Sofia Jade
EMMA
Ich stürme ins Büro, mein Gesicht rot von der Kälte und der Hektik. Das Problem mit der Lagerheizung hat länger gedauert als gedacht, und ich bin fast zu spät für unser Treffen mit Trevor. Mein halb ausgetrunkener Pfefferminztee – inzwischen kalt und seit dem Morgen vergessen – steht auf meinem Schreibtisch.
Ich greife danach und trinke hastig, während ich schnell zu den Aufzügen gehe, meine Laptoptasche schlägt gegen mein Bein.
„Trevor wird auf hundertachtzig sein“, sagt Liv am Telefon, als ich mehrmals auf den Aufzugknopf drücke.
„Ich weiß. Kannst du dir eine Ausrede einfallen lassen? Sag ihm, ich sei in ein riesiges Loch auf der Straße gefallen und sie mussten mich wie ein kleines Kätzchen herausziehen.“
„Weißt du, das könnte sogar stimmen.“
Ich lache und drücke erneut auf den Aufwärtsknopf des Aufzugs, leise vor mich hin fluchend. Warum dauert das so ewig?
„Es heißt, wenn der Kranz-Relaunch nicht perfekt läuft, könnte er unser Team vor die Tür setzen.“
Ich schnappe nach Luft. Das wäre der Supergau.
Nicht nur, weil ich einen Teil meines Gehalts für die Wohltätigkeitsorganisation verwende – sondern weil ich diesen Job brauche. Miete. Studienkredite, die nie kleiner zu werden scheinen. Unzählige Rechnungen.
Aber diesen Job zu verlieren? Das würde bedeuten, sie zu verlieren. Die Kinder. Meine Wohltätigkeitsorganisation. Mein Ein und Alles. Der Grund, warum ich morgens aus den Federn komme.
„Das lassen wir nicht zu“, sage ich, mehr zu mir selbst als zu ihr.
Liv klingt nicht überzeugt. „Na ja, wenn Trevor uns nicht feuert, tut es vielleicht der neue CEO.“
Mein Magen macht einen Salto und ich beiße mir auf die Lippe. Denn wenn man bedenkt, wie die Sache mit Max geendet hat? Liv könnte den Nagel auf den Kopf getroffen haben.
Noch etwas, worüber ich nachts grübeln kann.
Ich seufze und schaue nach oben zum Aufzug, um zu sehen, in welchem Stockwerk wir sind, aber bevor ich die Zahl erkennen kann, läuft mir ein Schauer über den Rücken.
Jemand beobachtet mich.
Und nicht irgendjemand.
„Guten Morgen“, sagt eine tiefe, sehr vertraute Stimme direkt neben mir.
Oh mein Gott. Es ist Max.
Ich versuche, normal zu sprechen, aber er ist hier. Steht neben mir am Aufzug, als wäre es das Normalste der Welt, und mustert mich interessiert.
„Guten Morgen“, sage ich mit leiser Stimme. Ich umklammere meinen Becher fester, sodass das Papier knistert.
Er nickt, als würde er mich nicht kennen, blickt zurück auf sein Handy und tippt wütend darauf herum.
Die Aufzugtüren öffnen sich und er schaut nicht auf, lässt mich zuerst einsteigen. Ich gehe nach hinten und lege meine Hände an die goldenen Wände hinter mir, als er eintritt und mir den Rücken zuwendet. Ich versuche, seinem Duft zu entkommen, aber er erfüllt den engen Raum und ich kann ihm nicht entfliehen.
Erkennt er mich wirklich nicht?
Ja, meine Haare sind länger, mein Gesicht sieht älter aus. Selbst meine Augen wirken wahrscheinlich trauriger als früher. Das Leben war kein Zuckerschlecken. Aber wir waren einmal beste Freunde. Wir wussten alles übereinander. Der Gedanke, dass er nicht erkennt, dass ich es bin, schmerzt, besonders weil ich ihn nicht aus den Augen lassen kann.
Ich starre sein Spiegelbild an, während er mir den Rücken zuwendet. Verdammt. Er sieht sogar noch besser aus als früher.
Die Türen öffnen sich in unserem Stockwerk und er geht hinaus, ohne mich anzusehen.
Ich seufze, versuche mich zu beruhigen und eile dann in die entgegengesetzte Richtung.
