Vor dem Alpha versteckt - Buchumschlag

Vor dem Alpha versteckt

Katlego Moncho

Lust-Gefühle

JUNIPER

Der Fremde, der sich über mich gebeugt hatte, war ein Traum. Dunkle Haare, braune Augen und genau die richtige Menge an Muskeln. Er roch nach dunkler Schokolade und Kiefernnadeln, wie regennasse Luft in einem kühlen Wald.

Bei diesem Duft lief mir das Wasser im Mund zusammen, und die Aussicht, den Fremden vielleicht gleich auf meinen Lippen zu schmecken, machte mich fast schwindlig.

Ich wollte ihn. Wie konnte das sein? Ich kannte ihn doch nicht mal.

Der Mann – und er war definitiv ein Mann – hatte die Hand an meine Wange gelegt. Seine Berührung löste ein elektrisierendes Kribbeln in mir aus, das sich über meinen ganzen Körper ausbreitete. Es brachte Starlet zum Brüllen. Sie hechelte, und ich spürte, dass sie unruhig wurde.

Was ist los?

Lust …

Das war das Einzige, was sie sagte, und sie wiederholte es in regelmäßigen Abständen. Und jedes Mal, wenn ich mir vorstellte, was sie damit andeuten wollte, lief ich rot an.

Wer war dieser Typ?

Nicht mal Royce, der ziemlich attraktiv war, hatte so eine Wirkung auf mich.

Dieser Fremde dagegen weckte nur durch seine bloße Anwesenheit irgendetwas in mir. Ich wollte berührt werden. Gestreichelt.

Ich wollte hemmungslosen Sex und danach schweißgebadet und vollbefriedigt neben ihm einschlafen.

Ja, ja, ja, sang Starlet mir ins Ohr. Sie schnurrte geradezu.

Das geht nicht.

„Mateo.“

Mir war nicht mal aufgefallen, dass noch ein anderer Mann im Zimmer war. Er kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich konnte ihn noch nicht einordnen.

Auf jeden Fall bewirkte seine Störung, dass mein Verstand wieder halbwegs einsetzte, und zum ersten Mal sah ich mich in meinem Zimmer um. Schlichte, weiße Wände, ein unbequemes Bett und Regale mit medizinischen Instrumenten.

Was war passiert? Wo war ich?

Dann erst sickerte das, was der andere Typ gesagt hatte, bei mir durch.

Ich kannte diesen Namen.

Mateo Santiago.

Die Erinnerung kam zurück. An meinen Vater, mein Zuhause, die Wälder, die Wölfe …

Trauer überkam mich, als mir klar wurde, dass mein Vater wahrscheinlich den Befehl dazu gegeben hatte, mich zu jagen. Er wollte meinen Tod. Und meine Mutter hatte nur stumm daneben gestanden und nichts getan. Hassten sie mich so sehr?

Und meine Großmutter? Der Verlust war immer noch frisch. Wie eine offene Wunde. Was war mit ihrem Leichnam passiert?

Was soll jetzt aus mir werden? Der Gedanke war egoistisch, aber ich konnte meine Sorgen auch nicht weglügen. Außerdem hätte Großmutter nicht gewollt, dass ich tatenlos herumsaß und über ihren Tod weinte.

Nachdem sich die Wölfe meines Rudels aus dem Staub gemacht hatten, waren andere aufgetaucht. Ich erinnerte mich daran, dass ich Todesangst hatte, als die Meute sich vor mir aufbaute. Es war eine halbe Armee. Und da war auch ein nicht verwandelter Mann. Plötzlich machte es Klick.

Der andere Typ im Zimmer war der Fremde aus dem Wald, der seine Wölfe auf mich gehetzt hatte. Ich war nicht schnell genug gewesen und so heftig gestürzt, dass ich mich selbst ausgeknockt hatte. Dieser Typ hatte nach Mateo gerufen, seinem Alpha.

Dem Alpha, der vor allem dafür bekannt war, dass er mit Verstoßenen kurzen Prozess machte.

Mateo Santiago war ein skrupelloser Killer. Unwillkommene Gäste und Eindringlinge ließ er selten lebend davonkommen.

Und war ich nicht genau das? Eine einsame Wölfin, die in fremdes Territorium eingedrungen war?

Instinktiv spannte ich mich an, und er bemerkte es. Er spürte es an seiner Hand, die er immer noch an meiner Wange hatte. Abrupt zog er sie weg, und ein spöttisches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus.

MATEO

Meine Hand kribbelte immer noch. Zeus jaulte; er wollte, dass ich sie wieder zurücklegte. Er wollte, dass wir uns an der Fremden rieben, bis sie nach uns roch. Er wollte, dass sich unser Geruch so tief in ihre Haut grub, dass sie ihn nie wieder abwaschen konnte.

