Das unmoralische Angebot - Buchumschlag

Das unmoralische Angebot

S.S. Sahoo

Nicht Stolpern

BRAD

Keine Feier war schöner als eine Hochzeit. Mit meinen sechzig Jahren Erfahrung war es vielleicht die eine Sache, die ich mit Sicherheit sagen konnte.

Die Dekoration, die Kleidung, das Spektakel selbst – all das geschah im Namen der Liebe. Und Liebe – wahre, echte Liebe – war die eine Sache, an die ich glaubte.

Also was machte es schon, dass dieser alte Mann derjenige war, der sie arrangierte?

Es spielte keine Rolle, dass ich den Engel gefunden hatte, der meinen Sohn retten konnte. Entscheidend war, dass er offen für sie war.

Natürlich musste ich ihn etwas überzeugen. Kinder befolgten Anweisungen nicht mehr so, wie wir es damals bei unseren Eltern getan haben. Aber das war jetzt Nebensache.

In dem Augenblick, als ich Xavier die Position – meine Position – in der Firma versprochen hatte, war er mit allem einverstanden. Mit der Ehe, dem Job, allem. Er öffnete ihr sein Herz, damit sie es einnehmen konnte, und das war alles, was zählte.

Ich sah mich in dem Ballsaal um, der voller Familie und Freunde, Geschäftspartner und Klienten war, und ich konnte nicht anders, als stolz zu sein. Der Hochzeitsplaner hatte sein Bestes gegeben.

Der Saal war übersät von Blumen – natürlich weiße Lilien – und an den Säulen entlang der Wände hingen Lichtornamente. Es gab ein Podest, auf dem sie sich das Ja-Wort geben würde, und der Priester stand hinter Xavier, während er auf die Braut wartete.

Die Bänke hatte man extra auf den Eichenboden abgestimmt und mit elfenbeinfarbenen Kissen bestückt. Die Floristin hatte um jede Bank Lilien geflochten und dazwischen winzige Lämpchen eingearbeitet. Der ganze Raum erstrahlte, so wie er es sollte.

Ich war froh, dass jede einzelne Bank besetzt war, auch ohne die Presse bei der Zeremonie dabei zu haben. Ich wollte, dass so viele Augen wie möglich auf meinen Sohn und seine Frau gerichtete waren, damit sie den Tag miterlebten, an dem sich sein Leben ändern würde.

Tief in meinem Herzen wusste ich, dass das der richtige Schritt für ihn war, und ich war so stolz, dass ich dabei war und es sehen konnte. Ich wünschte nur, dass Amelie an meiner Seite sein könnte.

Während ich mich im Saal umsah und Gästen zunickte und winkte, konnte ich nicht anders, als an meinen Liebling zu denken.

Sie war der Grund, weshalb wir alle heute hier waren. Sie war der Grund, weshalb ich den richtigen Weg für mich und meinen Sohn gefunden hatte. Sie fehlte mir jeden einzelnen Tag, heute aber ganz besonders.

Dann öffneten sich die Türen und die Gäste standen auf.

Und als ich mich umdrehte und meine liebe Angela sah, meine liebe Schwiegertochter, die den Gang entlang schritt, spürte ich, dass meine Liebste bei mir war.

ANGELA

Nicht stolpern. Nicht stolpern.

Ich hörte Dannys Worte wieder und wieder in meinem Kopf, und ich weiß nicht, ob es an den Nerven oder den Schuhen lag, dass ich glaubte, ich könnte stolpern.

Mich hatten nicht mehr so viele Leute angesehen, seit … ach, noch nie. Noch nie haben mich so viele Menschen gleichzeitig angesehen.

Es bewegte mich, allein den Gang entlang zuschreiten. Ich war nie eine von den Mädchen gewesen, die sich schon immer ihre Hochzeit ausgemalt hatten, aber ich habe immer gedacht, dass Dad bei mir sein und mich zum Altar führen würde.

Aber er war meilenweit entfernt, in einem Krankenhausbett. Im Koma.

Nicht weinen, Angela, befahl ich mir selbst. ~Es schauen viel zu viele Menschen zu.~

Endlich war ich am Podest. Ich stellte mich gegenüber von meinem Verlobten auf, dem Mann, der mich mehr hasste, als jede Person, die mich jemals gehasst hatte.

