Second Chance (Deutsch) - Buchumschlag

Second Chance (Deutsch)

M. Syrah

Kapitel 2

SEAN

Die Uhr in meinem Büro zeigte 10:30 Uhr. Ungeduldig klopfte ich mit meinem Stift auf die Papiere auf meinem Schreibtisch. Das Patrouillenteam hätte schon vor einer Stunde zurück sein sollen. Wenn ich mich beeilte, könnte ich ihnen noch beim Training zusehen, bevor es Mittagessen gab.

Ich musste wissen, was sie bei der Kontrolle der Grenzen entdeckt hatten. Und wenn ich zum Trainingszentrum ginge, könnte ich den Bericht direkt von Aaron bekommen.

Ich bewegte meinen Stift immer schneller. Die Uhrzeiger rückten um eine Minute vor.

Mein Vater hätte darauf gewartet, dass sein Gamma ihm von etwaigen Problemen nach einer Patrouille berichtet. Wenn es ein Problem gäbe, hätte Aaron es mir längst mitgeteilt.

Die Uhr tickte eine weitere Minute weiter.

In letzter Zeit gab es Sichtungen von Abtrünnigen. Als Alpha sollte ich wissen, ob es Anzeichen für Ärger gab.

Ich warf meinen Stift auf den Schreibtisch. Wem machte ich etwas vor? Ich musste Aaron nicht wirklich sehen. Mein Gamma war mehr als kompetent.

Nein. Ich wollte Alison sehen.

Heute Nacht war Blutmond, wenn unsere tierischen Instinkte die Oberhand gewannen und unsere Wölfe das Ruder übernahmen. Heute Nacht würde mein Wolf nur an eines denken: eine Gefährtin zu finden.

Obwohl ich Zweifel hegte, wollte mein Wolf Alison für sich beanspruchen. Je länger ich regungslos dasaß, desto frustrierter heulte er. Er wusste, dass heute Nacht die Nacht sein würde, in der ich endlich eine ausgewählte Gefährtin akzeptieren würde, und er wollte, dass es Alison wurde.

Ich hörte auf, mir etwas vorzumachen, stand auf und ging zur Tür, während meine Gedanken um Alison kreisten.

Sie hatte vor zehn Jahren ihren wahren Gefährten verloren. Sie war damals erst achtzehn und hatte gerade herausgefunden, dass Peter ihr wahrer Gefährte war. Sie hatten nicht einmal die Chance, ihre Verbindung zu feiern, bevor er grausam getötet wurde.

Jene Nacht war ein Massaker gewesen. Die Abtrünnigen hatten unaufhörlich angegriffen. Und sie hatte danach so hilflos gewirkt, weinend, ihre Stimme rau vom Schreien, als wäre sie von Sinnen.

Ich hatte Angst gehabt, dass wir sie in dieser Nacht auch verlieren würden. Dass ihre Wölfin den Kummer nicht verkraften könnte.

In den Jahren danach lernte auch ich, wie sehr es schmerzte, seine einzig wahre Gefährtin zu verlieren. Es gab keinen größeren Schmerz.

Aber Alison war in jener Nacht so tapfer, tötete viele Abtrünnige und rettete noch mehr Leben, dass ich mich mit Aarons Unterstützung entschied, ihr einen Kriegerposten im Rudel und den Rang einer Delta anzubieten.

In den Monaten und Jahren danach versuchte ich, ihr so gut wie möglich beim Heilen beizustehen. Ich übernahm ihr Kriegertraining, half ihr, ihre natürlichen Fähigkeiten auszubauen und ihre Schwachstellen zu stärken. Ich sagte, ich täte es, um sicherzustellen, dass sie nicht zu sehr in Trauer über den Verlust ihres wahren Gefährten versank. Aber in Wirklichkeit sah ich schon damals etwas Besonderes in ihr.

Und jetzt standen wir uns so nahe, dass ich mich dabei ertappte, wie ich mich nach ihrer Nähe sehnte. Wenn ich ehrlich zu mir selbst wäre, gab es mehr als nur Zuneigung zwischen uns, aber ich würde es nie aussprechen.

Nach allem, was mit meiner wahren Gefährtin passiert war, verdiente ich diese Gefühle nicht.

Ich trat nach draußen, die Sonne stand hoch am Himmel. Obwohl es bereits September war, war es noch angenehm warm. Ich nahm mir einen Moment Zeit, um die frühherbstliche Luft einzuatmen, aber mein Wolf drängte mich weiterzugehen, ohne Zeit zu haben, das Wetter zu genießen.