Ich stieß ein tiefes, bedrohliches Knurren aus. Es war an Zeus gerichtet. An mich selbst. Und an diese Fremde.

Unsere Reaktion auf sie schockte mich.

Sie war eine Verstoßene. Das konnte ich riechen, unter diesem Erdbeer-Vanille-Duft. Sie war unrechtmäßig in unser Territorium eingedrungen und stellte eine potenzielle Bedrohung für meine Leute dar. Sie war gefährlich.

Aber wieso wollte ich sie dann trotzdem?

Mein Instinkt schrie danach, sie zu bestrafen, ihr wehzutun. Ich könnte sie in Stücke reißen und ihre Körperteile an der Grenze verstreuen – als Warnung an alle, die ungebeten in unser Land kamen. Die dunkle Seite in mir war mehr als einverstanden mit dieser Idee.

Doch als ich die Fremde packen wollte, stoppte Zeus mich.

Sie ist was Besonderes, Mateo. Fühlst du das nicht?

Das hier ist unsere Pflicht. Nur weil du sie attraktiv findest …

Darum geht es doch gar nicht. Oder nicht nur. Wir wollen beide mehr über sie wissen. Mach dir doch nichts vor.

Hör auf, fauchte ich. Wie konnte er nur so dumm sein? So beeindruckt von einem hübschen Gesicht, dass er unsere Pflichten vergaß.

Trotzdem war an dem, was er sagte, auch etwas dran. Ich versuchte, diesen Gedanken zu ignorieren, doch es gelang mir nicht. So ungern ich es auch zugab: Sie war tatsächlich etwas Besonderes.

Wütend trat ich zurück, drehte mich um und marschierte aus dem Zimmer.

„Orion!“, schnauzte ich meinen Stellvertreter an; wie selbstverständlich davon ausgehend, dass er mir folgte. Meine Wut kochte über, und damit war es vorbei mit meiner Geduld.

Ich knallte die Tür so heftig hinter mir zu, dass sich dünne Risse in der Wand bildeten. Na, toll.

Draußen auf dem Gang hatten sich noch andere aus dem Rudel versammelt. Sam und Max hielten weiterhin Wache, während sie mit einem der Ältesten diskutierten, der im Flur stand.

Als ich näher kam, verstummten sie, senkten die Köpfe und präsentierten mir ihre nackten Hälse als Zeichen ihrer Unterwürfigkeit.

Doch als einer von ihnen etwas sagen wollte, hob ich die Hand. Der Krankenhausflur war nicht der passende Ort für diese Diskussion, besonders nicht vor der Tür derjenigen, über die wir diskutieren würden.

Sie folgten mir, bis wir den großen Konferenzsaal erreichten. Viele liebten diesen jahrhundertealten Raum mit seinen schnörkeligen Verzierungen, den bunten Gemälden und Skulpturen.

Mir war er ein wenig zu pompös.

In dem Moment, als die Türen hinter uns geschlossen wurden, wandte ich mich – immer noch bemüht, meine Wut unter Kontrolle zu bekommen – an meine Leute und verkündete meinen Plan.

Zeus war nach wie vor unzufrieden, aber ich hatte mir etwas einfallen lassen, das sowohl meine als auch seine Bedürfnisse befriedigen würde.

„Ich werde sie in Verwahrung nehmen. Sie bleibt hier, bis ich rausgefunden habe, wer sie ist, woher sie kommt und wieso sie hier auf unserem Territorium rumläuft.“

„Wir nehmen Verstoßene nicht gefangen“, näselte einer der Ältesten sofort durch seine Hakennase. „Das haben wir noch nie, Mateo. Die anderen Ältesten werden dem nicht zustimmen.“

Das Oberste Gericht der Ältesten setzte sich aus einer Gruppe verschrobener alter Wölfe zusammen, die sich allesamt für wichtiger hielten, als sie waren.

Ein ignorantes, selbstsüchtiges und überhebliches Pack, das mir permanent Kopfschmerzen verursachte.

„Du hast noch nie gezögert“, meldete sich ein anderer zu Wort. „Wieso tust du es jetzt?“

„Vielleicht bist du mittlerweile einfach schwächlich geworden. Und selbstgefällig“, sagte der Älteste mit der Hakennase von oben herab. „Dein letzter Kampf liegt immerhin schon mehrere Jahre zurück.“

Rechts neben mir stieß Orion ein leises Knurren aus, bereit, diesem arroganten alten Mann den Kopf abzureißen. Beruhigend legte ich ihm eine Hand auf die Schulter und drückte ihn.

Das Ältestengericht hatte zwar keinen so großen Einfluss im Rudel wie ich, aber immer noch so viel, dass wir wachsam bleiben mussten.

