Vom Alpha gestohlen - Buchumschlag

Vom Alpha gestohlen

Midika Crane

4: Eine Abmachung

MARA

Ich habe kaum geschlafen.

Ich kann nicht sagen, wie spät es ist, denn es gibt keine Fenster und weiß nicht, ob die Sonne schon aufgegangen ist oder nicht.

Zwei kräftige Männer haben mich in ein Zimmer gebracht, das sie offenbar für mich vorgesehen haben, und seitdem wälze ich mich im Bett hin und her und überlege, wie ich wohl am besten von hier wegkommen könnte.

Mein Kopf kommt einfach nicht länger als fünf Minuten zur Ruhe.

Wie soll ich denn bitte schlafen, wenn meine Familie sich bestimmt fragt, wo ich bin?

So wie ich sie kenne, gehen sie vom Schlimmsten aus, und dieses Mal werden sie sogar Recht haben.

Oder noch schlimmer: Wissen sie überhaupt, dass ich weg bin?

Ich glaube, ich bin vorhin für mindestens eine Stunde eingeschlafen, aber als ich wieder zu mir kam, wurde mir sofort bewusst, wo ich war, und mein Herz wurde schwer.

Ich steige aus dem Bett. Als sie mich in dieses Zimmer gebracht haben, konnte ich in meinem Zustand wenig erkennen, aber jetzt wird mir klar wo ich bin und mir bleibt der Atem stehen.

Das ist mein Zimmer!

Alles, was ich kenne und liebe, ist hier. Ich habe die Farben ausgesucht, die Bilder aufgehängt und die Bettwäsche ausgesucht.

Es ist alles da!

Ich laufe zur Tür, aber sie ist verschlossen.

Ich bin verwirrt.

War das etwas alles nur ein böser Traum? Bin ich zu Hause?

Nein, das kann nicht sein.

Ich erinnere mich, dass ich entführt wurde, und ich erinnere mich auch noch an das Gespräch mit Kaden.

Oder könnte es doch ein Traum gewesen sein? Vielleicht wurde er durch die Warnungen meiner Eltern ausgelöst? Ein Hauch von Hoffnung durchströmt mich.

Ich hämmere an die Tür. "Mama! Papa! Ich bin's, lasst mich raus!"

Niemand antwortet mir und ich gehe wieder zurück in mein Zimmer.

Alles ist noch genauso wie vorher. Der graue Teppich, die blauen Wände...

Ich gehe zu den Fotos hinüber und nehme eins von meiner Mutter und meinem Vater in die Hand. Sie sehen so glücklich aus. Eine Träne tropft aus meinem Auge auf das Glas und bedeckt das Gesicht meiner Mutter.

Was mache ich nur? Das kann nicht mein Zimmer sein!

Das ist alles eine große Lüge, und meine Eltern werden mich nicht retten. Ich bin auf mich allein gestellt.

Ich lasse mich zurück auf mein Bett fallen und schließe die Augen. Ich weiß nicht, was real ist und was nicht. Ich weiß nicht, ob ich zu Hause bin oder immer noch im Vengeance Rudel . Ich fühle mich, als würde ich zwischen zwei Realitäten schweben.

Das ist alles seine Schuld. Kaden. Das ist wieder eins seiner Spielchen. Er will nur, dass ich mich verwirrt fühle, weil ich verwirrt verletzlich bin.

Plötzlich hasse ich ihn mehr als jemals zuvor.

Meine Mutter hat mir gesagt, ich solle nie jemanden hassen, aber ich kann dieses Brennen in meiner Brust nicht unterdrücken.

Ich stehe auf, ignoriere die Vertrautheit um mich herum aus und versuche noch einmal, die Tür zu öffnen. Diesmal öffnet sie sich, aber zu mir hin, und ich stolpere zurück, als jemand hereinkommt.

Ein junger Mann steht in der Tür und schaut herein.

Er sieht ein wenig anders aus, als ich mir die meisten Mitglieder des Vengeance Rudel s vorstellen würde.

Er hat dunkle Haare, dunkle Augen, und eine makellose Haut.

Er ist sehr attraktiv, aber er hat etwas Geheimnisvolles und Dunkles an sich.

Eigentlich ist er das Gegenteil von allen Mitgliedern des Vengeance Rudel s. Nicht so düster.

