Das unmoralische Angebot - Buchumschlag

Das unmoralische Angebot

S.S. Sahoo

Schatten der Vergangenheit

UnbekanntHi, Angela?
UnbekanntHier ist Betty. Von Curixon.
AngelaHi?
UnbekanntIch bin die Assistentin von Mr. Kinfold.
AngelaOh!
AngelaWas kann ich für dich tun?
UnbekanntTatsächlich glaube ich, dass ich etwas für dich tun kann.
UnbekanntHast du heute Nachmittag Zeit für einen Kaffee?
UnbekanntBei Starbucks an der 54th und 3rd.

ANGELA

Ich war einen Block von dem Starbucks entfernt, wo ich mit Betty verabredet war.

Mr. Kinfold war ein einflussreicher Vizechef eines wichtigen Technikunternehmens, und ich hatte wirklich gedacht, dass ich das Vorstellungsgespräch gerockt hatte. Als ich das Büro im Stadtzentrum verlassen hatte, war ich davon überzeugt gewesen, den Job zu bekommen.

Mr. Kinfold war ein netter Mann. Er hatte eine Tochter in meinem Alter und war beeindruckt von meinem Notendurchschnitt gewesen. Wir hatten uns gut verstanden.

Deshalb hatte ich die E-Mail mit der Absage, die ich ein paar Tage später erhalten hatte, mehrmals lesen müssen, bevor ich sie verstanden hatte. Nämlich, dass ich den Job nicht bekommen hatte. Dass ich nicht gut genug gewesen war.

Doch jetzt, nachdem seine Assistentin mich kontaktiert hatte, spürte ich wieder Schmetterlinge in meinem Bauch. Vielleicht hatte Mr. Kinfold seinen Fehler realisiert und schickte seine Assistentin, um sich bei mir zu entschuldigen, und um herauszufinden, ob ich noch auf Jobsuche war.

Ich atmete tief ein, um mich zu beruhigen. Ich drückte die Tür auf und ließ einen Geschäftsmann raus, bevor ich den trubeligen Coffeeshop betrat. Ich sah mich um. An den Tischen saßen viele in Anzügen gekleidete Angestellte, die mit einem Kaffee vor sich auf ihren Laptops und Handys tippten.

Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie Betty aussah. Hatte sie rotes Haar? Oder war es dunkelbraun und gelockt?

Aber dann hörte ich: „Angela! Hier!“

Ich drehte mich um und folgte der Stimme zu einem kleinen Tisch ganz hinten. Er war zwischen zwei anderen eingepfercht. An dem einen saß ein Student, der nach Zigaretten roch, und an dem anderen eine Nanny mit zwei unruhigen blonden Kleinkindern. Betty, die tatsächlich dunkelbraunes, gelocktes Haar hatte, lächelte mich im Stehen höflich an. Sie sah nervös aus.

„Hi“, sagte sie und streckte mir die Hand entgegen.

„Schön, dich wiederzusehen“, entgegnete ich und schüttelte ihr die Hand. Wir setzten uns.

„Danke, dass du gekommen bist“, begann sie, und dann schaute sie sich im Starbucks um, als wollte sie sichergehen, dass niemand Wichtiges ihre nächsten Worte mithörte.

„Ich weiß, dass das hier ziemlich unkonventionell ist, und ich weiß, dass du das letzte Mal von uns gehört hast, als du den Job nicht bekommen hast …“

Jetzt kommt es gleich, dachte ich. ~An diesen Moment werde ich mich für immer erinnern.~

„Aber ich wollte, dass du … dass du weißt, woran es lag. Warum du den Job nicht bekommen hast.“

„Oh …“, brachte ich offensichtlich enttäuscht hervor. Hier ging es nicht um ein Jobangebot. Es war eine detaillierte Analyse davon, was ich falsch gemacht hatte.

„Mr. Kinfold mochte dich. Eigentlich warst du seine erste Wahl.“

„Ach, ja?“

„Ich war schon dabei, den Vertrag aufzusetzen, als er sie erhielt.“

Als er was erhielt?

