Katlego Moncho
JUNIPER
Ich war schon seit Stunden hier. Genau ließ sich das schlecht abschätzen – ohne Uhr. Auf jeden Fall war so viel Zeit vergangen, dass die Wache abgelöst wurde und die Nacht wieder hereingebrochen war.
Jetzt stand ein Mann vor meiner Tür, den ich nicht kannte; sein Geruch war mir fremd. Aber das waren die meisten Gerüche hier.
Mateo war nicht wieder aufgetaucht, seitdem er mich eingeschlossen hatte. Auf sein Ultimatum hatte ich mit sturem Schweigen reagiert, und schließlich war er mit finsterem Gesicht gegangen.
Ich war froh über die kleine Verschnaufpause. Es war anstrengend, gejagt zu werden und dann einem Mann ausgeliefert zu sein, der dafür bekannt war, dass er bei Eindringlingen nicht lange fackelte.
Wenigstens war dieses Zimmer wesentlich besser als meins zu Hause. Was mich wunderte bei allem, was man so über den Alpha des Vistas-Moon-Rudels hörte.
Die Einrichtung war zwar nicht luxuriös, aber es war alles da, was man brauchte. Den meisten Platz nahm sowieso das riesige Bett ein, das genauso bequem war, wie es aussah. Und das angrenzende Bad war definitiv ein Pluspunkt.
Der Wächter musste husten, und ich nutzte die Gelegenheit, mich im Bett umzudrehen. Ich war todmüde, aber ich durfte nicht zulassen, dass ich einschlief. Wenn ich hier lebend rauskommen wollte, musste ich wachsam bleiben.
Deshalb hatte ich die letzten Stunden nur so getan, als würde ich schlafen, in der Hoffnung, es hielt die Leute davon ab, mich anzusprechen.
Star, rief ich meine Wölfin, doch die murmelte nur müde zurück. Offensichtlich war ich nicht die Einzige, die völlig k. o. war.
Ich zögerte, ob ich wirklich mit ihr reden sollte. Wir brauchten beide unsere Ruhe. Aber ich musste einfach wissen, was das mit Mateo bedeutete. Seit der Begegnung mit ihm war ich unruhig, und mir war ständig heiß.
Außerdem hatte ich dieses komisches Drängen in mir.
Was war das vorhin – diese Stimme in meinem Kopf?
Star wurde munter, und ich stellte mir vor, dass sie gerade ein breites Grinsen im Gesicht hatte.
Sein Wolf.
Was?
Das war sein Wolf, Zeus, in unserem Kopf. Er wollte uns beschützen.
Vor dem Alpha? Mateo?
Er hatte Angst um uns.
Wieso war er dann in seiner Gestalt?
Star schwieg einen Moment, und ich dachte schon, sie wäre eingeschlafen, doch dann meldete sie sich wieder eindringlich zu Wort.
Zeus wollte uns keine Angst einjagen, aber Mateo hatte die Kontrolle über ihn. In ihrem Tonfall schwang die Bitte mit, nicht sauer zu sein. Sie wollte, dass ich Zeus’ Situation verstand und ihn nicht verurteilte.
Also Zeus ist Mateos Wolf?
Ich hatte das undeutliche Gefühl, dass Star nickte.
Zeus scheint wesentlich umgänglicher zu sein. Zumindest kam er mir vernünftiger vor.
Bei meinen Worten wurde Star unruhig, murmelte nervös vor sich hin und schnaubte. Hätte sie ihre körperliche Gestalt eingenommen, wäre sie jetzt sicher errötet. Irgendwie reizte es mich, sie damit aufzuziehen.
Und er war auch ein ziemlich gut aussehender Wolf. Ich war überzeugt davon: Hätte sie gekonnt, hätte sie jetzt schwärmerisch aufgeseufzt.
Ich stellte mir vor, wie sie gerade an das kräftige Tier mit dem nachtschwarzen Fell dachte. Es hatte die gleiche Farbe wie Mateos Haare und Augen. Mmh, seine Augen … Die waren ohnehin ein ganz besonderer Fall.
Stell dir mal vor, was er mit seiner ganzen wilden Energie im Bett anstellen könnte, sagte Star kichernd, und jetzt wurde ~ich~ rot.
Was war das da vorhin, Star? Warum wollte ich ihn so sehr? Und er mich? Selbst ein Blinder hätte gemerkt, dass er mich genauso anziehend fand wie ich ihn. Seine zärtlichen Berührungen und diese Gier, die ab und an in seinen Augen aufblitzte … Ich wusste, was das bedeutete. Trotz meiner Unerfahrenheit.
