
Discretion Universe: Stevens Science-Fiction-Sammlung
Von Steven Afon, dem Protagonisten von „The Desert Within“, stammen diese Geschichten, die Sci-Fi-Elemente mit LGBTQ+-Romantik verbinden.
Drei Erzählungen. Drei Männer, die alles zu verlieren haben. Von Steven Afon – dem nicht ganz zuverlässigen Erzähler aus „The Desert Within“ – wird in dieser Sammlung Sci-Fi-Tropes zu herzzerreißenden Beziehungsdramen verwoben. In „Alternate Truth“ verbirgt Mason ein gefährliches Geheimnis vor seinem Chef Elliott … und vor sich selbst. In „The Ticket“ ringt ein sterbender alter Mann mit der Erinnerung an eine Liebe, die ihm durch die Finger glitt. Und in „Construct“ setzt ein Mann alles aufs Spiel für den einen, den er nicht loslassen kann – selbst wenn der Ausgang ungewiss ist. Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart – jede Geschichte stellt dieselbe Frage: Wie weit würdest du für den Menschen gehen, der dir am meisten bedeutet?
Alternate Truth: Die Mission
MASON
~
Ich stürzte zu Boden, presste die Hände gegen meinen Schädel und kämpfte darum, gleichmäßig zu atmen. Die Welt um mich herum wirbelte, bis ich mich schließlich auf den kalten Boden übergab.
Nach einigen Augenblicken rappelte ich mich auf und murmelte die erste Codephrase meiner Liste. Dann füllte ich mit zitternden Fingern die Spritze mit der klaren Flüssigkeit und drückte sie mir in den Nacken. Sofort durchflutete mich ein warmes Gefühl – die Übelkeit wich, mein Kopf klarte sich.
Mit neuer Entschlossenheit konzentrierte ich mich auf den nächsten Schritt. Der Ort, den ich suchte, fand sich wie von selbst.
»Eine Pepperoni-Pizza, eine Flasche Wasser und das WLAN-Passwort, bitte«, sagte ich mit gespielter Lässigkeit, während ich mich am Tresen abstützte.
Der Kellner notierte meine Bestellung und schob mir einen Zettel mit der Passwortkombination zu. Ich suchte mir eine abgelegene Ecke, wo mich niemand beobachten würde.
Aus der Innentasche meiner Jacke holte ich ein fabrikneues Smartphone hervor und verband es mit dem Netzwerk. Zeit war knapp – jeder falsche Klick konnte meine Tarnung auffliegen lassen.
Ich legte das Gerät auf mein spezielles Interface. Der Bildschirm flackerte, dann erschien das vertraute Symbol.
Priorität eins: Identität etablieren. Eine komplett neue zu erschaffen hätte zu lange gedauert. Zum Glück hatte ich alle notwendigen Daten dabei.
Mit ein paar gezielten Eingaben drang ich in das System ein. Da. Sein Profil blinkte auf.
Ich ersetzte sein Passfoto durch mein eigenes, manipulierte Gewicht, Größe, sogar seine Schulnoten. Jedes Detail musste stimmen.
Als Nächstes musste ich digitale Spuren legen – ein scheinbar langjähriger Online-Auftritt. Mein Gerät generierte gefälschte Social-Media-Posts, erstellte Fake-Kontakte, die mich in Foren und Kommentaren erwähnten. Selbst die Zeitstempel waren perfekt abgestimmt.
Offiziell war ich jetzt Mason Ervine. Nun galt es nur noch, an Bargeld für Miete und Essen zu kommen.
Mein Auftrag klang simpel – war es aber nicht.
Ich sollte Elliott Prescott ausspionieren und die gesammelten Informationen an meine Auftraggeber weiterleiten. Man hatte mich ausgewählt, weil ich ihn ansprechen konnte. Die Akte, die man mir gegeben hatte, enthielt genug Details, um mich ihm als vertrauenswürdigen Kandidaten zu präsentieren.
Wir wussten, dass Elliott schwul war, auch wenn er es noch nicht öffentlich gemacht hatte. »Noch nicht geoutet« – dieser Begriff war mir zu platt, aber meine Meinung interessierte hier niemanden.
Sein Jura-Abschluss lag drei Jahre zurück. Anders als die meisten seiner Kommilitonen stammte er nicht aus einer wohlhabenden Familie. Sein Studium hatte ein Stipendium der einflussreichen Hayworth-Dynastie finanziert – Studiengebühren, Lebenshaltungskosten, sogar eine Wohnung im Zentrum.
Die meisten Hayworth-Stipendiaten landeten später in der Kanzlei der Familie. Elliott bildete da keine Ausnahme.
