und den Getränken. Nehmen Sie was Sie wollen.“

Die Frauen betraten die Suite, beachteten das Essen aber nicht, sondern gingen geradewegs in das riesige Badezimmer, um ihre Stationen aufzustellen. Mit Ausnahme von einer, die einen strengen Dutt und hellroten Lippenstift trug, auf mich zeigte und einfach nur „Kommen Sie.“ sagte.

Ich folgte ihr wie ein williger und neugieriger Welpe in den begehbaren Kleiderschrank. Dort entdeckte ich das Hochzeitskleid.

Ich sah die Frau an, und ich wusste sofort, dass sie das wichtigste Mitglied im Team war. Sie würde dafür sorgen, dass das Kleid das Beste sein würde, das ich jemals tragen würde.

„Und?“, fragte sie.

„Es ist … wunderschön“, antwortete ich sprachlos.

Das Kleid war ein elfenbeinfarbenes Meisterwerk, trägerlos und mit einem eng anliegenden Rock, der strahlte, als wäre er von innen beleuchtet. Ich wusste nicht, wer es entworfen oder wie viel es gekostet hatte, aber mir war klar, dass ich nicht verdiente, es zu tragen.

„Es ist wunderschön“, erwiderte die Frau, aber sie hörte sich an, als würde sie über den Vogel ihrer High School-Freundin sprechen. Als würde sie das Gespräch lieber beenden, bevor es richtig anfing.

„Wer hat das gemacht?“, fragte ich.

„Alexander Wang“, sagte sie knapp, als könnte sie es nicht fassen, dass ich so dreist war, diese Frage zu stellen.

„Natürlich“, entgegnete ich. Meine Wangen brannten.

„Gut. Ausziehen“, befahl sie mir.

Ich war mir sicher, dass jetzt mein ganzes Gesicht rot war. „Hier …?“

„Wo denn sonst?“

Ich wollte sie nicht enttäuschen, also öffnete ich meine Bluse und ließ meine Jeans zu Boden fallen.

Sie öffnete wortlos das mit Spitzen besetzte Korsett des Kleids und nahm es vom Bügel. Sie half mir hineinzuschlüpfen, und dann – wieder schweigend – schnürte sie mich ein. Es dauerte vielleichte fünf Sekunden oder fünf Stunden – das konnte ich wirklich nicht sagen.

Doch als sie fertig war, trat sie ein paar Schritte zurück und betrachtete mich hochkonzentriert. Dann nahm sie ein paar elfenbeinfarbene, hohe Stilettos aus einem Schuhkarton.

Als ich sie mir angezogen hatte, bewegte sie sich wieder ein paar Schritte zurück. Sie betrachtete mich von unten bis oben, Stück für Stück, bis sie mir in die Augen sah.

„Mmm“, murmelte sie.

Bevor ich mich bremsen konnte, fragte ich: „Ist das gut?“

Wieder sah sie mich an, als wäre ich irgendwas zwischen einem Mysterium und einer Blamage, aber dann sagte sie: „Ja. Gut.“

Ich spürte, wie sich Erleichterung in mir ausbreitete.

Sie verließ den Kleiderschrank. Ich folgte ihr und als ich mich dem bodentiefen Spiegel näherte, konnte ich nicht glauben, was ich sah.

Das bin ich nicht. Auf keinen Fall.

Aber ich war es. Meine Haut war in einen Stoff gehüllt, der für eine Königin gemacht worden war. So wie er sich an mich schmiegte, wie das Elfenbein meine Haut zum Leuchten brachte, wie das Korsett meiner Figur schmeichelte und die Schleppe genau hinter mir auf den Boden fiel, war das alles zu perfekt.

Zu perfekt.

„OHMEINGOTTOHMEINGOTTOHMEINGOTT“, quiekte Em und rannte zu meinem Spiegelbild und starrte es an.

„Du siehst wunderschön aus. Du siehst so königlich aus. Was ist das für ein Kleid? Wo kriege ich das her?“

„Em“, sagte ich nach ein paar Sekunden, während ich mich noch immer im Spiegel betrachtete. „Das passiert wirklich. Ich werde heiraten.“

Sie trat an mich heran und drückte meine Hand. „Das wirst du, Angie. Das wirst du.“

***

Em hatte sich in die erste Reihe gesetzt, obwohl sie meine Trauzeugin war. Aber Brad hatte darauf bestanden, dass nur Xavier und ich auf dem Podest standen.