Als ich zum Meeting komme, steht Trevor vorne im Raum und trägt einen blau gestreiften Anzug, der viel zu groß für seinen schmächtigen Körper ist. Eine kleine Brille sitzt auf seiner spitzen Nase.
„Diese drei funktionieren nicht“, sagt er und zeigt Bilder einiger unserer Testkränze. „Wir haben Probleme, Korbweide zu bekommen, und die Plastikrahmen brechen.“
Er wendet sich an Kevin. „Dein Team muss diese Probleme lösen, bevor wir weitermachen können.“
Er zeigt auf ein Design, an dem ich gestern Abend zwei Stunden gearbeitet habe – ein schlichter Kranz mit ausgeschnittenen Formen und kleinen solarbetriebenen Lichtern. „Der gefällt mir nicht.“
Er geht zu Livs Lieblingsdesign über – ein detaillierter Kranz aus geflochtenen Naturmaterialien mit kleinen Schneeflocken-Verzierungen aus Ton. „Und der wird wegen der speziellen Tonarbeit zu teuer. Das solltest du wissen.“
Jede Kritik lässt unser Team mehr in sich zusammensinken. Ich spüre, wie Liv neben mir angespannt wird und Kevins Schultern leicht nach unten sacken.
Trevor schüttelt den Kopf und seufzt. „Hört zu, wir brauchen bis Ende der Woche zehn finale Ideen für den Weihnachtskranz-Launch, also müssen wir heute mindestens dreißig neue Designs für die Führungskräfte entwerfen.“
Mein Team hat immer pünktlich geliefert und gute Arbeit geleistet – aber nach den jüngsten Verspätungen und dem gescheiterten letzten Kranz-Launch behält Trevor mich genau im Auge.
„Es ist äußerst wichtig, dass dieser Launch ein Erfolg wird. Alle unsere Jobs hängen davon ab“, fährt Trevor fort, wobei er nur mich ansieht. „Wird das ein Problem sein, Emma?“
Ich schlucke, versuche zu lächeln und nicke. „Ich werde Ihnen die neuen Ideen bis zum Ende des Tages vorlegen.“
Sobald Trevor weg ist, lässt sich Liv quer über einen Stuhl fallen, ihr langes blondes Haar hängt über die Seite. Wie immer sieht sie umwerfend aus: Sie trägt einen selbstgestrickten grünen Pullover über einer weiten Hose, die aussieht, als käme sie aus einem Vintage-Laden.
„Meine Güte, das ist zum Haare raufen“, sagt sie, setzt sich auf und greift nach einigen Design-Zeitschriften – Wallpaper und ~Monocle~ – und wirft eine davon Kevin zu.
Kevin, mit Brille und in einem Pullover, den ein Vater tragen würde, beginnt damit, die Kranz-Muster auszupacken, die wir gerade von einem unserer Hersteller bekommen haben. Ein Testkranz liegt auf dem Tisch – grüne Zweige aus umweltfreundlichem Material, mit recyceltem Draht verwoben, kleine Lichter kaum sichtbar in seinem filigranen Design.
„Wir haben ein dickes Problem“, sagt er, sein Bostoner Akzent lässt es weniger ernst klingen.
Liv verdreht die Augen und holt ihr iPad heraus, scrollt durch Pinterest. „Schau dir das an“, sagt sie und zeigt auf einen detaillierten geflochtenen Kranz mit Kupferdraht. „So etwas in der Art könnte funktionieren.“
Kevin nimmt ein anderes Muster in die Hand – dieses mit Glasverzierungen in einem schlichten Rahmen. Auf seinem Handy berechnet er schnell die Kosten und zeigt mir den Bildschirm mit besorgtem Blick.
„Okay, ich habe hier ein paar, die wir vielleicht verwenden können.“ Ich hole einige grobe Skizzen hervor, die ich gestern Nacht gemacht habe, und zeige auf die fünf, von denen ich denke, dass sie den Chefs am besten gefallen werden.
