Kelsie Tate
JESSIE
"Guten Morgen, Schätzchen!", rief Ruth fröhlich, als ich morgens zum Frühstück ins Café kam.
"Hi Ruth, ist hier okay?", fragte ich und zeigte auf denselben Tisch am Fenster wie gestern.
"Klar, mach's dir gemütlich. Bin gleich bei dir."
Ich setzte mich und schaute wieder aus dem Fenster. Es war viel mehr los als gestern, was mich wunderte.
"Was darf's denn heute sein, Jessie?", fragte Ruth.
Ich drehte mich lächelnd zu ihr. "Ich hätte gerne ein Stück von dem leckeren Kaffeekuchen. Und dazu vielleicht ein paar Eier?"
"Aber sicher. Kaffee oder Tee dazu?"
"Heute Morgen Kaffee, bitte." Ich lächelte und lehnte mich entspannt zurück.
"Hier ist schon mal dein Kaffee. Das Essen kommt gleich, Schätzchen."
"Danke, Ruth."
Als Ruth mein Essen brachte, stellte sie die Teller ab und setzte sich mit ihrer eigenen Tasse zu mir.
"Also Jessie, was verschlägt dich denn in unser kleines Städtchen?"
"Ich brauchte einfach mal frischen Wind", sagte ich und probierte den Kuchen. "Mensch Ruth, der ist ja der Hammer! Sag George, ich will unbedingt sein Rezept!"
Ruth lachte. "Da kannst du lange warten! Ich versuche das schon seit Jahren."
Ich musste auch lachen. Ruth war echt nett. Sie erinnerte mich an meine Kollegin Kathy.
"Also, frischer Wind, ja?", hakte Ruth vorsichtig nach.
"Zu Hause lief's nicht so toll. Ich dachte, ich brauch mal Zeit für mich. Keine Ahnung, wie lange ich bleibe, aber mir gefällt's hier. Ist ganz anders als San Francisco."
Ruth verzog das Gesicht. "Ja, mit der Stadt kann ich nicht viel anfangen. War nur ein paarmal da und hab nicht kapiert, was daran so toll sein soll. Was machst du denn beruflich?"
"Ich bin Anwältin. Hauptsächlich Unternehmensrecht."
"Oha! Ein kluges Köpfchen also?", neckte Ruth.
Ich zuckte mit den Schultern. Nicht nach Meinung mancher Leute..., dachte ich, immer noch sauer wegen dieser Beförderung.
"Ach Schätzchen, was auch immer zu Hause los war, ich freu mich, dass du hier bist. Man sieht gleich, dass du ein feiner Mensch bist." Ruth drückte meine Hand.
"Danke, Ruth." Ich lächelte sie herzlich an. In dem Moment ging die Tür auf und Ruth drehte sich um.
"Hey, Ruthie!"
Es war der Typ von gestern, Zach. Ich versuchte, nicht zu starren, aber das war gar nicht so einfach. Er sah verdammt gut aus.
"Hey, mein Schatz!" Ruth stand auf und umarmte Zach.
Scheint, als wären hier alle per du, dachte ich.
Ruth drehte sich um. "Jessie, das ist mein Neffe, Zachary Townsend. Zachary, das ist Jessie. Sie hat das alte Cottage gemietet."
Ach so...
Zachs Augen wurden groß. "Ohhh."
"Hallo nochmal", lächelte ich.
"Ihr kennt euch schon?"
"Zach hat mir gestern geholfen, als ich meine Einkäufe fallen gelassen habe."
Ruths Augen fingen an zu leuchten. Ich kannte diesen Blick und musste innerlich grinsen, weil ich wusste, dass sie gleich versuchen würde, uns zu verkuppeln.
"So, ich muss weiter. Zach, Schätzchen, setz dich doch auf meinen Platz und leiste Jessie Gesellschaft. Ich bring dir das Übliche."
"Äh, okay. Wenn's für Jessie okay ist." Zach sah mich unsicher an.
"Ach, die hat bestimmt nichts dagegen. Setz dich." Ruth schob ihn fast auf den Stuhl.
"Tut mir leid, meine Tante kann manchmal etwas forsch sein." Er schenkte mir ein warmes Lächeln und ich lächelte zurück.
Er schaute jedoch schnell weg, was mich ein bisschen irritierte. Er ist wahrscheinlich einfach nicht interessiert, dachte ich bei mir.
"Also, was verschlägt dich hierher?"
Ich sah zu ihm auf, bereit, die gleiche Antwort zu geben wie Ruth. "Ich brauchte einfach mal frischen Wind."
Zach nickte. "Verstehe."
Ich war froh, dass er nicht weiter bohrte, aber auch neugierig, wieso er zu wissen schien, warum ich hier war. Das ist Quatsch, schalt ich mich selbst.
"Und was machst du beruflich, Zachary?"
Er verzog das Gesicht. "Oh bitte, Zach. Ruth nennt mich nur Zachary, um mich aufzuziehen."