Das Brautteam war weg, so dass ich allein in der viel zu großen Suite war. In dem Kleid, das ich nicht tragen sollte, mit dem frisierten Haar und dem geschminkten Gesicht.

Da war es.

Ich atmete tief ein, kippte noch ein Glas Champagner runter und dann öffnete ich die Tür und ging raus. In der Sekunde, als ich das tat, hörte ich, wie jemand am Ende des Gangs meinen Namen rief.

Ich drehte mich um und entdeckte Danny, der einen Anzug trug. Ich wusste, dass er keinen Anzug besaß, deshalb war er wahrscheinlich gemietet oder von einem Freund geliehen, weshalb ich grinsen musste. Das fühlte sich vertraut an.

„Hi, Danny“, sagte ich, als er mich umarmte.

„Du siehst atemberaubend aus“, entgegnete er. „Fuck, das ist verrückt.“

„Ich weiß.“

„Ich habe gehofft, dass ich dich noch treffe, bevor … du weißt schon, vor deinem großen Moment“, sagte er und konnte mir nicht richtig in die Augen sehen. „Lucas hält unsere Plätze frei, aber … Hör mal, Schwesterchen, ich weiß, wir waren nicht gerade begeistert hiervon. Aber du musst wissen, dass wir stolz auf dich sind, Angie. Und Dad auch.“

„Meinst du?“

„Er ist auf alles stolz, was du machst, das weißt du doch. Du bist die Kluge.“ Ich wusste, dass er es so meinte, weshalb es mir noch mehr ans Herz ging. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich heute so klug fühlte.

„Aber wenn dieser Mistkerl dir jemals wehtun sollte, weißt du, dass wir in unserem Schuppen ein Brecheisen so groß wie Kentucky haben.“

Ich konnte nichts dagegen tun, dass mir Tränen in die Augen stiegen. „Ich weiß, Dan.“ Ich versuchte, an die Decke zu schauen, damit die Tränen Skys harte Arbeit nicht ruinierten. „Danke.“

Er drückte meine Schulter auf diese brüderliche Art. „Ich sehe dich drinnen.“ Und dann ging er den Gang zurück.

Ich atmete tief ein. Jetzt lag alles bei mir.

„Hey“, rief er an der Tür.

„Ja?“

„Stolper nicht.“

Dann verschwand er in dem Saal, in dem sich meine Zukunft entscheiden würde. Und Schritt für Schritt, Stück für Stück, folgte ich ihm.

XAVIER

Die hatte vielleicht Nerven. Ich konnte nicht glauben, dass sie das durchzog, nach allem, was ich zu ihr gesagt hatte.

Das bestärkte mich nur in meiner Meinung über sie. Sie war definitiv hinter dem Geld her.

Kein anständiges, normales, nettes Mädchen würde jemals den Mann heiraten, der ihr gesagt hatte, dass er sie hasste. Und das auch noch beim Hochzeits-Shooting.

Ich betrachtete den Saal vor mir. Dad hatte alles bis ins kleinste Detail geplant. Es war der größte Ballsaal in unserem Hotel in Tribeca, überall waren weiße Lilien.

Fünfhundert Gäste waren gekommen, um das Spektakel zu sehen. Um zu sehen, wie sein Sohn zum Mann wurde.

Nichts in der Welt wäre ein größerer Beweis dafür, dass ich den verdammten Job in der Firma haben wollte.

Und dann sah ich ihr Gesicht vor mir. Das von der anderen. Von der, die mich dazu gebracht hatte, zu glauben, ich könnte lieben und die dann mein Herz in tausend Stücke zerrissen und mich dabei ausgelacht hatte.

Gerade als ich mich in die Wut steigern wollte, fing die Violinistin an zu spielen. Fuck. Es war Zeit.

Ich entdeckte meinen Dad in der ersten Reihe. Er sah so zufrieden wie noch nie aus. Ich musste zugeben, dass es schön war, ihn so zu sehen. Dass er lächelte und Spaß hatte.

Er und Mom waren während ihrer ganzen Ehe so verliebt ineinander gewesen, bis sie von uns gegangen war. Danach war er verschlossener geworden. Aber hier lachte er und hatte alle mit einer Umarmung begrüßt.

Die Türen öffneten sich und ich sah zum Ende des Saals. Die Gäste auf den Bänken standen auf. Ich dachte an die Ehe meiner Eltern und wie schön sie gewesen war.

Das hier würde nicht so werden. Dieses Mädchen machte sich besser auf die schlimmste Ehe ihres Lebens gefasst.

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