Delta Winters
EVERETT
Mein Wolf macht seinem Namen alle Ehre; er ist das Chaos, ich bin die Selbstbeherrschung. Ich muss logisch denken, während er über die Gefährtenbindung nachdenkt.
Ja, ich habe jetzt schon fast das Gefühl, dass ich ohne sie nicht leben kann. Und ja, sie ist schön, selbst wenn sie blutbedeckt ist. Und ja, sie bedeutet mir alles auf der Welt, und ich kenne sie nicht mal.
Aber sie ist ein Mensch und sie ist zerbrechlich. Sie kann nicht meine Luna sein.
„Doch, kann sie!”, schreit Chaos.
„Sie ist ein kleiner, schwacher Mensch. Niemand in diesem Rudel wird sie ernst nehmen, von anderen Rudeln ganz zu schweigen“, argumentiere ich.
„Wir stellen sicher, dass sie ihr Respekt zeigen. Wir sind der Alpha. Wir können machen, was wir wollen. Sie alle respektieren uns und wir werden verlangen, dass sie auch sie respektieren.”
„Wir können ihnen nicht vorschreiben, was sie denken sollen. Sie werden vorgeben, sie zu respektieren, aber nicht hinter verschlossenen Türen.”
„Sie gehört zu uns. Sie geht nirgendwohin und die Leute können sagen, was sie wollen. Sie ist unsere Gefährtin. Es würde mich umbringen, sie abzulehnen. Ich lasse das nicht zu“, erklärt Chaos stur und ich seufze frustriert.
Eine Weile später ist meine kleine Gefährtin gesäubert, was mir ihre Schönheit noch klarer macht.
Ihre weiche Porzellanhaut, die bei der leichtesten Berührung zerbrechen könnte, ihr winziger Körper, der sich unter den Bettlaken des Krankenhausbettes windet, wenn sie sich bewegt, und ein niedlicher rosa Farbton auf ihren Wangen, der sie so lebendig wirken lässt.
Sie ist umwerfend. Und sie gehört mir.
Zumindest fürs Erste.
Lucius und Ace kommen mit nachdenklich zusammengezogenen Augenbrauen und leichtem Stirnrunzeln herein und werfen einen Blick auf meine Gefährtin.
„Du hast eine menschliche Gefährtin”, merkt Lucius mit einem Hauch von Abneigung an, was mich sofort knurren lässt, bevor ich nachdenken kann.
Er tritt einen kleinen Schritt zurück, als er bemerkt, wie beschützend ich ihr gegenüber bin.
Sie mag ein Mensch sein, aber sie ist trotzdem meine Gefährtin.
„Was haben die Ärzte gesagt?”, frage ich sie.
„Das Blut, mit dem sie bedeckt war, kommt von ihr, aber sie haben keine Ahnung, wo es herkommt. Abgesehen von Blutergüssen an ihrem Hals und an mehreren Körperteilen, ist sie unverletzt. Sie ist nur müde”, informiert Ace mich.
Wie konnte sie so viel Blut an sich haben, wenn ihr Körper unversehrt ist? Das macht keinen Sinn, aber das ist egal. Wenigstens wird es ihr gut gehen.
Das Gleiche kann ich leider nicht von meiner Tante neben ihr behaupten, die neugierig meine Gefährtin anstarrt.
Die Augen des Mädchens öffnen sich blinzelnd, ihre Atmung wird plötzlich angestrengt, als ihre Augen durch das Zimmer huschen, um herauszufinden, wo sie ist.
Als sich unsere Blicke kreuzen, bleiben ihre Augen stehen, diese wunderschönen, smaragdgrünen Augen, die von Verwirrung erfüllt sind. Verwirrung, aber keine Angst.
Interessant.
„Wie heißt du?”, frage ich ein wenig kühl.
„Rory.”
RORY
„Wie heißt du?”, fragt der Alpha gleichgültig.
Dieser Mann hat mich „Gefährtin“ genannt. Oder vielleicht habe ich das geträumt. Nach meiner Zeit auf dem Schurkenterritorium war ich im Fieberwahn.
Aber ich fühle diese Anziehungskraft zu ihm und seine Augen sind wie blaue Kristalle; Augen, die mich in meinen Träumen verfolgt haben.
Wie ist das möglich?
Ich habe von ihm und seinem Wolf geträumt, und jetzt steht er hier. Er ist offensichtlich ein Alpha, seine dominante Aura erfüllt den ganzen Raum und kontrolliert mich, wie kein Fremder mich kontrollieren sollte.