Ich fühle mich plötzlich nervös und fehl am Platz, denn ich habe nur ein dünnes weißes Nachthemd an, dass ich es gestern Abend angezogen habe, wenn ich mich recht entsinne.

Es war das Einzige im Kleiderschrank, das keine normale Kleidung für den Tag war.

Dieser Mann hingegen trägt eine komplette Lederrüstung, einschließlich Handschuhe, genau wie Kaden.

Warum tragen hier eigentlich alle Handschuhe?

Er zieht eine Augenbraue hoch, als ich langsam zurückweiche.

"Mara?", fragt er. Seine Stimme ist tief und klingt etwas exotisch. Ich nicke vorsichtig.

Was will er von mir? Ich merke, dass er nicht durch die Tür hereinkommt. Wenigstens ist er respektvoll.

"Wer bist du?", frage ich und klinge dabei unhöflicher, als ich eigentlich wollte.

Im Moment ist allerdings jeder im Vengeance Rudel mein Gegner, und das muss auch so bleiben.

Wenn ich fliehe, werde ich jeden einzelnen von ihnen zurücklassen.

"Du kannst mich Coen nennen", sagt er freundlich.

Er streckt mir eine Hand entgegen, und ich starre sie an.

Sein Lederhandschuh ist an der Seite mit kleinen blauen Edelsteinen verziert. Seltsam.

Ich schlucke. "Ich hasse Leder."

Er zieht seine Hand zurück und sieht sie einen Moment lang an.

Ich gebe es nur ungern zu, aber er sieht ziemlich gut aus. Und bis jetzt ist er die am wenigsten einschüchternde Person, die ich hier getroffen habe.

"Na gut", sagt er.

Er zieht seine Handschuhe aus und steckt sie in seine Jackentasche.

Seine Jacke ist genauso prächtig wie die Handschuhe und mit denselben Edelsteinen besetzt. Er streckt mir erneut seine Hand entgegen.

Diesmal schüttle ich sie.

Seine warmen Finger schließen sich um meine, und dann lasse ich mich von ihm aus dem Zimmer und durch einen schwach beleuchteten Flur führen.

"Du wirst jetzt frühstücken mit deinem..." Er verstummt.

Kace und ich sind keine Gefährten. Nur die königliche Familie darf heiraten, und dazu gehöre ich nicht.

Er scheint sich nicht sehr wohl zu fühlen. "Mit Kace", sagt er schließlich.

Mein Magen krampft sich zusammen und mir wird übel.

Es war schon schlimm genug, mit Kace in einem Raum zu sein, aber mit ihm zu essen?

Vielleicht geben sie mir ja ein Messer... aber selbst dann wüsste ich nicht, was ich damit tun soll, denn für mich ist Gewalt eine Sünde.

Ich beschließe, meinem Begleiter ein paar Fragen zu stellen. "Was bist du für ihn? Kaden, meine ich."

Er seufzt. "Ein persönlicher Leibwächter."

Ich runzle die Stirn. Persönlicher Leibwächter?

Wer hätte gedacht, dass der gefürchtetste aller Alphas einen persönlichen Leibwächter hat?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand es wagen würde, ihn zu verletzen.

Ich beiße mir auf die Lippe. "Und wo ist Kaden?"

Es ist mir eigentlich egal, aber ich will es trotzdem wissen.

Ich wünschte, ich hätte den Mut, ihn für das, was er mit meinem Zimmer gemacht hat, zu beschimpfen.

Die Einrichtung ist Absicht, weil er mich mit dem provoziert, was er mir genommen hat.

"Er kümmert sich um Geschäfte mit anderen Rudeln", antwortet Coen.

Natürlich ist er zu sehr damit beschäftigt, Frauen zu entführen, um sich um sein eigenes Rudel zu kümmern.

Coen sieht, wie ich mit den Augen rolle. "Du hast jedes Recht, ihn zu verabscheuen, aber vergiss nicht, dass seine Frauen unterwürfig sein müssen."

Ich knirsche angewidert mit den Zähnen. "Zum Glück gehöre ich nicht zu seinen Frauen."

Als wir den Essbereich erreichen, ist Kace schon da. Er stochert in einem Stück Ananas auf seinem Teller herum.