Ich war mir sicher, dass ich so verwirrt aussah, wie ich es auch war. Und dass sie sich nervös umsah, war keine Hilfe. Sie lehnte sich vor, stellte die Ellenbogen auf den Tisch und ihr Gesicht war jetzt nur noch ein paar Zentimeter von meinem entfernt.

„Du hast vorher bei Gelsa Inc. gearbeitet, richtig? In Jersey?“

Ich nickte.

„Mr. Kinfold … Er hat ein Schreiben von Gelsa bekommen. Von Mr. Lemor um genau zu sein.“ Als ich den Namen hörte, zuckte ich zusammen, und dann fühlte ich mich wie betäubt.

Mr. Lemor war mein alter Boss. Er war der Grund dafür gewesen, dass ich nach New York gezogen war.

„Mr. Lemor hat uns ein Schreiben geschickt. Es war eine Warnung.“

„Eine Warnung vor mir?“, fragte ich ungläubig.

„Nein. Eher eine Warnung von ihnen. Gelsa ist ein multinationales Unternehmen, das Einfluss auf viele unserer Klienten hat. Es ist in der Lage, massiv in unsere Geschäfte einzugreifen. Und Lemor … Er machte deutlich, dass er es uns schwer machen würde, wenn wir dich einstellen würden.“

„Aber das ist … illegal“, brach es aus mir heraus.

Sie seufzte. „Illegal, unmoralisch, es ist all diese Dinge. Lemor ist bekannt in der Branche. Er ist der Typ, der jeden Kampf so austrägt, als wäre es der 3. Weltkrieg, verstehst du? Mr. Kinfold ist ein guter Mensch, aber er wollte es nicht riskieren.“

„Nicht, wenn es so viele Anfänger unter den Maschineningenieuren gibt. Ich verstehe das“, sagte ich, obwohl ich voller Selbstmitleid war.

„Ich sollte es eigentlich nicht wissen, aber ich habe das Schreiben sofort gelesen, als wir es erhielten. Ich lese die meisten von Mr. Kinfolds E-Mails, aber …

Ich habe noch nie so etwas wie das gesehen. Ich kann richtig Ärger bekommen, wenn jemand herausfindet, dass ich davon erzählt habe. Aber ich fand, dass du es verdienst, es zu wissen“, sagte sie und tätschelte mir die Hand.

Der Körperkontakt überraschte mich, aber es fühlte sich aufrichtig an.

„Ich weiß nicht, was zwischen dir und Lemor passiert ist, aber er beobachtet dich offensichtlich. Und er hat die meisten Unternehmen auf seiner Seite. Also sei einfach … vorsichtig. Mächtige Männer haben keine Skrupel, junge Frauen zu zerstören, verstehst du?“ Sie nahm ihren Kaffee und ihre Handtasche und stand auf.

„Danke, dass du mir das erzählt hast.“

Betty nickte, bevor sie ging.

Ihre Worte hallten in meinem Kopf wider.

Mächtige Männer haben keine Skrupel, junge Frauen zu zerstören.

Sie hatte recht. Und ich wusste das aus eigener Erfahrung. Mr. Lemor war der Mann, vor dessen Begegnung ich elf Monate lang Angst gehabt hatte. Er war nicht nur mein Chef gewesen.

Er war der Mann, der mich sexuell belästigt und gestalkt hatte. Und er war anscheinend auch der Mann, der mich nicht vergessen ließ, welche Auswirkungen ein Nein auf meine Karriere hatte.

XAVIER

Heute war nicht mein Tag. Und nach der turbulenten Hochzeit, dem Einzug meiner frisch angetrauten Ehefrau in mein Penthouse und dem schlechten Grundstücksdeal letzte Woche brauchte ich heute wirklich einen guten Tag.

Er hatte gut angefangen. Ich hatte mein morgendliches Workout im Fitnessstudio absolviert, ohne dabei angesprochen zu werden. Nichts ging mir mehr auf die Nerven, als im Fitnessstudio gestört zu werden. Wenn mich eine Frau in einem engen Tanktop oder ein Typ in einem Muskelshirt erkannte und versuchte, mit mir ins Gespräch zu kommen.