Also biss ich die Zähnen zusammen und drängte meinen Ärger zurück. „In diesen Jahren habe ich dafür gesorgt, dass hier Frieden herrscht. Wenn euch jemand Besseres einfällt, der das Rudel anführen soll, immer her mit ihm. Er kann mich ruhig zum Kampf herausfordern, aber weit wird er nicht kommen. Das kann ich euch versichern.“

Ich war fünfzehn gewesen, als ich die Position des Alphas übernahm. Damals hatten viele protestiert, die Ältesten eingeschlossen. Sie hielten mich für zu jung, meinten, ich könne nicht mit der Verantwortung umgehen und das Rudel nicht beschützen.

Damit lagen sie falsch.

Ich hatte mich jahrelang selbst beschützt. Ich hatte mich jahrelang auf die Rolle des Alphas vorbereitet.

Schon in meinem ersten Jahr hatte ich bewiesen, dass ich ein starker und fähiger Anführer war. Und in meiner Zeit als Alpha hatte ich erreicht, dass wir seit Generationen wieder Frieden hatten. Unser Land war aufgeblüht und meine Leute waren glücklich.

Die Ältesten mochten ihren gewissen Einfluss haben, aber ich war der Alpha.

Ich hatte hart für das gearbeitet, was ich geschafft hatte, und das würde ich mir von niemandem wegnehmen lassen.

„Die Verstoßene bleibt in Verwahrung, bis ich mehr weiß. Sie verfügt über Magie. Es wäre dumm, das nicht wenigstens genauer zu untersuchen. Vielleicht können wir ihre Fähigkeiten nutzen.“

Diese Ausrede klang selbst in meinen Ohren dünn, und ich musste mir eine Schimpftirade von Zeus anhören, aber unser Publikum hatte ich offensichtlich neugierig gemacht.

„Magie?“

Auffordernd sah ich Orion an. Der ließ sich nicht lange bitten und erzählte, was sich abgespielt hatte, als die Verstoßene bewusstlos gewesen war.

Die anwesenden Ältesten blickten sich vielsagend an und fingen an, aufgeregt miteinander zu flüstern. Orion wandte sich von ihnen ab und raunte mir leise ins Ohr.

„Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“

Ich nickte nur. Dann breitete sich erneut Stille im Raum aus. Wieder trat der Älteste mit der näselnden Stimme vor und reckte hochmütig das Kinn.

„Wir sind mit deiner Entscheidung einverstanden. Vorläufig. Die Verstoßene soll in Gewahrsam bleiben, bis wir die … seltsamen Vorgänge um sie herum untersucht haben.“

Ich rang mir ein zustimmendes Lächeln ab und wandte mich zum Gehen.

„Orion, komm mit.“

Gehorsam folgte er meiner Anweisung, und wir gingen gemeinsam zurück zur Krankenstation. Ich winkte Sam und Max zu uns und informierte sie kurz über das, was ich beschlossen hatte.

„Und wo sollen wir sie hinbringen?“, fragte Sam leise und warf hin und wieder einen Blick zur Tür.

„Irgendwohin, wo ich sie im Auge habe. Und ich will, dass immer einer von euch draußen Wache hält.“

Sie nickten bestätigend.

Der Türgriff hatte sich gelockert, wahrscheinlich weil ich vorhin ziemlich rabiat damit umgegangen war. Und die Tür ächzte geradezu, als ich sie aufstieß.

Die Fremde lag im Bett, immer noch bei Bewusstsein, und es ärgerte mich, dass mein Herz plötzlich schneller klopfte und sich offensichtlich dem Rhythmus ihres Herzschlags anpasste. Aus ihren großen, grünen Augen starrte sie mich an, und je länger ich vor ihr stand, desto flacher ging ihr Atem.

Meine Wut wurde stärker. Ich wusste nicht mal, auf wen ich eigentlich wütend war. Auf sie, weil sie eine Verstoßene war und trotzdem diese starken Gefühle in mir auslöste? Oder auf mich, weil ich nichts dagegen getan hatte, dass sie so eine Wirkung auf mich hatte, und es auch gar nicht ändern wollte.

Ich hätte sie direkt töten sollen, als ich sie das erste Mal gesehen hatte.

„Bringt sie weg“, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Sie wehrte sich, als die Männer sie mit Handschuhen anfassten.

„Wo bringt ihr mich hin?“ Vor Angst hatte sie die Augen weit aufgerissen.

Ein Teil von mir wäre am liebsten zu ihr gegangen und hätte sie beruhigend in den Arm genommen. Es kostete mich viel Kraft, diesem Drang nicht nachzugeben.

„Du bleibst bei mir. In meinen Räumen.“

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