Verschiedene Rudelmitglieder grüßten mich, als ich zu meinem Auto ging. Ich winkte ihnen zu, höflich, aber nicht zu ausgiebig. Mein Wolf wollte zum Trainingsgelände, und ich wollte nicht in ein Gespräch verwickelt werden und meine Chance verpassen, Alison beim Training zuzusehen.

In wenigen Minuten erreichte ich das Freiluft-Trainingsgelände. Ich sah sie sofort, als würden meine Augen sie wie von selbst suchen.

Sie boxte mit einem anderen Krieger; ihr Rücken war mir zugewandt, ihr Pferdeschwanz schwang hin und her, während sie sich bewegte.

Als hätte sie gespürt, dass ich sie ansah, drehte sie den Kopf und schenkte mir ein strahlendes Lächeln. Ich konnte nicht anders, als zurückzulächeln und alles andere zu vergessen, während ich langsam meine Hand hob und winkte.

„Brauchst du Hilfe bei etwas oder genießt du einfach nur die Aussicht?“

Ich versuchte, nicht zusammenzuzucken, als ich meinen Freund und Gamma ansah. Aaron hatte ein Grinsen im Gesicht, also wusste ich, dass er mich beim Starren erwischt hatte.

„Ich stelle nur sicher, dass sie richtig trainieren“, erwiderte ich mit gerunzelter Stirn und richtete mich auf.

„Ja, klar. Alison weiß, was sie tut. Sie ist immer noch eine unserer besten Deltas, und sie wird nicht zulassen, dass jemand ihren Platz einnimmt.“ Er stieß mich spielerisch mit der Schulter an. „Sie ist auch sehr hübsch. Ich hätte nichts dagegen, ein oder zwei Bisse abzubekommen.“

Ich wollte bei diesem Kommentar knurren, aber es stand mir nicht zu. Sie war schließlich nur eine meiner Deltas, nichts weiter.

Ich musste mich immer wieder daran erinnern.

„Die Ältesten wollen, dass ich eine ausgewählte Gefährtin nehme. Sie sagen, es sei an der Zeit. Dass es nicht länger so bleiben kann, oder sie könnten meine Position als Alpha überdenken“, sagte ich ernst. „Sie geben mir bis zum Ende des Blutmonds Zeit, bevor sie handeln. Sie erwähnten Alison als Möglichkeit.“

Aaron grunzte überrascht. „Wirklich? Deine Großmutter ist es leid, dass du Single bist? Als Vorsitzende des Ältestenrats hätte ich gedacht, dass sie dir nicht zu viele Schwierigkeiten bereiten würde. Nicht nach allem, was mit Brittany passiert ist.“

Er zuckte mit den Schultern. „Obwohl Alison eine großartige Luna wäre; sie ist ganz anders als Brittany.“

Allein den Namen meiner wahren Gefährtin zu hören, reichte aus, um Eisen in meinem Mund zu schmecken.

Ich hatte Brittany so sehr geliebt, wie ich dachte, dass wahre Gefährten einander lieben sollten. Wir waren zusammen im Rudel aufgewachsen und kannten uns unser ganzes Leben lang. Erst als wir beide achtzehn wurden, erkannten wir, dass wir füreinander bestimmt waren.

Aber obwohl wir wahre Gefährten waren, liebte sie mich nie. Nicht so, wie ich sie liebte.

Und dann starb sie vor fünf Jahren.

Die Informationen, die nach ihrem Tod ans Licht kamen, zeigten, was für ein abscheulicher Mensch sie war. Es machte mich immer noch sehr wütend.

Ich ballte meine Fäuste und biss die Zähne zusammen, und ich wusste, dass Aaron es bemerkte. Aaron wusste sehr gut, wie ich über Brittany dachte, also wusste ich, dass er nicht weiter darüber sprechen würde.

„Alpha?“

Ich drehte mich um und sah zwei Kriegerinnen hinter uns stehen. Ich konnte mich nicht an ihre Namen erinnern, und es interessierte mich auch nicht. Und aufgrund des Blickes, den sie miteinander austauschten, wusste ich, dass mir nicht gefallen würde, was sie zu sagen hatten.