Obwohl ich keine Produktdesignerin bin, habe ich viel meiner Freizeit damit verbracht, die Tools zu lernen, die die Designer benutzen, um mein Team besser unterstützen zu können. „Wir brauchen nur noch fünf weitere Ideen, um auf die dreißig zu kommen, die Trevor will.“
Wir verbringen die nächsten zwei Stunden damit, gemeinsam fünf weitere gute Entwürfe zu entwickeln. Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und atme aus. „Was meint ihr?“
„Die sehen gut aus“, sagt Liv und stapelt die Ausdrucke auf ihrem iPad. „Lass mich die mit an meinen Schreibtisch nehmen, ich kann sie in etwa dreißig Minuten am Computer fertigstellen.“
Kevin stimmt zu und wir gehen vorerst getrennte Wege. Ich bin gerade dabei, meinen leeren Teebecher vom Tisch zu nehmen, als ich eine tiefe Stimme hinter mir höre.
„Hallo, Emma.“ Ich drehe mich um und sehe Max in der Tür stehen.
Er lehnt in einer lässigen Art am Türrahmen, die ich niemals hinbekommen würde, da ich in seiner Gegenwart extrem nervös bin, und ich lasse beinahe meinen Tee fallen.
Er wirkt viel erwachsener und selbstsicherer.
Ganz anders als der Junge, den ich einst kannte.
Seine Präsenz macht es schwer zu atmen in dem kleinen Raum, und ich hasse es, wie nervös ich in seiner Nähe bin. Ich frage mich, ob er weiß, wer ich bin, oder ob er mich einfach so sehr verabscheut, dass er so tut, als würde er mich nicht erkennen.
Ich machte mir schon Sorgen, ob der neue CEO weiterhin mit meiner Wohltätigkeitsorganisation zusammenarbeiten wollen würde. Jetzt, da ich weiß, dass es Max ist – nun, ich bin noch besorgter.
Ich schlucke und räuspere mich.
„Ja. Hallo, Maxwell. Schön, Sie kennenzulernen“, sage ich, unsicher, wie ich mit ihm umgehen soll.
Soll ich ihn Max nennen? Soll ich so tun, als würde ich mich an ihn erinnern? Heute Morgen im Aufzug schien er mich nicht zu erkennen. Aber andererseits hat er mich nicht einmal angesehen.
„Können Sie in etwa dreißig Minuten in mein Büro kommen? Trevor hat mir gesagt, dass Sie für die Kränze verantwortlich sind, die wir nächste Woche wieder verkaufen, und ich möchte die Designs sehen, die Sie vor dem Meeting präsentieren wollen.“
„Okay, sicher …“, sage ich langsam und mache mich dann auf den Weg zur Tür.
Als ich näher komme, bewegt er sich – nur ein wenig – gerade genug, um mich vorbei zu lassen. Aber ich kann die Wärme seines Körpers spüren, als würde ich, wenn ich mich zu langsam bewege, hineingezogen werden.
Ich kann ihn riechen. Dunkle Gewürze, etwas Warmes, etwas, das auf meiner Haut verweilt, obwohl wir uns nicht berühren.
Ich schaue auf, für einen Moment im Türrahmen gefangen. Er beobachtet mich bereits. Dunkelbraune Augen treffen auf meine, schwer zu lesen, aber voller etwas – Verwirrung, Schmerz, vielleicht etwas Dunkleres, etwas, das meine Brust eng werden lässt.
Wir sind uns sehr nah. Sein Anzug berührt die Vorderseite meines Kleides, und es fühlt sich an, als würde er mich testen. Als würde er mich herausfordern zu reagieren. Zu sagen, dass ich weiß, dass er es ist. Die Luft ist schwer von unausgesprochenen Worten, von Entscheidungen, die wir nicht rückgängig machen können.
„Entschuldigung“, flüstere ich, meine Stimme kaum hörbar.
Und dann bewege ich mich. Schnell. Absichtlich. Meine Schuhe klacken zu hastig auf dem Boden, als ich an ihm vorbeigehe, als würde die Entfernung von ihm mein rasendes Herz beruhigen. Mein Büro ist nicht weit – ich muss nur hineinkommen, durchatmen, mich vor dem Treffen mit ihm beruhigen.
Aber im letzten Moment, obwohl ich weiß, dass ich es nicht sollte, schaue ich über meine Schulter zurück.
Max steht immer noch da, seinen Blick auf meinen Körper gerichtet, sein Gesicht ausdruckslos.
Vielleicht weiß er wirklich nicht, wer ich bin …