Er ist leger gekleidet, als wären wir schon ein Ehepaar, das sich seit Jahren auf diese Weise zum Frühstück trifft.

Werden wir uns nach unserer Hochzeit ein Zimmer teilen müssen?

Als wir reinkommen, schaut er auf und begegnet meinem Blick. Ich erwidere seinen verachtenden Gesichtsausdruck mit einem finsteren Blick.

Ich spüre, dass er fast genauso wenig mit mir zusammen sein will, wie ich mit ihm.

Na wenigstens haben wir etwas gemeinsam.

Ich setze mich an das Tischende.

Ich habe keinen Hunger, aber Coen geht trotzdem los, um mir einen Teller mit Essen zu holen, also bleibe ich mit Kace allein.

"Ich weiß, dass du mir heute Abend keinen Antrag machen willst", sage ich ihm.

Er beißt seine Zähne zusammen und senkt seinen Blick. Will er es mir gegenüber etwa nicht zugeben?

Er scheint sein Herz auf der Zunge zu tragen, also hat es keinen Sinn, dass er versucht, etwas vor mir zu verbergen.

Er lässt seine Gabel fallen. "Du weißt gar nichts."

"Ich weiß nur, dass du mich hier rausbringen kannst. Wenn ich weg bin, kannst du haben, wen du willst."

Er schlägt mit den Händen auf den Tisch, sodass das Besteck klappert, und steht auf. Ich schaue nervös zu ihm hoch. Ich befinde mich auf einem gefährlichen Weg.

"Verstehst du das denn nicht? Du kannst ihm nicht entkommen. Er wird dich finden und dich einsperren, und du wirst nie wieder das Sonnenlicht sehen", sagt er mir.

Bei seinen Worten wird mir schlecht. Ich glaube ihm.

Kace setzt sich wieder hin und streicht sich mit der Hand über das Gesicht. "Es spielt sowieso keine Rolle. Das Mädchen, das ich will, hat versucht, mich umzubringen."

Ich betrachte die Schnitte und blauen Flecken in seinem Gesicht und frage mich, ob dieses Mädchen, von dem er spricht, ihm das angetan hat.

Wie kann er sie noch wollen, nachdem sie ihm so etwas angetan hat?

Ich kann das natürlich nicht wissen, denn ich habe noch nie jemanden geliebt.

"Und sie liebt einen anderen", sagt er mürrisch und schiebt sich ein Stück Ananas in den Mund.

Coen kommt mit einem Teller Obst zurück in den Raum. Ich frage mich, woher das Vengeance Rudel das Obst bekommt. Er stellt es vor mir ab und tritt einen Schritt zurück.

Ist er jetzt mein Leibwächter?

"Du könntest es besser machen", sage ich zu Kace. Er ignoriert mich und isst weiter. Ich kann mir schon vorstellen, was er denkt:

Was hat das für einen Sinn? Was hat es für einen Sinn, sich Hoffnungen zu machen, wenn man gezwungen wird, jemand anderes zu heiraten?

Ich fange an, mich zu fragen, wie mein potenzielles Liebesleben aussehen wird, und ich schüttle den Kopf über die Schlüsse, zu denen ich komme.

Aber offenbar hat die Mondgöttin beschlossen, dass dies mein Schicksal ist, also muss ich es akzeptieren und so gut es geht damit umgehen.

Wenn ich Kaden nicht sehen muss, ist es vielleicht gar nicht so schlimm, hier zu bleiben. Aber ich werde trotzdem versuchen zu fliehen, um meine Familie und mein Rudel wiederzusehen.

Selbst wenn es mich das Leben kostet.

***

Bald darauf ziehe ich mich zurück und verbringe den Rest des Tages damit, in meinem "Schlafzimmer" herumzulaufen.

Ich kämme mir mit einer Bürste meine Haare und starre auf das Foto meiner Eltern, das in einer Ecke des Spiegels hängt. Sie haben ein strahlendes Lächeln.

Ich frage mich, was sie jetzt gerade tun. Sie können jetzt nicht so glücklich sein wie auf diesem Foto. Sie müssen mich vermissen... oder?

Ich lege meine Bürste ab und wünsche mir, dass mein Haar so schön glänzt wie das der anderen Mädchen. Etwas Make-up wäre auch nicht schlecht.