„Ja?“, bellte ich. Ich konnte spüren, wie Aaron mich ansah, und ich versuchte, meine Stimme sanfter klingen zu lassen. „Kann ich euch irgendwie helfen?“

Sie lächelten breit und streckten ihre Brust heraus. Mein Wolf knurrte, dass ich ihnen überhaupt Aufmerksamkeit schenkte, aber ich wusste, dass ich als Alpha des Rudels sie zumindest wahrnehmen musste.

„Wir haben uns gefragt, ob wir dich später heute Abend sehen werden? Im Wald vielleicht?“, sagte die rechte.

Die linke streckte ihre Brust noch weiter heraus. „Es ist die erste Nacht des Blutmonds“, sagte sie mit einem Augenzwinkern.

Ich runzelte die Stirn, mein Körper spannte sich sofort an. „Dafür unterbrecht ihr mein Gespräch mit meinem Gamma? Denkt ihr wirklich, dass dies der richtige Zeitpunkt für dieses Gespräch ist? Solltet ihr nicht gerade trainieren?“

Ihre Lächeln wurden kleiner, und sie senkten ihre Augen unterwürfig. Meine Wut hatte meine Macht hervorgebracht, und sie konnten ihrem Alpha nicht widerstehen. Vielleicht würden sie die Botschaft verstehen und mich in Ruhe lassen.

Es passierte bei jedem Blutmond. Weibchen warfen sich mir an den Hals in der Hoffnung, die nächste Luna zu werden.

Ich war es so leid. Ich wollte nicht hören, wie sie mich liebten und wie sie alles für mich tun würden. All das klang für mich immer so falsch, jedes verdammte Mal. Sie wussten nichts über mich, wie konnten sie mich also lieben?

„Alpha!“

Ich wandte mich von den beiden Weibchen ab, als ich Alisons Stimme hörte. Sie lächelte, aber ich konnte das Feuer in ihren Augen erkennen. Was hatte sie so verärgert?

„Du siehst aus, als könntest du etwas Bewegung gebrauchen. Warum ziehst du dich nicht aus deinem schicken Anzug um und kommst zu mir? Ich könnte ein gutes Sparring gebrauchen.“

Alles wurde still. Jeder hörte auf zu tun, was er tat, und starrte überrascht Alison an. Niemand wagte es je, mich herauszufordern, nicht einmal zum Spaß.

Ich lächelte. Alison machte nie etwas wie der Rest des Rudels, und das war etwas, das ich an ihr mochte.

Ich sah meinen Gamma an und sah, dass Aaron ebenfalls grinste. Ich wusste, wie sehr er sie mochte, und es lag nicht nur an ihrem Aussehen, egal was er sagte.

Ich sah wieder zu Alison. „Denkst du, du kannst es mit mir aufnehmen, Delta?“, forderte ich sie heraus.

„Es gitb nur einen Weg, um das herauszufinden.“ Sie grinste. „Oder hast du Angst, dass ich dir den Hintern versohlen könnte?“

Ich würde diese Art von Gerede nur von meinen engsten Freunden akzeptieren, aber bei Alison störte es mich nie. Sie sagte immer, was sie dachte, und das gefiel mir.

„Werde jetzt nicht zu selbstsicher“, erwiderte ich mit einem Grinsen. „Ich möchte nicht, dass du weinst, wenn ich dich mit Leichtigkeit besiege.“

Aaron räusperte sich. „Ich habe ein paar Ersatzklamotten in meinem Büro, wenn du sie möchtest.“

„Ich nehme das Angebot an. Ich möchte meinen Anzug nicht ruinieren.“

Da wir draußen waren, bestand der Trainingsplatz hauptsächlich aus Erde, und es wäre ärgerlich, einen tausend Euro teuren Anzug zu ruinieren, nur um etwas Spaß mit Alison zu haben.

Vielleicht brauchte ich das auch. Brauchte etwas Spaß. Wie wusste sie immer, was sie sagen musste, um mich aufzuheitern? Es war wie eine Superkraft, also hatten die Ältesten vielleicht recht, und ich sollte sie als meine gewählte Gefährtin akzeptieren.

Aber ich verdiente keine Gefährtin, weder eine wahre noch eine gewählte, nach dem, was ich getan hatte, und ich wollte ihr das nicht aufzwingen.

Nein, ich verdiente keine Gefährtin, egal, was die Ältesten wollten. Wenn die Ältesten beschließen würden, mir meinen Posten als Rudelalphas wegzunehmen, müssten sie ihn mir mit Gewalt nehmen.

Ich ging zu Aarons Büro und lächelte. Das war seit Tagen nicht mehr passiert.

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