Der Mann, der mich kaum kannte, aber auch meinem Dad das Leben rettete – auch wenn er es nicht wusste.

Ich schenkte ihm nervös ein Lächeln. Er starrte mich nur ausdruckslos an.

Der Priester lächelte zuerst mich und dann Xavier an. Dann wandte er sich den Gästen zu.

„Nehmen Sie Platz. Wir haben uns heute hier versammelt, weil Angela Carson und Xavier Knight den Bund der Ehe schließen wollen …“

Danach hörte ich seine Stimme nicht mehr und ich driftete ab. Ich sah Xavier an, seine dunklen Augen, seinen angespannten Kiefer, die Stoppeln auf seinem Kinn, als wäre er zu cool, um sich an seinem Hochzeitstag zu rasieren.

Dann betrachtete ich seinen Anzug, die Art von Anzug, die die Kostümabteilung von Gossip Girl neidisch machen würde. Er war wahrscheinlich von jemand bekanntem wie Armani oder Dolce & Gabbana entworfen worden. Vielleicht war er sogar maßgeschneidert. Er war rabenschwarz und geschmeidig und alles, was ein Mann jemals tragen wollte.

Trotzdem würde ich darauf wetten, dass Xavier sein Anzug total egal war. So wie diese Hochzeit. Oder alles andere.

„Angela?“

Der Priester sah mich erwartungsvoll an. Ich spürte, wie alle Blicke im Saal auf mich gerichtet waren. Meine Wangen wurden feuerrot. Wo waren wir? Was sollte ich sagen?

„Ich will?“, stammelte ich und der Priester nickt mir lächelnd zu.

Und dann sah er zu Xavier. „Und Xavier Knight, wollen Sie Angela Carson zu Ihrer rechtmäßig angetrauten Ehefrau nehmen, in Armut wie in Reichtum, in Krankheit und in Gesundheit, so lange, bis dass der Tod euch scheidet?“

„Ich will“, sagte er, als hätte ihn gerade jemand gefragt, ob Salz ein nützliches Gewürz war.

„Nun dann, meine Damen und Herren, ich darf Ihnen das glückliche Ehepaar vorstellen. Xavier, Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“

Einige Gäste jubelten und klatschten und ich wartete nervös darauf, was Xavier tun würde. Ich rechnete mit einem Luftkuss auf der Wange, einem Händeschütteln oder sogar einem Schlag ins Gesicht. Aber was er dann tat, überrascht mich deshalb noch viel mehr.

Er beugte sich vor, bis seine Lippe beinahe meine berührten. Er lächelte, als er sagte: „Ich bin ein mächtiger Mann. Ich bekomme, was ich will. Und was ich will, ist, dich fertig zu machen.“

Und dann küsste er mich auf den Mund. In meinem Kopf drehte sich alles und meine Augen füllten sich mit Tränen.

Nachdem er den Kuss beendet hatte, drehte er sich um, verließ das Podest und nahm Glückwünsche von Gästen entgegen, während er den Gang hinunterlief.

Ich konnte nicht fassen, wie er gerade noch Feuer auf mich hatte spucken können und jetzt mit allen anderen lachte, als wenn nichts passiert wäre.

Der Priester sah die Tränen in meinen Augen und klopfte mir auf den Rücken. „Es ist immer ein emotionaler Tag. Ich wünsche euch alles Glück der Welt.“

Einen Moment später dachte ich, damit kann ich arbeiten. Und dann lief ich meinem Ehemann hinterher.

EmWo bist du
AngelaKlo
AngelaIch will gehen
EmEs ist deine Hochzeit
AngelaIch muss dir etwas sagen
AngelaWarum ich ihn geheiratet habe
Em??
EmHallo? Angie?

Ich war in der Toilette und saß auf dem kalten Boden. Ich steckte mein Handy wieder in meine Handtasche. Ich trug immer noch das Kleid und die High Heels, aber ich konnte keine Sekunde länger auf der Tanzfläche bleiben.

Ich war es leid, ein Lächeln vorzutäuschen und jede Person, die Brad mir vorstellte, mit Küsschen links und rechts zu begrüßen.

Und ich war es noch mehr leid, von Menschen beglückwünscht zu werden, die ich nicht kannte. Ich wusste, dass ich Em schon zu viel erzählt hatte, aber das war mir egal.