Robert Hayworth war kürzlich in den Ruhestand gegangen und hatte die Führung an seinen Sohn Joshua übergeben. Der wollte beweisen, dass er mehr war als nur der Enkel des Firmengründers. Er stellte ein Team junger, hungriger Anwälte zusammen – und Elliott sollte die neue Abteilung für Menschenrechte leiten.
Genau hier kam ich ins Spiel. Elliott suchte einen Assistenten. Diese Stelle zu bekommen, war mein Ticket.
Ich war bereit, alles zu tun, um im Vorstellungsgespräch zu überzeugen – notfalls auch ein bisschen zu flirten.
Nach meiner abendlichen Medikamenteneinnahme ging ich die Akte noch einmal durch. Die Fakten kannte ich längst auswendig, aber das Wiederholen beruhigte meine Nerven.
Morgen. So viele hatten daran gearbeitet, mich hierherzubringen. Ich durfte nicht versagen.
Nichts in Elliotts Akte hatte mich auf seine tatsächliche Ausstrahlung vorbereitet.
Schon als er mir beim Händedruck in die Augen sah, hatte ich das seltsame Gefühl, ihn irgendwoher zu kennen. Absurd, wenn man bedachte, wo ich herkam.
Ich beobachtete, wie er auf dem Weg zu seinem Büro mit Kollegen plauderte – jeder Kontakt hinterließ ein Lächeln. Er strahlte eine Wärme aus, die selbst die gestressten Anwälte um ihn herum aufhellte.
»Also, Mason« – er lehnte sich in seinem Ledersessel zurück – »warum glaubst du, dass du der Richtige für diese Stelle bist?«
Seine Augen – dieses grün-braune Schimmern – brachten mich für einen Moment aus dem Konzept.
»Ich kann gut organisieren und habe kein Problem damit, anderen den Rücken freizuhalten«, sagte ich und hoffte, dass meine Stimme natürlich klang.
Sein Mundwinkel zuckte. »Die standardmäßigste Antwort, die ich je gehört habe.«
Verdammt. Mir war gesagt worden, er hasse Schmeicheleien. Offensichtlich hatten meine Informanten sich geirrt.
»Versuch’s noch mal.« Er strich sich über das glatt rasierte Kinn, als würde er einen Bart zurechtzupfen. »Diesmal ohne Floskeln. Warum wirklich Hayward & Co?«
Ich war komplett aus dem Takt. Das durfte nicht passieren. Und doch – eigentlich durfte ich gar nicht hier sein.
Ich zwang mich, seinem Blick standzuhalten. »Mr. Prescott, ich habe Miete zu zahlen und einen Berg an Studienkrediten.«
Er beugte sich vor, die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt. Aufmerksam.
»Dieses Gehalt wäre für mich wie ein Hauptgewinn.« Ich atmete durch. »Und Sie wirken… wie jemand, für den es sich lohnt, hart zu arbeiten.«
Seine Augen verengten sich leicht. Dann lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme.
»Ich habe heute elf Leute interviewt.« Ein kurzes Schweigen. »Aber keiner war so ehrlich wie du.«
War das gut?
Er stand auf, strich seine Jacke glatt. »Ich bin früh hier. Morgen, sieben Uhr dreißig. Punktlich.«
Heiß das… ich hatte den Job?
»Danke, Mr. Prescott. Sie werden es nicht bereuen«, sagte ich und schüttelte seine Hand fester als beabsichtigt.
Sein Lächeln wurde breiter. »Ich glaube dir. Und bitte – Elliott.«
Geschafft.
Um sieben Uhr fünfzehn saß ich bereits an meinem neuen Schreibtisch.
Erster Tag. Erster Eindruck. Ich hatte monatelang für diesen Moment trainiert – jetzt konnte ich endlich beweisen, was ich draufhatte.
Zwar war mein Hauptziel, Informationen zu sammeln, aber für einmal genoss ich das Gefühl, ein normales Leben zu führen. Ein Leben, das nicht nur ums nackte Überleben kreiste.
Elliott betrat um sieben zwanzig das Büro – und blieb überrascht stehen, als er mich schon an meinem Platz vorfand.
»Guten Morgen, Elliott.« Ich schenkte ihm mein charmantestes Lächeln. »Ihr Kaffee steht auf dem Schreibtisch, und ich habe Ihren Lieblingsanzug – den mit den blauen Streifen – von der Reinigung abgeholt. Für Ihr Meeting mit Mr. Sanchez um zwölf.«
Mein neuer Chef starrte mich an, als hätte ich gerade ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert. »Wie…«
»Ich habe mich umgehört«, log ich glatt. In Wahrheit hatte ich gestern Abend seine Personalakte durchforstet. Jedes Detail, das ihn beeindrucken könnte.