Keine Ahnung, aber ich weiß, dass wir eine Verbindung zu ihnen haben. Und die beiden spüren sie auch.
Die beiden?
Zeus und Mateo. Die beiden sind eins, genau wie wir, und ich konnte fühlen, dass Zeus diese Verbindung auch gespürt hat.
Ich weiß nicht, ob mir diese Verbindung gefällt. Nicht, dass ich Zeus so schlimm finde, beeilte ich mich zu ergänzen, ~aber Mateo … Wie der mich teilweise angesehen hat, vor allem, als es um meinen Vater ging …~
Wenn Zeus das spürt, tut es Mateo auch. Genauso wie bei uns beiden. Star klang ziemlich überzeugt, und das beruhigte mich.
Vielleicht … Was, glaubst du, macht der jetzt mit uns?
Das war einer der Gedanken, die mich wachhielten. Wie würde es weitergehen? Was hatte Mateo vor? Was würde er tun, wenn er herausfand, dass ich zum Litmus-Rudel gehörte und Dayton mein Vater war?
Der bringt mich bestimmt um, vermutete ich.
Er wird uns nichts tun. Das kann er gar nicht.
Wieso bist du dir da so sicher? Vorhin war er kurz davor.
Ich weiß einfach, dass diese Verbindung etwas Besonderes ist, genauso wie ich weiß, dass deine Fähigkeiten und meine Unfähigkeit, mich zu verwandeln, besonders sind. Ich spüre ganz deutlich, dass bald etwas ganz Tolles passieren wird. Es hat einen Grund, warum wir hier sind, June. Es ist unsere Bestimmung, das fühle ich.
Und du glaubst, diese Bestimmung hat mit Mateo zu tun?
Vielleicht. Was schadet es, hierzubleiben und es herauszufinden? Was haben wir denn noch zu verlieren?
Unser Leben, hätte ich am liebsten gesagt, aber Starlet hatte nicht unrecht. Wir hatten kein Zuhause mehr und auch keine Familie, zu der wir hätten zurückkehren können.
Dann müssen wir aber erst einmal aus diesem Zimmer rauskommen.
MATEO
„Es ist zu gefährlich, sie hier auf unserem Gebiet festzuhalten.“
„Ich wage zu behaupten, dass es viel gefährlicher ist, sie frei herumlaufen zu lassen. Was, wenn wir sie gehen lassen und sie mit anderen Verstoßenen – möglicherweise sogar dem ganzen Litmus-Clan – zurückzukommt, um uns alle umzubringen? Nur so zum Spaß.“
„Wir können das nicht einfach hinnehmen!“
„Was hast du dazu zu sagen? Also, Mateo?”
Es hatte nicht lange gedauert, bis die Ältesten Wind davon bekommen hatten, was auf der Krankenstation passiert war und wer die Verstoßene auf unser Territorium gehetzt hatte.
Nur Minuten, nachdem ich sie eingeschlossen hatte, wurde ich schon in den Konferenzsaal zitiert und mit schwachsinnigen Argumenten bombardiert. Das war reine Panikmache.
Anstatt Antworten auf meine Fragen zu finden oder meinen Verpflichtungen als Alpha nachzugehen, musste ich mich jetzt mit dieser fruchtlosen Diskussion befassen.
„Die Bedrohung hält sich nun wirklich in Grenzen. Wir sollten lieber erst mal mehr Informationen sammeln, bevor wir irgendwelche vorschnellen Entscheidungen treffen“, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Meine Geduld hatte sich schon vor geraumer Zeit verabschiedet.
„Du hättest sie gleich töten sollen, als die Litmus-Wölfe sie auf unser Gebiet gejagt haben. Was, wenn das wieder einer von Daytons Tricks ist, um uns anzugreifen?“, rief einer der Ältesten.
„Wir töten Verstoßene. Und wir töten Bedrohungen. Das war schon immer unser Gesetz!“, gröhlte ein anderer.
Bevor ich es verhindern konnte, kam ein lautes Knurren aus meiner Brust. So langsam vermischten sich ihre Stimmen zu einem unerträglichen Gejaule, das mich wahnsinnig machte.