Meine blasse Haut sieht überhaupt nicht attraktiv aus - schon gar nicht heute Morgen, wo meine Wangen vom Weinen gestern Abend ganz fleckig sind.

Man hat mir gesagt, dass der Antrag in der nächsten Stunde stattfinden wird.

In diesem Zimmer zu sitzen, genau wie zu Hause, ist seltsam beruhigend.

Es hat genau den gegenteiligen Effekt, den Kaden zweifellos beabsichtigt hat.

Ein Klopfen an der Tür lässt mich zusammenzucken.

Coen sollte eigentlich draußen Wache stehen, um sicherzustellen, dass ich nicht versuche wegzulaufen, und um mir gleichzeitig etwas Privatsphäre zu geben.

Die einzige andere Möglichkeit wäre das Fenster, aber als ich den Vorhang zurückzog, starrte mich eine Betonwand an.

Die Tür öffnet sich und ich werde von dem mit Kapuze verdeckten Kaden begrüßt. Sofort bin ich eher genervt von seiner Anwesenheit, als dass ich Angst habe.

Am liebsten würde ich ihn am Hals packen und ihm das Leben aus dem Leib würgen, aber ich kann seinen Hals nicht einmal sehen.

Er trägt jetzt einen Anzug, wie ich feststelle, aber immer noch Lederhandschuhe.

Ich widerstehe dem wiederkehrenden Drang, seine Kapuze zurück zu ziehen, um das Gesicht darunter zu enthüllen. Es ist mir ein Rätsel, wie er es geschafft hat, eine Kapuze an seinem Anzug zu befestigen.

"Was willst du?", frage ich ihn kalt.

Sollte er nicht draußen sein und mit den anderen Mitgliedern seines Rudels feiern? Bei dem Gedanken wird mir schlecht.

Sie feiern, während weder Kace noch ich das tun wollen.

Die Mitglieder des Vengeance Rudel s haben kein Herz. Das muss ich mir merken.

"Ich bin gekommen, um mich zu vergewissern, dass du pünktlich sein wirst. Wie ich sehe, hast du das Kleid bekommen, das ich für dich anfertigen habe lassen", sagt er.

Wie Coen bleibt er vor meiner Tür stehen, ohne die Türschwelle zu überschreiten, als ob es ihn umbringen würde, wenn er es tun würde.

Ich schaue auf das Kleid hinunter, das ich tragen muss.

Der dicke, dunkelviolette Stoff schmiegt sich an meinen Körper und das Korsett glitzert mit Edelsteinen, die ich mir selbst nie hätte leisten können.

Es ist wirklich sehr schön, und wenn ich irgendwo anders wäre, würde ich es gerne tragen.

Im Purity Rudel dürfen wir solche teuren und dunklen Kleider nicht tragen.

Es bedeutet an das Schicksal zu glauben, das keiner von uns in Frage stellen darf.

"Denkst du, ich könnte weglaufen?", frage ich ihn.

Er schweigt einen Moment lang.

Ich frage mich, ob er unter seiner Kapuze wie jeder andere in diesem Rudel ist. Hat er die gleichen Gesichtszüge? Sieht er vielleicht genau so aus?

"Ja, das denke ich", antwortet er.

Ich runzle die Stirn. Als ob ich das tun könnte.

Wie könnte ich dem berühmt berüchtigten Alpha und seinem Rudel entkommen? Trotzdem frage ich ihn. "Warum?"

"Weil du dumm genug zu sein scheinst, es zu tun."

Ich schaue ihn böse an.

"Du scheinst auch noch nicht begriffen zu haben, dass ich dich umbringen kann. Und deine Familie", fährt er fort.

Er hält seine behandschuhte rechte Hand hoch und streicht mit der anderen Hand den nicht vorhandenen Staub von ihr ab. "Aber du musst dir keine Sorgen machen. Ich werde dich nicht töten."

Er streckt mir seinen Arm entgegen, damit ich mich einhake.

Ich starre seinen Arm an.

Was bringt es, wenn ich mich jetzt dagegen wehre? Nichts.

Also hake ich mich ein und wir gehen los.

Dann beugt er sich zu meinem Ohr hinunter. "Noch nicht."

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