Ich gehe nicht ins Fitnessstudio, um zu reden. Ich gehe nicht dorthin, um Weiber aufzureißen, und schon gar nicht, um Typen kennenzulernen.

Seitdem das mit ihr passiert war, nutzte ich meine morgendlichen Besuche im Fitnessstudio, um Dampf abzulassen. Beim stemmen der Gewichte konnte ich vergessen, dass mir mein Herz herausgerissen worden war. Ich konnte meinen Stress und meine Aggressionen rauslassen.

Zumindest, bis ich das Fitnessstudio verließ und alles zurückkehrte. Aber wenn ich dort war, hatte ich das Gefühl, die Kontrolle zu haben. Wie ein Mann.

Im Fitnessstudio war es heute Morgen also gut gewesen. Das war nicht das Problem. Das Problem kam später nach dem Lunch, als ich einen Anruf wegen einer unserer Immobilien in Paris bekam. Verzug, sagte der Bauunternehmer. Irgendwas mit Genehmigungen. Für mich hörte sich das alles wie Bullshit an.

Natürlich war Dad nicht gerade begeistert von den Neuigkeiten. Denn egal, was schiefläuft, während ich im Büro bin, alles fällt auf mich und meine Arbeit zurück.

„Du bist nicht bei der Sache, Xavier“, sagte er.

„Es lag nicht in meiner Hand.“

„Alles liegt in deiner Hand. Du warst in den letzten Wochen abgelenkt. Ich verstehe—“

„Verdammt, ich war nicht abgelenkt.“

„Nicht in dem Ton.“

Und so würde es laufen. In der verfluchten Arktis könnte ein Schiff sinken, während ich in meinem Büro saß, und er würde einen Grund finden, um mir die Schuld daran geben zu können.

Ich würde jetzt also zu der Gala gehen müssen, die in ein paar Wochen in einem unserer Hotels in Paris stattfand und die ich eigentlich meiden wollte. Ich würde mir den Bauunternehmer persönlich vornehmen und mich vor Ort „zeigen“ müssen.

Mein Dad beschrieb Menschen einzuschüchtern gern als „sich zeigen“.

„Wenn sie dich nicht sehen, können sie dich nicht fürchten“, pflegte er zu sagen. Brad Knight war nicht gerade der furchteinflößendste Mann der Welt.

Man würde nachts nicht einmal die Straßenseite wechseln, wenn er auf einen zukäme. Aber er war ein Mann mit endlosen Geschützen und einem Spürsinn dafür, Menschen einzustellen, die wussten, wie man sie einsetzte. Also, ja, ich habe vom Besten gelernt, würde ich sagen.

Aber das letzte Mal, als ich in Paris gewesen war, hatte mich diejenige begleitet, die mich zerstört hatte. Diejenige, die mir mein Herz herausgerissen und es vom Eiffelturm geworfen hatte, als wäre es ein alter Kaugummi. Wir waren dort, um ein Kleid zu kaufen – das Kleid, das sie fast auf unserer Hochzeit getragen hätte.

Ich beauftragte Marco, mich früher vom Büro abzuholen, damit ich versuchen konnte, mich zu beruhigen. Ich dachte fieberhaft darüber nach, wie ich aus der Sache mit Paris rauskäme, als der Wagen schnaubte und stehenblieb. Dann krochen wir die 6th Avenue hoch, wir waren schon fast da, als der Wagen schließlich vollständig anhielt.

Durch die Windschutzscheibe sah ich Dampf aufsteigen. Fuck, dachte ich. ~Ich werde nicht in einem explodierenden Auto mitten in der Stadt sterben.~ Ich stieg aus und bemerkte, wie mich die Fußgänger und Menschen in den Autos beobachteten.

Ich setzte meine Sonnenbrille auf und entfernte mich ohne ein Wort von Marco und dem Wagen.