Mir taten die Füße weh, meine Lippen waren gerissen und mein Herz fühlte sich leer an. Ich war es einfach … leid.

Jemand klopfte an meine Kabine und dann hörte ich Em nach mir rufen. „Angie?“

Ohne aufzustehen öffnete ich die Tür und ließ sie herein. Sie sah mich auf dem Boden sitzen, mit feuchten Wangen, und vermutlich verschmierter Wimperntusche.

„Angie, was ist los? Was musst du mir sagen?“

„Es ist einfach … alles zu viel.“

„Was sollte diese Nachricht? Warum du ihn geheiratet hast?“

Das war mein Moment. Mein Moment, um die Wahrheit zu sagen, um Em um Hilfe zu bitten. Wir sahen uns an und ich wollte es unbedingt loswerden.

Aber mein Mund war wie versteinert. Ich konnte nichts sagen. Sie sah zu Boden, als hätte ich sie mit meinem Schweigen verletzt.

„Willst du, dass ich Xavier hole?“

„Nein!“, entfuhr es mir. Der Moment war vorbei. „Nein, er würde das nicht verstehen. Ich … das alles ist mir so fremd.“

Sie setzte sich gegenüber von mir hin und konnte dabei kaum ihre Beine neben meine quetschen, weshalb ich lächeln musste.

„Ich verstehe das. Ich verstehe dich. Das ist alles verrückt. Es ist überwältigend und seltsam und beängstigend. Aber das Wichtige sind nicht die Kaviar-Bar oder die Christina Labootin-Schuhe—“

„Christian Louboutin, glaube ich.“

„Wie auch immer. Du weißt, was ich meine. Das wichtigste ist, dass du Xavier liebst und dass er dich liebt. Und da draußen ist jede Menge Liebe, die euch feiert.“ Sie beugte sich vor und nahm meine Hand. „Ich weiß, dass dein Dad gern dabei gewesen wäre, Angie. Er wäre in Tränen ausgebrochen, wenn er dich so gesehen hätte.“

„Er hätte wahrscheinlich schon einen Handstand auf dem Bierfass gemacht.“

„Angela, ich glaube nicht, dass hier irgendjemand weiß, was ein Bierfass ist.“ Sie hatte recht. Aber dann sah ich, wie sie zögerte. „Du liebst ihn doch, oder?“

„Wen, Xavier?“

„Ja“, sagte sie ungeduldig. „Xavier. Den Mann, den du gerade geheiratet hast.“

„Ja“, sagte ich leise und sah zu Boden. „Das tue ich.“

„Dann lass uns wieder da rausgehen.“ Ihre Stimme hörte sich leicht und fröhlich an, als sie mir aufhalf.

Ich fragte mich, ob sie mir glaubte. Und wenn sie es tat, was dachte meine beste Freundin über das Mädchen, dass den reichen Playboy zwei Wochen, nachdem sie ihn kennengelernt hatte, heiratete.

***

„Noch einen“, sagte Xavier von hinten zu mir, als ich mir ein Glas Wasser an der Bar holte.

„Was?“

„Noch einen Tanz müssen wir machen“, sagte er nochmal und jetzt roch ich den Alkohol in seinem Atem. Er sah zu einem piekfein gekleideten Paar im mittleren Alter. „Sie wollen uns tanzen sehen.“

„Sie wollen uns beim Tanzen zusehen?“

„Ich stelle keine Fragen. Sie sind Klienten, die wollen, dass wir tanzen. Also tanzen wir.“

„Okay“, entgegnete ich, als er meine Hand nahm und mich halb hinter sich her zu dem Paar zog.

„Angela, Darling, du siehst fabelhaft aus“, sagte die Frau mit Botoxgesicht.

„Danke“, bekam ich noch heraus, bevor sie weiterredete.

„Wir können es nicht erwarten, dich und Xavier auf der Tanzfläche zu sehen – du weißt, was man sagt: Man kann die Liebe beim Tanzen sehen.“ Die Frau seufzte hingerissen.