Ich lachte. "Oh, das kenn ich. Ich hasse es, wenn Leute mich Jessica nennen."
"Ist eigentlich ein schöner Name, aber Jessie passt irgendwie besser zu dir." Er sah mich an und ich glaubte, einen Funken Interesse in seinen Augen zu sehen.
Aber es war schnell wieder weg und er schaute zu Ruth. Er schien fast Angst zu haben, freundlich zu mir zu sein.
Ruth brachte sein Frühstück in einer kleinen Tüte zum Mitnehmen und er stand auf. "Danke, Ruthie. Nun Jessie, schön dich wiederzusehen."
Ich schenkte ihm ein warmes Lächeln, als er ging, und wandte mich dann an Ruth. "Du bist echt nicht subtil."
Ruth zuckte lachend mit den Schultern und ging weg.
"Hey, Ruth?", rief ich, als sie wieder vorbeikam.
"Hmm?"
"Was ist denn heute los? Warum sind so viele Leute in der Stadt?"
"Ach so, montags morgens haben wir immer Bauernmarkt und Basar im Park. Das mögen alle. Schau doch mal vorbei! Ich wette, das gefällt dir."
Ich überlegte kurz und beschloss hinzugehen. "Danke fürs Frühstück, Ruth", rief ich beim Gehen.
Ich schlenderte die Straße runter und bog nach dem Supermarkt ab. Ein Stück weiter war der Park, und ich konnte schon die ganzen Zelte und Stände der Verkäufer sehen.
Es war voll und lebendig, und ich wurde ganz aufgeregt, als ich näher kam. Ich ging von Stand zu Stand und bestaunte das bunte Obst und Gemüse.
Manche verkauften Brot und Kuchen, andere verschiedene Sorten gebrannte Mandeln. Alles sah so lecker aus und duftete herrlich.
Ich kaufte ein paar Kleinigkeiten und ging dann weiter zum Basar. Dort gab es Zelte mit selbstgemachten Sachen. Ich blieb stehen, um mir ein paar Holzarbeiten anzusehen, als jemand gegen mich stieß.
"Oh, Entschuldigung", sagte der Mann und hielt mich an den Schultern fest, damit wir nicht umfielen.
"Kein Problem." Ich lächelte ihn freundlich an und wandte mich dann wieder dem Stand zu.
"Wissen Sie, man sagt, Redwood sei gut für Gesundheit und Energie", sagte der Mann.
Ich sah ihn neugierig an. "Also wenn ich Kuchen aus dieser Schüssel aus Redwood esse, ist er gesund?", fragte ich etwas spöttisch.
Der Mann lachte und zuckte mit den Schultern. "Einen Versuch ist es wert, oder? Ich bin Dean." Er streckte mir seine Hand entgegen.
Ich musterte ihn und war beeindruckt, wie gut er aussah. Sind hier alle Männer so attraktiv?, dachte ich.
Er war groß und durchtrainiert, aber nicht übermäßig muskulös - eher schlank und athletisch. Er hatte dunkles Haar und goldbraune Augen, die in der Sonne funkelten. Sein markantes Kinn zierte ein leichter Dreitagebart.
Ich schüttelte seine Hand. "Ich bin Jessie."
"Lust, zusammen weiterzugehen? Ich kann dir noch mehr nutzloses Zeug erzählen, das ich weiß."
Ich lachte. "Gerne, gegen einen Fremdenführer hab ich nichts einzuwenden."
"Kommst du von hier?", fragte er, während wir an den Ständen vorbeischlenderten.
"Nein, ich bin nur zu Besuch."
"Ich auch. Ich wohne in dem Resort östlich der Stadt."
Ich nickte ihm zu, sagte aber nicht mehr. Einem Fremden würde ich nicht auf die Nase binden, wo ich alleine wohnte.
"Ein Resort? Klingt entspannend."
"Ist auf jeden Fall was anderes als die Großstadt", antwortete er.
Ich lachte, trat dann aber in ein Loch im Boden und knickte um, wobei ich mir den Knöchel verstauchte.
"Alles okay?!" Dean beugte sich runter, um mir aufzuhelfen.
Ich verzog schmerzerfüllt das Gesicht. "Ich glaub, ich hab mir den Knöchel verstaucht."
"Kannst du auftreten?", fragte er und legte meinen Arm um seine Schulter.
Ich schüttelte den Kopf. Dean fragte einen der Verkäufer, wo der Arzt sei, und sie zeigten uns die Straße runter zu einem großen Backsteinhaus. Es sah aus, als wäre es früher ein Wohnhaus gewesen, jetzt aber eine Praxis.
Als wir reinkamen, setzte ich mich auf einen Stuhl, und er erklärte, was passiert war. Wir warteten, bis der Arzt mit seinem aktuellen Patienten fertig war, und ich saß unbequem da und versuchte, meinen Fuß stillzuhalten.
"Jessica Hanson?" Der Arzt kam raus, und als wir uns ansahen, blickte er mich neugierig an.