„Die Gesetze wurden nicht für diese Situation gemacht. Es gibt noch keinen vergleichbaren Fall, der …“
„Oder vielleicht bist du einfach nur zu schwach …“
„Jetzt reicht’s!“, brüllte ich, und Zeus’ Stimme schwang in meiner mit. Die Ältesten verstummten, blieben jedoch wachsam. „Ich schätze euren Rat, aber ich bin immer noch der Alpha hier, und als solcher treffe ich die Entscheidungen. Dabei habe ich immer das Wohl des Rudels im Sinn. Und wenn ich das Gefühl hätte, nicht mehr dazu in der Lage zu sein, würde ich von selbst zurücktreten.“
Mit diesen Worten drehte ich mich um und marschierte auf die Tür zu. Diese Runde ging an mich, da war ich mir sicher. Diese Diskussion hatte ich gewonnen.
Doch dann, als ich schon fast aus der Tür war, musste einer der Ältesten noch unbedingt etwas sagen, was mich abrupt innehalten ließ.
„Dein Wolf mag ja stark sein, aber ein Alpha ohne Partnerin ist kein richtiger Alpha.“
„Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werde ich eine Verbindung eingehen.“
„Aber das ist dann keine wahre Verbindung.“
„Ich bleibe bei meiner Entscheidung, und jetzt habe ich andere Dinge zu tun.“ Damit verließ ich den Saal.
Ihre Worte sollten mich kränken, und das taten sie auch, aber ich würde ihnen ganz sicher nicht zeigen, wie sehr sie mich verletzten.
Die Ältesten hatten sich schon immer über den Fortbestand der Santiago-Linie Sorgen gemacht, seit einer meiner idiotischen Vorfahren sich vor Jahrzehnten mit einer mächtigen Hexe angelegt hatte. Sie, Odessa, hatte ihn und all seine Nachkommen daraufhin mit einem Fluch belegt: Keiner von uns sollte je seine Seelenverwandte finden.
Wir würden nie erfahren, was wahre Liebe ist.
Natürlich war das nicht der einzige Weg, einen Erben zu zeugen und damit den Anspruch auf die Alphaschaft zu sichern – meine Vorfahren hatten da diverse Methoden ausprobiert. Mein Vater dagegen hatte kein Interesse daran gehabt, mit jeder rumzumachen, die ihm über den Weg lief. Und mir ging es genauso.
Das machte den Ältesten Sorgen. In ihren Augen schwächte mich der Fluch.
Damit hatten sie recht, auch wenn ich das nie öffentlich zugeben würde. Ohne meine Seelenverwandte – die Partnerin, die für mich bestimmt war – würde ich nie zu meiner vollen Stärke finden.
Es sei denn, ich durchbrach den Fluch und fand sie.
JUNIPER
Es dauerte eine Weile, aber irgendwann schlief ich doch ein. Kurz bevor mir die Augen zufielen, hatte gerade ein Wärter, den ich kannte, seinen Posten bezogen. Sein Geruch war mir schon aus dem Wald und der Krankenstation vertraut.
Wie lange ich schlief, wusste ich nicht. Es war immer noch schwierig, die Zeit abzuschätzen. Allerdings hatte ich das Gefühl, noch einen ganzen Tag weiterschlafen zu können – oder auch zwei –, als mich irgendetwas aufweckte.
Zuerst konnte ich es nicht einordnen. Leise, schlurfende Geräusche. Dumpfe Laute. Heftiges Atmen. Dann erkannte ich es.
Ein schmerzhaftes Jaulen.
Ein kreischender Alarm.
Zähne, die zuschnappten.
Zu Tode erschrocken sprang ich auf.
Was war da los?
Die Sekunden zogen sich wie Minuten in die Länge, dann hörte ich das Geräusch brechender Knochen und zerreißenden Stoffs. Ein animalisches Knurren, das von immer mehr Stimmen getragen wurde.
Wölfe, die gegeneinander kämpften?
Wieder ertönte ein Jaulen, gefolgt von einem dumpfen Knall. Dann war es still.
Die Alarmsirene dröhnte immer noch, laut und nervig. Leise Schritte kamen auf Mateos Zimmer zu, das klickende Geräusch von Krallen auf dem harten Dielenboden.
Ängstlich suchte ich nach einem Versteck, aber das würde mir ohnehin nichts nützen. Der Wolf brauchte nur meinem Geruch zu folgen.
In meiner Verzweiflung kroch ich in den Wandschrank und schloss die Tür so weit, dass ich noch durch einen winzigen Spalt nach draußen sehen konnte.
Die Zimmertür flog auf und krachte splitternd gegen die Wand. Ich wagte es nicht zu atmen oder hinzusehen.
Ich hörte, wie er näherkam. Er schnüffelte, erst in die Luft, dann über den Boden und das Bett.
Er kam immer näher. Und näher.
Dann stand er vor mir.