Wenn sie Liebe sehen wollten, sollten sie woanders hinsehen. Doch anstatt mich zu beschweren, folgte ich Xavier auf die Tanzfläche und ließ ihn mich ein paar Mal herumwirbeln, und ich dankte mir selbst dafür, dass ich von Champagner zu Wasser gewechselt hatte. Denn sonst wäre ich mir nicht so sicher gewesen, ob der gegrillte Lachs drinnen geblieben wäre.

Als wir fertig waren, wartete ich darauf, dass Xavier „Danke“ oder „Gute Arbeit“ oder irgendetwas annähernd nettes sagte. Schließlich hatte ich ihm einen Gefallen getan. Doch stattdessen hob er beide Daumen in Richtung des Klienten, sah mich emotionslos an und lief dann in die andere Richtung.

„Da bist du ja, Angela“, hörte ich hinter mir und fand Brad vor. Er sah überglücklich aus, und ich war froh, dass er Spaß hatte. Wirklich, das war ich.

„Hier bin ich“, sagte ich lächelnd. „Du hast wundervolle Arbeit mit allem geleistet. Wirklich, das alles ist unglaublich.“

„Ich bin froh, das zu hören.“ Und dann holte er aus seiner Hosentasche einen Zimmerschlüssel.

„Der ist für die Honeymoon-Suite, meine Liebe. Xavier habe ich seinen schon gegeben. Los, habt Spaß. Es gibt nichts Schöneres als junge Liebe“, sagte er und ich hatte das Gefühl, dass der letzte Teil eher für ihn selbst bestimmt war.

Er machte auf dem Absatz kehrt, klatschte in die Hände und ging weg, bevor ich mich bedanken konnte.

Weil ich nichts mehr mit der Party zu tun haben wollte und nicht wusste, wohin Xavier verschwunden war, ging ich zu den Aufzügen und drückte auf das oberste Stockwerke, sobald ich darin stand.

Die ganzen schicken Kleider, das Gourmetessen und der hochpreisige Alkohol – nichts davon sorgte dafür, dass ich mich mit meiner Entscheidung wohler fühlte.

Denk an Dad, mahnte ich mich selbst. ~Er braucht dich.~

Als ich im obersten Stockwerk angekommen war, hatte ich das Gefühl, eine Meile weit laufen zu müssen, um die Tür zur Suite zu erreichen. Ich fuhr mit der Schlüsselkarte durch den Schlitz und sah, wie das Lämpchen grün leuchtete. Dann drückte ich die Tür auf und trat ein.

Ich hatte das Gefühl, zum ersten Mal, seitdem ich vor den Altar getreten war, auszuatmen. Ich schloss die Tür hinter mir und schaltete das Licht ein, kickte meine Schuhe weg und hörte, wie sich meine Füße regelrecht bei mir bedankten.

Mir fiel ein, dass mir jemand helfen musste, aus dem Korsett zu kommen, als ich eine Männerstimme aus einem der Zimmer kommen hörte. Wahrscheinlich Xavier.

Deshalb ging ich zu dem Zimmer und hoffte, dass er mir helfen würde, wenn ich nett fragte. Nicht auf sexuelle Weise – auf keinen Fall.

Schon beim Gedanken daran fühlte ich mich unwohl. Aber ich wollte nicht in einer eng geschnürten Korsage schlafen und ich glaubte nicht, dass die Stylistin mit dem strengen Dutt es gut fände, wenn ich mich mit Mr. Wangs Meisterstück ins Bett legen würde. Deshalb öffnete ich ohne nachzudenken die Tür zu dem Zimmer und–

Mir blieb die Luft weg. Vor mir, wenige Meter entfernt, auf dem mit übermäßig vielen Kissen bestückten King-Size-Bett mit strahlend weißen Bettlaken war mein Ehemann.

Und auf allen vieren mit dem Gesicht in den Laken und dem Hintern nach oben gestreckt, stöhnend, während die Bewegungen schneller und schneller wurden, war eine gebräunte, dunkelhaarige Frau.

Aber nicht irgendeine gebräunte, dunkelhaarige Frau.

Das war Sky. Die Make-up-Artistin.

Xavier drehte sich um, um nachzusehen, wer die Tür geöffnet hatte. Er hörte nicht auf, sich zu bewegen oder langsamer zu machen. Er lächelte nur. Und sie stöhnte weiter.

„Hey, Angela, kannst du bitte die Tür zumachen, wenn du rausgehst?“

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