Ich hörte ein leises »Boah, Scheiße« über seine Lippen kommen, bevor er auf mich zeigte. »Mittagessen. Heute. Mein Treat.«
Elliott schob seinen Caesar Salad auf dem Teller hin und her, aß aber kaum einen Bissen. Sein Blick war abwesend, die Stirn leicht gerunzelt. Vielleicht war das Meeting mit Sanchez nicht gut gelaufen.
Ich war auf alle erdenklichen Fragen vorbereitet – doch dann kam die Frage, auf die ich gewartet hatte.
»Erzähl mir was über dich, Mason. Wo kommst du eigentlich her?«
Warum wünschte ich mir in diesem Moment so sehr, ihm die Wahrheit sagen zu können?
»Ich bin in Pittsburgh geboren, aber nach der Scheidung meiner Eltern sind meine Mutter und ich in die Bronx gezogen. Port Morris.«
Die gewünschte Reaktion blieb nicht aus.
»Scherzkeks!« Seine Gabel klirrte gegen den Teller. »Ich komme auch aus der Bronx!«
»Echt jetzt?« Ich spielte überrascht – und das war ich, auf eine seltsame Weise, auch.
»Hand auf’s Herz!« Er hob die Hände, als würde er einen Eid schwören. »Ohne das Hayworth-Stipendium wäre ich wahrscheinlich noch dort.«
Perfekt.
Den Rest des Mittagessens verbringen wir damit, uns über unsere »gemeinsame« Vergangenheit auszutauschen. Seine Erinnerungen waren echt; meine waren sorgfältig konstruierte Lügen, basierend auf echten Orten und Ereignissen. Ich hatte sie so oft geprobt, dass sie sich wahr anfühlten.
Je mehr ich erzählte, desto mehr öffnete er sich. Als er die Rechnung verlangte, hatte er mich bereits für den nächsten Tag zum Mittagessen eingeladen.
Drei Wochen lang pendelte ich zwischen Büro, Wohnung und dem abendlichen Berichteschreiben. Nach der Medikamenteneinnahme schickte ich meine gesammelten Daten an die Zentrale.
Die einzige Antwort: eine automatische Empfangsbestätigung.
Manche würden diese Routine als langweilig empfinden. Ich genoss die Vorhersehbarkeit. Vergnügungen waren ein Risiko – sie konnten mich ablenken. Und Ablenkung war das Letzte, was ich brauchte.
Ehrlich gesagt war der Höhepunkt meines Tages die Zeit mit Elliott.
Doch ich musste mich ständig daran erinnern: Das hier ist nicht real. Ich war wegen einer Lüge hier. Sollte er jemals die Wahrheit herausfinden…
Meine Routine brach an einem ganz normalen Donnerstag zusammen. Eines von Elliotts Meetings war kurzfristig auf Montag vorverlegt worden – und er brauchte alle verfügbaren Hände.
»Ich bleibe länger«, bot ich an. Ich ahnte nicht, dass wir bis nach Mitternacht arbeiten würden.
Ich verpasste meine abendliche Medikamentendosis. Nach ein paar Stunden begann mein Körper zu rebellieren.
»Alles okay?« Elliott musterte mich mit besorgter Miene.
»Warum sollte es nicht okay sein?« Meine Stimme klang schärfer als beabsichtigt.
Meine linke Hand begann leicht zu zittern. Eine Dosis auszulassen war nicht ideal – aber zwei? Gefährlich.
»Mason, deine Nase!« Elliott sprang auf, griff nach einem Päckchen Taschentücher und reichte es mir.
Ich wischte das Blut ab, das mir über die Oberlippe lief. Zu schnell. Zu viel.
Er beobachtete mich schweigend, dann sagte er leise: »Ich kenne das. Ich urteile nicht, aber… du solltest aufhören.«
Was?
»Du nimmst das Zeug doch nur, um wach zu bleiben, oder?« Sein Ton war nicht vorwurfsvoll, sondern fast mitfühlend. »Ein paar der Junior-Anwälte ziehen sich das auch rein, wenn sie durcharbeiten müssen.«
Plötzlich begriff ich.
»Elliott, ich nehme kein Kokain.« Ich zwang mich zu einem ruhigen Tonfall. »Ich bin in Behandlung. Manchmal gibt es… Nebenwirkungen.«
Er setzte sich langsam wieder hin, die Hände auf der Schreibtischplatte gefaltet. »Entschuldige. Nichts Ernstes, hoffe ich?«
»Alles unter Kontrolle.« Ich lächelte gequält. »Ich mische nur ungern Privatleben und Arbeit.«
»Geh nach Hause. Ruh dich aus.« Sein Blick war warm. »Ich beende hier alles und sehe dich morgen.«
Zu knapp. Viel zu knapp.












