ANGELA

Ich war wie benommen, als ich das Starbucks verließ. Wenn Lemor die E-Mail nicht geschickt hätte, hätte ich jetzt für Mr. Kinfold gearbeitet. Ich hätte nicht auf die Vereinbarung von Brad Knight eingehen müssen, und ich wäre nicht Xavier Knights Sandsack. Zwischen mir und meiner besten Freundin wäre alles normal und meine Familie wäre stolz auf mich.

Ich lief die 6th Street hoch und war fast auf der 57th, als ich den gleichen dunkelgrauen Bentley entdeckte, den Xavier fuhr. Gut, er fuhr nicht, sondern ließ sich fahren. Marco war der Fahrer. Ich kniff die Augen zusammen, um das Nummernschild lesen zu können.

Na, sieh mal einer an, dachte ich. Das war Xaviers Wagen. Und er steckte im stockenden Verkehr fest.

Plötzlich gab der Wagen ein Geräusch von sich und blieb stehen. Ein paar Sekunden später stieg Marco auf der Fahrerseite aus und lief zur Motorhaube, die er öffnete. Ich sah eine Dampfwolke um ihn herum aufsteigen.

Wahrscheinlich ein überhitzter Motor. Ich fragte mich, ob Marco so clever war und Kühlmittel im Kofferraum hatte. Ich war etwa einen halben Block entfernt, als Xavier ausstieg und die hintere Tür zuschlug. Dann setzte er seine Sonnenbrille auf und ohne ein Wort zu Marco zu sagen, ging er weg.

Ich dachte, ich hätte ihn schon von seiner schlechtesten Seite gesehen, aber er überzeugte mich immer wieder vom Gegenteil.

Als ich den Wagen erreichte, fummelte Marco unter der Haube am Motor herum.

„Hey“, sagte ich. „Brauchen Sie Hilfe?“

Es dauerte einen Moment, bevor er mich erkannte.

„Was weißt du denn schon über Autos?“

Ich beugte mich vor und zeigte auf den Kühlwasserschlauch, der so porös war, dass man die Löcher im Stahl sehen konnte. „Der Schlauch muss ersetzt werden. Aber für den Moment sollte etwas Kühlmittel reichen. Haben Sie welches dabei?“

Er sah mich an, als würde ich Latein sprechen.

„Wahrscheinlich eine blaue Flasche“, sagte ich, aber dieses Mal langsamer. „Es steht Kühlmittel drauf.“

Er betrachtete mich und versuchte wahrscheinlich herauszufinden, ob ich ihn veräppelte oder nicht. Als ich ihn anlächelte, nickte er, ging zum Kofferraum und kaum kurz darauf mit Kühlmittel zurück.

„Super, danke“, sagte ich und machte mich an die Arbeit.

***

Als Marco und ich fünfzehn Minuten später zum Gebäude zurückfuhren, erfuhr ich ein bisschen über ihn. Er war in der Nähe von Boston aufgewachsen und war zweimal für die Navy im Einsatz gewesen, bevor er von Brad Knights Sicherheitsteam angeheuert wurde. Und jetzt war sein Job, auf Xavier aufzupassen. Und ihn herumzufahren. Meiner Ansicht nach nicht gerade ein Karriereaufstieg.

Marco lief um den Wagen herum und öffnete mir die Tür und ich fragte ihn: „Hey Marco? Könnte das bitte unter uns bleiben?“

„Was meinen Sie?“

„Dass ich Ihnen mit dem Auto geholfen habe. Ich will nicht, dass Xavier es … ähm, erfährt.“

„Warum?“

„Ich glaube, das schickt sich nicht.“

„Oh. Okay. Sicher“, antwortete er, offensichtlich verwirrt.

„Gute Nacht“, sagte ich und lief durch die Türen. Ich wusste nicht, ob ich Marco vertrauen konnte, dass er es für sich behalten würde. Es machte mich jetzt schon nervös. Ich wusste, wenn Xavier es herausfände, würde er irgendeinen Grund finden, um mich herunterzumachen. Und heute könnte ich keine Feindseligkeit mehr ertragen. So viel war sicher.

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