Er ist ein Alpha. Hasst er Menschen, genau wie Nick? Wird auch er mich umbringen?
„Rory”, antworte ich und sein Stirnrunzeln vertieft sich, sein Blick bohrt sich in mich, als könnte er meine Seele in meinen Augen sehen, als hätte er, als Alpha, diese Fähigkeit.
Vielleicht sollte ich mich dumm stellen und so tun, als wüsste ich nichts über Werwölfe. Vielleicht würde er mich dann gehen lassen, auch wenn der bloße Gedanke daran mich schmerzt, als er mir durch den Kopf geht.
Ich will nicht gehen. Ich kann ihn nicht verlassen.
Aber warum?
Falls er mein Gefährte ist, liegt es am Gefähtenband, von dem ich schon so viel gehört habe; eine unbeschreibliche Verbindung, die Gefährten zueinander zieht und ihnen das Gefühl gibt, nicht ohne einander leben zu können.
„Du heißt Rory?”, fragt er, als wolle er sichergehen, dass ich die Wahrheit sage.
„Nun, Aurora. Aber alle nennen mich Rory”, antworte ich schüchtern, als er mich weiter ununterbrochen anstarrt. „Wo bin ich?”
Die Frage lässt ihn noch stärker die Stirn runzeln. Ich glaube, er denkt über seine Antwort nach. Er weiß nicht, dass ich über Werwölfe Bescheid weiß. Oder zumindest ist er sich nicht sicher.
„Du bist in einem Krankenhaus”, antwortet ein anderer Mann für ihn.
Der Mann schenkt mir einen harten, angewiderten Blick, seine Frustration klar auf seinem Gesicht zu sehen. Wenn ich raten sollte, warum, würde ich sagen, dass es daran liegt, dass ich ein Mensch bin.
Dieser Mann muss sein Beta sein; die pure Kraft seiner brutalen Persönlichkeit trifft mich hart.
In den Augen eines weiteren Mannes neben ihm liegt nur Neugierde gemischt mit Frustration; er sieht mich an, als wüsste er nicht mal, dass ich ein Mensch bin.
Der Alpha gibt seinem Beta mit einem Nicken zu verstehen, dass er fortfahren soll.
„Warum warst du im Wald?”
Es scheint, als wäre die Befragung an den Stellvertreter abgegeben worden, vielleicht weil der Alpha mich weiter auf gruselige Art und Weise beobachten will, als wäre er ein Stalker oder ein Privatdetektiv.
Wie soll ich die Fragen beantworten? Soll ich lügen? Was würde es bringen, zu lügen?
Falls der Alpha mein Gefährte ist, wird er mich hier behalten, glaube ich. Und dem nach zu urteilen, was ich über das Temperament von Alphas weiß, wäre es unklug, ihn anzulügen.
Aber ich kann ihnen nicht den Namen meines alten Rudels verraten, oder dass ich von den Toten zurückgekehrt bin. Mama hat mir gesagt, ich solle niemandem von meinem Geschenk erzählen.
Sie könnten es ausnutzen und außerdem ist es furchtbar, zu sterben.
Es fühlt sich an, als würde alles aus mir herausgesaugt werden, und als mir die Kehle aufgeschlitzt wurde, wollte ich mir vor Schmerz den Hals aufkratzen und die Augen ausreißen.
Sterben steht definitiv nicht mehr auf dem Plan.
„Ich wurde von meinem Rudel verbannt. Sie haben versucht, mich umzubringen“, antworte ich und die Erinnerung lässt mich leicht die Stirn runzeln.
Sie haben es nicht nur versucht, sie haben es getan. Und sie haben dabei gelächelt.
„Rudel? Du bist kein Wolf”, sagt der Beta ein wenig barsch.
„Meine Mutter war eine Omega in ihrem Rudel. Sie hat mich im Wald gefunden und aufgezogen, als wäre ich ihre eigene Tochter“, antworte ich, nach außen hin unbeeindruckt von seiner Befragung, aber innerlich in Panik versetzt.
Dieser Beta scheint mich nicht zu mögen, und er kennt mich nicht mal.
„Wann kann ich gehen?” Der Alpha hebt ruckartig den Kopf und er stellt sich neben mein Bett, wobei er über mir aufragt.
„Wenn du über Wölfe Bescheid weißt, dann weißt du auch über Gefährten Bescheid. Und du bist meine kleine Gefährtin. Du, Aurora, gehst nicht weg von hier”, knurrt er, bevor er die Hände zu Fäusten ballt und in einer plötzlichen Wut aus dem Zimmer stürmt.